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Neuntes Kapitel

In der Frühe, am ersten Montag im Mai – am Montag der Akademieausstellung – erhielt Marian folgenden Brief:

 

»Uxbridge Road, Holland Park, W.

Sehr geehrte Miß Lind!

Ich muß Ihnen zunächst erklären, warum ich Ihnen diese Mitteilung brieflich, anstatt mündlich mache. Es ist deshalb, weil ich Sie um einen Gefallen bitte. Wenn Sie mich um etwas bäten, ich würde, wie sehr auch mein Urteil gegen eine Zustimmung protestierte, sie Ihnen doch in Ihrer Gegenwart nur mit Schmerzen verweigern können. Ich habe kein Recht zu der Annahme, daß Ihr Herz ebenso gegen Ihren Kopf zu meinen Gunsten sprechen würde. Aber andererseits – der Wunsch ist hier Vater des Gedankens – habe ich auch kein Recht, das Gegenteil anzunehmen. Darum, um jeden Einfluß außer dem allein wertvollen Ihrer eigenen Interessen und Neigungen auszuschließen, mache ich Ihnen meinen Antrag schriftlich. Sie wollen bitte das Wort ›Antrag‹ in dem gewöhnlichen Sinne verstehen. Was ich wünsche, ist Ihre Zustimmung, mich zu heiraten. Wenn jetzt Ihr erster Impuls ist, nein zu sagen, so tun Sie das bitte sofort in offenen Worten, und zerstören Sie den Brief, ohne ihn weiterzulesen. Wenn Sie aber im Gegenteil glauben, daß wir eine Zukunft beginnen können, die uns ebenso angenehm sein wird, wie unser früheres Zusammensein gewesen ist – wenigstens für mich, dann, dächte ich, haben Sie Anlaß, sich die Sache zu überlegen.

Sie sind eine reiche, vornehme, schöne Dame, die auch viele andere außer mir lieben. Sie leben in zu glücklichen Umständen, als daß Sie irgendeine dringende Veranlassung hätten, sich eine Veränderung zu wünschen, und Sie sind in jeder Beziehung zu reichlich ausgestattet, als daß Sie nicht ohne jede Schwierigkeit bei Ihrer Wahl die höchsten Ehren der Welt eintauschen könnten.

Was ich bin und was ich gewesen bin, wissen Sie. Ich werde Ihnen vielleicht manchen aus der Gesellschaft, den Sie gern haben, entfremden, und ich kann Ihnen dafür niemanden zuführen, der Ihnen den Verlust ersetzt. Ich bin nicht sehr reich: mein Einkommen beläuft sich augenblicklich auf nicht mehr als fünfzehnhundert Pfund, und ich würde Sie nicht um Ihre Hand bitten, wenn nicht Ihre eigene Erbschaft, wie ich mich vergewissert habe, genügt, um Sie im Falle meines frühen Todes zu versorgen. Sie wissen, in welcher Lage meine Schwester ist; mit welchen Gefühlen Ihre Familie mich betrachtet, sowohl meiner Schwester als auch meiner selbst wegen; und wie ungern ich viele Zeit verschwende für das, was man in der Gesellschaft Vergnügen nennt. Andererseits hoffe ich, da ich um eine Zustimmung und nicht um eine Ablehnung bitte, daß Sie bei mir die Schattenseiten nicht für größer und die guten Seiten nicht für kleiner ansehen, als sie ehrlich betrachtet sind. In Sunbury Park haben Sie oft gesagt, Sie wollten niemals heiraten, und ich habe dasselbe gesagt. Da wir nun beide nicht die Glücksaussichten der Ehe überschätzen, so werden wir vielleicht, wenn Sie ein wenig Nachsicht mit mir haben, finden, daß wir sie bedeutend unterschätzt haben. Was die Vorsicht bei diesem Schritt angeht, ich habe zuviel Vorsicht gesehen und selbst ausgeübt, um sie für eine sehr wertvolle Regel in dieser Welt der Zufälle zu halten. Wenn es eine Wissenschaft des Lebens gäbe, wie es eine der Mechanik gibt, dann könnten wir unser Leben wissenschaftlich aufbauen und würden keine Gefahr laufen. Aber so, wie die Sache liegt, müssen wir – zu zweien oder allein – unser Glück versuchen. Vorsicht und Sorglosigkeit sind jede zur gleichen Hälfte an dem großen Haufen Dinge schuld, die wir bereuen.

Vielleicht wundern Sie sich über meine Selbstsucht, daß ich von Ihnen verlange, Sie sollten um meinetwegen Ihre jetzige glückliche Unabhängigkeit unter Ihren Freunden aufgeben und Ihr Hab und Gut mit dem eines Mannes verbinden, den Sie nur bei Gelegenheiten gesehen haben, wenn es der Anstand von ihm verlangte, sein bestes Benehmen zu zeigen. Als einzige Entschuldigung kann ich anführen, daß Sie, gleichgültig wen Sie heiraten, immer dieselben Mißstände finden, nur abgesehen von der Zustimmung Ihrer Freunde, deren Bedeutung Sie überlegen wollen. Da das nun einmal so ist, warum soll ich nicht ebensogut mein Glück versuchen wie jeder andere? Außerdem habe ich noch viele andere Gefühle, die mich zu dem Schritt veranlassen. Ich möchte sie Ihnen beschreiben, wenn ich sie hinlänglich verstände, um Ihnen ein richtiges Bild zu geben.

Es liegt mir aber nichts ferner, als einen Liebesbrief zu schreiben, und so will ich zu schwerwiegenderen Fragen zurückkehren. Eine besonders muß zwischen uns klargestellt werden. Sie denken zu ernst, um eine Erwähnung religiöser Angelegenheit hier für unpassend zu halten. Ich weiß nicht genau, was Sie glauben. Aber ich habe aus zufälligen Bemerkungen entnommen, daß Sie, was man so nennt, kirchlich liberal sind. In dem Falle müssen wir uns damit abfinden, daß unsere Ansichten etwas auseinandergehen. Ich werde niemals in irgendeiner Weise Ihre Freiheit beschränken, soweit Ihre Handlungen nur Sie allein angehen. Aber ganz offen, ich würde niemals meiner Frau gestatten, meinen Kindern ein anderes Christentum zu lehren als das, was der gebildete Engländer als Buddhismus kennt. Ich bin gegen jedes Entgegenkommen in prinzipiellen Fragen, und darum habe ich vor den liberalen Protestanten ebensowenig Respekt wie vor den orthodoxen, vor den Puritanern oder Katholiken. Ich will keine einzige kirchliche Handlung mitmachen oder anhören, mit Ausnahme des Orgelspiels. Ich habe Vorurteile gegen alle Religionen. Die Kirche hat sich zum natürlichen Feind des Theaters gemacht, und ich wuchs in einem Theater heran, bis ich ein armer Lohnarbeiter wurde und fand, daß die Kirche stets gegen mich und meine Kameraden Partei nahm für die Reichen, die nicht arbeiteten. Wenn die Kirche niemals gegen mich gestanden hätte, so stände ich vielleicht auch nicht gegen die Kirche. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Sie werden mich unreligiös finden, aber hoffentlich nicht unvernünftig.

Ich werde morgen gegen vier Uhr in der Akademie sein, da ich nicht länger im ungewissen bleiben möchte, als unbedingt nötig ist. Wenn Sie mich aber nicht dort treffen wollen, so werde ich bei dem geringsten Bemühen, mir auszuweichen, das ich bei Ihnen bemerke, Ihnen darin getreulich helfen.

