Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Der Raden Kusuma

Eigentlich – (und hier ergreift der Berichterstatter von des Doktors Verwirrungen selbst das Wort) – müßte man dem Raden Kusuma den ganzen Schwanz von Titeln gönnen, den er als Erbe des ausgemerzten Fürstentums in Westjava hinter sich herschleppt. Er hat ein halbes Dutzend von Namen, die sich künstlerisch steigern, um in Mangoenkoesoema auszuhallen. – Nun, der Einfachheit halber: nennen wir ihn »Kusuma«.

Kein weißer Tropfen rinnt in ihm. Er ist ein schlanker Mann von etwa Dreißig, mit einem Schauspielerkopf. Sein hellbraunes Gesicht ist von Natur bartlos. Mit seines Schöpfers feinstem Pinsel hingesetzte Brauen steigen rund in die glatte Stirn; seine Augendeckel, bläuliche Blätter, sind leicht bepudert, und unter diesen feindurchbluteten seidigkrausen Kapseln rollen Augen von flüssiger Schwärze. Ihr Dunkel verschmilzt mit dem Wimpernkranz, wenn er lächelt; dann zieht er gleichsam den Vorhang zu einer Ritze, hinter der die schwebend grübelnde, selbstbeherrschte Anmut seiner Rasse wetterleuchtet.

Sein Wagen ist leise knirschend vorgefahren; jetzt tritt er ins Haus. Er ist europäisch, in einen 47 rohseidenen Anzug, gekleidet. Seine Hauptfrau, die ihm alle Nebenfrauen ersetzt, anscheinend sein Augapfel, wandelt ihm seitlich voran – leicht schwellen die Hüften unter dem kaffeebraunen Sarong, fallen die winzigen Füße in ausgeschnittenem Brokat auf die Stufen . . . Sie trägt eine gestickte Bluse und streckt die beweglichen Finger an steif gehaltenen Armen von sich, als raffe sie einen Rock. Sie wandelt im Dunst eines stillen, starken Parfüms, und ihre Augen leuchten wie Lampen.

Dies liebenswürdige Ehepaar kommt pünktlich um neun Uhr. Kehmerdill begrüßt sie; man nimmt Platz. ›Es ist heute,‹ denkt er, ›vielleicht zweckdienlich, den Großhändler mit diesen Leuten bekannt zu machen. Das wird ihn absorbieren.‹ – Mahil und Nas, der heute mitserviert, bringen allerhand angeschleppt auf Silberschalen: Nüsse, Krokant, Pralinés und Käsestangen, und Kusumas Frau, die Ratu, bedient sich wie ein Eichhörnchen. Ihres Gatten Zähne zermalmen eine kandierte Mandel, und als er sie artig geschluckt, – (eine Zeitspanne, die er zum Beobachten ausnützt und mit sonnigstem Lächeln füllt) setzt er zu der Frage an, wo Mevrouw Kehmerdill sich befinde. Der Doktor hat diese Frage vorausgeahnt und beantwortet sie frischweg damit, daß »Antja krank sei auf unbestimmte Zeit und von ihrer Mutter verpflegt werde; dort sei sie ja auch am besten aufgehoben.«

Bedauerndes Zungenschnalzen. Die Ratu läßt ihre Lampen leuchten; ein leiser tragischer Zug – ist es Mitgefühl? – umwittert ihr Näschen und kraust die niedere Stirn unter dem blauschwarzen Scheitel.

48 Der Doktor ist außerordentlich nervös. Jeden Augenblick gibt er den Djonges neue Befehle. Feuchte bedeckt sein Gesicht; seine Rede ist sprunghaft. Sein eines Ohr, das der Straße zugewandte, streckt sich gleichsam, und wird zu einer empfindlichen Muschel, in der alle Geräusche von draußen Stelldichein halten. Die Eidechsen schnattern; im Garten grunzt ein Gecko. Wenn der Raden sein sanftes, gutturales Gespräch unterbricht, entstehen kleine Verlegenheitspausen. Er weiß viel zu erzählen; er ist ein gutunterrichteter Mann und in Innenpolitik versiert, wie kaum ein zweiter. Er hat mit dem Doktor schon manchen Spaß gehabt auf Kosten von Dingen, die Kolonial-Bureaukraten ehrwürdig sind. Der Doktor erkennt, daß Heyermans außer seinem Taktgefühl noch einen anderen Grund hatte, heute frühzeitig aufzubrechen; er wollte nicht in die Lage kommen, mit dem Raden diskutieren zu müssen.

