Willy Seidel
Schattenpuppen
Willy Seidel

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Schweres Geschütz

Es ist wohl eine Woche verflossen seit der Raden Kusuma zwei überstürzte Besuche erhalten hat – den einen am frühsten Gottesmorgen, und den anderen abends. – Er versieht sich keiner Überraschung mehr. – Da, parbleu! – bricht man wieder durch seinen Zaun.

Es ist der große westliche Kapitalist, der damals bei ihm vom Stuhl gefallen ist; – der ein solches Wesen gemacht hat wegen des Doktors Adresse . . .

Es gibt diesmal kein so hervorragend herzliches Begrüßungs-Hinundher. Dazu ist man beiderseits viel zu sehr auf der Lauer. Trotz solcher Vorsicht weicht Kusuma zwei Schritte zurück; wird gleichsam hinweggepustet von der maßlosen Gradlinigkeit, die der Kapitalgewaltige diesmal zeigt. Denn Erdbrink ist in der Offensive.

Er hat Verdacht geschöpft; er gibt sich keine Mühe, ihn zu verbergen. Er steht halb über den Tisch gebeugt, auf den er seine mächtigen Fäuste stemmt, und lästert ohne Hemmung, in deutlichen, groben Worten. Zwei scharfe Falten haben sich in seinem früher gutgepolsterten Gesicht eingenistet; das gleichmäßige Grau der Haut glänzt wächsern. Auch ist er schlanker geworden. Seine Bewegungen lassen das schaukelnd 162 Seemannsmäßige vermissen; – er bewegt sich schnell und knapp. Kusuma nimmt dies alles mit Erstaunen wahr. Seine zischelnden Verbindlichkeiten sprühen heute nicht wie aus kleiner Gartenfontäne, die bunte Bälle schleudert. Nein, das Brünnlein versiegt vor dem grellen Blick Erdbrinks; nur ein paar schnell verdunstende Tropfen kann es geben . . .

Und der Raden wird diesmal wirklich böse. Sein Lächeln, das er bis jetzt erstaunlich unbefangen festgehalten, erlischt. Er senkt die Augen. Seine feingezeichneten Brauen steigen zum erstenmal tief herab und vermählen sich über der Nasenwurzel. Einen einzigen dunklen Strich bilden sie; die eine Hand Kusumas schiebt sich in den hochgeschlossenen Jackenkragen, wie um diesen zu lockern. Alles an ihm ist gestrafft.

»Neulich,« sagt er (in Lauten, die immer noch gurren, aber trotzdem etwas drohend Langgezogenes haben), – »wurde hier festgestellt, daß ich nichts weiß. Doch man scheint sich nicht zu beruhigen. Man kommt ein zweites Mal, man bricht hier gleichsam ein. Wie ist das, Mijnheer Erdbrink! – Würden Sie zu Hause ähnlich handeln? Man erzählt mir, daß man in Hamburg auf Form gibt . . .«

Erdbrink, den grellen Blick ständig auf das hellbraune Gesicht gerichtet, zwischen dessen geschürzten Lippen, aus dem Glanz der Zähne hervor, diese Worte fallen, läßt sich nach hinten in den Stuhl sinken. Der Korbstuhl kracht in allen Fugen. Herr Erdbrink sitzt und hat auch die Absicht, sitzen zu bleiben.

Langsames Lächeln schleicht sich in Kusumas Züge zurück. – »Es ist immerhin dankbar, daß man sich 163 ausspricht,« flötet er und gleitet, den Sarong raffend, auf die Kante des Stuhles gegenüber. »Wenn ich Ihnen mit etwas anderem dienen kann, Mijnheer, so stelle ich anheim . . . Fragen Sie; plaudern Sie. Aber das bewußte Thema . . .«

»Gerade auf dieses Thema,« spricht Erdbrink mit derselben atemlosen Heiserkeit, »lege ich besonderes Gewicht.«

»Aber ich nicht. – Ihr Gewicht . . .« Der Raden schmiegt den Kopf an die emporgezogene Schulter und öffnet die Hände.

Große Ansammlung von Energie tritt in die wächsernen Züge. Wieder schiebt Erdbrink die Fäuste vor sich her.

»Wenn man sie doch packen könnte, die Aale!« sagt er dumpf. – »Sie wissen die Adresse. Sie sind ein Schuft; ein Lügner.«

Nichts gleicht der panterartigen Geschmeidigkeit, mit der Kusuma von der Stuhlkante gleitet und, die Hände in die Hüften gestemmt, auf leisen Sohlen zurückweicht. Das bunte Batikmuster seiner Kappe leuchtet auf, während er den Kopf dreht und einen leisen Schrei nach dem Inneren des Hauses ausstößt. Von allen Seiten beginnt es zu rascheln und wie mit einem Zauberschlag ist der ganze Hintergrund der Veranda gefüllt von offenlippig grinsenden, sehr handfesten Bedienten. Erdbrink lehnt sich im Stuhl zurück und mustert dies lautlose Panorama.

»Sie wollen wohl Zeugen,« fragt er endlich.

»Zeugen,« flüstert Kusuma, »für Ihren Abschied, Mijnheer.«

164 Erdbrink beißt sich auf die Lippen. »Ich gebe zu,« sagt er dumpf, »ich habe mich übertrieben ausgedrückt. – Schicken Sie die Leute weg.«

»Sie geben es zu. Gut. – Bringt Tee,« wendet sich der Javane an den Hintergrund.

»Ich nehme Ihre Entschuldigung an, Mijnheer Erdbrink,« fügt er gleichsam nebensächlich bei und geht wieder an den Tisch heran.