Ich verbleibe, werte Miß Lind,

Ihr sehr ergebener
Edward Conolly.«

 

Dieser Brief erregte in Marian kaum eine von den Bedenken, die darin ausgedrückt waren. Sie hielt ihn für einen offenen, energischen, bewundernswerten Brief, genau wie sie einen nach ihrer höchsten Schätzung von ihm erwartet hätte. In der seltsamen Ernsthaftigkeit über Religion, in der nach ihrer Ansicht übertriebenen Schätzung der Vorteile, die sie, wenn sie ihn heiratete, verlor, steckte gerade genug vom Arbeiter, um ihn interessant zu machen. Sie hätte gerne ein wirkliches Opfer für seine Sache gebracht. Sie fürchtete sich anfangs davor, sich jetzt ihre Lage klarzumachen, und zerstreute sich mit Haushaltungsarbeiten, mit Klavierübungen und dergleichen Kleinigkeiten, die, wie sie sich einredete, durchaus notwendig waren. Schließlich wurde sie plötzlich ganz ungeduldig über ein weiteres Zögern. Sie setzte sich in eine Ecke hinter dem Fenstervorhang und las den Brief entschlossen durch. Beim dritten Male gefiel er ihr besser als beim ersten Male, und sie würde ihn noch einmal durchgelesen haben, wenn nicht Mrs. Leith Fairfax angekommen wäre, mit der sie eine Verabredung nach Burlington House hatte.

»Es ist wirklich eine Last für mich, dieser erste Tag in der Akademie«, sagte Mrs. Fairfax, als sie beim Frühstück saßen. »Ich war schon auf der Vorbesichtigung und habe auch alle Bilder lange vorher in den Ateliers gesehen. Aber natürlich erwartet man, daß ich da bin.«

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre,« sagte Elinor, »ich –«

»Gestern abend«, fuhr Mrs. Fairfax fort, ohne sie zu beachten, »kam ich erst um halb zwei ins Bett. Die Nacht vorher war ich auf bis fünf. Dienstag kam ich überhaupt nicht ins Bett.«

»Warum machen Sie so etwas?« fragte Marian.

»Ich muß, meine Liebe. John Metcalf, der Verleger, kam Freitag um drei Uhr und sagte, er müßte einen Artikel haben über die Versuche mit Mangobäumen, die man in Kew angestellt hatte, und der Artikel müßte vor zehn Uhr nächsten Morgen druckfertig sein – für seine Zeitung, die Naturwissenschaftliche Rundschau, wissen Sie. ›Mein lieber John Metcalf,‹ sagte ich, ›ich weiß gar nicht, was ein Mangobaum ist.‹ ›Ich auch nicht, Mistreß Leith Fairfax,‹ entgegnete er, ›ich glaube, es ist etwas, was nur alle hundert Jahre einmal blüht. Aber das ist gleich, Sie müssen mir den Artikel liefern. Niemand sonst kann es tun.‹ Ich sagte ihm, es sei unmöglich. Meinen Londoner Brief für den Hari Kari hatte ich noch gar nicht angefangen, und der letzte Augenblick für die Japanpost war um Viertel nach sechs des Morgens. Ferner hatte ich einen Artikel für Ihren Vater zu schreiben. Und da die Sonne den ganzen Tag geschienen hatte, war ich fast wahnsinnig vor Heuschnupfen. ›Wenn Sie vor mir auf die Knie fallen,‹ sagte ich, ›ich könnte nicht die Zeit finden, um die Flora von Westindien durchzulesen und den Artikel bis morgen früh fertigzumachen.‹ Er fiel auf die Knie. ›Nun, Mistreß Leith Fairfax,‹ sagte er, ›ich bleibe hier auf den Knien, bis Sie es mir versprechen.‹ Was konnte ich tun, als es ihm versprechen, um ihn loszuwerden. Und ich schrieb auch den Artikel, wie, weiß ich nicht, aber ich schrieb ihn. John Metcalf erzählte mir gestern, man habe Sir James Hooker, den Vorsitzenden der Gesellschaft zur Anpflanzung von Brotfruchtbäumen in England, die größte lebende Autorität auf dem Gebiete, für den Verfasser meines Artikels gehalten.«

»Wie geschmeichelt müssen Sie sich fühlen!« sagte Elinor.

»Was für einen Artikel haben Sie für Papa geschrieben?« sagte Marian.

»Über den Elektromotor – den Conolly-Elektromotor. Ich bin am Mittwoch in der City gewesen und sah mir den ganzen Betrieb an. Es ist höchst wundervoll und sehr interessant. Mister Conolly sagte, es sei ein Vergnügen, ihn mir zu erklären. Ich konnte jeden Schritt verfolgen, den sein Geist bei der Erfindung gemacht hat. Ich erinnere mich seiner noch, als er ein einfacher Arbeiter war. Vor vier Jahren reparierte er eigenhändig eine elektrische Klingel in meinem Arbeitszimmer. Sie erinnern sich vielleicht, daß wir ihn einmal auf einem Konzert trafen. Er ist durch und durch Geschäftsmann. Die Gesellschaft macht jetzt durch den Motor fünfzig Pfund in der Stunde, und sie erwartet, daß sie nächstes Jahr eine tägliche Einnahme von tausend Pfund hat. Mein Artikel kommt nächste Woche in den ›Dynamischen Statistiker‹. Haben Sie schon Sholto Douglas gesehen, seit er vom Kontinent zurück ist?«

»Nein.«

»Ich möchte ihn sprechen. Wenn Sie ihn das nächste Mal treffen, sagen Sie ihm doch, daß er mich besuchen soll. Warum war er noch nicht hier? Sie wollen doch sicher Ihren alten Streit nicht mehr weiterführen?«

»Welchen alten Streit?«

»Ich habe immer geglaubt, er sei Ihretwegen ins Ausland gegangen.«

»Ich habe nie mit ihm Streit gehabt, vielleicht er mit uns, weil er uns seit seiner Rückkehr noch nicht besucht hat. Es war stets so leicht, ihn zu beleidigen, daß es nur sehr selten vorkam, daß er in guter Laune von uns fortging.«

»Ach, gehen Sie! Liebes Kind, das ist alles Unsinn. Sie müssen den armen Jungen gut behandeln, vielleicht treffen wir ihn in der Akademie.«

»Ich hoffe, nicht«, sagte Marian schnell.

»Warum?«

»Ich meine, wenn er Groll gegen mich hegt. Denn dann wird er sehr unangenehm.«

»Einen Groll gegen Sie! Oh, Marian, wie wenig verstehen Sie ihn! Welche verdorbenen Geschöpfe all ihr jungen Leute seid! Ich muß ihn aufklären.«

»Ich rate Ihnen, tun Sie das nicht«, sagte Elinor. »Wenn Sie Erfolg haben, wird niemand zugeben, daß Sie das erreichten. Und wenn es Ihnen fehlschlägt, wird Sie jeder tadeln.«

»Aber da ist gar nichts aufzuklären«, sagte Marian. »Wir reden Unsinn, was lächerlich ist –«

»Nicht nur lächerlich, auch gewöhnlich ist es«, unterbrach sie Miß McQuench und blickte kalt auf Mrs. Fairfax. Diese versuchte durch ihren Gesichtsausdruck zu zeigen, daß sie Elinors Rat nicht beachten würde, und war entrüstet über den Dünkel, ihn ihr überhaupt anzubieten. »Es ist Zeit für die Akademie.«

Als sie in Burlington House ankamen, setzte Mrs. Fairfax ihre goldene Brille auf und machte ein Gesicht wie jemand, der wichtige Geschäfte an einem Platz hat, wohin alle andern nur zum Vergnügen kommen. Als sie das Drehkreuz passiert hatten, blieb Elinor stehen und sagte:

»Es ist gar kein Grund vorhanden, daß wir uns hier drei Mann hoch durch die Menge drängen. Und dann will ich auch Bilder sehen und nicht auf Sie achten, wohin Sie gehen. Wir treffen uns hier Punkt sechs Uhr. Adieu.«

»Welch ein merkwürdiges Mädchen!« sagte Mrs. Fairfax, als Elinor ihren Katalog hinten aufschlug und plötzlich nach rechts unter der Menge verschwand.

