Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Beim Bilderbuch-König

Drei phantastische Leutchen steigen die Stufen zur Vorhalle hinan. Sie sehn aus, als seien sie aus dem Traumschirm Ole-Luk-Oies zum Leben erwacht. Man erhebt sich, um ihnen entgegenzugehn; der Hofarchitekt stellt vor.

Als erster nähert sich der Älteste, Soerjobroto, ein zwerghafter Dreißiger. Er hebt das flache, bartlose Gesicht mit einer Liebenswürdigkeit empor, die an Schwärmerei grenzt. Als habe man einem rollenden Figürchen einen sachten Stoß versetzt, bewegt er sich auf rund entfalteten Zehen. Kaum kommt die Schoßfalte des ockergelben Sarongs dabei ins Wallen. Sein Gesäß wird, gleich einem Cul-d-Paris, drollig betont durch den Krisgriff, der ihm unter der feingestreiften Jacke steckt. Einschmeichelnd zaghaft und doch voller Würde streckt er die Hand aus, an der ein großer Siegelring sitzt. Er spricht auf Holländisch – es klingt wie Taubengurren aus einem Reisschober –: »Ich freue mich, Sie durch den Kraton geleiten zu dürfen . . .«

Van Kersten – sehr wenig zeremoniell, da zur »Familie« gehörig – klopft ihn auf den Rücken.

»Die Herrschaften wollen einen hübschen Nachmittag 180 bei Ihnen verleben, Pangéran. – Und morgen vormittag stellt Kusuma sie Seiner Hoheit vor.«

»Moie, moie!« sagt Soerjobroto mit Gluckslauten. »Schön, schön! – Der Susuhunan wird tanzen lassen!«

Mit Goldplomben grinsend, unter kurzer Oberlippe, kommt jetzt der Zweite näher: Pangéran Djatti. Hier muß man hinauf lächeln, denn sein Format erfordert es. Seine Stimme kommt pfeifend aus magerer nackter Brust; – eine ausgemachte Kastratenstimme. Der überzüchtete Herr bewegt sich wie ein alter Flamingo und verteilt herzlich schlenkernde Händedrücke. Da er nur malaiisch spricht und zum smaragdgeschmückten Kris ein kurzes Stoßschwert in goldner Scheide trägt, bleibt er, ganz ungezwungen, wirkungsvolle Staffage.

Der Erfreulichste des Kleeblatts, der Jüngste, ist ebenfalls in Hoftracht. Er ist fünfzehnjährig, mit einer Haut wie braunes Gold. – Van Kersten bedenkt auch ihn mit einem Klaps auf den nackten Rücken und schwatzt mit ihm; der kleine Spaßvogel prustet heraus . . . Er zappelt vor Neugier; welch ein Abenteuer! – Seine schwarzen Augen fressen die weiße Frau mit dem Hunger der Jugend; verschmitzt und keck . . .

Soerjobroto schenkt ihm einen Blick pädagogischen Bedauerns.

»Er freut sich,« sagt er voll Demut. – »Vergeben Sie ihm. Er ist sehr laut. Wir schelten ihn . . . Was macht er sich daraus! – Er ist jung; – unser Brüderchen . . .«

»Wie heißt er denn?«

181 Der Name wird ausgesprochen, doch nicht verstanden.

Vielleicht ist es der verschollne Lockton der toten Mutter.


Van Kersten läßt es sich nicht nehmen, seinen Gästen und deren prinzlichen Begleitern sein Auto zur Verfügung zu stellen. Auf dem Verschlag glänzt die Initiale »P.B.X.« – also ist auch dies ein Geschenk Seiner Hoheit . . . Als Prunkstück reiht es sich würdig dessen Sänften und verstaubt feiernden rotgoldnen Kutschen im Marstall an . . . Marke Mercedes ist's aus der Jugend dieser Fabrik; Museumszauber umwittert es. Und das Erstaunlichste ist, daß man wirklich damit vom Fleck kommt.

Es hat das Tempo des verschlafenen Fürstentums. Man sitzt erhöht und wird pomphaft dahingetragen. Unter mächtigem Gerassel und Benzingestank zerteilt man die bunte Menge, die auf Stöckchen gestützt feiernd rastet, um die Majestät der grünlackierten Straßenwalze in kinnschlaffer Andacht anzustaunen . . . Und so stößt man ins Märchen vor; wie ein schimmerndes Rieseninsekt kriecht man unter vorbeischwebenden Waringinbäumen über den großen Platz.

