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Dreizehntes Kapitel.

Mit Fässern ist das Haus gefüllt,
Mit Flaschen und mit Gläsern;
Nach Braten wird ringsum gebrüllt,
Nach Kuchen und Pasteten.

Burns.

Ein reiches Mahl, auf Kosten des Herzogs von Argyle, erfreute die ehrwürdigen Herren, welche der feierlichen Einführung Butler's beigewohnt hatten, so wie auch andere angesehene Leute des Kirchspiels. Man zechte wacker, trank des Herzogs Gesundheit, in welche David Deans zum erstenmal in seinem Leben laut mit einstimmte; die Gesundheit des ehrwürdigen Pfarrers von Knocktarlitie, und die seiner künftigen Frau. Bei dieser Gelegenheit brachte der alte Deans seinen ersten Scherz zur Welt, dessen Geburt ihm aber sauer zu werden schien, denn er verzog das Gesicht gar sehr und stotterte gewaltig, ehe er den witzigen Gedanken äußern konnte: da der Bursche sich nur eben erst seiner geistlichen Braut vermählt, sei es hart, ihm noch an demselben Tage mit einer weltlichen zu drohen.

Nach ein oder zwei Gesundheiten mehr zogen sich Jeanie, Jungfer Dolly Dutton und die andern Frauen nach der Meierei zurück, wo späterhin auch Butler und dann Archibald sich zu ihnen gesellten. Es war bestimmt worden, daß Deans und Butler schon diese Nacht Besitz von ihren neuen Wohnungen nehmen, Jeanie und die Dutton aber noch auf einige Tage nach Roseneath zurückkehren sollten. Das Boot lag deshalb in Bereitschaft, und sie wünschten aufzubrechen, denn es fing bereits an zu dämmern, aber Knockdunder, auf den sie warteten, erschien noch immer nicht. Archibald berichtete, er habe sich ziemlich festgetrunken, und werde wohl diese Nacht das Gasthaus nicht verlassen, oder wenn er es verließe, kein schicklicher Gesellschafter für Frauen sein. Er schlug daher vor, die Ueberfahrt ohne ihn zu machen. Duncan werde sich aus Gefälligkeit für seine weiblichen Gäste wohl mit dem kleineren Begleitungsboote begnügen.

Der Mond war schon über den Bergen aufgegangen, als sie sich einschifften, und die Wellen glänzten in seinem bleichen zitternden Schein. Doch so sanft und ruhig war die Nacht, daß Butler, als er seiner Jeanie am Ufer Lebewohl sagte, nichts für ihre Sicherheit zu besorgen fand; und was noch ungewöhnlicher war, Jungfer Dutton nichts für ihre eigene fürchtete. Die Luft war mild und wehte mit angenehmem Hauch über die kühlen Fluthen. Berge und Felsen und Buchten, wie sie im reizenden Wechsel an ihnen vorüberzogen, und die große blaue Gebirgskette im Hintergrunde waren matt vom Monde beleuchtet. Und bei jedem Ruderschlage entsprühten den Wellen glänzende Funken, welches ihnen unbekannte Schauspiel Jeanie und die Dutton mit großem Vergnügen sahen.

Ihr Landungsplatz zu Roseneath war eine kleine Bucht, nicht sehr entfernt vom Hause. Da das große Boot den einzelnen Steinen, welche als Brücke dienten, nicht ganz nahen konnte, sprang Jeanie, rasch und beherzt wie sie war, mit Leichtigkeit hinüber. Jungfer Dolly aber weigerte sich bestimmt, ein ähnliches Wagestück zu unternehmen, und Archibald hatte diesmal die Gefälligkeit, ihretwegen nach einem entfernten Landungsplatz hinsteuern zu lassen, wo das Aussteigen bequemer war. Jeanie blieb allein hier zurück. Gutmüthig hatte sie Archibald's Begleitung abgelehnt, und ihn gebeten, bei der furchtsamen Dutton zu bleiben. Das Haus sei ja nahe, und sie könne den Weg dahin nicht verfehlen, da das Mondlicht ihr die weißen hinter dem Wäldchen hervorragenden Schornsteine zeige.