»So ist sie immer,« sagte Marian, »und ich glaube, sie hat ganz recht. Zwei Leute können ihren Weg nicht so leicht machen als einer allein, und sie wollen auch nie vor demselben Bilde stehenbleiben.«

»Aber meine Liebe, denken Sie doch, wie unschicklich es für ein junges Mädchen ist, wenn sie hier allein herumgeht.«

»Gewiß ist das nicht unschicklich. Eine Menge Leute – alle verständigen Frauen tun es. Wer weiß in dieser Menge, ob Sie allein sind oder nicht? Und was macht es, wenn –«

Hier wurde Mrs. Fairfax' Aufmerksamkeit durch die Annäherung eines ihrer unzähligen Bekannten abgelenkt. Marian war einen Augenblick unentschlossen, dann schlich sie sich fort und begann allein ihre Runde durch die Säle, indem sie schnell den ersten durchschritt, um einer Verfolgung zu entgehen. Im zweiten versuchte sie, auf die Bilder zu sehen, aber als sie sich jetzt zum erstenmal klarmachte, daß sie Conolly jeden Augenblick treffen könnte, überfiel sie der Zweifel, was sie ihm antworten sollte, und sie fühlte eine starke Versuchung, zu fliehen. Die Bilder waren ihr unverständlich. Sie hielt ihr Gesicht auch nur nach der unharmonischen Schau von Farbe und Vergoldung gerichtet, weil sie nicht wagte, die Leute anzusehen. Wenn sie einmal stillstand und ein Mann näherte sich ihr und blieb bei ihr stehen, dann blickte sie starr auf die Wand, schaute nicht um und rührte sich nicht, bis er weggegangen war, aus Angst, es könnte Conolly sein. Als sie aus dem zweiten Saal in den großen hineinschritt, war es ihr, als ob sie versinke. Und wirklich, die Katastrophe kam, bevor sie noch ganz hineingegangen, denn plötzlich stand sie ihm an der Türe gegenüber. Er zuckte mit keiner Miene, zog seinen Hut und wandte sich zum Weitergehen. Unwillkürlich streckte sie ihre Hand aus, um ihn zurückzuhalten. Er griff sofort danach, als ob sie sie ihm hingereicht, und sie sagte in ängstlicher Verwirrung: »Wir dürfen nicht hier in der Türe stehenbleiben. Die Leute können nicht an uns vorbei«, als ob ihre Bewegung nur ein Versuch gewesen, ihn aus dem Türwege fortzuziehen. Dann sah sie die Torheit dieses Beginnens ein und war einen Augenblick ganz und gar verwirrt. Als sie wieder ruhiger geworden, standen sie zusammen an einer weniger von Menschen durchfluteten Stelle, nahe bei einer Büste der Königin, und Conolly sagte:

»Ich bin eine halbe Stunde hier gewesen und habe nicht ein einziges Bild gesehen.«

»Ich auch nicht«, sagte sie furchtsam und blickte auf ihren Katalog herab. »Sollen wir jetzt versuchen, etwas zu sehen?«

Er öffnete seinen Katalog, und sie wandten sich den Bildern zu, die sie bald so ernsthaft besprachen, als ob sie die soeben eingetretene Krisis in ihren Angelegenheiten ganz ausschließen wollten, obgleich sie an gar nichts anderes dachten. Marian wurde von vielen Bekannten gegrüßt. Bei jeder Begegnung gab sie sich Mühe, gleichgültig zu erscheinen, und litt gleich darauf unter dem Gedanken, ihre Anstrengung hätte, wie das ja oft vorkommt, sie erst recht verraten. Conolly wußte fast über jedes Bild etwas zu sagen, meistens eine unwiderlegbare Bemerkung über irgendeine historische oder technische Ungenauigkeit, die sie mitunter überzeugte und ihr stets das sichere Gefühl erweckte, wie wenig sie doch selbst wußte und wie richtig sein Urteil war.

»Ich denke, wir haben für heute genug gesehen«, sagte sie schließlich. »Die Aquarellbilder und die Skulpturen haben bis zum nächsten Male Zeit.«

»Ich denke, wir suchen einen freien Sitzplatz. Sie müssen müde sein.«

»Ja, etwas. Aber ich möchte lieber in einem andern Saal sitzen. Mistreß Leith Fairfax ist da drüben mit Mister Douglas – einem Herrn, den ich kenne und den ich jetzt gerade nicht gerne treffen möchte. Sie sahen ihn in Wandsworth.«

»Ja. Dieser große Mann? Er hat sich seitdem den Bart stehen lassen.«

»Das ist er. Wir wollen in den Saal gehen, wo die Zeichnungen sind, da finden wir leichter einen Platz. Ich habe Sholto zwei Jahre nicht gesehen, und unser letztes Zusammentreffen war ein sehr stürmisches.«

»Was geschah denn?«

Marian war etwas verletzt durch diese Frage. Sie vermißte die Zurückhaltung des Gentleman. Dann tat es ihr leid, daß sie nicht verstanden hatte, daß seine offene Neugierde nur eine zarte Bitte um ihr Vertrauen war, und sie antwortete: »Er hielt um meine Hand an.«

Conolly ließ den Gegenstand sofort fallen und blickte sich nach einem leeren Sitz um. Sie fanden einen in dem kleinen Zimmer, in dem die Zeichnungen ausgestellt waren. Eine Zeitlang schwiegen sie.

Dann begann er ernsthaft:

»Ist es zu früh, Sie bei Ihrem Vornamen zu nennen? ›Miß Lind‹ ist fremd; aber ›Marian‹ würde Sie unangenehm berühren, wenn es zu vertraulich ohne Vorbereitung käme.«

»Wie es Ihnen gefällt.«

»Wie es mir gefällt!«

»Das ist das Schlimme, eine Frau zu sein. Unbedeutende Redensarten, die reine Koketterie sind, wenn man sie genauer untersucht, kommen auf unsere Lippen und entschlüpfen uns, selbst wenn wir ängstlich bedacht sind, ganz aufrichtig zu sein.«

»Auf dieselbe Art«, sagte Conolly, »drücken sich oft die geistvollsten Menschen in rein konventioneller Art über Gegenstände aus, über die sie die tiefsten Gedanken haben.« Diese spruchmäßige Äußerung führte dazu, daß die Unterhaltung für einige Augenblicke einschlief, da Marian nicht imstande war, eine passende Erwiderung zu finden. Schließlich sagte sie:

