Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Der Tritt auf die Viper

Es ist in Buitenzorg auf der Veranda des Referendaris.

»So ist das also, Doktor. In drei Wochen fährst du ihr nach,« sagt Heyermans und saugt höchst gedankenvoll an seiner schwarzgerauchten langen Pfeife. Ein hellblonder Haarbausch sitzt über seiner Stirn; sein gesundes rotes Gesicht ist in Falten zerlegt und seine blauen Augen grübeln. »Du hältst mich mächtig in Atem; das muß ich sagen. Du bist ein verdammt glücklicher Hund. Aber wie alle Menschen, denen alles gerät, bist du ein wenig blind dafür, was du anrichtest. Du gehst los wie Napoleon; doch in deinem Kielwasser schwimmt Pech. – Na, prost.«

Er schwenkt sein Glas, leert es und stellt es grimmig auf den Tisch.

»Koos,« sagt hier der Doktor etwas pikiert, »ich bin mir nicht bewußt, dir je mit Absicht Unannehmlichkeiten . . .«

Heyermans schlägt eine seiner sonnigsten Lachen auf. Er haut sich auf die Schenkel, er krümmt sich im Stuhl; seine Augen tränen. Lange kann er sich nicht beruhigen; endlich gelingt es ihm. Kehmerdill sieht sich dies Gehaben mißtrauisch an.

216 »Ich freue mich, dich bei so wundervollem Humor . . .«

Heyermans winkt mit der Pfeife ab.

»Der ist da. Gott sei Dank.«

»Ja, aber zum Teufel . . .«

Koos schüttelt sein blondes Haupt und wird etwas fachlicher.

»Ich habe mit keinem Sterbenswort behauptet, Doktor, daß du mir je mit Absicht an den Karren gefahren bist. Du hast vorhin sehr drollig erzählt, wie Kusuma zu deinem früheren Patienten, van Kersten, kam, und gebrauchtest in diesem Zusammenhang den Ausdruck: Origineller Zufall. – Mein Freund; in Indien gibt es keinen Zufall. Originell ist oft nur die Weise, wie er arrangiert wird. Die Adresse hattest du mir auf einem Wisch notiert; und dieser (das schrieb ich dir) verschwand vorübergehend von meinem Schreibtisch. So wahr es weiße Ameisen hier gibt . . . Nun, ich dachte nicht daran, und am allerwenigsten an die langen Finger dieses Herrn Kusuma. Und nun kommt ein Punkt . . .« – er wird plötzlich todernst, – »wo ich mir verdammte Vorwürfe mache. Ich war ein trauriger Esel.«

»Bist du nie. Trotz Herrn Erdbrinks wohlwollender Meinung.«

»In diesem Fall leider ja. Mein Chauffeur Darmawan ist sonst ein nüchterner Bursche. Er war drei Tage lang voll Genever und fuhr da draußen die halbe Kanarienallee kaputt, und das unter der Nase des G. G., der gerade einen Ausflug machte. Blendend für meine Chancen. Und woher stammte das 217 Geld für diesen Rausch? Wer finanzierte diesen Tornado durch die Paragraphen? – Unser Freund Kusuma . . .«

Kehmerdill starrt ihn an.

»Jawohl, – das ist aber noch nicht so schlimm. Ich hätte Darmawan nach seiner Beichte schlicht entlassen können. Aber ich sah rot; ich prügelte ihn. Dafür könnte ich mich selber prügeln. Ich habe ohnedies nicht die Reputation, besonders lieb Kind bei den Inlanders zu sein. Du verduftest in drei Wochen, du Satanskerl. Du kannst es dir sogar leisten, Volksraadmänner mit Sektflaschen zu bombardieren; du bist Privatmann . . . Ehrlich gesagt, ich säße an deiner Stelle längst in Singapore oder sonstwo. Ich kann aber nicht fort. Ich bin ein Rädchen der Verwaltung, bin ›Kolonialregierung, aus der Drachensaat der Ostindischen Kompanie, ein fröhlicher Sklavenhalter von Anno 50‹ – – und wenn ich's noch nicht bin, so machen mich meine Indo-Journalisten, dein liebwerter Schwager im Vorsitz, im Handumdrehen dazu. Persönlich ist es ja erfreulich, daß dieser Darmawan seine Keile bekommen hat. Aber auf Tjikopo, auf der Teeplantage, hat er schon einen netten kleinen Stunk gemacht; ein Revolutiönchen; es fehlt nur noch, daß er zu seinem Hadji rennt. Die ganze Nacht haben sie da oben im Kampoeng getrommelt. Protestgetrommel. Keine Festlichkeit.«

In der Unterhaltung entsteht eine gedankenschwangere Pause.

