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Elftes Kapitel

Am nächsten Morgen erhob sich Mr. Lind, bevor seine Tochter auf den Beinen war, und ging in seinen Klub, wo er frühstückte. Von da fuhr er nach den Geschäftsräumen in Queen Victoria Street. Da das Sitzungszimmer leer war, nahm er dort Platz und sagte zu einem der Angestellten:

»Gehen Sie zu Mister Conolly und sagen Sie ihm, ich möchte ihn sprechen, wenn er Zeit hat. Und wenn jemand hier hereinkommen will, sagen Sie, ich sei hier beschäftigt. Ich möchte für etwa eine halbe Stunde nicht gestört werden.«

»Ja, Herr«, sagte der junge Mann und ging fort. Nach einer Minute kam er zurück und sagte: »Mister Conolly ist frei, und er bittet Sie, so gut zu sein und in sein Zimmer zu kommen.«

»Ich sagte Ihnen, Sie möchten ihn hierher bestellen«, bemerkte Mr. Lind.

»Ja, das habe ich ihm gesagt, Herr«, sagte der Kommis, diesen unerwarteten Ausbruch der Erregung begütigend. »Soll ich zu ihm hingehen und es ihm noch einmal sagen?«

»Nein, nein, es ist nicht nötig«, sagte Mr. Lind und ging hinaus durch die Büroräume. Der Kommis hielt ihm die Türe offen und machte sie sorgfältig wieder zu, als er hindurchgeschritten war.

»Oh, ich sage ja«, schrie er. »Das ist großartig.«

»Was ist los?« fragte ein anderer Angestellter.

»Los? Der alte Lind schickte mich zu Conolly, er sollte zu ihm in das Sitzungszimmer kommen. ›Schön,‹ sagte Conolly, ›bitten Sie ihn, hierher zu kommen.‹ Sie hätten das Gesicht von dem alten Knaben sehen sollen, als ich es ihm erzählte. ›Hm!‹ sagte er. ›Ich bestellte Ihnen doch, zu sagen, er sollte zu mir kommen.‹ ›Soll ich es noch einmal bestellen?‹ sagte ich so kühl wie möglich. ›Nein,‹ sagte er, ›ich will selbst gehen.‹ Das ist, was mir an Conolly gefällt. Er weiß die Burschen klein zu kriegen, wenn sie versuchen, sich aufzuspielen.«

Inzwischen ging Mr. Lind in Conollys Zimmer, erwiderte seine Begrüßung mit würdigem Verneigen des Kopfes und nahm mit einem kühlen »Danke sehr!« den angebotenen Stuhl an. Conolly, der ihn herzlich begrüßt hatte, stutzte jetzt. Es entstand eine Pause, während derer Mr. Lind etwas seine Fassung verlor. Dann setzte sich Conolly und wartete.

»Ah – hm!« sagte Mr. Lind. »Ich möchte mit Ihnen in – in bezug auf – auf eine Sache sprechen, die zufällig zu meiner Kenntnis gelangt ist. Es würde peinlich und überflüssig sein – höchst überflüssig, auf Einzelheiten einzugehen.«

Conolly blieb höflich abwartend, sagte aber nichts. In Mr. Lind stieg ein starker Ärger auf, aber das half ihm an diesem Punkte nichts.

»Ich möchte gerne, das heißt, ich wünsche dringend, Sie möchten verstehen – jede nähere Bekanntschaft, die zwischen Ihnen und – und einem Mitglied meiner Familie entstanden sein mag, muß – muß, kurz gesagt, als beendet betrachtet werden. Meine Tochter ist – ich will Ihnen das mitteilen – mit Mister Sholto Douglas verlobt, den Sie ja kennen. Und darum – Sie verstehen wohl.«

»Mister Lind,« sagte Conolly mit Entschiedenheit, »Ihre Tochter ist mit mir verlobt.«

Mr. Lind verlor seine Selbstbeherrschung und erhob sich ausbrechend. »Ich bitte Sie, das nicht noch einmal zu sagen, weder hier noch sonst irgendwo.«

»Bitte, bleiben Sie sitzen«, sagte Conolly höflich.

»Ich habe nichts mehr zu sagen, Herr.«

Conolly erhob sich, als ob die Unterredung zu Ende wäre, und schien auf das Fortgehen seines Besuches zu warten.

»Ich hoffe, wir verstehen einander«, sagte Mr. Lind schwankend.

»Ich glaube, nicht ganz«, sagte Conolly nachgiebig. »Ich würde vorschlagen, wenn Sie so gut sein wollen, die Angelegenheit einmal ruhig zu besprechen. Wir haben jetzt die beste Gelegenheit.«

Mr. Lind setzte sich und sagte herablassend: »Ich bin ganz bereit, Sie anzuhören.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Conolly. »Wollen Sie mir sagen, welche Einwendungen Sie gegen meine Verlobung mit Ihrer Tochter haben?«

»Ich hatte gehofft, Ihr gesunder Menschenverstand und Ihre Welterfahrung würden eine solche Erklärung überflüssig machen.«

»Mein gesunder Menschenverstand und meine Welterfahrung haben mir gelehrt, daß man nicht deutlich genug sein kann, wenn man ein Mißverständnis aufklären will.«

»Oh, Mister Conolly, ich versichere Ihnen, ich habe durchaus nichts gegen eine solche Aufklärung. Ich wollte Sie nur soviel wie möglich schonen. Da Sie aber darauf bestehen, daß ich das erwähne, was Sie durchaus von selbst wissen müßten, so kann ich Ihnen nur sagen: vom Standpunkt der englischen Gesellschaft aus ist unsere beiderseitige Stellung eine verschiedenartige. Deshalb ist eine Verbindung zwischen Ihnen und einem Mitglied meiner Familie eine unpassende und steht – kurz gesagt – außer Frage, so vorteilhaft sie auch für Sie sein mag. Das ist alles.«

Mr. Lind glaubte hiermit im Vorteil zu sein und lehnte sich etwas zufriedener in seinen Stuhl zurück. Conolly antwortete nicht sogleich. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann, indem er seine Worte sorgfältig abwog:

»Ihre Tochter ist gewiß eine Dame von großer natürlicher Zartheit und sehr feiner Erziehung. Sie ist nicht geschaffen, um mit einem zotigen Burschen verheiratet zu werden, der unwissend, schmutzig und betrunken ist und in keine Gesellschaft paßt außer der, die sich vor einer Wirtshausbar zusammenfindet. So stellen Sie sich offenbar einen Arbeiter vor. Aber die Tatsache, daß sie meinen Antrag angenommen hat, ist ein Beweis dafür, daß eine solche Beschreibung nicht auf mich paßt. Und ich würde sie nie um ihre Einwilligung gebeten haben, wenn ich fürchtete, sie durch mein Benehmen in der Gesellschaft in Verlegenheit zu bringen. Wie Sie andeuteten, wird es für mich gewisse Vorteile haben, eine Dame aus der Gesellschaft zu heiraten. Aber es wird mir nicht schwierig, diese Vorteile zu erlangen, selbst mit meinen augenblicklichen Einnahmen, die ich im Laufe der nächsten Jahre bedeutend zu vergrößern hoffe. Sie unterschätzen tatsächlich die persönlichen Vorzüge Ihrer Tochter, wenn Sie annehmen, ich hätte sie ihrer Stellung wegen um ihre Hand gebeten.«

»Ich kenne die Vorzüge meiner Tochter sehr gut. Das ist für mich ein Grund mehr, mich einer törichten Heirat zu widersetzen.«

»Gewiß. Aber in welcher Beziehung würde ihre Verbindung mit mir töricht sein? Ich besitze wirkliche Befähigung und eine Aussicht auf Wohlstand. Ich stamme aus einer langlebigen und gesunden Familie. Mein Name ist unvergleichlich weiter bekannt als der Ihrige. (Mr. Lind fuhr zurück.) Ich werde jetzt überall mit einer gewissen Aufmerksamkeit behandelt, die eine Verbindung mit Ihrer Tochter nicht vermindern wird.«

»Tatsächlich, Sie fügen meiner Familie eine große Ehre zu, indem Sie sich herablassen, meine Tochter zu heiraten.«

»Wenn man Miß Linds Persönlichkeit aus dem Spiele ließe, könnte man wirklich dieser Ansicht sein. Sie dürfen mich aber nicht verurteilen, wenn ich meine Lage im besten Lichte zeige, um Sie mit einer unabänderlichen Tatsache zu versöhnen.«

»Was meinen Sie mit einer unabänderlichen Tatsache, mein Herr?«

»Meine Heirat natürlich. Ich versichere Ihnen, sie wird stattfinden.«

»Aber ich werde es nicht gestatten, daß sie stattfindet. Glauben Sie, Sie könnten mich in dieser Angelegenheit ignorieren?«

»Ja, ich glaube es. Wenn Sie Ihre Zustimmung geben, werde ich um Marians willen froh sein, da sie großen Wert darauf legt. Aber wenn Sie es nicht tun, müssen wir darauf verzichten. Wenn Sie uns entgegenarbeiten, werden Sie einfach – indem Sie Marian ihr Heim unerträglich machen – die Heirat beschleunigen.« Conolly, der der Ansicht war, daß er die Angelegenheit ordentlich klargelegt habe, machte sich jetzt soweit bequem, daß er seine Ellenbogen auf dem Tisch ruhen ließ und seinen Besucher freundlich ansah.

»Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?« sagte Mr. Lind zornbebend und in wachsender Furcht, in eine schwächliche Verteidigung hineingetrieben zu werden.

»Ich spreche«, sagte Conolly lächelnd, »mit meinem zukünftigen Schwiegervater.«

»Ich bin Direktor dieser Gesellschaft, und Sie sind hier Angestellter, wie Sie zu Ihrem Schaden finden werden, wenn Sie fortfahren, in beleidigendem Tone zu mir zu sprechen.«

»Wenn ich einen Direktor in dieser Gesellschaft fände, der sich von andern als streng geschäftlichen Rücksichten leiten ließe, so würde ich darauf bestehen, daß er zurückträte.«

Mr. Lind sah ihn streng, dann unwillig, dann schwankend an, ohne im geringsten auf ihn Eindruck zu machen. Schließlich sagte er etwas bescheidener: »Ich hoffe, Sie werden Ihre Stellung nicht mißbrauchen, Mister Conolly. Ich weiß nicht, ob Sie genügend Einfluß über Marian haben, um sie dahin zu bringen, mir zu trotzen. Aber wenn das so sein sollte, dann wende ich mich an Ihre besseren Gefühle. Versetzen Sie sich in meine Lage. Wenn Sie eine einzige Tochter hätten –«

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche«, sagte Conolly sanft. »Aber das wird unsere Auseinandersetzung nicht weiterbringen, wenn Sie sich nicht in meine versetzen. Übrigens bin ich an Marian gebunden. Wenn sie mich bittet, die Verlobung aufzulösen, werde ich sie sofort freigeben.«

»Sie wollen sich verpflichten, so zu handeln.«

»Ich kann doch nicht anders. Ich habe nicht mehr Macht, sie zur Heirat zu zwingen, als Sie, sie daran zu hindern.«

»Ich habe die Autorität eines Vaters. Und ich muß Ihnen sagen, Mister Conolly, daß es meine Pflicht ist, mein armes Kind darüber aufzuklären, welche Folgen eine solche Verbindung auf ihre soziale Stellung haben würde. Sie haben Ihre Berühmtheit und Ihre Aussichten gepriesen. Das mag sie für den Augenblick verwirrt haben; aber ihr guter Geschmack wird wieder erwachen, davon bin ich überzeugt.«

»Ich habe gewiß keine Mühe gespart, sie zu überreden. Aber ich ging nicht so zu Werk, wie Sie annehmen. Ich schmeichle mir selbst, meine angeblichen Nachteile haben am meisten für mich gesprochen. Glauben Sie mir, jetzt, da ich ihre Zustimmung habe, ist meine Stellung sicher. Wenn nicht die Gewohnheit aus ihrer Kinderzeit Marian dazu führt, sich Ihren Vorurteilen zu unterwerfen – Sie müssen mir gestatten, sie so zu nennen, es ist wirklich sonst nichts –, dann ist sie mein.«

Mr. Lind fuhr zurück, denn er erinnerte sich, wie wenig sein Benehmen gegen seine Tochter während ihrer Kinderzeit darauf berechnet war, sie an seinen Einfluß zu gewöhnen. »Es scheint mir, mein Herr,« sagte er, und dabei fiel ihm plötzlich eine neue Form des Angriffs ein, »daß, um in Ihrer eigenen offenen Sprache zu reden, Sie nichts mehr oder weniger sind als ein Radikaler.«

»Radikalismus gilt in Arbeiterkreisen nicht als Schande«, sagte Conolly.

»Ich werde nicht verfehlen, ihr das Selbstvertrauen zu schildern, mit dem Sie sich Ihres Einflusses über sie brüsten.«

»Ich habe mich einfach bemüht, offen mit Ihnen zu sprechen. Sie wissen genau, wie ich stehe. Sollte ich etwas vergessen haben, so fragen Sie mich, ich werde es sofort sagen.«

Mr. Lind erhob sich. »Ich weiß genau soviel, wie ich wissen will«, sagte er. »Ich erhebe ausdrücklich Einsprache und protestiere gegen alle Ihre weiteren Schritte, Mister Conolly. Wenn meine Tochter Sie heiratet, erhält sie weder meine Unterstützung in der Gesellschaft noch einen einzigen Pfennig von dem Vermögen, das ich für sie bestimmt hatte. Ich empfehle besonders diesen letzten Punkt Ihrer Aufmerksamkeit.«

»Ich habe ihn sorgfältig erwogen, Mister Lind, und ich bin mit dem zufrieden, was ihr von selbst gehört.«

»Oh! Darüber haben Sie sich erkundigt, nicht wahr?«

»Ich würde ihr schwerlich einen Heiratsantrag gemacht haben, wenn sie finanziell nicht vollständig unabhängig von mir wäre.«

»Wirklich. Und haben Sie ihr erklärt, Sie wollten sie heiraten, um sich ihres Vermögens zu bemächtigen?«

»Ich habe ihr alles erzählt, was sie wissen mußte, wobei ich natürlich Sorge trug, ihr volles Vertrauen in mein offenes Handeln zu besitzen.«

Mr. Lind sah ihn eine Weile erstaunt an und ging dann zur Tür.

»Ich bin ein Gentleman«, sagte er, indem er dort eine Weile stehenblieb, »und zu sehr vom alten Schlage, um mit einem Radikalen über die Verpflichtungen einer guten Erziehung zu streiten. Wenn ich Sie einer solchen offenen Unverschämtheit für fähig gehalten hätte, wie Sie sie mir soeben gezeigt haben, dann würde ich mir dieses Zusammentreffen erspart haben. Guten Morgen.«

»Guten Morgen«, sagte Conolly ernst. Als die Tür sich geschlossen hatte, sprang er empor und ging auf und ab, indem er kicherte, sich die Hände rieb und von Zeit zu Zeit ein kurzes Lachen hervorstieß. Als er sich durch diese Übungen genugsam erholt hatte, setzte er sich an sein Pult und schrieb einen Brief.

 

»Die Londoner Conolly-Elektromotor-Gesellschaft m. b. H. Queen Victoria Street, E. C.

Hierdurch möchte ich das gnädige Fräulein wissen lassen, daß ich soeben einen Zusammenstoß mit Ihrem Vater gehabt. Er ging in großem Zorn von dannen, zwar geschlagen, aber doch der Meinung, daß er es nicht besser verdiente, weil er sich mit einem Radikalen eingelassen hatte. Ich hielt es für das beste, mich offen mit ihm auszusprechen, um späteren Ärger zu ersparen. Ich sende Ihnen eilig diese Zeilen, damit Sie gewarnt sind, falls er gleich nach Hause geht und Sie auszankt. Ich hoffe, er wird Sie nicht sehr quälen. Morgen um vier bin ich in der Akademie. – E. C.«

 

Nachdem er eiligst den Laufburschen mit dem Brief nach Westbourne Terrace geschickt hatte, ging Conolly zum Lunch.

Mr. Lind ging nach Beendigung seiner Unterredung in das Sitzungszimmer zurück, wo er den Sekretär der Gesellschaft traf.