Endlich ist es zehn Minuten nach neun Uhr, und der schicksalhafte Moment ist da. Der Doktor läßt mit Getöse das silberne Schutzdeckelchen seines Whiskyglases fallen.

Ein Moskito mästet sich an seinem Nacken; er merkt es nicht. Während er das Deckelchen aufhebt, blickt er schnell auf und sieht Kusumas Augen auf sich geheftet mit dem leeren Ausdruck, der beim Orientalen ein Zeichen plötzlicher Nachdenklichkeit ist. ›Der Raden merkt etwas,‹ denkt er und beschließt sich zusammenzunehmen.

Es ist auch die höchste Zeit, denn Nora Erdbrink betritt soeben, von ihrem Mann gefolgt, die Veranda. 49 Mit kleinen leichten Schritten in perlgrauen Schuhen geht sie auf den Doktor zu und berührt mit ihrer zarten schmuckbeschwerten Hand seine fiebrige feuchte, an der nichts sitzt als ein rohgearbeiteter »Schlangenring«, ein Amulett seiner Verwandten. Er hat vergessen ihn abzuziehen. ›Im Lauf dieses Abends noch,‹ denkt er und starrt halb abwesend auf die stumpf blitzenden Steine, ›ziehe ich ihn ab, sonst bringt er Unglück . . .‹ – Nora blickt lächelnd auf die anderen Besucher und flüstert mit ruckweisen Bewegungen des Köpfchens: »Also sind wir doch nicht die Ersten, wie?«

Kehmerdill stellt vor. Er entwickelt überstürzte Geschäftigkeit. »Gute Freunde,« bemerkt er, »von denen Sie, Herr Erdbrink, manches Passende erfahren können . . .« – Nora setzt sich. Das mattblaue Seidenkleid spannt sich an den Knieen. Die perlgrauen Strümpfe sind bis zu der Grenze sichtbar, die eine freigebige Mode gerade noch gestattet. ›Sie ist doch fünfundzwanzig,‹ denkt der Doktor.

»Sehr erfreut,« spricht Erdbrink und reicht seine große Hand umher. Er lächelt und der Ausdruck seines grobgeschnittenen Gesichtes wirkt melancholisch, weil die traurigen Augen unbeteiligt bleiben. Sie verlieren kaum etwas von dieser rätselhaften Unbeweglichkeit, als er sie in die funkelnden Pupillen der Javanerin senkt. Nur ein paar Fältchen in den Winkeln deuten kümmerliches Interesse an, das sich kaum unterscheidet von mattem Wohlwollen . . . Alle folgen dem Beispiel Noras und setzen sich. Mit ihrer melodischen, raschen Stimme erklärt sie: »Paul hatte sich verspätet. Die Chauffeure hier sind so schwer 50 von Begriff. Wenn man ihren Jargon nicht kennt, darf man ihnen keine richtigen Straßennamen nennen. Man muß sich, glaube ich, in Beziehung setzen zu ihren Ställen oder Bambushäuschen . . .«

»Man braucht natürlich,« sagt der Doktor, »für die erste Zeit einen Dolmetsch.«

»Nicht bloß für die Kutscher!« fügt der Raden hinzu. Er schmückt seine Einfälle, mögen sie auch sachlicher Natur sein, mit einem perlenden Gelächter. Kehmerdill kennt die tiefe Bedeutungslosigkeit solchen Scheinhumors. Die sprudelnde Lebensfreude, die scheinbar aus jeder Belanglosigkeit Honig saugt, ist Teil des »Adat«, der javanischen Sitte.

