Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Koos

Lackpumps an weißbesockten Füßen, in makellos gestärktes Leinen gekleidet, entsteigt der zwei Meter hohe Beamte der »Secretarie«, Heyermans, seinem »Fiat«. – Hände in den Hosentaschen, wandelt er ins Haus des Doktors. Daß er nicht als Patient kommt, sieht man ihm an: er setzt dem Klima eine strotzende Gesundheit entgegen.

So blond ist Heyermans! – Eine weißblonde Haarkappe schimmert über dem roten rasierten Gesicht; blondes Fell trägt er auf den Handrücken und sogar noch auf den Fingern. Seine saphirblauen verschmitzten Augen im langen Gesicht und seine pferdeartig lange Oberlippe machen ihn zum typischen Vertreter eines rauflnstig-bequemen, vollblütigen Patriziertums. Indem er sich in den krachenden Korbstuhl wirft, bestellt er sich eine Erfrischung beim aufwartenden Mahil, als sei er hier zu Hause.

Kehmerdill ist mit den Vorbereitungen für seinen späteren Gesellschaftsabend fertig geworden und kommt aus dem Hintergrund. Seine Augen blitzen hektisch im kalkfarbenen Gesicht. Nicht über Mittelgröße, wirkt er auf den ersten Blick neben seinem hünenhaften Freund fast belanglos. Sieht man aber genauer zu, 38 so erkennt man, daß das Leben seine Züge bedeutend schärfer gezeichnet hat, als die des harmlosen »Pionierpatriziers«. Gleicht nämlich das Gesicht Heyermans' einer Delfter Landschaft, schlecht und recht, mit friedsamen Windmühlen, so bietet das Kehmerdills den Anblick eines verstürmten Gebirgstales.

Der Doktor hat es mit seiner Karriere ziemlich schwer gehabt. Deutsch geboren, hat er eine stets wachsende Konkurrenz niederkämpfen müssen, bis er beschloß, sich naturalisieren zu lassen. Hätte er es nicht getan: der Krieg, anstatt ihm nur vorübergehend einige anglophile Patienten zu rauben, hätte ihn weggefegt. Heyermans, dem sein Heimatländchen zu eng gewesen, hat die Sprossen in dieser Militärbürokratie unbehindert, voll breiten Humors trotz Hitze und verworrener Innenpolitik, erklettert – Hände in den Hosentaschen, genau so wie er heute daherkommt.

Kehmerdill setzt sich nicht, sondern nach einer zerstreuten Begrüßung fährt er fort, auf und ab zu wandern. Der Himmel draußen sticht grell orangefarben durch das Laub: es schlägt sechs. Die Gäste sind auf neun gebeten, – die offizielle batavische Besuchszeit. So hat er drei Stunden frei, um sich die Seele mit Hilfe des hereingewehten Freundes zu entlasten; bei Heyermans, dem guten Zuhörer, kommt es sicher dazu; das ahnt er. Das periodische Fieber ist überwunden; zur Vorsicht nimmt er noch Chinin und hat sich heute sogar ein gewisses Stärkungsmittel gestattet, dem er in letzter Zeit verdächtig häufig unterliegt. Es gehört kein großer Scharfblick dazu, um ihm einen ungewöhnlichen Zustand anzusehen; so schlägt denn 39 auch Heyermans auf die Stuhllehne und spricht: »Gottverdammich . . .«

Kehmerdill macht halt. »Aha,« sagt er mit farbloser Stimme, – »du merkst was.«

»Ich merke bloß, daß du gegen den Strich gekämmt bist. – Wo steckt Antja?«

»Antja? – Ho, Antja . . . Gratuliere mir. – Ich bin sie los.«

Heyermans macht eine Bewegung, als wolle er aufstehen, und pfeift durch die Zähne. – »Gutwillig?«

»Nun, es gab natürlich ein Theater. – Ich hab' sie einfach in den Schoß ihrer farbigen Familie abgeladen. – Du siehst ja, ich bin kaputt.«

Er blickt etwas schief und lauernd zum Freund hinüber.

»Das ist bös,« murmelt Heyermans. »Warum hast du es ihr nicht langsam, stufenweise, abgewöhnt, mit dir zu leben? So aber, von heute auf morgen . . . Du wirst es auszubaden haben.«

Kehmerdill stellt sich vor ihn hin und sieht ihn aus seinen fiebrigen Augen an, beide Fäuste gegen die Schläfen gepreßt.