»Ich verschicke gerade Einladungen zu einer besonderen Versammlung«, sagte der Sekretär. »Wird Ihnen Freitag nachmittag passen?«

»Ja. Was liegt denn für eine besondere Sache vor?«

»Conolly will Vorschläge über neue Verbesserungen machen.«

»Muß er denn notwendig der Zusammenkunft beiwohnen?«

»Natürlich. Er muß seine Vorschläge erläutern, und dann wünscht er dringend, jetzt einen Posten Aktien zu erwerben.«

»Ich werde mich dem aufs strengste widersetzen, Herr«, sagte Mr. Lind. »Mister Conolly maßt sich viel zu sehr die Leitung der Gesellschaft an; und ich werde gegen sein Eindringen in irgendeine Vorstandsversammlung protestieren. Ich werde ebenso dagegen protestieren, daß ihm irgendeine Aktie überlassen wird. Er ist der bezahlte Angestellte der Gesellschaft – weiter nichts.«

Der Sekretär starrte ihn an und sagte begütigend: »Das wußte ich nicht. Ich dachte, Mister Conolly stände mit der Gesellschaft auf bestem Fuße.«

»Er steht mit der Gesellschaft nur auf dem Geschäftsfuße.«

»Natürlich.«

»Ich fürchte, er ist ein sehr gefährlicher Mensch. Wenn die Versammlung beschließt, die Interessen der Aktionäre in seine Hände zu legen, werde ich das nicht mitmachen.«

»Ich zweifle auch nicht,« sagte der Sekretär und dämpfte seine Stimme, »wenn wir Conolly Verdruß machen, würde er uns ohne Zweifel fühlen lassen, daß er uns in gewisser Beziehung in seiner Hand hat.«

»In welcher Beziehung, bitte? Was sollte die Gesellschaft verhindern, ihn vom Fleck weg zu entlassen, wenn es ihr so paßte?«

»Das könnten wir wohl kaum tun. Neulich fragte der Vorsitzende einen neuen amerikanischen Arbeiter, ob er wohl mit der Kupferleitung ohne Conolly fertig würde. Der Bursche sagte, nach seiner Meinung würde ohne ihn die ganze Arbeit in einer Woche zum Teufel gehen. Außerdem hat Conolly Patente von Verbesserungen in der Tasche, die wir notwendig brauchen. Wir müssen ihn deshalb bei guter Laune halten – wenigstens jetzt.«

»Wir sollten ihn lieber in Schach halten.«

»Ja, aber wer soll das tun? Er beherrscht alles. Mich stört er ja niemals; und für meine Person gesprochen, er gefällt mir auch ganz gut – er ist ruhig und zurückhaltend. Aber natürlich verstehe ich nichts von seiner Arbeit. Wenn ich zu den Arbeitern ginge und sie fragte, sie würden mir doch keine Auskunft geben.«

»Pah! Kein Wunder. Arbeitsstätten sind ohne Zweifel Brutanstalten des Radikalismus. Schön, um wieviel Uhr am Freitagnachmittag?«

»Bitte, um drei Uhr, Mister Lind. Adieu.«

Während der Sekretär in sein Büro zurückkehrte, um über den Zwiespalt zu grübeln, der jetzt wohl in den Sitzungen ausbrechen mußte, und zu überlegen, auf welche Seite er sich am besten schlagen sollte, kehrte Mr. Lind nach seinem Klub zurück, um den Lunch einzunehmen. Von da fuhr er nach Westbourne Terrace, wo man ihm sagte, die jungen Damen seien zusammen im Empfangszimmer. Einige Minuten darauf wurde Marian, die mit Elinor Conollys Brief besprach, durch die Nachricht unterbrochen, ihr Vater wünsche sie in seinem Arbeitszimmer zu sprechen.

»Und nun, Marian,« sagte Nelly, als das Mädchen gegangen war, »denke daran, daß du mit dem unvernünftigsten aller Gegner zusammentriffst, einem Vater, der seine Eigentumsrechte auf sein Kind verteidigen will. Sei nicht sentimental. Laß ihn das sein. Er wird überfließen von der Besorgnis eines Vaters, der entdeckt, daß seine geliebte Tochter eigene Gefühle und Interessen hat. Übrigens, Conolly hat ihn zermalmt, und er wird aus Rachsucht versuchen, dich zu zermalmen.«

»Ich wollte, ich wäre nicht so aufgeregt«, sagte Marian. »Ich habe keine wirkliche Angst, aber mein Herz schlägt ganz entsetzlich.«

»Ich wollte, ich wäre an deiner Stelle«, sagte Elinor. »Mir ist wie einem Schlachtroß, das die Trompete hört.«

»Ich bin froh wegen meines armen Papas, daß es nicht so ist«, sagte Marian und ging hinaus.

An der Türe des Arbeitszimmers klopfte sie an, und die Stimme ihres Vaters, als er herein rief, bewegte sie stärker als jemals früher. Er saß hinter seinem Schreibtisch, vor den er einen Stuhl für seine Tochter hingestellt hatte. Sie war seit ihrer Kindheit so an die Rolle eines Gastes und den damit verbundenen Zwang gewöhnt, daß sie sich durch diese gebieterische Anordnung eher gehoben als geängstigt fühlte. Sie zeigte nicht ihre gewöhnliche Anmut, als sie sich setzte, und sah ihn mit zusammengezogenen Brauen an. Es war einer von den seltenen Augenblicken, in denen sie ihn an ihre Mutter erinnerte. Ihn überkam ein ärgerlicher Drang, ihr zu sagen, sie solle ihn nicht so ansehen. Indessen begann er klug mit einer sorgsam vorbereiteten Rede.

»Es ist meine Pflicht, Marian,« sagte er ernst, »mit dir über deine Erklärung von gestern abend zu sprechen. Wir brauchen wohl nicht auf die peinliche Szene anzuspielen, die sich dann ereignet hat. Es ist besser, wir lassen das möglichst schnell begraben und vergessen sein. Aber die Entdeckung deiner Handlungsweise, die du hinter meinem Rücken vorgenommen hast, hat mir eine schlaflose Nacht und viel Angst verursacht. Ich möchte nun mit dir ganz ruhig und leidenschaftslos darüber beraten, und du wirst hoffentlich bedenken, daß ich älter bin und mehr Welterfahrung habe als du, und daß ich vielleicht besser beurteilen kann, was dir gut tut, als du selbst. Ach ja! Ich war diesen Morgen in der City, wo ich Mister Conolly traf. Ich versuchte, ihm die wahre Natur seines Benehmens mir gegenüber – und ich darf auch wohl hinzufügen, dir gegenüber – klarzumachen, weil er sich heimlich in ein näheres Verhältnis zu dir eingeschlichen hat. Ich werde dir nicht beschreiben, was geschah. Das kann ich aber sagen, ich habe in ihm einen Menschen gefunden, mit dem du auch nicht einen Tag glücklich sein kannst. Selbst abgesehen von seinen Gewohnheiten und Neigungen, die die eines gewöhnlichen Arbeiters sind, sind seine gesellschaftlichen und, wie ich fürchte, auch religiösen Ansichten derartige, daß keine Dame, keine rechtlich denkende Frau aus irgendeiner Klasse mit ihnen übereinstimmen kann. Vielleicht wirst du dir ein Bild von seinem Charakter machen, wenn du erfährst, daß er sich, wie er mir mitteilte, genau über die Größe deines Vermögens unterrichtet hat, ehe er sich dir näherte. Er rühmte sich in den rohesten Ausdrücken seines unbeschränkten Einflusses über dich, ohne offenbar eine Ahnung zu haben, welchen Eindruck von Geldgier und Gewöhnlichkeit er mit solchen Worten auf mich machen mußte. Übrigens bin ich sicher, Marian, daß du keine Ehe eingehen wirst, die mich aufs tiefste schmerzen und meine ganze Familie beleidigen würde und die dich von jeder guten Gesellschaft ausschließen würde.«

»Du irrst dich über ihn, Papa.«

»Bitte, laß mich zu Ende sprechen.« Er mußte einige Augenblicke nachdenken, da er nicht sofort etwas fand, was er noch hinzufügen konnte. »Ich bin also fest entschlossen, nachdem ich mich persönlich über Mister Conolly unterrichtet habe, daß selbst eine oberflächliche Bekanntschaft mit dir außer Frage bleiben muß. Kurz gesagt, ich verweigere die Erlaubnis, sie irgendwie fortzusetzen, und erwarte von dir, daß du in dieser Angelegenheit meinen Wünschen nachkommst. Da ist noch ein anderer Gegenstand, den ich bei dieser Gelegenheit erwähnen will – da ich aber deinen Neigungen keinen Zwang auferlegen will, werde ich dich nicht drängen, jetzt eine Erklärung über deine Gefühle abzugeben. Sholto Douglas –«

»Ich wünsche nicht, irgend etwas über Sholto Douglas zu hören«, sagte Marian, sich erhebend.

