Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Beichte

»Höre mal, Koos –« sagt Kehmerdill übers Telephon – »ich hätte jetzt gute Lust ein wenig zu dir herauszukommen . . . Die Geschichte mit der alten Chinesin hat sich zur Zufriedenheit gelöst.«

»Du hast sie operiert?« – Wie angenehm, dies gedehnt gemütliche Holländisch wieder zu hören!

»Nein, ich habe sie zu Hendrijk de Ruyter geschickt, in die Stovia; der verständigt sich besser mit ihr. Ich bin Arzt. Hendrijk kann aber zaubern.«

»Warum lachst Du? – Gewiß wird er zaubern! Ich kenne meine Indos.«

»– Du holst mich ab, Koos? Ich komme mit dem Zwei-Uhr-Zug.«

 

Auf der Plattform in Buitenzorg steht die große makellose Gestalt des Freundes, eine Ledermappe unter dem Arm. Vom Kopf zum Fuß Beamter der »Secretarie«, der weiß, was er seiner Stellung schuldet.

Ohne ein Wort zu sprechen, nimmt er Kehmerdill am Arm und bugsiert ihn in das wartende Auto hinein. Er benimmt sich etwas eigentümlich, dieser korrekte Koos; er sagt nicht hü und nicht hott; er schweigt einfach.

93 Kehmerdill ist es zufrieden.

Das Auto läßt die weite schmiedeeisern umfriedete Wieseneinfahrt, die sich vor dem Palast des »G. G.« (Gouverneur Generaal) breitet, an der nächsten Kurve hinter sich. Der saubere Park entfaltet sich mit grasendem Damwild unter pappelartigen Bäumen und schließt sich wie ein zusammenklappender Fächer, – so schnell geht die Fahrt. Sie sausen in jenem schwebend federnden Tempo, das ein guter »Fiat« gestattet, die Hauptstraße hinunter, dem Gitter des botanischen Gartens entlang; Bambus und Baumfarn, durchbrochen von herrisch hervorgewölbten Teakholz- und Mahagonistämmen säumen den Weg zur Linken, bis das Auto mit einem Ruck vor dem Haupttor hält.

Koos winkt seinem Freund schnell und unauffällig auszusteigen, da er gegenüber an den Limonadetischchen des Toko Rikkers gewisse Leute entdeckt hat. Seine Furcht ist aber überflüssig, weil die Blumenkübel an der kleinen Terrasse im Wege sind.

Koos zieht Kehmerdill in den Eingang hinein und sie schlagen sich gleich rechts in die Bambusbüsche. Sie folgen einem kleinen Pfad, der in die Schaftbündel hineingehackt ist. Schon schwanken die Lanzenspitzen der Blätter in Schulterhöhe. Die Sonne malt Runen auf den Weg: ihr uraltes Palimpsest. Hoch oben wütet sie in kleinen Gassen von Weißblau.

Hier ist man wie in einem Kraal, denn die runden, knotig beringten Röhren, diese Orgelpfeifen täglicher Gewitter, umrahmen das Fleckchen wie ein Palisadenzaun. Stumpf knirschend reiben sie sich 94 aneinander. Mitten auf der Lichtung spielt ein grüngesprenkelter Schwalbenschwanz.

Im Schatten liegt ein niedergebrochener Stamm wie ein gelblackiertes Kanalrohr. Koos setzt sich und Kehmerdill nimmt neben ihm Platz.

Koos spuckt nach dem Schmetterling und stopft sich seine Pfeife. Und als sich der bläuliche Tabakrauch langsam in der stagnierenden Luft verbreitet hat, bricht er das Schweigen.

»Gottverdammich«, sagt er. Seine Aktentasche hat er neben sich geschleudert; seine korrekte Haltung ist gelockert; er sitzt gelöst, perlenden Schweiß im geröteten Gesicht, Hände in den Hosentaschen und flucht. »Es war diplomatisch von dir, daß du nicht gleich mitgekommen bist. Wie die Sache liegt, traf es sich günstig, daß du selber anriefst. Deine Ausspannung ist ja ohnehin vorbereitet . . . Bei denen dort.«

Er weist mit der Pfeife nach der Straße hin. Man merkt, es fällt ihm schwer, sich deutlich auszusprechen.