»Es ist angenehm, Herr Kusuma,« sagt Erdbrink und meint es sehr nett, »daß bei Ihnen kein Dolmetsch nötig ist. Ich beneide Sie um Ihr Sprachtalent. Ihr Deutsch ist fast akzentfrei . . . Erstaunlich.«

»O lala,« sagt der Raden und fächelt die Bemerkung mit gespreizter Hand hinweg, als enthalte sie eine gewaltige Schmeichelei; ja, er krümmt sich fast im Stuhl. Sein Gelächter perlt. »Akzentfrei . . . nun ja, man gibt sich Mühe. Mein Freund Kehmerdill sorgt dafür, daß ich das Stottern verlerne.« – Plötzlich umspringend: »Ich kenne Ihr großes Land, Herr Erdbrink. Ich bewundere es.«

Nora nimmt ihr Taschentuch vor den Mund. Mit einer Stimme, in der verschlucktes Lachen bebt, wendet sie sich, beherrschte Weltdame, an die Ratu. »Sie sind beneidenswert; Sie haben einen begabten Mann . . .«

Die kleine Ratu weiß, da sie deutsch angesprochen wird, einen Augenblick nicht Bescheid. Immerhin 51 strahlt sie auf, und sagt auf holländisch: »Sie sind sehr gut, Mevrouw.« Ihre Augen ruhen versonnen auf der Europäerin. Ein Gemisch von Gefühlen beherrscht sie. Kehmerdills Blick, der sich zuweilen an der deutschen Frau geradezu festsaugt, entgeht ihr nicht. Das Klappern des silbernen Deckelchens, jenes kleine schicksalhafte Geräusch, hatte die Ratu zusammenzucken lassen. Sie ist mit Antja befreundet. Ihr feines Näschen wittert Unrat; doch alle Schlüsse, die zu ziehen wären, sind noch wolkig. – »Der Raden,« fährt sie tapfer fort, »spricht sechs Sprachen.«

Nora mustert den munteren Herrn in seiner gebatikten Turbankappe mit etwas respektvollerem Interesse. Die kleine Ratu folgt ihrem Blick und sagt fast entschuldigend: »Das kam ganz von selbst; er war jahrelang in Europa.«

»Nun,« meint Nora, »dann hat er ja seine Zeit ausgenutzt. Paul spricht nur Englisch. Das hält er aber für gut.«

»Es ist passabel,« murrt Erdbrink. »Man versteht mich.« Alle lachen, doch weiß keiner so recht warum. Man ist von der Sonnigkeit des eingeborenen Pärchens angesteckt; das wird es sein. Und außerdem ist das Prinzip »Keep smiling« bei der Unterhaltung wie Öl für einen Motor. Der Doktor beglückwünscht sich insgeheim zu seiner Idee.

Er verkündet: »Kusuma hat eine große Karriere vor sich. Hier kann er sich aussprechen; er ist hier auf ganz neutralem Gebiet . . . Bei uns ist alles gut aufgehoben, was? – Deine Rede neulich im Volksraad war glänzend.«

52 »Herr Kusuma ist so bescheiden,« zwitschert Frau Erdbrink. In der Tat: Kusuma hat sich vor lauter Bescheidenheit soeben erst die zweite kandierte Mandel genommen und zerknuspert sie. Er scheint nicht willens, über sich selbst zu reden. Er macht eine Geste, die dies dem Doktor überläßt. »Sehr witzig warst du,« sagt der Doktor. »Kein Mensch verübelt dir die Prätendenten-Seele, die neben der sozialdemokratischen in deinem Busen haust. Deine Welfenbestrebung mit Hilfe der Freisinnigen . . . das darf ich doch erzählen?«

»Du wirst es zwar ganz falsch erzählen,« sagt der Raden und senkt seine Lider auf halbmast; »aber wer fällt dem Gastgeber gern ins Wort? – Wenn es deine Gäste amüsiert . . .«

»Wie bescheiden!« seufzt Nora noch einmal; wendet sich aber, da sie ihren Blick von des Javanen schläfrigem Lid ertappt fühlt wie von einer Falle, ostentativ dem Doktor zu . . .