Auf einmal sagt Koos: »Doktor, malträtiere deinen Schnurrbart nicht so. Reiß ihn nicht aus, es wäre 218 schade. Er ist ein bewährter Herzensbrecher; laß ihn stehen.«

»Koos! Versprich mir eins!«

»Nun?«

»Nimm dich in acht! – Wer kocht dein Essen?«

Koos wedelt mit der Hand. »Alles ist in Ordnung.«

»Nimm dich in acht!! – –«

Kehmerdill geht in furchtbarer Unruhe hin und her.

»Doktor, fasele nicht. Ich passe auf. – Aber eins sehe ich ganz klar.«

»Daß du nach Holland . . .?«

»Unsinn. Mein Platz ist hier. Aber ich sehe ganz klar, daß du reif bist für Europa. Du bist ein Nervenwrack. Du hast Indien in den Knochen. Du verträgst es nicht, mein Lieber; glaube mir. Ich vertrage es. Ich wickele deine Geschäfte ab, aber mach, daß du fortkommst. Du hast genug gehamstert, um anständig drüben zu leben. Und außerdem . . .«

»Koos!«

». . . diese kleine Frau Erdbrink wartet auf dich. Sie braucht dich! – – Das kommt noch dazu.«


 

Singapore, Anfang Februar 192*

An Mevrouw de Ruyter,

Weltevreden, Batavia.
Waterlooplein.
       

Madame!

Auf dieser Zwischenstation meiner Europareise, die ich seit nunmehr zwei Wochen angetreten, nehme ich 219 Gelegenheit, Ihnen noch einmal zu schreiben. Ich habe das Gefühl, daß zwischen uns noch ein wichtiger Punkt klarzustellen ist. Leidenschaften lähmen die Logik bei mündlichen Aussprachen, besonders wenn auf einer Seite ein fester Entschluß herrscht, und auf der anderen Eigensinn und mangelndes Verständnis. Eine Beruhigung kann man sich daher höchstens vom sachlichen Brief erwarten.

Gänzlich unerwartet und unangemeldet machten mir kurz vor meiner Abreise Antja und Hendrijk einen Besuch. Der Zweck war, mich zu überrumpeln und mich zum weiteren Zusammenleben mit Ihrer Tochter zu veranlassen. Es war nicht ungeschickt inszeniert; man warf mir vor, ich habe durch meine langjährige intime Freundschaft mit Heyermans gewisse Rassenvorurteile eingesogen, und dies sei nun der Grund, weshalb ich mich scheiden lassen wolle. Daher auch Hendrijks Aufregung, als ich Antja durch Peter die Scheidungsformulare zustellen ließ. Daher sein Bemühen, mich persönlich zu sprechen und sein endlicher Überfall. Daß Antja mitkam, mit einer fertigen Rolle, war Teil der Regie; – Madame! Ich durchschaue das. Man ließ mich sofort erkennen, daß es in Ihrem Einvernehmen, ja mit Ihrer Ermunterung geschähe.

Daß zwei Menschen den seelischen Kontakt verlieren, ist in Ihren erregten Augen an sich schon eine Katastrophe, während es doch nur eine Belanglosigkeit ist in diesem Lande halbzersetzter Beziehungen. Weit wichtiger aber noch erscheint Ihnen die Vorstellung, die Ehre Ihrer Familie werde angetastet; man desavouiere und schädige Sie gesellschaftlich; 220 man erschüttere, nicht ohne Absicht, die Stellung Ihres Sohnes unter seinen ärztlichen Kollegen in der Stovia; und die Ihres anderen Sohnes im Indoeuropäischen Verband untergrabe man politisch. Mit dieser fixen Idee behaftet, suchen Sie nach meinen eigenen Gründen, finden keine nach Ihrem Geschmack stichhaltigen, und laden Ihren ganzen Groll auf Heyermans ab, in welchem Sie den Vater des ganzen teuflisch ausgeheckten Planes erblicken.