»Ich erwarte von dir, Marian, daß du das anhörst, was ich zu sagen habe.«

»Über diesen Gegenstand will ich nichts hören. Ich bin voll Schmerz und Zorn, weil du mir gestern abend, als Sholto mich beschimpfte, gesagt hast, ich sollte das Zimmer verlassen, gerade als wenn ich der angreifende Teil gewesen.«

»Voll Zorn! Es tut mir leid, das von dir hören zu müssen.«

»Besser, es zu sagen, als es zu denken. Es hat keinen Wert, diese Unterredung weiterzuführen, Papa. Sie wird nur noch mehr Bitterkeit zwischen uns erzeugen. Und ich habe genug davon bekommen, als ich sie gestern abend zum erstenmal empfinden mußte. Über Mister Conolly werden wir nie übereinstimmen. Ich habe versprochen, ihn zu heiraten, und darf mich deshalb nicht zurückziehen, selbst wenn ich es wollte.«

»Ein Versprechen ohne meine Zustimmung ist nicht bindend. Und – höre mich, bitte, an – ich habe von Mister Conolly die ausdrückliche Versicherung erhalten, wenn du dich zurückziehen willst, so ist er vollkommen damit einverstanden.«

»Natürlich. Er würde mich nicht gegen meinen Willen heiraten.«

»Aber er wünscht, du möchtest dich zurückziehen. Er gibt dich vollkommen frei.«

»Ja, und wie du mir gesagt hast, vertraut er fest darauf, daß ich ihm Wort halte. Und das tue ich auch. Ich erhielt schon einen Brief von ihm, seit du ihn gesprochen hast.«

»Was!« sagte Mr. Lind und erhob sich ebenfalls.

»Wir wollen uns nicht streiten, Papa«, sagte Marian bittend. »Warum soll ich nicht heiraten, wen ich will?«

»Daran will ich dich ja gar nicht hindern. Ich habe mich so sorgfältig gehütet, dich in bezug auf Sholto Douglas zu beeinflussen. Aber hier handelt es sich um eine ganz andere Frage. Ich muß dich daran hindern, dich mit Schande zu bedecken.«

»Wo ist die Schande? Mister Conolly ist ein bedeutender Mann. Ich bin nicht arm und kann jeden heiraten, den ich achte. Ihn achte ich. Welche Einwendung hast du gegen ihn? Er ist sicherlich Sholto weit überlegen.«

»Mister Douglas ist ein Gentleman, Marian, Mister Conolly ist es nicht. Und es steht für dich außerhalb jeder Erwägung, ein – ein Mitglied des Proletariats zu heiraten, wie geschickt es auch in seinem Handwerk sein mag.«

»Was ist ein Gentleman, Papa?«

»Ein Gentleman, Marian, ist jemand, der aus guter Familie stammt und gut erzogen ist, der ferner eine besondere Haltung und Kultur hat, die man nur im Verkehr mit der besten Gesellschaft erwerben kann. Ich dächte, du müßtest das so gut wissen wie ich. Ich hoffe, du stelltest diese Frage nicht, um mir zu widersprechen.«

»Ich wünsche nur zu tun, was recht ist. Es ist sicher kein Unrecht, zu widersprechen, wenn man nicht überzeugt ist.«

»Hm! Gut, ich habe das Nötige gesagt. Ich bin überzeugt, du wirst keinen Schritt tun, der mich betrüben muß – wenigstens würde mir eine selbstsüchtige Handlung von deiner Seite eine neue und verletzende Erfahrung sein.«

»Es ist sehr unfein, Papa, das anzuführen. Du gibst mir keinen guten Grund, mein Wort zu brechen und mich selbst unglücklich zu machen, und doch klagst du mich der Selbstsucht an, weil ich schwanke, beides zu tun.«

»Ich glaube, ich habe dir schon meine Versicherung gegeben – und sie ist entscheidend wegen meines Alters, meiner Erfahrung, meiner Sorge für dein Wohl und hoffentlich auch wegen meiner väterlichen Autorität –, daß sowohl deine Ehre wie dein Glück gesichert sind, wenn du mir folgst; daß sie verlorengehen, wenn du deinen eigenen, halsstarrigen Neigungen folgst.«

Marian, halb überwunden, schwankte einen Augenblick. Sie faltete ihre Finger und sah ihn flehend an. Dann aber dachte sie an Conolly und raffte sich auf, indem sie sagte: »Ich kann nur sagen, es tut mir leid, daß wir nicht einer Meinung sind, aber ich bin nicht überzeugt.«

»Soll das heißen, du verweigerst mir den Gehorsam?«

»Ich kann dir hierin nicht gehorchen, Papa. Ich –«

»Das ist genug«, sagte Mr. Lind streng und fing an, sich mit dem Schreibzeug zu beschäftigen. Marian schien für einen Augenblick gegen diese Entlassung etwas sagen zu wollen. Dann aber faßte sie sich und ging aus dem Zimmer, indem sie die Tür ganz ruhig hinter sich zumachte.

»Nun,« sagte Elinor, als ihre Kusine in das Gesellschaftszimmer kam, »bist du selbstsüchtig und ungehorsam gewesen? Hast du deinem Vater das Herz zerrissen?«

»Er ist äußerst unvornehm«, sagte Marian. »Aber es kommt alles auf eins heraus; er ist ärgerlich, weil ich Ned heiraten will; und ich glaube, ich werde nicht eher Friede haben, bis ich in meinem eigenen Hause bin. Was sollen wir inzwischen anfangen? Wo sollen wir hingehen? Hier kann ich nicht bleiben.«

»Warum nicht? Onkel Reginald wird schmollen, beim Essen kein Wort mit uns sprechen und uns soviel er kann aus dem Wege gehen. Aber du kannst mit mir reden, wir brauchen uns gar nicht um ihn zu bekümmern. Er schneidet sich nur selbst dabei ins Fleisch. Dir ist solch ein Zustand etwas Neues. Ich habe Wochen so gelebt, ohne daß jemand an meiner Seite stand, und ich fühlte mich gar nicht so schlimm dran, außer vielleicht, wenn ich gereizt war. Er wird sich vielleicht anfangs unerbittlich stellen, dann sein verwundetes Herz ausspielen und schließlich einwilligen.«

»Nein, Nelly, ein solches Leben könnte ich nicht ertragen. Wenn Menschen nicht Freund bleiben können, sollen sie sich sofort trennen. Ich will diese Nacht nicht in diesem Hause schlafen.«

»Hurra!« schrie Miß McQuench. »Das heißt, den Kampf mit Feuer aufnehmen. Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich würde bleiben und es zwischen den vier Pfählen ausfechten. – Ich würde mich so unangenehm machen, daß niemand sich vorstellen könnte, was es hieße, hier zu leben. Aber dein Plan ist der beste – wenn du ihn wirklich ausführen willst.«

»Gewiß will ich es. Wo sollen wir hingehen, Nelly?«

»Hm. Ich fürchte, niemand von der Familie würde es uns unter den Umständen behaglich machen, ausgenommen Marmaduke. Es würde ein prächtiger Spaß sein, nach West Kensington zu gehen, nur würde das uns und Ned in einen schlechten Ruf bringen. Halt, ich hab' es! Wir gehen zur Mistreß Toplis in St. Mary's Terrace: meine Mutter wohnt dort immer, wenn sie in der Stadt ist. Mistreß Toplis kennt uns. Wenn sie ein Zimmer frei hat, wird sie es uns ohne weiteres überlassen.«