»Es ist im Volksraad,« verkündet Kehmerdill. »Der Oberstkommandierende verteidigt die Flottennovelle. Kusuma erhebt sich darauf und hält eine Rede, die gewissen europäischen Berufskollegen größte Ehre gemacht hätte; eine Rede, man denke sich, die mit dem Passus beginnt: ›Die seltsame Sorge, die den Vorredner bedrückt, scheint dieser mit wenigen in diesem Haus zu teilen . . .‹ – Eine Rede, die von Sarkasmen trieft . . .  ›Zahlt eure Flotte selber,‹ ruft er, ›wir geben kein Geld dafür her . . .‹ Und dies von Kusuma, dem sequestrierten Sultan von Bantam, man denke sich, den ganzen holländischen Militärs und 53 Buitenzorg-Chefs ins Gesicht gesagt, im blendendsten Parlamentsjargon . . . und dann der Höhepunkt! Als jemand die Möglichkeit von Krieg erwähnt, ruft er: ›La guerre... c'est une affaire trop sérieuse pour la laisser au militaire!‹ – Ruft es aus und setzt sich. Prägt ein neues nie dagewesenes Schlagwort, wischt sich den Schweiß ab und schweigt. Verblüffung, Wut. Lachen links. Und das Flottengesetz fällt durch . . .«

Alle applaudieren. Erdbrink, schmunzelnd, wendet sich mit plötzlich erwachtem Interesse dem Raden zu. Nora sitzt, halb zu Kehmerdill gedreht; geschützt vom drüben beginnenden Gespräch zwischen den Männern, spricht sie leichthin, etwas gedämpft: »Ihr javanischer Freund hat es hinter den Ohren . . . Sie haben ihn ausgezeichnet kopiert . . .«

Sie wirft dem Doktor einen schnellen Blick zu; streichelt ihn gleichsam mit dunkler Wimper. Noch vermeidet er es, sie zu betrachten. Er erwidert nachdenklich: »Oh, wir haben manches Mal zusammen gelacht; – über die ›Unterlegenheit der bellenden Krämer‹ zum Beispiel – so drückt Kusuma sich aus – der ›schleichenden Beharrlichkeit des Ostens gegenüber, die sich sacht zum Sieg hindurchwurme‹ . . . Stück nach Stück würden die Volksraadmänner ihre Unabhängigkeit einheimsen, wie man ›Manggafrüchte mit dem Ketscher heimse‹ . . . So gibt es da eine Geschichte von Propaganda in seinem Stammdistrikt, wo er mit Impfkommissionen arbeiten ließ . . .«

»Das ist nicht interessant,« schneidet ihnen plötzlich überraschend der Raden ins Gespräch. Er wirft dies so nebenhin über den Tisch.

54 Kehmerdill blickt erstaunt auf. Doch schon führt der erstaunliche Mann einen für Erdbrink begonnenen Satz ruhig zu Ende.

Das kleine Veto bleibt in der Luft hängen: winziges Blitzen und Verschwinden einer Klaue.

Der Doktor und Nora sehen sich an. Es dauert nur einige Sekunden, doch es genügt für beide, um zu ahnen, woran sie sind.

Sie werden belauscht. – Schon jetzt.

Kehmerdill lacht, schenkt ein und findet ein anderes Thema, was nicht mit dem Raden zusammenhängt – Djodok, den Gibbon. – Doch in Noras Augen sitzt tastende Neugier, mit ein wenig nervösem Schreck gemischt.

Jetzt, da jemand kleine kontrollierende Gebärden macht des Inhalts: ›Ihr sprecht miteinander . . . Darf man fragen, worüber?‹ –, kommt es scheinbar ganz zusammenhangslos zum Vorschein, daß sie einander ganz nah sind, verhängnisvoll nah . . . Wo steckt die Ursache? –

Ist es (Gott verzeih' es seiner dumpfen Eitelkeit) der Raden, der sie stört? – Ist es Erdbrink, der Mann, dessen Frau Veronal nimmt? – Oder ist es die kleine Ratu, die sich mit der ganzen Zierlichkeit ihrer Rasse steif im westlichen Sitz aufrecht hält und dem Ende dieses Abends entgegenlächelt . . .? 55


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