»Du gesellst dich jetzt ganz zufällig zu uns, wie? Du trollst dich herzu . . . Das macht sich am besten. Du kannst dann selbst sehen, wie die Sache steht.«

»Wie die Sache steht? – Was meinst Du damit?« Kehmerdill steht auf. »Abgesehen vom nackten Gewicht kann man sich diesem Erdbrink kaum unterlegen fühlen. Du am wenigsten!«

Koos lacht trocken. »So sieht es aus. Geistig hat er einem nichts entgegenzusetzen. Aber wenn es je ein primitives Vieh gab, so ist es dieser Mann. Ich will deinen Landsleuten nicht nahetreten . . . .«

95 Kehmerdills Gesicht läuft purpurn an. »Eure Mastbürger sind auch keine Edeltypen!«

»So schlimm wars nicht gemeint,« ruft Koos, fast erschrocken. »Dadurch aber, daß unsympathische Menschen vereinzelt sind, werden sie nicht sympathischer.«

»Ausstehn konntest du ihn ja von vornherein nicht; das habe ich dir angesehen, schon im »Des Indes« . . . Daß er dir aber so erzfatal ist, muß doch einen besonderen Grund haben. Sonst lassen dich Leute kalt, die dir nichts bedeuten.«

»Er bedeutet mir auch nichts. Er nicht.«

»Aha,« sagt Kehmerdill. »Er nicht.«

Er blickt abwesend drein mit dem etwas ältlichen Kopfwiegen, was er manchmal hat. »Merkwürdig, wie unser Geschmack sich begegnet.«

»Ich will beileibe nicht gesagt haben, daß sie mein Fall ist, obwohl ich sie sehr reizvoll finde . . .«

»Ganz richtig. Sehr reizvoll. Doch du bist meiner Frage ausgebogen. Ich meinte, ob was Bestimmtes passiert ist, das ihn dir so verekelt hat.«

»Allerdings.« Heyermans sieht den Doktor von der Seite an. Er pfeift und bemäntelt damit seine Niederlage vor dem Problem, etwas erzählen zu müssen, was seiner biederen, prächtig gebügelten und gestärkten Seele stark gegen den Strich geht.

Vielleicht hat er geplant, eine dramatische Schilderung des Vorkommnisses auf Tjikopo zu entwerfen, bei der man unter Unbeteiligten wohl ein derbes Wort verträgt. Doch dieser Doktor ist zu beteiligt. So will es ihm nicht über die Zunge; außerdem behindert ihn bei seinem trockenen kaufmännischen Idiom 96 Mangel an Ausdrucksmitteln für jenen tollen Fall, der ihm vorschwebt. Kehmerdill sieht ihn an, mit dürrem Hunger im Blick.

»Sag mal Koos: hat sie nach mir gefragt?«

»Ich habe natürlich nicht aus der Schule geschwätzt,« sagt Koos. »Ich kann dir die Versicherung geben, daß sie sich was aus dir macht. Wenn das irgendwie gegenseitig ist, so wirst du wohl bald genug über Erdbrink Bescheid wissen. Das heißt: die Gelegenheit wirst du nicht nehmen, sondern sie wird sich dir ganz zwanglos präsentieren. Genau wie mir. Er gibt sich sehr natürlich. Beinahe wie ein Russe.« – Er lacht sonnig.

»Koos!!!«

»Sitzen geblieben, Doktor; was echauffierst du dich . . . Gottverdammich, das ist zum Lachen. Du bist mein Freund und kannst den Mund halten. Alle Welt nimmt sich Provision. Unser Salär ist nicht gerade erschütternd. Ich werde furchtbar angehaucht und fliege ein paar Sprossen auf meiner Leiter hinunter, wenn es bekannt wird, daß auch ich den Export melken will; aber, was ein Chinese kann, kann ich auch und habe doch gerade für Tjikopo diese Prachtsbestellung vermittelt . . . Meine Kollegen sind ja auch nicht gerade unbegabt darin, aus der Kolonialkarriere einen sorgenfreien Ofensitz herauszudrücken. Nun, da nimmt man, was einem zugeschwommen kommt. Schließlich hat man doch der Wirtschaft des Landes einen Dienst erwiesen . . . Also Mijnheer Erdbrink und ich klapsen uns auf die Schultern, das kannst du glauben; er hält mich für einen Naturmenschen, 97 naiv, schlicht und habgierig, und hat keine Angst wegen seiner Frau . . . Gut für dich. Blendend für dich. Denn darin hat er recht: in bezug auf Mevrouw habe ich Scheuklappen.«

