Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Nächtliches Zwiegespräch

Der Doktor Otto Kehmerdill, wie seit Jahren in jeder Nacht, wandelt in Pyjamas in seinem Schlafzimmer umher und raucht.

Heute sind es schon drei von diesen Schlummerzigaretten geworden, seit er seine paar Kleidungsstücke vom Leib gezogen hat. Er hat dem Spiegel einen Blick geschenkt; mißmutig hat ihn der eigene Anblick gestimmt. Er ist unterernährt, obwohl kein Grund dafür abzusehen ist. Schnell hat er sich abgekehrt von der deprimierenden Vision.

Die Devise heißt: nicht philosophisch werden! Denn, den Teufel, man kann dieser chronischen Melancholie nicht mit den ewigen Schlafmitteln beikommen! Das »periodische Fieberchen« rumort sacht in seinem Kopf. Er fürchtet sich vor der Finsternis. Der zweite Atem – im Nebenzimmer – fehlt. Ob es nun Antja wäre oder ein anderes Lebewesen, wäre einerlei. Immerhin – er hat sie davongejagt. Wer es jetzt besser hat, ist sicherlich Kusuma; dessen Haus ist zu dieser Stunde von vorn bis hinten mit menschlichen Murmeltieren angefüllt. Ob nun deren Schlaf leer ist oder voll ehrgeiziger Träume: auf jeden Fall hat Kusuma Gesellschaft.

85 So geht denn Kehmerdill ruhelos durchs Haus als weißer Geist. Überall knipst er Beleuchtung an; heute haßt er das Dunkel. Er tritt auf die Veranda. Es herrscht die gleiche Nacht wie vorgestern vorm Hotel: stumpfes Kobaltblau mit spitzen Sternchen. Der kupferne Mond ist breiter; langsam wird der Kahn zur Orangenschnitte. Wie mit Tusche unendlich sorgsam auf dies Kupfer gepinselt, filigranfein, steht ein regloser Palmwedel. Brütender Orgelton von Millionen Moskitos schwingt in der Schwärze. Zuweilen zirpt eine Fledermaus. Ganz in der Ferne, in einem Kampoeng jenseits des Tjiliwoeng, schluchzt eine leise Trommel, als poche ein zager Finger ans Tor des Schlafes. Das Licht baut Brücken über die Einfahrt und hebt gleißend einige Gegenstände hervor – hier einen rotblumigen Strauch, der verzaubert wird zu weißen Blättern und schwarzen Blüten, dort den lichtbraunen Rindenbast einer jungen Kokospalme. Ein Gemisch von Staub, Benzin und Pflanzenparfüm schwängert die Luft.

Mahil liegt bis zum Kinn in bunte Decken gehüllt nächst dem Verandageländer auf einer Strohmatte. Kehmerdill betrachtet ihn nachdenklich, als sehe er das breitnasige Gesicht, das öligbraun glänzt, zum erstenmal. Mahil liegt zusammengezogen in der Haltung eines keimenden Menschleins – in der Ruhepose kindhafter Völker. Der Kopfzipfel ist von der Stirn gerutscht. Kehmerdill verhüllt ihm vorsichtig die strähnigen, schwarzen Haare. Mahil mummelt und schmatzt wie ein Säugling. Ob das die Leute in Kusumas Hause jetzt auch tun? Nein, die werden sicherlich im 86 Traum mit der Hand nach der Kreuzgrube zucken, wo tagsüber der Kris sitzt. Nas ist bei der Babu. Sonst ist alles wie ausgestorben. Denn wer sonst noch zur Hilfe im Haushalt erscheint, geht abends ins Kampoeng Lima zurück. Wie weggeblasen sind die unzähligen alten und jungen Weiber, die zwischen den Büschen erscheinen und verschwinden, Küchengewürze feilbieten, Früchte, Sarongs, Tragtücher . . . Manchmal sitzen sie dicht aneinander auf dem Treppenabsatz an der Küche. Sie kolportieren Stadtklatsch; Fäden spinnen sie von Haus zu Haus. Stundenlang hört man sie lachen und murmeln – doch jedesmal, wenn man sie verjagen will, wittern sie die Absicht und verduften geräuschlos. Beim Sonnenuntergang scheiden die letzten.

Kehmerdill holt sich seine Taschenlaterne und macht sich auf, um aus der Unterkellerung der Küche das kühle Sodawasser zu holen. Er geht selbst! Heyermans würde in diesem Fall ohne Skrupel den Djonges auf die Beine bringen . . . Aber muß man immer tun, was Heyermans täte? Der Doktor rumort also, bis er das Gewünschte mit Rücksichtnahme auf etwaige nervöse Skorpione herausgefischt hat. Als er zurückkommt, begrüßt ihn ein leises »ok« aus dem Bambusverschlag. Djodok! – Gott zum Gruß, alter Freund, du würdiges Vermächtnis meiner zertrümmerten Ehe . . .