»Wie ist Ihr Name?«

»Edward oder familiär Ned. Gewöhnlicher Ted. In Amerika Ed. Natürlich mit den Koseformen Neddy, Teddy oder Eddy.«

»Ich glaube, ich würde Ned vorziehen.«

»Ich ziehe ebenfalls Ned vor.«

»Haben Sie noch einen andern Namen?«

»Ja, aber das ist ein Geheimnis. Warum die Leute eigentlich mit zwei Vornamen gequält werden, weiß ich nicht. Niemand würde an den Motor geglaubt haben, wenn sie gewußt hätten, daß ich Sebastian heiße.«

»Sebastian!«

»Stille. Ich wurde genau getauft Edoardo Sebastiano Conolly. Mein Vater pflegte seinen Namen Conolli zu buchstabieren, weil er aus Italien war. Ich habe die guten Absichten meiner Taufpaten durchkreuzt, indem ich alles bis auf den vernünftigen Namen Edward Conolly unterdrückte.«

Sie schwiegen eine Weile. Dann sprach Marian:

»Beabsichtigen Sie, unsere – Verlobung sofort bekanntzumachen?«

»Ich habe darüber nachgedacht, und da Sie es sind, die vielleicht durch die Kundmachung in Verlegenheit gesetzt wird, so bin ich verpflichtet, es im Augenblick noch geheimzuhalten, wenn Sie es ebenfalls wünschen. Einmal muß es ans Tageslicht kommen, und zwar je früher desto besser. Sie werden mit einem solchen Geheimnis auf dem Herzen stets das unangenehme Gefühl haben, als ob Sie die andern täuschten. Außerdem, wenn Ihre Freunde Pläne für Sie haben – Freunde haben das immer –, so zwingen sie Sie, die Heuchlerin zu spielen. Und was mich angeht, so werde ich mir jedesmal, wenn Ihr Vater mich herzlich in der Stadt grüßt, wie ein Jago vorkommen. Aber Sie können ja eine passende Gelegenheit abwarten. Teilen Sie es mir sofort mit, wenn die Sache bekannt wird.«

»Ich werde es tun. Ich glaube auch, wie Sie sagen: der richtige Weg ist, es sofort zu erzählen.«

»Zweifellos. Doch von diesem Augenblick an bis zu unserer Hochzeit wird man Sie mit Einwendungen, Bitten, Drohungen und dergleichen quälen, so daß wir diese Zwischenzeit nicht kurz genug machen können.«

Marian sah nachdenklich vor sich hin, ohne zu antworten.

»Ich will Sie durchaus nicht drängen; aber wenn ich mich einmal entschlossen habe, einen Schritt zu tun, werde ich über jeden Aufschub ungeduldig.«

»Ich bin nur ungeduldig, wenn ich etwas Gefährliches unternehmen will«, sagte Marian ernst und sah ihn forschend an.

»Ich bin ganz das Gegenteil«, antwortete er schnell. »Ich bin niemals eilig, wenn ich etwas Gefährliches wage. Aber ich liebe es nicht, die Erreichung meines eigenen Glücks hinauszuschieben.«

»Das ist es, was mir Bedenken macht. Sie müssen nicht so sicher sein, daß ich Ihnen Glück bringe. Es tut mir leid, daß Sie soviel über nichtige Gründe nachgedacht haben, warum ich Sie nicht heiraten sollte, und daß Sie so viele schwerwiegende vergessen, die Sie veranlassen sollten, eine andere und bessere Wahl einer Frau zu treffen.«

»Fangen Sie nicht mit solchen Erwägungen an, sonst fallen Ihnen alle Opfer ein, die Sie überhaupt bei einer Eheschließung bringen, und Sie treten vielleicht zurück. Das ist übrigens ein Grund mehr, warum ich es mit der Heirat eilig haben sollte.«

»Bitte, seien Sie ernsthaft – wenn auch nur, um mir Vertrauen zu schenken«, sagte Marian unruhig. »Sie haben so tief über andere Dinge nachgedacht, daß ich mich darauf verlasse, Sie haben es über unsere Heirat auch getan.«

»Ich kann die Verantwortlichkeit nicht annehmen«, sagte er. »Das würde es mir zur Pflicht machen, Ihnen abzuraten. Tiefes Nachdenken ist Unsinn: Gedanken gehen keinen Zoll tiefer als unter die Oberfläche. Ich habe genug über den Gegenstand nachgedacht, und ich will ihn nie mehr ernsthaft berühren, ehe ich nicht Erfahrungen habe, die mich dazu führen. Aber es wird spät, und wir müssen uns noch über einiges schlüssig werden. Erstens, wie können wir es einrichten, uns zu treffen? Wir müssen sowohl über geschäftliche als auch über persönliche Angelegenheiten beraten. Wir müssen uns ein Haus aussuchen, ein Datum festsetzen, über das Fortschreiten der Wohnungseinrichtung berichten, und – wenn Sie mir gestatten – ich möchte auch gerne mein Verlangen, Sie öfter zu sehen, befriedigt haben.«

»Wir müssen Nelly ins Vertrauen ziehen. Sie haben doch nichts dagegen?«

»Gewiß nicht. Miß McQuench ist mir sehr sympathisch.«

»Wirklich! Oh, das freut mich. Nun, wir gehen ja oft miteinander aus, besonders in Gemäldegalerien. Wir können, so oft wir wollen, zur Akademie kommen, und Sie doch auch?«

»Morgen, zum Beispiel.«

»Sagen wir dann zwischen halb fünf und fünf. Ich würde gerne hier schon am Morgen sein, sobald das Tor geöffnet wird. Nur mein Geschäft geht nicht von selber weiter, während ich hier mit Ihnen tändele und Sie meiner vor der Zeit müde mache. Das Bewußtsein, die Tagesarbeit hinter mir zu haben, ist notwendig, wenn ich mich wirklich wohl fühlen soll.«

»Auch ich habe meine Tagesarbeit, so wertlos sie auch ist. Ich muß den Haushalt führen, Besucher empfangen, nichtssagende Briefe schreiben und an die Zukunft denken. Wir wollen also halb fünf oder irgendeine spätere Stunde, die Ihnen paßt, bestimmen.«

»Einverstanden. Und nun, Marian –«

»Ich will dich nicht stören,« sagte Miß McQuench dicht neben ihm zu Marian, »aber Mistreß Leith Fairfax und Sholto Douglas werden im Augenblick hier sein. Ich dachte, du würdest vielleicht eine Begegnung mit ihm lieber vermeiden. Wie geht es Ihnen, Mister Conolly?«

»Früher oder später muß ich ihn doch treffen«, sagte Marian und erhob sich. »Besser, ihm gleich gegenübertreten, dann hat man es überstanden. Ich will selbst zurückgehen und sie treffen.« Sie lächelte Conolly zu und ging hinaus in den Saal mit den Aquarellbildern.

»Marian verkehrt mit Ihnen nicht sehr förmlich, Mister Conolly«, sagte Miß McQuench und sah ihn an.