Und dann ist man im Labyrinth weißer Mauern, das zehntausend Menschen faßt, – dem drohnenerfüllten Bienenkorb, dem grünüberdachten einzigartigen Schlupfwinkelsystem: – dem Kraton des Herrschers von Solo. –

 

182 Das Gewitter hat sich verspätet; nun holt es doppelt nach, was es versäumte.

Zwei Reihen geschnitzter Säulen mit goldenen Drachen, die sich schnappenden Mauls in ewig fruchtloser heraldischer Empörung an roten Trägern emporwinden, stützen ein gewaltiges Wellblechdach. Die Wände ringsum sind gläsern. Auf den grauen blanken Marmorfliesen, in der Regendämmerung verschmolzen zur dunklen Masse, bemerkt man einen Wirrwarr stummer Instrumente. Nora schmiegt sich in einen leeren Sessel. Kehmerdills Gesicht neben ihr bewegt sich wie ein blasser Fleck, in dem ein roter Funke glüht. Er raucht schweren, süßlichen Tabak. Ihr wird benommen zumut.

Da sind wuchtige Gongs, groß wie Wagenräder, und kleinere tellergroße. Da stehen enorme Pauken. Da blinkt die metallene Tastatur der Gambangs auf orgelpfeifenhaft gestuften Bambuszylindern. Und was lehnt dort, von Soembawadecken verhüllt? Soerjobroto zupft eine der Decken weg und entblößt eine einsaitige Violine auf feingedrechselter Elfenbeinstütze.

Dann lassen die drei Prinzen sich im Hocksitz nieder. Nicht wie das Volk mit dem Gesäß auf den Fersen: nein! Sie arrangieren sich blitzschnell mit einem Handgriff an den eigenen Sohlen . . . Ihre Sarongs kriechen im Kreuz empor, ihre Krisgriffe glitzern stumpf; so sinken sie zwischen die Instrumente. Und während draußen die weiße Wassermauer steht, während die ganze Halle erfüllt ist vom Regengetöse, spielen sie.

Ihre weißen Gebisse leuchten. Schräg spähen sie hervor, wie ertrinkend hinter den Gestellen. Sie sind heute auf Urlaub; vornehmen Fremden haben sie 183 den Kraton gezeigt . . . Das Waffenarsenal, die Geschirrkammern, den Marstall, die Brautgemächer, die Pavillons, das Haus der Ratu . . . Ein Andersen-Bilderbuch haben sie aufgeschlagen mit zögernden Fingern; mit gespitzten rötlichen Nägeln hingewiesen auf Bedeutsames: auf goldene Bäumchen in Silberkübeln, auf Plüschsesselpracht, auf Prunkaufnahmen der Sultane von Lippe-Schaumburg und Mecklenburg; dazwischen hingen farblosere Sultane in schwarzen Gewandungen, die gleichwohl ziemlich mächtig schienen . . . Die Fremden haben sich sehr gefreut und viel gelacht; sie sind zufrieden. Nun dürfen die Prinzen auch ihre Gedanken auf Urlaub schicken. Der öde Hofdienst gibt sie nun frei. Welcher Art diese Gedanken sind, weiß nur Gott, der im Regen ist und im Großen Gamelang. Draußen paukt Er Seine Gongs, bläst Er Seine Vogeltriller.

Tiefer Metallton schallt. Quintenfolgen wandern hinab, vogelfüßig in Viertelstönen auf klimpernder Leiter, um dann aufs neue begleitet von leisen näselnden Stimmen ihren Irrlauf tonaler Inbrunst anzuheben . . . »Penk-Zink« macht das Gambang. Es schollert das Doppelgong. Der mächtige Bogen rührt sich: süß zirpt das Monochord. – Und dahinter donnert der Regen.

– – – Nora schlüpft vom Sessel und tritt an die gläserne Zwischenwand, die zur nächsten größeren Halle, der Audienzhalle, führt. Fast fährt sie zurück.

Wie gemalt, sieht sie dort Figuren. Zuweilen laufen Tropfen über die Scheiben und trüben das Bild. Sie sieht eine Vitrinenfigur, einen Pagodengott. Und 184 dieser, dick und amüsant, weißgolden uniformiert, gibt von einer Treppe herab Audienz. Der Mund klappt auf und zu wie der eines Korallenfisches: die drei Kinne beben wie Kiemenspalten. Er sitzt an einem Tisch; rezitiert er eine Begrüßung?

