Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Europäisches

Nas ist dreimal geschieden, das gehört sich so für einen Küstenmalaien, der auf sich hält. Wo unter der Sonne dieser Insel seine verflossenen Gattinnen schwere Palmbastkörbe voll Durianfrucht oder singend empfohlene Limonaden schleppen, ist ihm unbewußt. Ebensowenig ahnt er, in welchem Kampoeng seine von Reisschlamm geschwärzten Kinder sich balgen. Wenn er sich auch dreimal beim Kadi losgekauft, so übernimmt eine nebelhafte Person, gemeinhin Allah genannt, die sich aus seiner animistischen Seele hervorschält, weitere gütige Verantwortung für sein Schicksal. Zurzeit ist er mit der Babu des Doktors vermählt. Nun hockt er, wie immer mit aufgerecktem Oberkörper, angespannt, auf dem Führersitz. Drei seinesgleichen würden, trotz der Kleinheit des Chevrolets, vorn noch Platz finden. Seine nackten Füße sind am Beschleuniger tätig, und seine kleinen Hände, nervig, Stahlklammern voll Feingefühl, spielen mit gewagtem Griff am Lenkrad.

Der Wagen fegt um den Koningsplein herum; rings an den Seiten des ausgedehnten Wiesenquadrats blitzen die Lichterschnüre und erzeugen einen helleren Dunst unter dem schwarzblauen Himmel. Die Hupe 18 grölt und kläfft. Fünf Minuten schnurrender Raserei vergehen, begleitet vom Glockenlärm der einrädrigen Ponydroschken, von aufkreischenden Unterhaltungsfetzen, vom Gelächter und Zungenschnalzen abendlich flanierenden Pöbels . . . Dann schwingt sich der Wagen in die Einfahrt von »Daendels Hotel«.

Der Doktor steigt aus. Im Hintergrund des bestrahlten Ganges, der zum Speisesaal führt, lauert schon ein Boy, der eilig herzurennt und ihm eine Zimmertür zeigt. Auf sein Klopfen wird sie von einem sehr großen Herrn geöffnet, der den Doktor unweit des Bettes zu einem Stuhl bittet. – »Erdbrink, aus Hamburg,« stellt er sich mit monotoner Stimme vor. »Es ist offenbar, wie ich schon sagte, eine Vergiftung . . .« Er schiebt die Falten des Mückennetzes, dessen kahler weißer Würfel dem halbbeleuchteten Raum etwas Totes gibt, auseinander und rafft sie über die Hornhaken: da liegt in braunseidenen Pyjamas das reizvollste Geschöpf, auf das der Doktor je Augen legen durfte. Er hebt den federleichten Arm und tastet daran entlang wie am Hals einer Violine. Der Puls ist schwach und intermittierend. Die Frau, mit geschlossenen Augen, atmet hoch und schnell; zitternd regen sich die mädchenhaften Brüste unter dem nachgiebigen Stoff, unter dem sich der Körper deutlich abzeichnet.

Ihr Alter muß zwischen 25 und 30 liegen. Dieser Leib ist jung; die Erfahrung hat ihn verschont und sich nur mit einer kleinen Falte zwischen den Brauen eingezeichnet, einer leichten Verfinsterung . . . Die 19 Gesichtshaut, mit einem Hauch von Honigfarbe, ist zart geschminkt. Das Antlitz ruht mit trotzigem Ausdruck, den Mund an den Winkeln gesenkt, in einer Masse ungebärdigen, braungoldnen Haars . . . Die Nüstern der feingebogenen Nase hauchen leicht und schnell unregelmäßigen Atem über die Oberlippe. Man ist versucht, an einen hübschen Knaben zu denken, einen übermüdeten Kammerpagen etwa, der in bleiernem Schlaf ertrunken ist . . . Die schmalen Hüften verstärken den Eindruck.

Der Doktor zeigt bei der ersten Untersuchung nichts als Sachlichkeit. Und doch ist dies ein Ansturm von Lieblichem; das schöpferische Europa in bester Laune, das sich hier unter dem Mückennetz eines tropischen Hotels entpuppt. –

»Speisenvergiftung?« fragt er.

»Möglich,« klingt die Stimme des anderen aus der Ecke des Raumes, monoton, in völliger Hoffnungslosigkeit. »Aber auch möglich, daß es hiermit zusammenhängt . . .« Er zieht eine leere Glasröhre aus der Tasche und reicht sie dem Doktor. »Ich fand dies unter dem Bett.« – Hastig nimmt Kehmerdill die Röhre entgegen.