»Nein«, sagte Conolly bedächtig. »Wie denken Sie über die Ausstellung?«

»Ich denke jetzt gar nichts darüber. Ich sehe sie mir an und danke Gott. Früher lehnte ich mich gegen die zahmen Talente auf, die hier für Genies gelten. Durch diese öden Räume zu gehen, ist wie einen Tisch voll Teig zu verschlingen, nur um ein halbes Dutzend zweifelhafter Rosinen zu finden oder vielleicht etwas, was einer Pflaume ähnelt. Griechische Statuen und Bilder alter Meister verderben einem den Geschmack an solchen Sachen. Es ist nicht angenehm, von der Auswahl aller Jahrhunderte zu der Auswahl einer Londoner Saison herunterzugehen.«

»Würden Sie die Akademie am Dienstag noch einmal sehen wollen?«

»Warum?«

»Miß Lind will mich dann hier treffen.«

»Marian!«

»Gewiß, Marian. Sie hat sich mit mir verlobt. Es ist jetzt noch ein Geheimnis. Aber ich sollte es Ihnen sagen.«

»Es wird nicht lange ein Geheimnis bleiben, wenn die Leute hören, daß Sie sie mitten in der Akademie beim Vornamen nennen, wie ich es eben konnte«, sagte Elinor, innerlich sehr bestürzt, aber entschlossen, das nicht zu zeigen.

»Haben Sie das gehört? Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Es scheint Sie nicht in Erstaunen zu setzen.«

»Vielleicht etwas, weil Sie sich entschlossen haben. Nicht im mindesten, daß Marian zugestimmt hat.«

»Ich danke Ihnen.«

»So habe ich das gar nicht gemeint«, sagte Elinor bedauernd. »Ich glaube, Sie haben sehr viel Glück gehabt, da, wie ich annehme, Sie ja in jedem Fall jemand heiraten wollen. Ich glaube, Sie sind imstande, sie nach ihrem vollen Wert zu schätzen. Das ist ein Kompliment.«

»Ja, ich hoffe, daß ich es verdienen werde. Ich fürchte, daß Marians andere Freunde sich nie mit dieser Mésalliance versöhnen; aber Sie werden es mir verzeihen, daß ich kein Herzog oder Fürst bin. Mir liegt viel daran, daß Sie eine gute Meinung von mir haben. Können Sie mir wirklich verzeihen, daß ich den Helden aus dem Felde schlage, den Marian verdient?«

»Ich glaube, wenn Sie sich Ihre Aussichten bei ihr hätten entgehen lassen, ich würde Sie verachtet haben: wenigstens, wenn Sie es mit offenen Augen getan hätten. Ich bin so sehr zu Ihren Gunsten voreingenommen, daß ich glaube, Marian würde Sie nicht leiden können, wenn Sie nicht gut wären. Sie hat Leute bemitleidet, die man besser erwürgt hätte, aber nie ist sie von einer unwürdigen Person angezogen worden, außer von mir – und selbst ich habe meine guten Seiten. Machen Sie sich keine Mühe, mir recht zu geben, Sie können das nur durch glatte Höflichkeiten. Aber ich bin sehr müde und will mich in die Vorhalle setzen, bis die andern zum Aufbruch fertig sind. Inzwischen können Sie mir alle Einzelheiten, die Sie mir anvertrauen wollen, erzählen. Marian wird mir zu Hause das übrige sagen.«

»Das ist ein unverdienter Stich«, sagte Conolly.

»Beachten Sie das nicht, ich stichle immer. Ich glaube, ich liebe das«, fügte sie hinzu, als sie zusammen in die Vorhalle gingen.

Mrs. Leith Fairfax hatte Douglas in dem großen Saal getroffen und ihn sofort an seiner Statur und der stolzen Haltung erkannt, trotz des hübschen Bartes, den er sich während seines Aufenthaltes im Ausland hatte wachsen lassen.

»Ich habe mich sehr danach gesehnt, Sie zu treffen«, sagte sie und zwang ihm eine Unterhaltung auf, obgleich er sie nur förmlich begrüßt hatte und offenbar, ohne sie anzusprechen, weitergehen wollte. »Wenn Ihre Zeit nicht zu kostbar wäre, um sie an eine arme, schwer arbeitende Frau zu verschwenden, würde ich Sie bitten, mich doch einmal zu besuchen. Sagen Sie nicht, daß Sie mich stören. Sie haben jetzt einen Namen in der literarischen Welt.«

»Wirklich? Ich wußte nicht, daß ich etwas getan hatte, um mich aus der Dunkelheit hervorzuziehen.«

»Ich versichere Ihnen, Sie sind sehr im Irrtum oder sehr bescheiden. Hat Ihnen niemand von dem Eindruck erzählt, den Ihr Buch hier gemacht hat?«

»Ich weiß gar nichts davon, Mistreß Leith Fairfax. Ich frage nie nach dem Erfolg meiner Arbeiten. Ich habe ziemlich abgeschlossen gelebt und weiß kaum, welche Sammlung flüchtiger Notizen von mir Sie mit dem Namen Buch beehren.«

»Ich meine Ihre ›Betrachtung über drei Gemälde im diesjährigen Salon‹ mit den Sonetten und dem Fragment Ihres unvollendeten Dramas. Haben Sie es jetzt vollendet, wenn ich fragen darf?«

»Es ist unvollendet und wird es auch bleiben.«

»Ich will Ihnen unter uns anvertrauen – einer der berühmtesten Kritiker der Neuzeit sagte mir in Gegenwart eines großen Dichters, den wir beide kennen, es gäbe noch ein anderes Fragment außer dem der Venus von Milo, dessen verlorene Arme – es sind dies seine eigenen Worte – wir besser nicht sähen, weil sie vielleicht des Ganzen nicht würdig sein würden. – ›Sie haben recht,‹ sagte der Dichter: ›ich wenigstens würde schaudern, das Fragment vollendet zu sehen.‹ Das – ist eine positive Tatsache. Und denken Sie nur an einzelne von den Sonetten! Burgraves sagt, seine Sammlung englischer Sonette sei unvollständig, weil sie nicht Ihre ›Klytämnestra‹ enthält, die er noch nicht kannte, als sein Buch in den Druck ging. Sie stehen wirklich im Vordergrunde unserer Literatur – viel mehr als ich, die ich – erzählen Sie das niemand – fünf Jahre älter bin als Sie.«

»Sie sind sehr gütig. Ich liebe nicht solche Auszeichnungen. Ich schreibe manchmal etwas, weil ich glaube, daß das, was in mir lebt, herauskommen muß, ob ich nun will oder nicht. Wir wollen über etwas anderes sprechen. Es geht Ihnen noch gut?«

»Durchaus nicht. Mir geht es nie gut. Aber da ich niemals einen arbeitsfreien Augenblick habe, muß ich mich damit abfinden. Die Leute erwarten von mir, daß ich denke, wenn ich kaum Zeit habe, zu essen.«

»Wenn Sie keine Zeit zum Denken haben, beneide ich Sie. Aber es tut mir wirklich leid, daß Ihre Gesundheit sich nicht bessert.«

»Danke sehr. Aber warum sind Sie denn so voll düsterer Weltverachtung, Mister Douglas? Warum wollen Sie, der Sie jung, vornehm, wohlhabend und schon berühmt sind, mich beneiden, weil ich keine Zeit zum Denken finde?«

»Sie übertreiben den Kummer, der aus meiner unglückseligen Gleichgültigkeit gegen die Bewunderung der Menge entspringt«, sagte Douglas kühl. »Immerhin ist es für mich sehr schmeichelhaft, daß Sie soviel Interesse an meinen Angelegenheiten nehmen.«