Da sagt Erdbrink tonlos:

»Raden! – – Es handelt sich um meine Frau.«

Kusuma schnalzt ein wenig mit der Zunge am Gaumen. Empfindung tritt in seine schwarzen Augen. Es ist wie ein gütiges, fast kränkliches Lächeln, was über sein glattes Gesicht wandert. Erdbrink stiert ihn an: ist es Mitgefühl?

»Die Frauen!« sagt Kusuma. – »Ja, sie sind nicht leicht zu behandeln.«

Tee wird serviert. – Der Raden nippt bloß davon, während Erdbrink das fast kochendheiße Getränk in gewaltigen Zügen zu sich nimmt, so daß ihm Röte aufsteigt und die Augen tränen.

»Es ist,« fährt er fort und stiert: »ein Gebot allgemeiner Menschlichkeit . . .«

»Ja. – Und doch,« flüstert Kusuma und wird auf einmal sehr munter, »– sind die Menschen so verschieden . . .!«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, Herr Erdbrink, sehen Sie mich an. Sehen Sie sich selbst an. Gibt es größere Gegensätze? Wer bin ich? Sie sind ein großer, ein gewaltiger Mann; sehr reich und verwöhnt. Sie haben Inseln gekauft, 165 wie? Sie haben noch viel mehr gekauft; überall spürt man Ihren großen Daumen. – Aber der Unterschied zwischen uns läßt sich vielleicht überbrücken!«

Erdbrink ist kein Mann der Umschweife. »Gewiß,« sagt er schnell und zieht ein Scheckbuch aus der Tasche. – »Der Unterschied läßt sich überbrücken.« –

Kusuma verschwindet im Haus und kommt nach einer Minute wieder.

Er tut, als bemerkte er das Formular gar nicht, das Erdbrink mit großer kratzender Schrift bedeckt. Wenn der Herr sich Notizen machen will, so ist das seine Sache; daß er das Blatt dann auf dem Tische liegen läßt, ebenfalls . . . Wer wird ihm Vorschriften machen wollen? – Kusuma trägt ein Zettelchen, das er, spielerisch zögernd, in der Hand behält; er will Erdbrink nicht stören, bis dieser mit seinem Kritzeln fertig ist – dann, mit einem kleinen Vorstoß, überreicht er ihm die Adresse.

Erdbrink reißt sie an sich und buchstabiert sie mit bebenden Lippen, als wolle er sie auswendig lernen. Kusuma nimmt zwischendurch den Scheck, faltet ihn mit abwesender Miene säuberlich zusammen und läßt ihn verschwinden. Viele Fältchen zucken in seinem Gesicht; er denkt angestrengt nach.

»Es war nicht leicht, Mijnheer,« sagt er endlich, »die Adresse zu beschaffen. Sie fahren nun sofort nach Solo?«

»Mit dem nächsten Zug.«

»Er geht um fünf Uhr morgen früh. – Es trifft sich zufällig, –« und Kusuma leistet sich ein perlendes kleines Lachen, – »– daß auch ich nach Solo fahren 166 muß. Ich bin beauftragt, eine kleine Vermittlung zu regeln zwischen Buitenzorg und dem Susuhunan . . .«

»Wem?«

»Dem Sultan von Soerakarta. Eine Sache, die Takt erfordert. Übrigens . . . warum sollte ich nicht noch einen weiteren Privatauftrag übernehmen, nachdem ich nun einmal dort bin . . .?«

Erdbrinks Augen verengen sich. Gar nicht so aus der Luft gegriffen ist dieser Vorschlag! Eigentlich überlegenswert! Wer weiß; dieser Javane wurmt sich überall hinein; man könnte ihn gut verwenden . . . Mit seinem Spürsinn für das Praktische greift er es auf.

»Gut,« sagt er langsam, »Herr Kusuma. – Sie kennen diesen . . .« – er buchstabiert aus dem Zettel – »Hofarchitekten van Kersten?«

»Er ist ein intimer Freund des Sultans. Ich bin ein Vetter zweiten Grades Seiner Hoheit. Es ist wie eine Familie . . .«

»Sie werden das Terrain sondieren?«

»Gewiß.« –

»Ganz gut. – Sie sind schon lange mit dem – Doktor bekannt?«

»Wir sind befreundet.«

»Befreundet? Wo bleiben da meine Interessen?«

Kusuma betrachtet sich diese Unbeherrschtheit, die sich vor ihm entfaltet; er schüttelt langsam den Kopf. »Die Nerven laufen mit Ihnen davon,« sagt er bedauernd.

Erdbrink besinnt sich. Dies verdammte Indien! Alles ist »befreundet« miteinander . . .

167 »Nun, Mijnheer, ich will Ihre Erregung Ihrer Unkenntnis der Landessitten zugute halten. Verstehen Sie nicht, daß gerade ich ihn am besten beobachten kann, weil ich mit ihm befreundet bin?«

Erdbrink denkt gradlinig. Aufseufzend sagt er: »Nun gut. – Folgen Sie Ihren . . . Landessitten.«

»Immer Späßchen, Mijnheer; immer Späßchen . . .«

..Ich spaße absolut nicht!!« Erdbrink geht steil in die Höhe. »Ich habe meine Meinung von diesem Doktor, meine festbegründete Meinung, Herr! – Er hat mich bestohlen; da ist schließlich jedes Mittel am Platz!« –

»Jedes Mittel? – Nun! Nun!« gurrt Kusuma. »Aber, Mijnheer, bezähmen Sie sich und folgen Sie meinen Ratschlägen. In Ihrem Interesse. Wenn Sie immer ›Buh – buh‹ sagen: wen verscheuchen Sie damit? – Nur mich? . . . Nicht auch . . . Mevrouw?« 168


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