»Koos,« sagt er mit heller Stimme – »was habe ich nicht alles versucht, damit sie meiner satt wird! – Aber es ist phantastisch, welch dicke Haut diese Indos haben! – Ich habe sie, Gott verzeih mir's, en canaille behandelt. Immer hoffte ich und hoffte, sie würde mir den Fehdehandschuh hinwerfen – aber ich muß dir sagen: das ganze Weibsstück besitzt nicht mehr Selbstachtung als ein Rikschakuli. Eine andere wäre schon Jahre vorher weggelaufen. Aber 40 diese Antja ist blind . . . Oder will blind sein . . . Also sie bleibt, sie lutscht Pralinés, sie sieht ein wenig nach dem Rechten, nach meiner Küche, ja . . . sie sitzt hilflos vor guten Büchern, und schläft ein, wenn man Ansprüche an ihr Hirn stellt. Aus ihrem täglichen Kino, wo sie des Denkens enthoben wird, bringt sie keine Anregung mit. Auch nicht aus dem Badetümpel. An amerikanischen Magazineschmökern findet sie vielleicht noch träges Gefallen und schwatzt dann unsicher darüber . . . Über dem Modespiegel brütet sie stundenlang . . . Jedes Gespräch endet in einer Blamage für meine Hoffnungen. Da kannst du säen, jahrelang, und erntest Lava. Das Weib ist steckengeblieben, sag' ich dir . . . Schauerlich ist sie im Rückstand. Seit ihrem neunzehnten Geburtstag hat sie keinen Schritt vorwärtsgemacht, und was mir damals entwicklungsfähig schien und hurtige Intelligenz, war nur Zweck und Schauspielerei. Da hast du den ›Labetrunk meiner Seele‹, da hast du meine Erholung und Zerstreuung; das ist sie. Und deswegen mußte ich Schluß machen.«

»Vielleicht hast du dich doch zu wenig mit ihr abgegeben . . .«

»Zwei Jahre lang hab' ich's probiert, weiß Gott, ihr Interessen beizubringen . . . aber sie reagierte nur – mit dem Körper.« Er lacht tonlos.

»Du warst eben ein Esel,« sagt Heyermans beruhigend. »Es ist schade, daß wir uns damals nicht kannten. Ich hätte mich sonst wohl rechtzeitig mit dem Holzhammer eingefunden und dich aufgeklärt. Du gibst also zu, daß sie verdammt hübsch war, und 41 daß du in das Projekt ihrer Familie hauptsächlich deswegen hineingestolpert bist. Jetzt kennst du diese Rasse; spät genug bist du dahintergekommen. Ziemlich schwimmen lassen hast du dich, mein Lieber. Deine Beweggründe in Ehren – aber diese gewaltsame Regulierung, die du arrangiert hast, ist verkehrt. Schließlich hast du sie doch geheiratet.«

»Was blieb mir übrig? Du kennst doch selbst die Konventionen in eurer Krämerkolonie. Aber sie war zu hitzig; sie wollte unbedingt Kinder. Das bekam mir nicht. Ich habe immer gebremst.«

»Toll aggressiv, das sind sie ja; da hast du recht. Das verstehe ich.« Heyermans lacht ein großes gesundes Gelächter. »Die wissen, was sie wollen . . . Deshalb haben sie uns auch die vielen Kuckuckseier hineingesetzt. Die Kolonie geht noch darüber kaputt, wenn ich und meinesgleichen nicht dauernd dagegenbohren . . . Wir sind hier schon mit allen Nuancen von Braun schattiert. Wenn das nicht anders wird, sind wir in fünfzig Jahren dauernd blamiert und können unseren östlichen Verwandten endgültig das Feld räumen. Schließlich soll dieser schönbestellte Garten kein Mischlingsparadies werden, mit all der Verfahrenheit und moralischen Zersetzung wie in Saigon und Macao . . . Reinlich, zum Teufel, muß das nebeneinander hausen, Weiß und Braun. Es ist eine Gemeinheit, wie wir uns verzetteln und unsere guten, soliden Pioniernamen bis in die Kampoengs tragen . . .« Sein Kiefer schiebt sich vor; seine prächtigen Zähne setzen sich hart aufeinander. »Ich hab' ja nichts gegen das Volk. Gott will es so, wie es ist; und 42 sympathisch ist es mir auch in seiner Art. Aber wir dürfen uns das Heft nicht so schlapp aus der Hand winden lassen, wenn das auch bei achtunddreißig Grad Celsius und hübschen Weibern schwer ist. Die Engländer bringen es fertig, einen Punkt zu machen; warum nicht wir? Das ist keine saubere Sache mehr; das bringt uns in die beliebte schiefe Lage. Wenn unsere Eingeborenen als unverfälschte Patrioten, wenn auch mit drolligen Mitteln, ihre Interessen wahren, so begreife ich sie vollständig; ich hätte auch eine Wut, wenn man mich enteignete, kontrollierte, mit lächerlichen Taschengeldern abspeiste . . . Ich bin aber europäischer Kapitalist, ho, ho, Kulturträger, Eckpfeiler; was soll ich machen gegen mein besseres historisches Selbst . . . Wenn man einen fragwürdigen Indo gegen mich ausspielt, der womöglich auch Heyermans heißt und von der ›Heimat an der Schelde‹ faselt, dann wehre ich mich.«

»Erfrischend bist du, Koos . . . Schenk' dir ein. Also ich freue mich, daß ich schließlich in deinem Sinn gehandelt habe. Einen Indo namens Kehmerdill gibt es nicht. Jetzt ist alles in schönster Ordnung.«