»Mir ganz angenehm.«

»Daß du ein ganz temperamentloser Fisch bist, das weiß er schon und das gefiel ihm sehr. Ha! Arzt in Indien, das ist so etwas wie Zugochse, sage ich. (Bei Erdbrink fallen mir immer landwirtschaftliche Vergleiche ein.) Das hat ihn schon sehr beruhigt. Wenn du nach Buitenzorg kämst, so wäre es ausschließlich meinetwegen; du erholtest dich immer am besten in meiner Gesellschaft. – Ob die damalige Hoteleinladung für dich etwas Besonderes gewesen wäre? – Du lieber Gott, Mijnheer Erdbrink, sage ich, es gehört zu seinen Lieblingsgewohnheiten, daß er ab und zu ein paar Leute aufliest. Dabei hat er vielleicht einen Voyeurspaß . . . Voyeurs, sagt er drauf, sind aber nicht so – aktiv bei der Sache. Ach, sage ich, Sie meinen, weil er ein paarmal getanzt hat. Das tut er aus Höflichkeit, und innerlich flucht er. So, sagt er und lacht, na ja; war nett von ihm. – Damit war die Sache erledigt.«

Hier steht Kehmerdill auf.

In leichtem Winkel, den der Größenunterschied nötig macht, in die treuen flämischen Augen hinaufblickend, schüttelt er die warme Pranke; sein Schnurrbart zittert; seine Wangenmuskeln zucken. Dies gibt ihm etwas Rührendes, und Koos ist es peinlich. Dazu kommt, daß ihm die Sonne auf den Scheitel sticht. Es ist, als hocke jemand mit einem Kodak 98 im Dickicht und zische ihm zu: »Einen Moment bitte, Mijnheer . . .«

Er kann das leise Nebengefühl nicht unterdrücken, daß er sich in dieser unerquicklichen Angelegenheit ziemlich edel benimmt. Und es ist gerade wegen dieses Nebengefühls, daß er an ein blondes weibliches Gegengewicht denken muß, das man in die Schale werfen könne gegen das leicht Fragwürdige, was? das Grazile, Brünette, Allzuschlagfertige . . .

Kehmerdill hat sich beruhigt, zumal ihm die leise Befangenheit Heyermans nicht entgeht. Das Beste ist, er steckt eine McGillavry in Brand und räuspert sich. Möglichst begeistert sagt er: »Das war verflucht anständig von dir, Koos.«

»Das war gar nichts,« erwidert Koos. »Das ist selbstverständlich die nötige Regie. – Ich vermute,« setzt er behäbig hinzu und wandelt langbeinig auf den Pfad zurück, wobei er halb über die Schulter spricht: »Ich vermute doch, daß du mit dieser Dame durchbrennen willst?«

Kehmerdill steht wie gelähmt. Krusten schmelzen, Schicht nach Schicht, von Stumpfsinn, Blindheit, Ermattung und Selbstbetäubung; Krusten von faulen Phrasen, die er auf den eigenen Zustand gehäuft, um seine fiebrige Seele vor dem Frosthauch der Verarmung zu schützen. Und wer bringt dies fertig? Dieser nüchterne Holländer mit einem einzigen kaufmännisch-saloppen Wort.

Dies Wort! Es hat einen Begriff zum Explodieren gebracht, der noch nicht einmal im festen Denken eine Formulierung gefunden! Es hat den Begriff beim 99 Schopf gepackt und ihn mit allen Wurzeln in die Sonne gerissen . . . Noch tropft er von Herzblut, und dem guten Doktor verschlägt es die Sprache.

Koos merkt, daß er ihm nicht folgt; er dreht sich um.

»Na?« fragt er an seiner Pfeife vorbei – »das ist doch wohl das Naheliegendste?«

Kehmerdill atmet aus. »Selbstverständlich. Das Naheliegendste. Denkst du vielleicht, ich hätte was anderes vorgehabt?« 100


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