»Das braucht Ihnen nicht zu schmeicheln, Mister Douglas«, sagte Mrs. Fairfax ernsthaft, und sie fürchtete, es möchte ihm jetzt wirklich gelingen, sie loszuwerden. »Ich glaube, es geht Ihnen viel besser, als Sie es verdienen. Sie mögen Ihren Ruhm sosehr verachten, wie Sie wollen, das geht Sie nur selber an. Aber wenn ein hübsches Mädchen Ihnen das Kompliment macht, daß sie fast stirbt vor Liebe zu Ihnen, dann sollten Sie, dächte ich, einen Verlobungsring kaufen und vor Freude springen, statt in abgelegenen Winkeln des Kontinents zu schmollen.«

»Und bitte, Mistreß Leith Fairfax, welche Dame hat mich so geehrt?«

»Das müssen Sie selber wissen, wenn Sie nicht blind sind.«

»Verzeihung, ich pflege nicht etwas zu sagen, was nicht der Fall ist. Sie wollen mir glauben, daß ich es nicht weiß.«

»Das wissen Sie nicht! Welch ein Maulwurf ist doch mancher Mann! Arme Marian!«

»Bitte, setzen Sie sich hier hin«, sagte Douglas finster und zeigte auf einen Platz, der gerade frei geworden. »Ich werde Sie nicht lange Zeit aufhalten«, fügte er hinzu und setzte sich neben sie. »Habe ich recht verstanden, Miß Lind ist die Dame, von der Sie vorhin sprachen?«

»Ja. Bedenken Sie, daß ich als Freund mit Ihnen rede, und daß ich hoffe, Sie werden die Mühe nicht weiter erwähnen, die ich mir mache, um dieses unheilvolle Mißverständnis aufzuklären.«

»Sind Sie denn die Vertraute von Miß Lind? Hat sie Sie gebeten, mir das zu sagen?«

»Wie meinen Sie, Mister Douglas?«

»Ich habe auch nicht den leisesten Wunsch, Sie zu verletzen oder zu beleidigen. Soll Ihre Frage eine verneinende Antwort sein?«

»Selbstverständlich. Marian – mich bitten, es zu sagen! Sie träumen wohl! Glauben Sie, selbst wenn Marian den ersten Schritt tun wollte, daß ich dann bereit wäre, zu vermitteln? Wirklich, Mister Douglas!«

»Ich gestehe, ich bin in diesen Sachen unerfahren, und Sie müssen gegen meine Albernheit nachsichtig sein. Wenn Miß Lind ein Gefühl gegen mich hat außer Mißtrauen und Abneigung, dann ist ihr Benehmen sehr irreführend.«

»Mißtrauen! Abneigung! Ich sage Ihnen, sie ist verliebt in Sie.«

»Aber Sie haben, wie Sie zugeben, nicht ihre Zustimmung, mir das zu sagen, während ich ihre Zustimmung für das Gegenteil habe!«

»Sie verstehen Mädchen nicht. Sie sind im Irrtum.«

»Möglich, aber Sie müssen es mir verzeihen, wenn ich Bedenken trage, mein eigenes Urteil an die Seite zu setzen, trotzdem Sie es so gering schätzen.«

»Nun gut,« sagte Mrs. Fairfax, die etwas die Geduld verlor bei seinem hartnäckigen Eigensinn, »es mag so sein. Viele Männer werden glücklich sein, um etwas zu bitten, was Sie nicht nehmen wollen, wenn man es Ihnen aufdrängt.«

»Ohne Zweifel. Ich bin sicher, wenn diese sich soweit erniedrigen, werden sie sich einer schnippischen Abweisung nicht aussetzen.«

»Wenn es aber doch geschieht, dann hat das nur seinen Grund in Marians unverdienter Rücksicht auf Sie.«

Er verneigte sich flüchtig und wandte sich weg, indem er seine Handschuhe zuknöpfte, als wollte er aufbrechen.

»Bitte, was ist das für ein großes Bild, das da drüben rechts zum Himmel ragt?« sagte Mrs. Fairfax nach einer Pause, in der sie sich scheinbar mit ihrem Katalog beschäftigt hatte. »Ich kann auf die Entfernung nicht die Nummer sehen.«

»Verteidigen Sie ihr Benehmen auf Grund dieser gefühllosen und grausamen Launen, die ja Ihr Geschlecht als seine eigenen Domänen betrachtet, oder hat sie während meiner Abwesenheit ihren Sinn geändert?«

»Ach, Sie reden von Marian? Ich weiß nicht, was Sie über ihr Benehmen zu klagen haben. Sie hat mir ja nie ein Wort darüber gesagt. Ich kenne gar nicht die Einzelheiten Ihres Streites mit ihr. Aber sie hat mir gestanden, daß ihr das Vorgefallene sehr leid tut – ich mißbrauche ihr Vertrauen, indem ich Ihnen das sage – und ich bin eine Frau, die Augen und Gehirn hat, und die sehr gut weiß, wie es armen Mädchen zumute ist. Ich will Ihnen nichts mehr sagen, ich habe kein Recht dazu – und Marian wäre ungehalten, wenn sie wüßte, wieviel ich schon gesagt habe. Aber ich weiß, was ich an Ihrer Stelle täte.«

»Vielleicht mich einer neuen Abweisung aussetzen?«

Mrs. Fairfax, die jetzt zum erstenmal erfuhr, daß er Marian wirklich einen Heiratsantrag gemacht hatte, sah ihn einige Augenblicke schweigend an und versuchte mit einem Lächeln ihre Überraschung zu verdecken. Er glaubte, sie lächele ungläubig über die Idee, daß er zum zweitenmal abgewiesen werden könnte.

»Sind Sie dessen sicher?« begann er und sprach zum ersten Male in höflichem Tone mit ihr. »Kann ich mich in dieser Sache auf die Richtigkeit Ihrer Ansichten verlassen? Ich weiß, Sie werden nicht in einer Angelegenheit scherzen, die mich einer Demütigung aussetzen könnte. Aber können Sie mir einige Sicherheit – einige –«

»Gewiß nicht, Mister Douglas. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich es Ihnen nicht schriftlich geben kann, daß Ihr Vorhaben gelingen wird. Vielleicht hätten Sie dann mehr Mut, sich der eventuellen Mißachtung eines armen Kindes auszusetzen, das Sie anbetet. Aber wenn Sie soviel Ermutigung brauchen, werden Sie, fürchte ich, wenig Aussicht auf Erfolg haben. Zweifellos leuchtet es ihr schon ein, daß ihre Gesellschaft für Ihr Glück sehr wertlos sein muß, da Sie die zweijährige Abwesenheit von ihr sehr leicht ertragen haben und ihr seit Ihrer Rückkehr stets ausgewichen sind.«

»Aber das war ihr eigener Fehler. Wenn sie mir den Vorwurf macht, ich sei zum Vergnügen fortgegangen, dann sind ihre Gedanken ein bitterer Hohn auf die Wahrheit.«

»Angenommen, Sie hätten recht, es wäre ihr eigener Fehler. Aber dann haben Sie sie doch sicher hinlänglich durch Ihr langes Fernbleiben bestraft und können jetzt langsam etwas Großmut zeigen. Da kommt sie, glaube ich, gerade links durch die Tür. Ich sehe so schlecht. Ist sie es nicht?«

»Ja.«

»Dann wollen wir hingehen und sie ansprechen. Kommen Sie.«

»Entschuldigen Sie, Mistreß Leith Fairfax. Ich habe ihr ausdrücklich mein Wort gegeben, daß ich mich ihr nie mehr nähern werde. Hätte ich gewußt, daß sie hier sei, dann wäre ich nicht gekommen.«

»Seien Sie nicht so närrisch.«

Douglas' Gesicht bewölkte sich. »Sie haben das Vorrecht, das zu sagen«, bemerkte er.