Im Speisezimmer hebt der Doktor in der festlichen Beleuchtung ein goldiges schottisches Getränk von der Kredenz und mischt sich bedachtsam die sorgenlösende Flüssigkeit. Der gläserne Quirl hallt wie ein 87 Glöckchen. Er blickt starr vor sich hin. Mahil schläft so still, daß er tot sein könnte. Zuweilen rauscht ein matter Windstoß – saftgefüllte Stengel knirschen. Ein großer Atlasspinner flattert herein und hängt sich braun und violenfarben mit vielem Schwingenzittern an einen Bilderrahmen. Es ist das halblebensgroße photographische Porträt Antjas. Einige Eidechsen belauern den Falter ruckweise pirschend, doch lassen sie ihn in Ruhe. Er ist zu groß für sie.

»Meine Ausspannung hätte ich jetzt,« denkt Kehmerdill. »Es ist ja ganz schön, so allein.« Das Glas wird leer; er schenkt sich nach. »Mir scheint, in letzter Zeit entwickle ich Talent zum Alkohol . . . Was sagst du dazu?« Seine Augen drehen sich grell ins Leere. Djodok draußen im Gerten, als höre er die einsamen Worte, rüttelt an seinen Stäben. Die Stille vergrößert die Geräusche. Kehmerdill lauscht auf und geht in den Garten.

Auf dem Rückweg führt er den Gibbon an der Hand, der dankbar glucksend neben ihm herwatschelt. An der Treppe läßt er ihn los. Djodok beäugt Mahil, begreift mit dem Einverständnis indischer Kreatur dessen Schlaf und folgt dem Doktor ins Eßzimmer. So ist dieser nicht mehr allein. Er gibt Djodok eine Bananentraube und weist ihm einen Korbstuhl an. Dann setzt er sich wieder an den Eßtisch unter die Alabasterampel. Djodok ist glücklich, weil er ins Licht kommt, weil man sich um ihn kümmert. Sein Betätigungsdrang flaut ab; wie ein kleiner Schiffergreis mit weißem Kehlbart sitzt er dort und zieht mit den langen Fingern Fasern aus den Fruchthäuten. 88 Bisweilen schickt er einen braunen Blick, treuherzig, freundlich alert, zum Doktor hinüber: den Blick Mahils.

»Was hat Antja ein Wesens gemacht mit diesem schwindsüchtigen Affen! Verständlich ist das ja; – welch' behagliche Zeitausnützung kurz vor dem Verlöschen!« In der Tat läuft die Lebensuhr des kleinen Greises aus den Tenggerbergen bald ab; hinter ihm steht schon sein Tod, ein Affenskelettchen vielleicht mit einer Sense; die wird schon die nötige Schwungkraft haben, um Djodok schmerzlos zu köpfen. So beschließt sich harmonisch ein tragisches kleines Dasein. Nichts bleibt von ihm übrig als das Echo vieler »oks«, wie Regentropfen verhallend.

Der Korbstuhl knarrt. Die Blätter draußen klingen wie das Rauschen eines pfauenblauen Kleides. Ununterbrochen geht, im Knacken der Dielen, ein leichter launischer Schritt hin und wieder. Goldbraunes Haar, zurückgeschüttelt von weißer Stirn . . . Ganz große, graublaue Blicke, Mutterblicke, Geborgenheit. Weiße Haut, kühl wie die Schale einer Mangga. Warmer Celloklang einer Stimme, kurzes Stakkato verständnisvollen Lachens . . .

Nora.

»Was meinst du?« fragt Kehmerdill in die Luft hinein.

»Ok,« sagt Djodok und fährt mit den Armen durch die Luft wie ein erschöpftes Klageweib.

Der Doktor hält eine Rede. Er nimmt einen Schluck, wischt sich mit einem gewissen gelbseidenen Taschentuch den Mund und dreht sich mitsamt dem Stuhl nach der Richtung des Kameraden. Djodok 89 erduldet die Ansprache mit abirrenden Augen. Er gerät über die Stuhllehne und demoliert sie bedächtig mit der Miene eines Mannes, der sich am Telephon Notizen macht.

