Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Intermezzo

In eine offene Haustür, die eine Füllung von vergoldetem Schnitzwerk trägt, schiebt sich ein junges Weib. Die lackroten Lippen öffnen sich; zwei große weichgeschlitzte Augen, blinkend in purpurbrauner Iris, starren auf Nora wie auf einen Geist.

Tiefverblüfft steht die junge schmalhüftige Person, voll unklarer Andacht; die schlanken Beine beben in schwarzseidenen Hosen. Unter dem straff nach hinten geklebten Haar zittern die Ohrdiamanten; beklommener Atem drängt die Knospenbrüste heraus . . . Nora schenkt ihr einen kurzen Blick. Sie spürt die Betrachtung wie eine Berührung. Die kleine Chinesin lächelt nicht zurück; kein Grübchen tritt in die hochrot geschminkten Wangen; eine Weile noch starrt sie auf die Europäerin mit schlaffen Lippen . . . Dann, wie ein Geist so schnell, huscht sie zurück ins Dunkel. Kaum hört man das Klappen ihrer Pantöffelchen.

»Sahst du sie?« flüstert Nora und packt Kehmerdill am Arm. »Sahst du sie?«

»Jawohl!« erwidert Kehmerdill und bleibt stehen. »Freilich sah ich sie. – Nur zu gut!«

»Einen Malaien,« flüstert Nora erregt, »kann ich verstehen. Aber diese hellen Gesichter schaff' mir weg, 158 Otto. Du findest nicht mehr menschlichen Ausdruck darin wie in Eierschalen.« Ihre Augen tauchen, während sie weitergehen, rastlos in die Krämerbuden. »Spürst du nicht auch, daß ein Hauch von Sinnlichkeit aus diesen lautlosen Schacherhöhlen weht? Mir wenigstens ist so, als würde ich in Gedanken vergewaltigt . . . Ich kann's nicht definieren . . . Wie ein Brand im Kohlenflöz ist das; die Leute kontrollieren sich. Sie machen es mit dem Hirn . . . Es ist nicht mehr triebhaft; es ist ein schlemmerhaftes Taxieren . . .«

»Gewiß, sie taxieren dich,« sagt Kehmerdill, »aber ich weiß nicht, warum du dich beklagst. Wir beide haben doch so viel Triebhaftigkeit zu kosten bekommen, daß eine Abwechslung uns doch nur angenehm sein müßte! Freilich, Antja oder Erdbrink sind keine Chinesen.«

Sie sieht ihn groß an; sie ist erschrocken, daß sie sich plötzlich mit ihrem kleinen Bonmot so wichtig genommen sieht. Denn er hat fast heftig gesprochen . . .

»Aber,« stammelt sie, »ich will ein offenes Feuer; ein gesundes Feuer! Es gibt doch noch ein Zwischending! Läßt du mir denn keine Wahl als Brunst oder Brutalität? – Gibt es nichts Drittes?«

»Du verstehst sie nicht. Was mir an Chinesen gefällt, ist ja gerade ihre Kontrolle über den Trieb. Deshalb setzen sie sich überall durch . . . Sie zerlegen die Weißglut ihrer Sinnlichkeit ins Spektrum; sie stehen neben sich selbst; sie verwandeln ihren Trieb in Kunst, in Zeremonie, in Lebensführung.« –

»Und das Endresultat?« stößt sie mit großen Augen hervor. »Du beschaust deinen Nabel, mein Freund, 159 und bist reif für den Borobudur. Erinnerst du dich an den moosfleckigen alten Herrn, dem ich neulich meine Zigarette gab? – Der war scheußlich allwissend, und hat sein Gemüt verschluckt. Brrr, diese Temperamentlosigkeit . . . Geistig abgeschlachtet hat er seinen Körper, öd und dünnlippig grinst er hinter einem drein; in vertrackter Heiterkeit schwelgt er und Selbstberäucherung . . . Da hast du dein Ideal.«

Er stampft mit dem Stock auf. Er fühlt sich vor das Forum gezerrt. Verteidigen muß er sich, und weiß dabei: er wird Sachwalter des Ostens . . .

»Nein, nein!! – Bei dem, was die Chinesen betreiben, kommt eine selbstgeschaffene andere Welt heraus! – Ein raffinierter Protest ist das, weiter nichts, gegen die wirkliche Welt! Denn so, wie wir Europäer sind, müssen wir unterliegen, weil wir noch nicht so weit sind, daß wir die Dinge beseelen können! Die haben's besser! Die ganze Dämonenhorde der eigenen Brust stellen sie aus sich heraus! Ach, unsere ›Menschlichkeiten‹! Der Chinese entgiftet sie. Er haucht sie auf die Vase; er schnitzt sie als Figürchen, grotesk und lieblich; die Empfindungen kramt er heraus in einen Spielzeugladen und malt sie höllisch oder zärtlich an. Auch für die Erlösung hat er seine Madonna, die mondene Kwannon.« –

Schweigend gehen sie eine Weile nebeneinander.

»Nein, Otto, deine Predigt hat zwar viel Bestechendes, aber ich glaube dir nicht. Für jedes Gefühl eine Puppe zu haben, die man tanzen läßt, ist greisenhaft. Du gehörst nicht zu dem Volk, dessen Kinder fertig auf die Welt kommen mit Haaren und Zähnen. Ich 160 halte nichts von den blumigen Phrasen, die sie an sich verzetteln; ich für meine dumme Person lehne den Osten ab. Ich will leben, leben!« – Wieder packt sie ihn am Arm und späht in seine abirrenden Augen. »Ich fühle mich so lebendig, und möchte auch dich in dies wundervolle Lebensgefühl hineinreißen! Wir haben ja doch schließlich auch unsere kleine Konvention! Genügt dir die nicht? Aber dabei lassen wir uns doch die Zügel locker, wenn wir lieben . . . Man findet das doch natürlich. Was ist denn schon an so einer zweibeinigen Tafelwürze, wie der Puppe vorhin in der Haustür!« Es gelingt ihr, seinen Blick zu finden; halb überzeugt sie ihn, das merkt sie. Er ist ja auch absolut nicht rechthaberisch! Er hat nur in diesem Augenblick, und das weiß sie nicht, an die kleine Dose in seiner Tasche gedacht . . .

Sie durchschaut es nicht. Sie weiß nicht, was so tief vergraben in ihm sitzt und ihn lockt. Sie kennt die saugende Schwäche nicht. Abhängig ist er, ausgeliefert an die Züge, die er in jener Tür erlöschen sah.

Und der Geruch, der sengerig hinter jenen leeren Gesichtern aufsteigt und die Schleimhaut kitzelt mit tückischer Süße, ist das feindliche Prinzip. Und die Hingabe daran, an die schwüle Trunkenheit, ist Selbstaufgabe und Tod. 161


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