»Veronal!! – Wieviel Tabletten waren noch da?«

»Mir unbekannt,« flüstert Erdbrink und stößt einen ungeheuren, hohlen Seufzer aus, der einen leisen Dunst nach Alkohol herüberträgt . . . »Es ist nicht das erstemal, daß sie mir einen derartigen Streich spielt. Sie will mich damit necken.« Seine Stimme klingt zerborsten. »Logik ist nie ihre Stärke gewesen . . . Schauerlich extrem ist das alles . . .«

20 »Lieber Herr, wir dürfen jetzt nicht philosophieren. Wir müssen retten.«

»Gut,« sagt Erdbrink brüsk. »Retten Sie.« Der Doktor starrt ihn kurz an: er erkennt seinen Zustand.

»Setzen Sie sich ins Nebenzimmer; ich werde Maßnahmen treffen.« Und nachdem er den Djonges nach der Apotheke geschickt, setzt er sich wieder an das Bett und versucht, das heisere Flüstern des weißblonden Riesen, das aus dem Nebenzimmer dringt, zu verstehn. Diese Bemühung gibt er bald auf. Seine Jacke beengt ihn. In Hemdsärmeln sieht er aus wie ein Mann, der sich zum Ringkampf rüstet; diesmal gilt es einer ihm vor zehn Minuten noch völlig Unbekannten, die er seit seiner Jugend kennt; ja, ein geheimster, ältester, brünstigster Wunsch hat Fleisch und Bein gewonnen und ist im Bereich seiner Hände . . .

Hier liegt nun dieser Page in Pyjamas, im Veronalstupor, und beschert ihm Rätsel über Rätsel. Er faßt wieder nach dem fadendünnen Puls. – »Ein knappes Rennen wird das,« murmelt er und verflucht sich, daß er es versäumt hat sich gegen die äußerste Eventualität hinreichend zu rüsten. Erdbrinks Worte am Telephon haben ihn den Ernst nicht ahnen lassen. – »Meine Frau ist nicht wohl . . .!« – Wie oft hat er in seiner Praxis diesen gleichen Satz gehört! Und fast immer war es Konstipation oder ähnliches; zu wenig Bewegung; zu fettes Essen . . . Ja, die Unbehaglichkeiten dieser Holländerinnen sind ziemlich eindeutig. Er springt nach bestem Gutdünken mit ihnen um; er legt ihnen Pferdekuren auf oder jagt sie für vier Wochen ins Gebirge . . . Doch das Geschöpf 21 hier neben ihm erfordert mehr Verständnis; das ist kein Fall für Aspirin; eine finstere, eine radikale Angelegenheit ist es.

Während er sie anstarrt, dämmert Vergrabenstes, Tiefstes auf und wird plastisch. Ein Kontakt schließt sich zu einer Leitung, deren Draht ins Unterbewußte mündet. Ein magischer Strom trifft die Wurzeln seines Daseins. Ist sie nur ein kindliches Weib, ein kostbares Spielzeug, mit ihrer Atmosphäre stets bereiter und stets zurückzuckender Körperverheißung? Oder ist sie mehr? Ja, sie muß mehr sein, woher käme denn sonst die kühle Süße einer halbbegriffenen Verwandtschaft und des Heimatlichen, das ihn anweht über Jahre hinüber voll greller Sonne und Tropenmüdigkeit?

Kalter Schweiß bricht ihm aus, und sein Herz schlägt dumpfe Warnung. Wieder schließt er die Finger um das seine Handgelenk; fern, wie unter Watte, rieselt das Leben.

Er reißt die Augen weit auf. Unter dem Baldachin des Moskitonetzes kreist eine eherne Stille. Großer Gott, warum hört er nichts? Wo bleibt das Bimmeln der Sados draußen, das Röhren der Hupen? Ihr Gesicht leuchtet wie eine weiße Tulpe. Zwei, drei Minuten sind nötig für dies Rezept; nun dauert es schon Äonen . . .

Er flößt ihr Whisky ein, den er in einer halbleeren Flasche auf der Konsole findet. Gottlob, ein paar Schluckbewegungen; der Körper zittert. Es kann sein, daß sie die Krise übersteht. – Endlich kommt der Boy zurück; Kehmerdill füllt die Spritze und drückt die Nadel 22 in die Vene. Erdbrink kommt schlürfend aus dem Nebenzimmer und stiert herüber.

»Ich denke, wir können hoffen,« spricht Kehmerdill dürr. »Sie wird jetzt einen Dauerschlaf halten; die Injektion wirkt gut. Bei Komplikationen rufen Sie mich . . . Wenn sie aufwacht, Bouillon mit Kognak. Eiswickel, zweistündlich erneuert . . .«

Er geht, kühl grüßend. Im Auto entnimmt er seiner Tasche ein gelbseidenes Tuch, das er aus der Gürtelfalte des braunseidenen Pyjamas entnommen – schlechthin gestohlen! – hat; er drückt es an den Mund und schlürft den Duft. 23


 << zurück weiter >>