Madame! – Ein solcher Plan existierte nie. – Und Heyermans, trotz seiner politischen Einstellung, hat sich nie in meine Privatangelegenheiten gemischt. In der Tat: er widerriet mir. Dies wird Ihnen vollends glaubwürdig erscheinen, wenn Sie den echten und eigentlichsten Grund erfahren, warum ich mich von Antja trennte. Diesen lüfte ich nur, um jeden Schatten von Schuld von Heyermans zu entfernen. – Sie werden, Madame, bereits erraten haben, daß es sich um eine andere Frau handelt. Der Zweck meiner jetzigen Reise ist, an der Seite dieser Frau glücklich zu werden. – Ich hoffe, daß man nun ein Einsehn zeigt und aus dieser Tatsache die Konsequenzen zieht.

Ich trage niemandem Groll nach, Madame. Ich werde Antja eine Rente aussetzen, die es ihr ermöglicht, den Ansprüchen ihrer und meiner früheren Kreise zu genügen. – Mein Haus in Weltevreden steht ihr nach vollzogener Scheidung ebenfalls zur Verfügung.

Ich bin, Madame, der Ihre.
Dr. med. O. Kehmerdill
       

221 Dieser in elegantem Französisch abgefaßte Brief ist ins Haus geflattert, als Mevrouw de Ruyter mit ihrem Sohn Hendrijk auf der Küchenveranda ihres Hintergartens beim Tee sitzt. Sie hat ihn mit ihren welken Fingern hastig aufgerissen und dann knarzend vorgelesen, unter vielen »E–e–eschs« und sonstigen wegwerfenden Keuchlauten. Sie ist so absorbiert in den Brief, daß sie das Mienenspiel ihres Sohnes gar nicht beachtet.

»E–esch!« krächzt sie und wiegt den Kopf. »Er schreibt flüssig. – Auch mein seliger Korneelis schrieb ein ähnlich flüssiges Französisch, wenn er auch, Gott behüte, seiner Lebtag kein derartiges Thema aufs Tapet brachte. Wer hätte das gedacht! – Er verliebt sich, der böse Mann! – Was hilft es da, zu debattieren . . . Eine Affäre! – Sieh, sieh! Du mußt Antja abraten, zu jammern; er war und ist ihrer nicht wert . . . Wie sieht sie denn aus, diese ›andere‹ Frau?« – Ihre chinesisch geschnittenen Augen verengen sich zu Ritzen . . . »Kennst du sie? – Ist sie hübsch?«

Hendrik ist während der Verlesung des Briefes unbeweglich dagesessen. Auch jetzt schweigt er. Erst als die Alte ihn mit der Krücke ihres Stockes an der Schulter berührt, fährt er auf, als erwache er aus einer Trance.

»Hendrijk,« sagt die Alte und beugt sich spähend etwas vor . . . »Was fehlt dir, mein Sohn? – Woran denkst du?«

Sein Gesicht zeigt jenen erdigen Ton, der bei bräunlicher Hautfarbe an die Stelle des Erblassens tritt. Er bohrt beide Fäuste unters Kinn, seine Stirn ist 222 dick gewulstet, er stiert. – Auch diesmal tritt eine Pause ein. Die Alte stößt mit dem Stock auf den Boden.

»Hendrijk!« bemerkt sie in leicht erhöhtem Organ, – »sagt dir der Brief Neues? – Was ist das für eine Kopfhängerei! Was da! Du sitzest und schneidest Gesichter! – Merzen wir seinen Namen aus . . . Antja ist noch jung . . . Er ist es nicht wert, eh! – und nun ist Schluß . . .«

Sie lehnt sich zurück und schlürft ein Schlückchen Tee.