»Du verzeihst, Verehrter, eine gewisse Zurückhaltung. Wie du begreifst, spricht man sich ungern Unbeteiligten gegenüber aus . . . Aber der Grad deines Desinteressements bürgt mir dafür, daß du mit einem Geständnis keinen Mißbrauch treibst. Du willst doch nicht, sollt' ich denken, die Schuld der Taktlosigkeit mit ins Grab nehmen. Ja, deine Auflösung naht! Du bist ein hoffnungsloser Phtisiker; also diene als Schallmuschel.«

»Ok!« sagt Djodok. Seine wandernden Augen haben einen Gegenstand entdeckt und heften sich daran. Kehmerdill lächelt schlau.

»Du betrachtest jetzt dies gelbe Taschentuch in meiner Hand. Deine Vermutung, es sei diskreter Herkunft, trifft fast zu. Es erübrigt sich aber, daß du das Objekt persönlich untersuchst. Bleib sitzen – sitzen!! –; es ist schon wieder in meiner Tasche. Ein Damentaschentuch, wirst du dir jetzt sagen; eigenartig. Es duftet nach einer Dame. Stimmt. Es duftet nach einer gewissen Frau Erdbrink, mit Rufnamen Nora. Sie hat es mir geschenkt. Es ist ein Zauber.«

»Ok, ok,« sagt Djodok.

»Wie, bitte? Du zweifelst? Nun ja, ich habe renommiert. Die Dame hat mir noch nichts geschenkt, obwohl ich sie ungewöhnlich schätze. Sie ist sozusagen mein erstes Erlebnis. Diese Tatsache – meinst du nicht auch? – legt ihr gewisse Verpflichtungen, oder 90 wollen wir sagen: Rücksichtnahmen auf! Es hätte also nichts geschadet, wenn sie's mir wirklich geschenkt hätte . . . Keinen Augenblick wäre ich verblüfft gewesen! Kassiert hätte ich's. Aber man muß ihr was zugute halten. Sie hat an eine Menge Sachen zu denken. Zum Beispiel an ihren Mann. Da wird sie zerstreut; neulich hat sie sogar aus lauter Zerstreutheit eine halbe Röhre Veronal geschluckt. Kann passieren . . . So hab' ich das Taschentuch einfach stibitzt, während sie ihren Dauerschlaf schlief.«

»Ok, ok.«

»Ja, das sagst du . . . Nun, siehst du, in menschlichen Sachen muß man nicht alles so auf die Wagschale legen. Das verführt zur Spitzfindigkeit. Was ich sagen wollte – (neuer Schluck) – du warst mir bisher unsympathisch. Heute hast du mich bekehrt; du bist ja ziemlich verständnisvoll. Deine Besitzerin verdarb mir den Geschmack an dir. Man machte zuviel Geschrei um deine Person, und ich bildete mir ein, du stecktest dahinter . . .^ Kehmerdill lacht kurz durch die Nase. »Jawohl: Du und dein Wohlergehen – das war wichtiger als ich.« Halb ist er sich dabei bewußt, daß er diesmal ein wenig schwindelt. Denn Antja hat sich schließlich Müh genug gegeben auf ihre ungeschickte Art. Aber irgendwie muß man sich doch rechtfertigen! Es ging doch so nicht weiter! Ein leerer Teetopf war sie mit verdorrtem seelischem Bodensatz! Wenn man daran pochte, klang er hohl! Ein Kind war sie, nun ja; aber ein unbegabtes! Und das kann kein Mensch vertragen! Allzu lang hat er diese dicken Arme voller Goldspangen, diese träg 91 rollenden Augen, diese metallisch-monotone Sprache um sich erduldet!

Ist er brutal? Nein, er ist es nicht, er kann es nicht sein: ein Mensch, der solcher Leidenschaft fähig ist, wie soll der brutal sein? Haßt er nicht das Brutale? . . . Seine Augen verschleiern sich.

Die Ansprache an Djodok ist längst verklungen. Der Doktor sitzt reglos und seine Lippen flüstern unhörbar, als formuliere er mühsam eine Vision. Ein großes Gespenst ist da, das Erdbrink gleicht. Und eine vollkommen liebenswerte, verwöhnte Frau, zierlich an Geist und Leib, tappt willenlos mit kleinen nachtwandlerischen Schritten in die Umarmung dieses Gespenstes hinein und in eine Buhlschaft, die Alpdruck ist und Selbstvernichtung.

Er steht kerzengerade auf. Schweiß bedeckt seine fahle Stirn. Als er gegen den Korbstuhl rennt, ermannt er sich. Djodok, mittlerweile entschlummert, erwacht und turnt mit gellendem Schnattern über das Geländer.

Auch Mahil schreckt auf und starrt schlafblöde herüber. Als er seinen Herrn erblickt, kriecht etwas wie abergläubische Furcht in sein Auge. 92


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