»Ja, das wird gehen. Kannst du sofort mitkommen?«

»Kannst du nur fünf Minuten warten? Ich setze meinen Hut auf und ziehe andere Schuhe an. Wir müssen noch einmal wiederkommen und einpacken, wenn wir das mit dem Zimmer in Ordnung gebracht haben. Wir können nicht ohne Kleider gehen. Ich möchte wenigstens Nachtkleider haben. Hast du etwas Geld?«

»Ich hab' das Haushaltsgeld, aber das rühr' ich natürlich nicht an. Ich habe dreißig Pfund von meinem eigenen.«

»Und ich meinen alten Bestand: ungefähr siebzehn. Also fünfzig im ganzen. Damit kommen wir bequem einen Monat aus.«

»Lächerlich, das reicht länger. – Oh!«

»Nun?«

»Wir dürfen überhaupt nicht gehen. Ich dachte nicht an dich.«

»Was soll ich?«

»Wo sollst du hingehen, wenn ich verheiratet bin? Du kannst nicht allein für dich sorgen, und Papa wird dich ungern wiederhaben, wenn du mir gegen ihn hilfst.«

»Das wird er in jedem Fall, und darum kann es mir eins sein. Allerschlimmstenfalls kann ich nach Hause gehen. Es macht nichts aus: das luxuriöse Leben muß doch früher oder später einmal ein Ende haben, ob du hierbleibst oder nicht.«

»Sicher hat Ned, wenn ich ihn bitte, nichts dagegen, daß du auch fernerhin bei mir bleibst.«

»Nein, der arme Junge! Er würde nichts einwenden – im Anfang. Aber er hätte es doch nicht gern. Du darfst mich ihm nicht auf den Hals laden. Nein, ich bleibe in dieser Sache bei meinem Entschluß. Bestelle den Wagen, es ist Zeit, daß wir fortkommen; – und Mistreß Toplis bekommt einen besseren Eindruck von uns, wenn wir in Staat sind, als wenn wir zu Fuß ankommen.«

»Still«, sagte Marian, die nahe am Fenster stand. »Da kommt George mit einem furchtbar wichtigen Gesicht.«

»Onkel Reginald hat ihm geschrieben«, sagte Elinor.

»Dann, je schneller wir fortkommen, desto besser«, sagte Marian. »Ich möchte nicht den Streit noch einmal mit George haben.«

Beim Hinausgehen trafen sie auf dem Flur den Geistlichen.

»Nun, George,« sagte Elinor, »was machen die Heiden in Belgravia? Sie sehen frisch aus.«

»Gehst du aus, Marian?« fragte er feierlich, ohne auf die Neckerei seiner Kusine zu achten.

»Wir wollen ein paar Zimmer suchen für zwei umherirrende Familienmitglieder«, sagte Elinor. »Dürfen wir Sie als Referenz aufgeben?«

»Gewiß. Ich möchte dich sprechen, Marian, bevor ich fortgehe. Wann bist du wieder hier?«

»Ich weiß es nicht. Aber wir bleiben wohl nicht lange. Du wirst jedenfalls genügend Gelegenheit dazu haben.«

»Wollen Sie, bitte, in das Arbeitszimmer eintreten, Herr«, sagte ein Mädchen.

Der Pfarrer George blieb eine Stunde bei seinem Vater im Zimmer. Als er hinauskam, verließ er das Haus und fuhr mit dem Omnibus nach Westbourne Grove, von wo er nach einem Hause in Urbridge Road ging. Hier fragte er nach Mr. Conolly und schickte, als man ihm sagte, er sei soeben zurückgekommen, seine Karte hinauf. Man führte ihn sogleich in ein gut ausgestattetes Zimmer, das einen herrlichen Ausblick auf den Garten hatte. Ein Mahl mit Tee, Weißbrot und Obst stand fertig auf dem Tisch. Conolly begrüßte seinen Besucher herzlich und klingelte nach einer zweiten Tasse. Der Pfarrer George war etwas geniert. Aber er hatte Hunger, und der Einfluß von Conollys größerem Alter und Charakterstärke machte ihn froh, den Beginn seiner Unterhandlung hinauszuschieben, da er hierbei so liebenswürdig als möglich vorgehen wollte. Beim Tee wandte sich das Gespräch auf den Elektromotor, für den der Geistliche ein großes Interesse heuchelte. Als abgedeckt wurde, setzte Conolly zwei bequeme Stühle einander gegenüber vor das Fenster, nahm eine Zigarrenkiste von einem in der Nähe stehenden Tischchen und lud seinen Gast zum Rauchen ein. Dieser aber begann jetzt, da sein Appetit gestillt war, zu überlegen, ob es auch richtig sei, noch weitere Gastfreundschaft anzunehmen, und lehnte ab. Sie setzten sich dann, und Conolly wartete in gemütlicher Ruhe, daß der Geistliche beginne. Der Pfarrer schien in Verlegenheit zu sein.

»Sprach Ihr Vater mit Ihnen über eine Unterredung, die er heute morgen mit mir gehabt hat?« sagte Conolly, der das Zögern seines Gastes wohl verstand.

»Ja. Das ist in der Tat mit eine Ursache, warum ich hergekommen bin.«

»Was hat er gesagt?«

»Ich glaube, er bleibt bei der Meinung, die er Ihnen auseinandergesetzt hat. Aber ich fürchte, er hat in dem Gespräch mit Ihnen nicht diejenige Selbstbeherrschung bewahrt, die Sie, wie ich völlig zugebe, mit demselben Recht erwarten dürfen wie jeder andere.«

»Es macht nichts aus. Ich kann seine Gefühle sehr wohl verstehen.«

»Es macht wohl etwas aus – verzeihen Sie. Es würde uns leid tun, wenn es so aussähe, als ob wir nicht die nötige Rücksicht gegen Sie bewahrten.«

»Das ist eine Kleinigkeit. Gehen wir an die Frage offen heran. Wir brauchen keine Rücksicht gegeneinander zur Schau zu tragen. Ich habe auch keine gegen Ihre Familie gezeigt.«

»Aber ich versichere Ihnen, unser einziger Wunsch ist, die Sache in freundlicher Weise zu ordnen.«

»Ohne Zweifel. Aber wenn ich gebunden bin, etwas zu tun, und Sie sind ebenso gebunden, mich daran zu hindern, so wird kein freundliches Übereinkommen möglich sein, ausgenommen, einer von uns gibt bedingungslos nach.«

»Hören Sie mich einen Augenblick an, Mister Conolly. Jedenfalls werde ich Sie überzeugen können, daß dieses romantische Projekt meiner Schwester nicht in Frage kommen kann. Ihr Ehrgeiz – ich darf das wohl sagen, ohne Sie zu beleidigen – bringt Sie ganz natürlich dazu, anders zu denken. Aber die Eingebungen der Selbstsucht sind nicht immer unsere sichersten Führer in diesem Leben.«

»Sie sind die einzigen Führer, die ich anerkenne. Wenn Sie über die Frage streiten wollen, und Ihre Gründe sollen den Sieg davontragen, so müssen Sie sich an meine Selbstsucht wenden.«

»Ich kann mir nicht denken, daß Sie das wirklich so meinen, Mister Conolly.«

»Gut, gehen wir jetzt über den Punkt weg: ich bin bereit, mich überzeugen zu lassen. Sie kennen meinen Entschluß. Ich habe ihn noch nicht geändert, seit ich heute früh Ihren Vater sprach. Sie glauben, ich täte unrecht.«

»Nicht unrecht. Ich behaupte nicht einen Augenblick, daß Sie unrecht tuen. Ich –«

»Also es ist ein Mißgriff von mir, eine Unbesonnenheit. Irgendein Ausdruck, den Sie für richtig halten.«

»Ich glaube tatsächlich, es war ein Mißgriff. Lassen Sie mich Ihnen zuerst die Tatsache vorführen, daß Sie eine Tochter veranlassen, ungehorsam gegen ihren Vater zu sein. Nun, das ist eine schreckliche Tatsache. Darf ich, indem ich mich an Ihre Rechtlichkeit wende, die Ihnen sicherlich nicht die Natur versagt hat, Sie fragen, ob Sie über diese Tatsache nachgedacht haben?«