»Durchaus nicht«, entgegnete Mrs. Fairfax erschrocken. »Aber wenn ich an Marian denke, fühle ich wie eine alte Frau und versuche mit allen Anmaßungen des Alters auf Sie einzusprechen. Verzeihen Sie mir.«

Er verneigte sich. Dann kam Marian zu ihnen, und Mrs. Fairfax begann von neuem zu sprechen.

»Wo haben Sie gesteckt?« rief sie. »Wie ein Gespenst sind Sie von meiner Seite verschwunden. Ich habe Sie seitdem die ganze Zeit gesucht.«

»Ich habe mir natürlich die Bilder angesehen. Ich bin so froh, daß Sie zurückgekehrt sind, Sholto. Ich dächte, Sie hätten schon die Zeit finden können, uns zu besuchen. Sie sehen so stark und gesund aus. Auch der Bart steht Ihnen sehr gut. Haben Sie schon Nelly getroffen?«

»Ich glaube, wir haben sie in einiger Entfernung gesehen«, sagte Douglas. »Ich habe nicht mit ihr gesprochen.«

»Wie haben Sie sich draußen amüsiert, während Sie fort waren?«

»So gut ich es konnte.«

»Nach Ihrem Aussehen ist Ihnen das ausgezeichnet gelungen. Wieviel Uhr ist es? Wir müssen doch Nelly um sechs Uhr am Ausgang treffen.«

»Es ist jetzt fünf Minuten vor sechs, Miß Lind.«

»Ich danke Ihnen, Mister Douglas. Ich denke, es ist das beste, wir gehen jetzt.«

Als sie den Saal verließen, blieb Mrs. Fairfax absichtlich hinter ihnen zurück.

»Habe ich recht, wenn ich glaube, daß Sie noch immer so leichten Sinnes sind als früher?« fragte er.

»Vollständig«, antwortete sie. »Besonders heute. Ich bin heute sehr glücklich.«

»Darf ich Sie fragen, warum?«

»Irgend etwas ist geschehen. Ich werde es Ihnen eines Tages erzählen, aber nicht jetzt. Etwas, das mir die Erfüllung eines romantischen Traumes bringt. Der Traum hat mich fast zwei Jahre lang kaum wahrnehmbar umschwebt, aber erst heute wagte ich es, ihn mir richtig zu deuten.«

»Er ist hier in der Akademie in Erfüllung gegangen?«

»Es war heute morgen zu Hause angekündigt – erwartet, aber es hat sich erst hier erfüllt.«

»Wußten Sie vorher, daß ich kam?«

»Nein, ich erfuhr es erst heute. Mistreß Leith Fairfax sagte uns, Sie würden wahrscheinlich hier sein.«

»Und Sie sind glücklich?«

»So sehr, daß ich unwillkürlich über mein Glück mit Ihnen rede, trotzdem Sie der letzte sind – Sie werden das zugeben, wenn ich Ihnen alles erkläre –, dem ich ein Wort darüber sagen sollte.«

»Warum denn? Bin ich nicht an Ihrem Glück interessiert?«

»Ich glaube es. Ich hoffe es. Aber wenn Sie die Wahrheit erfahren, werden Sie mehr erstaunt als befriedigt sein.«

»Ich schwöre Ihnen, daß Sie sich irren. Betrifft Ihr Traum eine Herzensangelegenheit?«

»Jetzt fangen Sie an, Fragen zu stellen.«

»Gut, ich will jetzt nichts mehr fragen. Wenn Sie aber fürchten, meine lange Abwesenheit hätte mich im geringsten Grade gleichgültig gegen Ihr Glück gemacht, dann tun Sie mir ein großes Unrecht.«

»Sie waren aber nicht sehr gut auf mich zu sprechen, als Sie fortgingen.«

»Ich wünschte, Sie vergäßen es. Und vergeben Sie mir auch?«

»Ganz gewiß. Dann sind wir wieder die besten Freunde auf der Welt. Das ist viel besser, als sich zu treffen und über das zu schweigen, von dem das Herz voll ist. Nun werden Sie auch hoffentlich nicht länger Ihren Besuch aufschieben.«

»Ich will morgen früh Ihren Vater besuchen. Darf ich?«

»Er kommt erst morgen nach Hause. Er wird sich sehr freuen, Sie zu sehen. Er hat kürzlich oft über Sie gesprochen. Aber wenn Sie ihn morgens sprechen wollen, dann gehen Sie am besten in den Klub. Ich will ihm, wenn es Ihnen recht ist, heute abend schreiben, dann kann er sich mit Ihnen brieflich verabreden.«

»Tun Sie das. Ach, Marian, das Gefühl ist besser und wahrer als der Verstand. Zwei Jahre habe ich versucht, alles Schlimme von Ihnen zu glauben, und doch wußte ich die ganze Zeit über, daß Sie ein Engel waren.«

Marian lachte. »Ich glaube, bei unserm guten Einverständnis muß ich Sie solche hübsche Sachen reden lassen. Sie müssen mir ein Sonett schreiben, ehe Ihre Begeisterung verflogen ist. Ich verdiene es sicherlich ebensosehr wie Klytämnestra.«

»Sehr gerne. Aber leider werde ich es wohl nachher wegen seiner Wertlosigkeit zerreißen.«

»Tun Sie das nicht. Ich bin kein Kritiker. Da wir über Kritiker reden, wo ist Mistreß Leith Fairfax hingegangen? Ah, da ist sie!«

Mrs. Fairfax kam herbei, als Marian sich nach ihr umsah. »Meine Liebe,« sagte sie, »es ist sechs Uhr durch. Wir müssen gehen. Elinor wartet wohl schon auf uns.«

»Sechs durch! Natürlich müssen wir gehen, und zwar schnell.«

Sie fanden Elinor in der Vorhalle neben Conolly sitzen, auf den Mrs. Fairfax eifrig losstürzte. »Wie geht es Ihnen, Mister Conolly?« sagte sie. »Das Erscheinen eines solchen technischen Genies in diesen Räumen ist ein wahres Kompliment für die Kunst. Warum erfinden Sie nicht eine Maschine, um Bilder, ohne müde zu werden, betrachten zu können?«

»Ich dachte gerade über einen Aufzug nach, der die Leute zu den hoch hängenden Bildern hinaufbringt.«

»Selbst hier denken Sie an die Mechanik. Sie sind ein wundervoller Mann, Mister Conolly.«

»Ja, ich kam hierher, um einen Plan zu machen, der sehr viele Leute in Erstaunen setzen wird, wenn er an die Öffentlichkeit kommt. Es ist ein seltsamer Ort für solch ein Vorhaben, nicht wahr?«

»Sie haben eine so bemerkenswerte Abstraktionsfähigkeit, Sie können überall denken. Der Plan ist vermutlich ein Geheimnis.«

»Im Augenblick, ja«, sagte Conolly mit einem Blick auf Marian, die ihn stumm anflehte, vorsichtiger zu sein.

Unterdessen hatte Douglas Elinor mit herzlicher Freundlichkeit begrüßt und offenbar ihr Betragen beim letzten Zusammensein in Wandsworth vergessen. Sie wurde fast verwirrt durch dieses ungewöhnliche Benehmen, das sie nicht erwartet hatte, und fühlte sich erleichtert durch das Dazwischentreten von Mrs. Fairfax, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, zwei so bedeutende Menschen einander vorzustellen. Conolly und Douglas zogen ernst ihre Hüte, und es folgte ein Moment des Schweigens, bis Marian daran erinnerte, daß es Zeit zum Aufbruch sei.