Er dreht den Kopf langsam auf den breiten Schultern und starrt zu den Rabatten hinüber. Wie eine gelbe, violettgesprenkelte Riesenspinne hängt dort eine Blüte; ganz lebendig wirkt sie im leisen Luftzug. Trotz vieler anderen, die im lederblanken Grün verdämmern, fesselt sie den müßigen Blick wie etwas Drohendes. Sie sieht aus, als könne sie kriechen – – von ihrem Stengel herabsteigen und sich herübertasten über seine beklommene Brust.

Ein Ton bricht aus seiner Lunge, unartikuliert, wie ein Röcheln. Seine dicken Lippen zittern, als mühten sie sich Worte zu formen. Plötzlich senken sich seine Augendeckel, und seine Miene wird tierhaft vertrauensvoll.

»Der Brief . . .« stammelt er endlich, und der dickbelegte Klang des Wortes erschreckt die Alte. Sie zieht den Mund zusammen und zupft rastlos mit den welken Fingern am bunten Sarong.

»Hat er dich so erschüttere? – Du bist ein guter Sohn. Hier erkenne ich Korneelis.«

223 »Der Brief hat mich frappiert . . .«

»Das ist denkbar, denn du selbst machst ja in solchen Affären aus deinem Herzen keine Mördergrube . . . Ich denke an die kleine Cora Rikkers; zänkisch ist sie und blutlos; aber wenn es nach dir geht, so ist sie ein völliger Engel . . . E–esch! – Du schilderst sie; man sieht sie, man fühlt sie, man riecht sie . . . Auf alle Fälle weiß es die Welt, daß sie dein Geschmack ist. Aber der Doktor ist anders.«

»Nicht bloß anders, Mama. Er ist ein Monstrum. Er rauft seinen Schnurrbart; man friert. Und was verursacht er? Endloses Rätselraten und Wolken von Argwohn. Es war ein Verbrechen, daß er schwieg. Er ist der wahre Schuldige. Er läßt es zu, daß aller Verdacht auf Heyermans . . . Welch eine Verwirrung! Und nun – opfert er Heyermans . . .«

Er dämpft die Stimme und sieht sich scheu um. Die Alte beugt sich wieder vor. »Wie das? . . . Opfert . . .?«

Man sieht seine Lippen sich bewegen. Ein halbes Lesen wird für die Alte daraus; das spitze Kinn der lauschenden Greisin hebt und senkt sich . . . Hendrijks dicke Zunge zischelt . . .

Plötzlich kreischt die Alte auf; sie kann es nicht unterdrücken; ihre Schlitzaugen werden zu Kreisen, in denen die schlehenschwarzen Papillen umherjagen . . .

»Seien Sie leiser, Mama!« steht Hendrijk.

»Du gabst seinem Chauffeur Geld??«

»Ja, ich gab ihm etwas . . . Aber Gott soll mich erschlagen, wenn ich meinen Wunsch formulierte . . .«

»Rase nach Buitenzorg . . . Nimm ein Auto . . .« 224 kommt ein behindertes Schluchzen zurück . . . »Es muß noch verhütet werden, noch verhütet . . .«

»Reden Sie leiser, um Gottes willen . . . Es geht nicht. Es ist zu spät.«

»Es ist zu spät . . .?«

»Van Affelen behandelt Heyermans. – Ich habe telephoniert. Die Symptome haben begonnen.«

»Grauenvoll! Grauenvoll! Oh Hendrijk, was hast du gedacht!«

»Der Haß, Mama . . . Ich kannte mich nicht mehr; es ist ja für uns . . . Und nun war es gar nicht Heyermans. Es war diese deutsche Frau.«

»Mich, dich, Antja, Peter . . . Unser ganzes Schicksal legst du in die Hände eines Giftmischers . . . Für einen Quartjes verkauft er uns . . .«

»Das tut er nicht. Heyermans hat ihn geprügelt; sein Motiv ist klar. Man wird ihm nicht glauben . . .«

Die Babu watschelt in diesem Augenblick von der Küche in das Haus hinüber, um den Pensionstisch zu decken.

Die beiden sitzen wie versteinert.

Die Sonne wankt wellig in Lichtsäulen aus kochendem schwerem Duft. Ein grüngesprenkelter Falter, hindurchtreibend, flammt auf und erlischt. 225


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