»Widerstand gegen Tyrannei ist die heiligste aller Pflichten«, sagte Conolly feierlich. Dann lachte er, lehnte sich wieder in den Stuhl zurück und sagte: »Wir wollen zur Sache kommen, Mister Lind. Ich will Ihre Schwester heiraten, weil ich mich in sie verliebt habe. Sie erheben dagegen Einspruch. Haben Sie außer Ihrer aristokratischen Abschließung noch andere Gründe?«

»Wirklich, Sie irren sich gänzlich. Ich hege durchaus nicht solche Gefühle. Wir wollen Sie mit jeder nur möglichen Rücksicht behandeln.«

»Warum erheben Sie denn Einspruch?«

»Nun, wir müssen Marians Glück im Auge haben. Wir können nicht glauben, daß es durch eine unpassende Verbindung gefördert wird. Ich spreche jetzt ganz offen als Weltmann mit Ihnen.«

»Als Weltmann wissen Sie, daß sie ein Recht hat, selbst zu wählen. Sie sehen, unsere Ansichten sind verschieden. Sie predigen zum Beispiel Sonntags in Ihrer Kirche in Belgravia vor einem hochexklusiven Publikum, während ich hier bei meinem Frühstück sitze und Reynolds Wochenblatt lese. Ich habe nicht viele soziale Vorurteile. Obgleich ich ein Arbeiter bin, sehe ich doch nicht in jedem Gentleman einen Blutsauger, der mir die Früchte meiner Arbeit stiehlt, um sein Lasterleben fortzusetzen. Ich will selbst zugeben, daß es arbeitende Gentlemen gibt, die mehr Achtung verdienen als Arbeiter, welche so manche kleine Gelegenheit, sich neben ihrer Handfertigkeit auch geistig zu vervollkommnen, sich entgehen lassen. Sie auf der andern Seite wissen, daß ein ehrenhafter Mensch das edelste Werk Gottes ist, daß die Gentlemen der Natur die einzig wirklichen Gentlemen sind, daß aufrichtige Herzen mehr wert sind als Kronen, und einfacher Glaube kostbarer als Normannenblut, und so weiter. Aber wenn Sie Ihren Glauben an solche liebevollen Mätzchen in einem so praktischen Beispiel, wie die Heirat Ihrer Schwester mit einem Arbeiter, zeigen sollen, dann begreifen Sie klar genug, wie unpassend es trotz solcher Redensarten ist, wenn Mitglieder verschiedener Klassen miteinander verkehren. Welche Eigenschaften fordern Sie unbedingt von einem Schwager?«

»Ich bin nicht verpflichtet, das zu beantworten: aber in erster Linie halte ich es für das Glück meiner Schwester für notwendig, daß ihr Gatte zu derselben Rangstufe gehört wie sie.«

»Sie sehen, Sie stellen sich jetzt auf einen andern Standpunkt. Ich bin nicht auf derselben Rangstufe – nach Ihrer Ansicht – wie sie. Doch vor einem Moment hatten Sie gegen die Heirat nur einzuwenden, sie sei unpassend.«

»Wo ist da ein Unterschied?« sagte der Geistliche mit einigem Feuer. »Ich habe meinen Standpunkt durchaus nicht gewechselt. Der Rangunterschied bedingt gerade das Unpassende.«

»Dann wollen wir sehen, wieweit Sie recht haben, wieweit es vom Rang abhängig ist, ob eine Verbindung passend ist. Ein Gentleman kann sein und ist es oft auch: ein Trunkenbold, ein Spieler, ein Wüstling, oder alles zusammen.«

»Halt, Mister Conolly! Sie zeigen, wie wenig Sie das einzig wahre Kennzeichen –«

»Einen Augenblick, Mister Lind. Sie sind dabei, den Begriff Gentleman umzudeuten in einen Mann von Ehre, einen anständigen Mann oder sonst etwas ganz verschiedenes. Darf ich Ihnen einen Fall vortragen. Ich habe da einen Mann auf Queen Victoria Street, der für dreißig Schilling die Woche arbeitet, und der der ehrenhafteste Mann ist, den ich kenne. Er ist so charakterfest wie ein Felsen und unterhält die ganze Familie seiner Frau, ohne sich zu beklagen. Er versagt sich das Bier, um Bücher für seinen Sohn zu kaufen, denn er selbst hat es erfahren, was es heißt, nichts gelernt zu haben. Aber er ist kein Gentleman.«

»Verzeihung, mein Herr. Er ist ein echter Gentleman.«

»Angenommen, er besuchte Sie morgen und schickte seinen Namen hinauf mit einer Bitte um eine Unterredung. Sie wollen seinen Namen wissen, und Ihre erste Frage an das Mädchen lautet: ›Was ist es für ein Mensch?« Angenommen, das Mädchen kennt ihn, und da es die von Ihnen soeben vertretene Ansicht über die Meinung der Welt teilt, antwortet es: ›Er ist ein Gentleman!‹ Auf die Bedeutung dieses Wortes hin lassen Sie ihn hereinführen und finden nun einen Burschen in gewöhnlichen Kleidern und schweren Stiefeln, der täppisch an seinem schmutzigen, alten Hut herumfühlt, sich unsicher auf Ihrem Teppich fühlt, der sich fürchtet, richtig auf Ihren Stühlen zu sitzen, der unbeholfen in seiner schlechten Aussprache, halb beschämt, halb trotzig, und in jedem Falle unbehaglich ist. Angenommen, Sie bitten ihn, er möge es sich bequem machen, und er tut es auch – was nicht wahrscheinlich ist, obgleich wir es uns vorstellen wollen. Er wird aus einer Tonpfeife schlechten Tabak rauchen, er wird hinter sich durch das Zimmer in den Kamin spucken, er wird mit seinem Messer essen und wahrscheinlich sich auch etwas mit seinem eigenen Löffel von Ihrem Teller nehmen. Ihr Mädchen, das das Wort Gentleman in Ihrem, wie Sie sagen, richtigen Sinne gebraucht hat, hat Sie also über die Art von einem Menschen, die Sie erwarten, vollständig getäuscht. Oder nehmen Sie den entgegengesetzten Fall. Angenommen, der Besucher ist Ihr Vetter, Mister Marmaduke Lind, und Ihr Mädchen mit den hohen Prinzipien hat den Namen nicht verstanden und veranlaßt Sie, in bezug auf ihn dieselbe Frage zu stellen. Die Antwort wird lauten, Mister Marmaduke sei – da er ein Taugenichts ist – kein Gentleman. Sie würden ebenso vollständig getäuscht sein wie in dem ersten Falle. Nein, Mister Lind, Sie können ebensowohl sagen, dieser Arbeiter sei ein wirklicher Lord oder ein wirklicher Fürst, wie ein wirklicher Gentleman. Ein Gentleman mag ein Schurke sein; und ein Scherenschleifer mag ein Philosoph und ein Philanthrop sein. Aber sie wechseln wegen alledem nicht ihre Rangstufe.«

Der Geistliche überlegte. Dann sagte er furchtsam: »Selbst wenn man Ihre merkwürdige Ansicht als richtig zugibt, Mister Conolly, spricht das nicht stark gegen Sie selbst in diesem Falle?«

»Nein, und ich will Ihnen sofort sagen, warum es das nicht tut. Wenn wir über die Bedeutung des Wortes Gentleman auseinandergingen, so war es, weil wir das Unpassende einer Verbindung dabei betrachteten. Ich sagte, ein Gentleman könnte ein Trunkenbold, oder kurz gesagt, ein Schurke sein. Ein Schurke würde ein sehr unpassender Ehemann für Marian sein – ich merke, es ist Ihnen unangenehm, daß ich sie beim Namen nenne.«