Sie gingen die Treppe hinab und standen in einer Gruppe nahe bei einer Tür, während Conolly nach der Seite eilte, wo die Schirme aufbewahrt wurden. Gerade jetzt betrat Marmaduke Lind das Gebäude und blieb erstaunt stehen, da er sich unter so vielen Bekannten sah.

»Hallo!« schrie er, indem er Douglas die Hand drückte und die Aufmerksamkeit der Umherstehenden durch seinen lärmenden Ton erregte.

»Da sind Sie also wieder mal, alter Junge! Entzückt, Sie zu treffen. Sie sehen großartig aus – Bart und alles mögliche! Seine Ehrwürden, der Herr Pfarrer erzählten mir schon, daß Sie zurück seien. Ich traf Ihre Mutter letzten Donnerstag in Knightsbridge; aber sie tat so, als sähe sie mich nicht. Wie haben Sie sich in Paris amüsiert? Noch immer in der alten Weise?«

»Danke sehr«, sagte Douglas. »Ich bin in der letzten Zeit nicht in Paris gewesen. Geht es Ihren Angehörigen gut?«

»Sie können mich aufhängen, wenn ich das weiß!« sagte Marmaduke. »Ich habe sie in der letzten Zeit nicht oft belästigt. Wie geht es Ihnen, Mistreß Leith Fairfax? Wie geht es Ihren berühmten Bekannten?« Mrs. Fairfax machte eine kühle Verbeugung.

»Schrei nicht so, Marmaduke«, sagte Marian. »Wir erregen allgemeines Aufsehen beim Publikum.«

»Das Publikum kann tun, was es will«, sagte Marmaduke laut. »Douglas, Sie müssen mich besuchen kommen. Himmel, da ich gerade daran danke, kommt mich doch alle besuchen. Ich bin jeden Abend in der Woche von sechs bis zwölf zu Hause, ich muß auch so noch einen Einzugsschmaus geben. Wenn Mistreß Leith Fairfax hinkommt, wird alles schicklich und recht sein. Wir wollen eine regelrechte Abendgesellschaft veranstalten.«

Mrs. Fairfax sah ihn unwillig an; Elinor blickte sich ängstlich nach Conolly um. Marian, die dieselbe Furcht hatte, ging auf die Tür zu.

»Hier, Marmaduke«, sagte sie und gab ihm die Hand. »Adieu. Du bist in einer deiner abscheulichsten Launen heute nachmittag.«

»Was bin ich?« antwortete er. »Ich benehme mich doch tadellos. Laß uns vor dem Aufbrechen über den Abend einen Beschluß fassen.«

»Guten Abend, Mister Lind«, sagte Conolly, der jetzt mit den Schirmen ankam. »Das ist, glaube ich, Ihrer, Mistreß Leith Fairfax.«

»Guten Abend«, sagte Marmaduke ruhiger. »Ich –. Nun, Sie wollen schon alle gehen?«

»Ich denke, es ist hohe Zeit für uns«, sagte Elinor. »Adieu.«

Mrs. Fairfax entfernte sich nach einer zweiten und noch kühleren Verbeugung mit Conolly und Douglas. Elinor wartete einen Augenblick, um Marmaduke etwas zuzuflüstern.

»Es geht ihr tadellos,« antwortete Marmaduke auf das Flüstern, »und sie fängt schon an zu reden wie ein Großer.« Er gab gerade seiner Befriedigung über Elinors Frage Ausdruck, indem er ihr die Hand schüttelte, als ihn ein Diener in Livree unterbrach.

»Missis möchte Sie sprechen, Herr, bevor sie geht«, sagte der Mann.

Elinor winkte Marmaduke kopfschüttelnd zu und eilte fort, um draußen die andern zu treffen. Auf dem Wege über den Vorplatz kamen sie an einem offenen Wagen vorbei, in dem zurückgelehnt eine hübsche Frau saß mit dunklen Augen und delikatem, leicht geschminktem Teint. Ihre Schönheit und die Eleganz ihrer Kleidung zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Plötzlich bemerkte Marian, daß Conolly sie beobachtete, während sie nach der Frau in dem Wagen hinübersah. Sie wollte gerade etwas sagen, als Elinor zu ihrer Verwirrung sie leise anstieß. Dann verstand sie ebenfalls und blickte ernst auf Susanna. Susanna, die sie bemerkte, gab ihr einen frechen Blick zurück, und Marian wandte sich ab wie eine Missetäterin und eilte weiter. Conolly sah das alles und sprach kein Wort, bis sie Mrs. Fairfax und Douglas auf dem Piccadilly wieder trafen.

»Wie wollen Sie nach Hause fahren?« fragte Douglas.

»Wir gehen bis St. James' Street, wo am Klub unser Wagen wartet, und nehmen dort Onkel Reginald mit. Dann fahren wir heim durch den Park«, sagte Elinor.

»Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie bis zum Klub«, sagte Douglas.

Conolly nahm jetzt Abschied von ihnen und wartete, bis sie verschwunden waren. Dann ging er zu dem Vorplatz zurück und trat an den Wagen seiner Schwester.

»Nun, Susanna,« sagte er, »wie geht es dir?«

»Wie soll es mir überhaupt gehen«, antwortete sie gleichgültig, obgleich ihre Augen sich mit Tränen füllten.

»Ich höre, ich bin seit einiger Zeit Onkel geworden.«

»Ja, von einem unehelichen Kinde.«

»Wie heißt es?« fragte er ernster.

»Lucy.«

»Ist es munter?«

»Ich glaube nicht. Die Amme ist aber auch immer krank.«

Conolly zuckte mit den Schultern und verfiel wieder in seine spöttische Art, in der er mit seiner Schwester zu reden pflegte. »Schon seiner müde?« sagte er. »Das arme, kleine Wurm!«

»Es hat es sehr gut,« entgegnete sie ärgerlich, »viel besser, als ich in seinem Alter. Es wird, weiß der Himmel, genug von seinem Vater verhätschelt! Er hat sonst nichts zu tun. Ich muß arbeiten.«

»Du machst jetzt vermutlich auf dem Theater, was du willst. Du bist sehr berühmt.«

»Ja«, sagte sie bitter, »wir sind beide Berühmtheiten. Das ist anders wie in alten Zeiten.«

»Wir haben gewiß mehr Püffe erhalten als Pfennige. Aber wir wollen hoffen, daß das jetzt für immer vorbei ist.«

»Wer waren diese Frauen, mit denen du vor einer Minute hier vorbeikamst?«

»Kusinen von Lind. Miß Marian Lind und Miß McQuench.«

»Ich erinnere mich. Sie ist hübsch. Wie gewöhnlich hat sie wohl keine Idee, daraus etwas zu machen. Die andere sieht eher wie ein Teufel aus. Jetzt, da du ein großer Mann bist, warum nimmst du kein reiches Mädchen?«

»Ich denke es zu tun.«

»Der Herr steh' ihr bei!«

»Das hoffe ich. Ich muß jetzt gehen. Adieu.«

»Oh, adieu. Fahren Sie los nach Soho«, fügte sie hinzu, zu dem Kutscher gewandt, und lehnte sich verdrossen in die Polster zurück.


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