Keilförmig drunten in die Halle vorgeschoben hockt eine kleine Besuchergruppe in javanischer Hoftracht, die Krisgriffe aufgestellt im nackten Kreuz, mit weißen Kegelhüten . . .

Plötzlich spürt Nora ein kindlich zartes Zupfen am Arm. Der zwerghafte Soerjobroto steht neben ihr. – »Kusuma!« flüstert er. Gleichzeitig dreht der Mann, der an der Spitze der Gruppe hockt, den Kopf und starrt sie an. Sie nickt langsam: Erkennt er sie? Die Tropfen rinnen übers Glas. – Ist dies Kusuma?

Eine nackte Brust mit hellen Warzen? Glatte leuchtende Haut? Harmonisches Muskelspiel und rassigstes Ebenmaß . . .? – Er hockt sehr gerade; auf seinem gebauschten Sarong, der die gespreizten Knie verhüllt, verästeln sich mattblaue Muster. Sein einer Arm stützt sich auf die Fliesen; seine Haltung ist von ungezwungenster Grazie; und immer noch starrt er herüber.

Dünnlippig, schattenhaft lächelt er. Welch ein wissender Kopf ist das! Diese feingezeichneten Brauen sind doppelt so alt als sein Leib. Schimmer von Zähnen erscheint und verschwindet . . . Gleich darauf gefriert wieder seine Miene; die Hand tastet nach dem Fuß und bettet ihn bequemer; sein Gesicht dreht sich ins Profil . . . Aber Nora hat noch dies langgezogene Lächeln gesehen, dies etwas spöttische Lächeln 185 unerhörter Selbstgefälligkeit und triebhaften Behagens, das von ihr zurückglitt auf seine eigene Person, auf seine Juwelen und seinen halbnackten Leib . . .

Nun sitzt er wieder wie eine Puppe, wie ein Bild, gebändigt vom Rituale, das der Wanst in Weißgold dort oben verzapft.

Schwäche gleitet in ihre Knie. Dieser Mann hat sie mit einem Blick zu entkleiden vermocht. Sie setzt die Zähne in die Lippe. Und nun merkt sie, daß sie auch von anderen Blicken betastet wird. Kaum fünf Meter vor ihr hinter der Glaswand hocken zwanzig Frauen.

Sie sind in dunkelblaue Tücher gewickelt und sehr schön. Sie ordnen mit doppeltgeknickten, beweglich entspreizten Fingern prachtvolle Haarknoten, stecken Brillanten um, betasten Schildpattkämme, zupfen hier, zupfen dort. Zuweilen dreht sich ein feingeformter Nacken, wandern Blicke herüber voll lüsterner Neugier. Noras Augen irren zwischen ihnen umher und bleiben wieder an Kusuma haften.

Dieser hockt reglos.

Auf einmal wirft er, unvermutet, seinen Kopf herum wie ein Falke.

Ihr ist, als werde sie angesprungen. Das Blut steigt ihr ins Gesicht.

Da fühlt sie, daß Kehmerdill neben ihr steht. Sie tastet nach seiner Hand. Es ist eine kalte Hand, mager, schwach, feucht von Schweiß. Ihr schaudert; sie hat einen warmen Griff erwartet. Schweigsam und forschend sieht sie ihn an.

Dort drüben hinter der Glasscheibe, steht der 186 Susuhunan auf. Leicht fällt es ihm nicht, seines Bauches wegen. Er spreizt die Fingen, hebt die Arme: das mohammedanische: »Geht mit Gott!«

Kusuma löst seinen Hocksitz auf und erhebt sich. Hinter ihm verlassen seine Verwandten den Saal, im Krebsgang schreitend, die Gesichter stets im Antlitz des Erhabenen, der dümmlich auf sie herabglotzt aus eingefrorenen Liderritzen. Auch die Hofbeamten verschwinden.

Kusuma geht langsam zum Herrscher. Während dieser ihn begrüßt und in seiner Gesellschaft mit rundgebognen Armen schlenkernd unbeholfnen Schritts den hinteren Türen zustrebt, erheben sich auch die Frauen; fast gleichzeitig. Weitausholend raffen sie ihre Gewänder um Schultern und Brüste und folgen den beiden, hüftenwiegend hintereinander schreitend.

»Er hat es leicht,« sagt Nora. »Er kann aus dem vollen schöpfen.«

»Das kann er wohl,« sagt Kehmerdill. »Aber das verschmäht er. Er benutzt sie nur zum Zweck, um sich das Essen vorschmecken zu lassen . . .« 187


 << zurück weiter >>