»N–ein. O nein. Es macht nichts aus.«

»Darum ist vornehme Geburt noch keine Garantie für ein Passendsein. Die einzige Vornehmheit, die sie bei einem Gatten gebraucht, sind das allgemeine gute Benehmen, Manieren, die sich sehen lassen können, hinreichend Verstand, um lächerliche Verstöße in der Gesellschaft zu vermeiden und dergleichen. Nicht, daß diese allein genügen. Mancher Ladendiener und Friseur besitzt sie in hohem Grade und unterscheidet sich von einem gewöhnlichen Gentleman nur dadurch, daß dieser letztere nicht unter einem solchen direkten Zwange steht, ehrerbietig und höflich zu sein, und daß er keine Grobheiten von denen zu befürchten braucht, gegen die er höflich ist. Marians Mann soll genügend Feingefühl haben, um mit ihren künstlerischen Neigungen zu sympathisieren, und – was viel schwieriger ist – eine instinktive Würdigung ihrer besonderen Charaktereigenschaften. Ferner muß er intelligent genug sein, um alle diese Widersprüche geduldig zu verstehen, die ein reiner Charakter zeigt, der mit verderblichen, in seiner Jugend erworbenen sozialen und religiösen Vorurteilen kämpft. Bitte, lassen Sie mich fertig reden, ich bin gleich zu Ende. Er muß ein erfahrener und geschickter Mann sein, der eher sie führen kann, als daß er bei ihr Rat sucht. Und er sollte auch kein Klubmensch sein. Endlich aber und durchaus notwendig, er muß – was wohl an seinem ganzen physischen Wesen liegt – er muß ihr diejenige Zuneigung einflößen, die der Grund ist, daß Menschen sich ineinander verlieben. Die etwas gewagte Hoffnung, daß ich diese letzte Bedingung erfülle, und die Überzeugung, daß ich die andere ebenso wie die meisten Gentlemen ausfüllen könnte, hat mich veranlaßt, ihr, sobald ich eine sichere Stellung und einen Namen hatte, einen Antrag zu machen. Sie hat ihn angenommen, und kurz und offen, Mister Lind, niemand von Ihnen ist imstande, ihre Heirat mit mir zu hintertreiben, falls Sie sie nicht durch die Behandlung, die Sie ihr auferlegen, beschleunigen.«

Der Geistliche nahm diese Herausforderung schweigend auf. Dann sagte er, nachdem er sich zweimal gezwungen geräuspert hatte:

»Ich hatte gehofft, Mister Conolly, ich würde Sie durch allgemeine Gründe überreden können, von Ihrem Vorhaben abzustehen. Doch Sie scheinen nicht durch solche Erwägungen erreichbar zu sein, die sonst allgemein zugelassen werden, und so habe ich die peinliche Verpflichtung, Ihnen mitzuteilen, daß ein Umstand, auf dessen Geheimhaltung Sie sich verlassen haben, mir und durch mich meinem Vater bekanntgeworden ist.«

»Was für ein Umstand ist das?«

»Ein Umstand, der Mister Marmaduke Lind, den Sie vorhin erwähnten, mitbetrifft. Ich nehme an, Sie verstehen mich.«

»Oh, Sie haben das herausgefunden?«

»Allerdings. Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, meine Schwester vor einer Verbindung zu warnen, durch die sie in nahe Verbindung mit jemand tritt, die – ich muß das sagen – in einem sündigen Verhältnis mit unserm Vetter lebt.«

»Was glauben Sie, daß die Folge davon sein wird?«

»Das wollen Sie sich selber ausdenken«, sagte der Geistliche unwillig und erhob sich.

»Warten Sie noch ein wenig. Ich sehe, Sie verstehen mich noch nicht. Sie sagen, meine Ansichten seien sonderbare. Wie nun, wenn ich die sonderbare Ansicht gehabt hätte, ich sei verpflichtet, das Marian zu erzählen, bevor ich ihr einen Antrag machte, und wenn ich es ihr wirklich erzählt hätte?«

»Aber wahrhaftig – das ist wohl sehr unwahrscheinlich.«

»Die ganze Angelegenheit ist sehr unwahrscheinlich. Unsere Heirat ist unwahrscheinlich; aber sie wird trotzdem vor sich gehen. Sie kennt diesen Umstand sehr gut, Sie haben ihn ihr selbst erzählt.«

»Ich! Wann?«

»Im vorvorigen Jahre in Sunbury. Auch das ist Ihrer Betrachtung wert: durch Ihr damaliges Mißtrauen gegen Marian und Ihre Weigerung, ihr die Adresse meiner Schwester zu geben, zwangen Sie sie, sich an mich um Hilfe zu wenden, und so stieg ich aus der Stellung eines Lehrers zu der eines Freundes in der Not auf. Sie wußte nichts von meiner Verwandtschaft mit dem Weibe, das – wie Sie es nennen – im Zustande der Sünde lebt, und trug mir ausdrücklich auf, ihren Vetter vor der Gefahr zu warnen, die er durch sein Verhältnis zu ihr lief. Während ich fort war und ihre Wünsche ausführte, erfuhr sie von meiner Verwandtschaft und glaubte sofort, sie hätte mir den tiefsten Schmerz zugefügt, sowohl durch die Art, in der sie über meine Schwester gesprochen hatte, als auch durch den Auftrag selbst. Ihre Reue war der Anfang eines näheren Einverständnisses zwischen uns. Hätten Sie anerkannt, daß sie als Frau ebensogut wie Sie ein Recht hat, alles zu wissen, was in dieser Welt, die sie durchwandern muß, vorgeht, dann hätten Sie ihre Frage beantwortet. Ich wäre fortgegangen, ohne mit ihr ein Wort über etwas Persönlicheres gesprochen zu haben als Induktionsrollen und Widerstandsohme, und aller Wahrscheinlichkeit nach wäre Ihnen die Notwendigkeit erspart geblieben, mich als Schwager zu haben.«

»Gut, mein Herr,« sagte der Pfarrer George verächtlich, »wenn das, was Sie sagen, wahr ist, dann verstehe ich Marian nicht, ich kann sie nur bedauern.«

»Gewiß. Und ich verstehe sie. Daher kommt es, daß ich sie beeinflussen kann und Sie nicht. Sie können sich nur an die Dame wenden, ich habe mich an das Weib gewandt.«

»Ich werde nicht mit Ihnen über die Natur des Einflusses streiten, den Sie über sie erlangt haben. Ich werde selbst mit ihr sprechen, da Sie mich nicht anhören wollen.«

»Das ist nicht ganz richtig. Ich habe Sie angehört und will Sie noch länger anhören, falls Sie etwas Neues vorzubringen haben.«

»Sie haben gewiß auf meine Stimme gehört, aber ich fürchte, ich habe sie mit sehr wenig Erfolg gebraucht.«

»Glauben Sie mir, Sie werden ebensowenig Erfolg bei Marian haben. Selbst ich, dessen Befähigung, Einfluß auszuüben, Sie anerkennen, habe niemals das geringste über meine eigene Schwester vermocht. Sie kannte mich zu gut. Wenn, was ich annehme, Ihr Vater es vergebens versucht hat, welche Hoffnung haben Sie dann?«

»Nur mein demütiges Vertrauen, daß ein Priester vielleicht bei seiner Ermahnung zur Pflicht mehr Segen hat als selbst ein Vater, der sich vergeblich an ihre natürliche Zuneigung gewandt hat!«

»Nun gut,« sagte Conolly in gütigem Tone und erhob sich, da sein Besucher sich verzweifelt zum Gehen wandte, »Sie können es versuchen. Ich stütze mich auf meinen hartnäckigen Glauben an mich selbst.«

»Und ich auf meinen demütigen Glauben an den Herrn. Ich wollte, ich könnte Ihnen dasselbe Gefühl einflößen!«

Conolly schüttelte den Kopf, und sie gingen schweigend die Treppe hinunter. »Hallo!« sagte er, als er die Tür öffnete, »es regnet. Darf ich Ihnen einen Mantel leihen?«

»Danke Ihnen, nein. Durchaus nicht. Gute Nacht«, sagte der Geistliche schnell und eilte durch den Regen davon, um aus dem Bereich von Conollys Höflichkeiten zu kommen.

Als er Westbourne Terrace erreichte, wurde ihm die Tür durch Marians Mädchen geöffnet, das ihren Hut aufhatte.

»Master ist im Salon, Herr, mit Miß McQuench«, sagte sie.

Er ging hinauf und fand Elinor mit dem Hut auf dem Kopf neben dem Klavier stehen. Mr. Lind, mit verblüfftem und zornigem Gesicht, stand ihr gegenüber.