Heyermans starrt ihn an. »Mann,« bellt er plötzlich, »schmeichle doch den Tatsachen nicht so greulich! Den Fuß hast du herausgezogen – aber es hängen noch Widerhaken genug an deiner Hose. Meinst du etwa, man kehrt dort drüben friedlich zur Blumenzucht zurück?« – Er deutet mit dem Daumen in die Richtung des Waterlooplein. – »Laß dir das Essen vorschmecken, wenigstens für die nächste Zeit, und sei mir nicht bös, wenn ich meinen Whisky selber 43 mitbringe . . . Nun, werde nicht nervös, sie heißen ja schließlich de Ruyter‹ und sind ›Europäer‹ –.« Seine Stimme lenkt ein. »Daß du keine Kinder hast, ist eine Mischung von Egoismus und Dusel. Denn im Bett wirst du dir kaum politische Skrupel gemacht haben. Jetzt wollen wir aber zur Hauptsache kommen. Wenn ich nicht Heyermans wäre, so würde ich mir sagen, du hast mir alles zufriedenstellend motiviert. Ich bin aber schlauer. Du hast mir schon einmal mit deinem Serum über den Berg geholfen. Du darfst ruhig mit der Sprache herauskommen. – Was ist denn der eigentliche Anlaß zu dieser ganzen Geschichte?«

Kehmerdill blickt hurtig auf. Die Zigarette entgleitet seinen Fingern und glimmt auf der Bastmatte weiter. Heyermans' mächtiger Fuß kommt herüber und tritt sie tot. Wie mit gelähmten Lippen wiederholt der Doktor: »Der – eigentliche Anlaß?«

»Das meine ich,« bestätigt Heyermans gemütlich. »Man wirft doch eine Frau, mit der man zehn Jahre zusammenhaust, nicht so halsüberkopf hinaus. Dazu hat man schon einen ganz speziellen triftigen Grund. Von dem hast du noch nichts gesagt.« Kehmerdill erhebt sich, rennt dreimal um den Eßtisch, und setzt sich dann, zitternd wie im Frost, wieder hin. Seine Augen wandern langsam, prüfend über den Freund, um sich wie beruhigt wieder zu schließen. Er atmet aus, als stoße er mit diesem Atemzug eine Last von sich.

»Weiß Gott,« flüstert er, »du bist ein Satanskerl, Koos.«

Er nimmt einen großen Schluck unverdünnten 44 Whiskys. Erwärmt, schier munter, beugt er sich vor und spricht mit dozierendem Zeigefinger: »Wenn du zehn Jahre lang geschuftet hast, und man hat dir Scheuklappen vorgeschnallt, und du hast dein Menschentum eingebüßt in dieser Tretmühle von Klebrigkeit und Hitze und du bist ganz verödet, verblödet, und jämmerlich anspruchslos, und auf einmal kommt jemand mit einem Spiegel, und zeigt dir die Kreatur, die du bist . . .was tust du dann? Du haust um dich, wie? –«

»Wo kann man diesen Spiegel zu sehen bekommen?« gibt Heyermans zurück. »Gib mir doch bitte die Adresse . . .«

Kehmerdills Gesicht überzieht sich mit gleichmäßigem Scharlach, seine Augen blinzeln. »Das sieht dir ähnlich. Immer der große Draufgänger . . .« Er lacht, mit gleichsam wegwerfendem Humor, und patscht sich mit der flachen Hand aufs Knie. –

»Als alter Pionier gehst du aufs Ganze. Sie wohnt übrigens im ›Daendels‹; seit einer Woche ist sie hier. Wie es weiter sich entwickelt, weiß niemand. Soviel weiß ich aber –« und er zupft am Strohgeflecht des Stuhles – »daß die Frau mir bitter nötig ist; daß sie um meinetwillen herkam. Das ist die höhere Absicht, verstehst du; wir kennen sie nicht. Sie trieb hier an Land, weil ich sie brauche. Und wenn sie nicht mein wird, so ist das radikal falsch; so liegt das unmöglich in der höheren Absicht.« Er beginnt zu stottern und zupft heftiger am Stuhl. – »– Und heute abend hab' ich beide eingeladen; heute kommt sie hierher . . .«

Heyermans' mächtige weißblond bewachsene Pranke 45 landet auf seiner Schulter. Er hat etwas nie Geschautes in der Miene des Freundes gemerkt. Er erhebt sich.

»Cheer up, Alter,« sagt er voll Bonhomie. »Ich denke, du willst dich noch ein wenig vorbereiten auf deinen Besuch, und ich lasse dich lieber jetzt allein . . . Morgen überfalle ich dich wieder. Sag deinen Patienten ab; ich will dich nach Buitenzorg schleifen auf einige Tage . . . Ich habe sowieso Urlaub fällig. Ausspannung brauchst du, gottverdammich. Ausspannung für –« (er schlägt sich auf den Brustkasten, daß es knallt) – ». . . für das hier.« 46


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