»George,« sagte Mr. Lind, »mach' die Tür zu. Weißt du das Neueste?«

»Nein.«

»Marian ist davongelaufen!«

»Davongelaufen!«

»Ja«, sagte Miß McQuench. »Sie ist zu Mistreß Toplis in St. Marys Terrace geflohen, mit – wie Onkel Reginald soeben sagte – einem sehr gefährlichen Begleiter.«

»Mit –?«

»Mit mir, kurz gesagt.«

»Und haben Sie ihr geraten, diesen unheilvollen Schritt zu unternehmen?«

»Nein, ich riet ihr, zu bleiben. Aber sie ist nicht sosehr an häusliches Ungemach gewöhnt wie ich, darum bestand sie darauf, fortzugehen. Wir haben sehr schöne Zimmer gefunden: Sie können uns besuchen, wenn Sie wollen.«

»Ist es jetzt an der Zeit, Ihren bitteren und vorlauten Humor anzubringen?« sagte Pfarrer George unwillig. »Ich denke, das Schauspiel eines zerstörten Heims –«

»Unsinn!« unterbrach ihn Elinor ungeduldig. »Was soll ich denn sonst sagen? Onkel Reginald behauptet, ich habe Marian verdorben, und weigert sich, meinen Worten zu glauben. Und jetzt greifen Sie mich an, als ob ich daran schuld sei, daß Sie sie verjagt haben. Wenn Sie sie sehen wollen, es ist nur fünf Minuten zu gehen von hier. Sie sind es, der ihr Heim zerstört hat, nicht sie hat Ihr Heim zerstört.«

»Es hat keinen Zweck, mit Elinor zu sprechen«, sagte Mr. Lind. »Gehe lieber zu Marian hin und erzähle ihr, was du mir heute mitgeteilt hast. Was ist das Ergebnis deines Besuches?«

»Er bleibt dabei, sie wüßte alles«, sagte Pfarrer George mit einem mutlosen Blick auf Elinor. »Ich fürchte, mein Besuch hat nur geschadet.«

»Es ist unmöglich, daß sie das wissen sollte. Er lügt«, sagte Mr. Lind. »Geh und sag' ihr die Wahrheit, George; und ich wünschte – ich beföhle ihr – daß sie sofort zurückkehrt. Sage ihr, daß ich hier auf sie warte.«

»Aber, Onkel Reginald«, begann Elinor in einem sanfteren Tone als vorher, während der Geistliche unschlüssig dabei stand –

»Ich denke,« fuhr Mr. Lind fort, »ich muß Sie bitten, Elinor, auf Ihrem Zimmer zu bleiben, bis Sie zu Ihren Eltern zurückkehren. Ich bedaure, daß Sie mich zu diesem Schritt gezwungen haben, aber ich kann Ihnen nicht weiter Gelegenheit bieten, Ihren Einfluß auf meine Tochter auszuüben. Ich werde alle Ihre Ausgaben bestreiten, bis Sie nach Wiltshire zurückkehren.«

Elinor blickte ihn an, als ob er den Verstand verloren habe. Dann sah sie ihren Vetter langsam zur Tür gehen und sagte:

»Sie wollen doch wirklich nicht eine solche lächerliche Botschaft an Marian ausrichten, George?«

»Elinor!« schrie Mr. Lind.

»Was ist es sonst?« sagte Elinor. »Sie haben heute morgen Ihre ganze väterliche Autorität spielen lassen und die Sache nur noch schlimmer gemacht. Trotzdem glauben Sie, sie würde einem Boten von Ihnen gehorchen. Übrigens ist sie mit ihrer Ehre verpflichtet, mich jetzt nicht zu verlassen, und das werde ich ihr auch sagen, sobald ich nur ein Anzeichen erblicke, daß sie sich unterdrücken läßt.«

»Ich fürchte, Marian wird nicht viel auf das achten, was ich ihr sage«, meinte der Geistliche.

»Wenn Sie mitwollen,« sagte Elinor, »dann kommen Sie nur in meinen Wagen. Gute Nacht, Onkel Reginald.«

»Halt«, sagte Mr. Lind unentschlossen. »Elinor, ach – Sie – Wollen Sie Ihren Einfluß ausüben, daß Marian zurückkehrt? Ich dächte, Sie wären mir das wenigstens schuldig.«

»Gerne, sobald Sie Ihren Widerspruch gegen die Hochzeit zurückziehen und Marian tun lassen, was sie will. Aber wenn Sie ihr keinen besseren Grund zur Rückkehr geben, als daß Sie sie hier bequemer quälen können als in St. Marys Terrace, so wird sie natürlich bleiben, wo sie ist, gleichgültig, wie ich sie beeinflusse.«

»Wenn sie entschlossen ist, sich mit mir zu entzweien, so kann ich es nicht ändern«, sagte Mr. Lind verdrießlich.

»Sie wissen ganz gut, daß sie die letzte auf der Welt ist, die sich mit irgend jemand entzweien will.«

»Sie hat immer tun können, was sie wollte. Dies ist das erstemal, daß man sie bittet, ihre eigenen Wünsche zu opfern.«

»Ihr ganzes Leben zu opfern, meinen Sie. Es ist das erstemal, daß sie es sich überlegt hat, ihr Wohlbefinden zu opfern, und darum ist es das erstemal, daß es Ihnen überhaupt zum Bewußtsein kommt, hier wird ein Opfer verlangt. Lassen Sie mich die Botschaft bringen, daß sie ihren eigenen Weg gehen darf, Onkel Reginald. Conolly steht sich sehr gut, und sie haben einander gern. Ein Mann von Genie wiegt fünfzig von Rang auf.«

»Sagen Sie ihr, bitte, Elinor, daß sie zwischen Mister Conolly und mir wählen muß. Wenn sie ihn vorzieht, schön – aber ich bin dann mit ihr fertig. Das ist mein letztes Wort.«

»So kann sie sich an niemand auf der Welt mehr wenden außer an ihn. Das ist vernünftig. Kommen Sie, Vetter George! ich gehe.«

»Ich glaube, ich erreiche nichts, wenn ich hingehe«, sagte der Geistliche.

»Dann bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte Elinor. »Gute Nacht.« Und sie verließ schnell das Zimmer.

»Es war ein schrecklicher Fehler, daß ich dieser jungen Furie jemals erlaubt habe, mein Haus zu betreten«, sagte Mr. Lind. »Sie muß verrückt sein. Was hat er gesagt?«

»Er sagte eine Menge, um sich zu rechtfertigen. Doch konnte ich keinen Eindruck auf ihn machen. Mit einem Mann seines Schlages haben wir keine gemeinsamen Gefühle. Nein, er ist offenbar entschlossen, sich durch eine gute Heirat hochzubringen.«

»Wir können es nicht verhindern.«

»Oh, gewiß, wir –«

»Ich sage dir, wir können es nicht verhindern«, wiederholte Mr. Lind, indem er sich ärgerlich seinem Sohn zuwandte, »Wie können wir es? Was können wir tun? Sie will diesen – diesen – diesen Bettler heiraten. Ich wollte, bei Gott, ich hätte nie ihre Mutter gesehen.«

Der Geistliche stand eingeschüchtert neben ihm und sagte kein Wort.

»Du gehst am besten zu Marmadukes Frauenzimmer hin«, fuhr Mr. Lind fort, »und versuchst, ob sie ihren Bruder überreden kann, seine Interessen in der Gesellschaft abzulösen und zurück nach Amerika zu gehen oder zum Teufel. Ich werde dafür sorgen, daß er einen guten Preis erhält, selbst wenn ich ihn aus meiner eigenen Tasche bezahlen muß. Schlimmstenfalls muß sie überredet werden, Marmaduke zu verlassen. Biete ihr Geld an. Weiber von dieser Sorte sind zäh im Geschäft, aber sie haben ihren Preis.«

»Aber, bedenke meinen Beruf, wie kann ich zu einem Weibe von üblem Ruf gehen, um mit ihr einen Handel abzuschließen?«

»Gut, dann muß ich wohl selbst gehen.«

»O nein. Ich will gehen. Ich glaubte das nur erwähnen zu müssen.«

»Ein Geistlicher kann überall hingehen. Du hast ein Vorrecht. Komm morgen zum Frühstück, wir können dann über die Angelegenheit reden.«


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