Die Nacht war so schön, daß Jeanie noch eine Zeitlang am Ufer stehen blieb, und dem dahinsegelnden Boot mit den dunklen Gestalten der Schiffenden nachsah, wie sie je mehr und mehr im Nebel verschwanden, und den schwermüthigen Schiffsgesang der Ruderer hörte, wie er das Ohr mit immer leiser und sanfter werdendem Tone traf, bis das Boot endlich um das Vorgebirge bog und nicht mehr gesehen wurde.

Auch jetzt noch blieb Jeanie in derselben Stellung und sah in die See hinaus. Der schnelle wunderbare Wechsel ihrer Lage von Schmach, Elend und Verzweiflung zu Ehre, Freude und der Aussicht auf künftiges Glück ging an ihrer Seele vorüber und entlockte ihr Thränen. Doch nicht der Freude allein flossen sie in diesen einsamen Augenblicken. Da das menschliche Glück nie vollkommen ist, und wohlgeartete Gemüther das Leid ihrer Lieben am tiefsten fühlen, wenn ihre eigene Lage einen Gegensatz dazu bildet, gedachte auch Jeanie jetzt mit herbem Schmerz des Schicksals ihrer unglücklichen Schwester. Sie, das Kind so vieler Hoffnungen, das verzärtelte Schooßkind so vieler Jahre, nun landflüchtig, und was noch schlimmer war, dem Willen eines leidenschaftlichen, sittenlosen Menschen unterworfen.

Indem sie mit diesen traurigen Gedanken beschäftigt war, schien aus dem dichten Gebüsch zu ihrer Rechten eine dunkle Gestalt hervorzuschweben. Jeanie erschrak, und alle Geschichten von Geistern und Erscheinungen, die zu solcher Zeit und an so einsamen Orten gesehen worden, drängten sich ihrer Einbildungskraft auf. Die Gestalt nahte; es schien ein Weib zu sein, und eine sanfte Stimme rief: »Jeanie, Jeanie!« War es, konnte es die Stimme ihrer Schwester sein? – War sie noch unter den Lebenden, oder hatte das Grab seine Bewohnerin heraufgesandt? – Ehe sie sich noch diese Fragen deutlich machen konnte, hatte Effie, lebend und wirklich, sie in ihre Arme geschlossen, drückte sie an ihre Brust und bedeckte sie mit ihren Küssen. »Wie ein Geist bin ich hier umhergewandelt, Dich zu sehen,« sagte sie, »und es ist kein Wunder, daß Du mich für einen Geist hältst. Ich wollte Dich nur vorübergehen sehen, oder den Ton Deiner Stimme hören; aber Dich selbst zu sprechen, Jeanie, war mehr als ich verdiente, und mehr als ich hoffen konnte.«

»O Effie! wie kommst Du allein hieher, zu dieser Stunde, an das wilde Seeufer? Ist es wirklich Dein eigenes lebendiges Selbst?«

Es war etwas von Effie's früherem Muthwillen darin, daß sie zur Beantwortung dieser Frage ihre Schwester mit leisen, eher feen- als geisterartigen Fingern in den Arm kniff. Und wieder umarmten sich die Schwestern und lachten und weinten abwechselnd.

»Aber Du mußt mit mir in's Haus kommen, Effie,« sagte Jeanie, »und mir Deine ganze Geschichte erzählen. Es sind gute Leute dort, die Dich um meinetwillen freundlich aufnehmen werden.«

»Nein, nein, Jeanie,« erwiederte jene traurig, »Du hast vergessen, was ich bin – eine Verwiesene, Landflüchtige, die nur einem schmählichen Tode entgangen ist, weil Du die beste, muthigste Schwester bist, die jemals lebte. – Ich will mich keinem Deiner vornehmen Freunde nähern, und wenn auch keine Gefahr für mich dabei wäre.«

»Es ist keine Gefahr, es soll keine Gefahr sein,« sagte Jeanie eifrig. »O Effie, sei nicht eigensinnig, folge nur diesmal. Wir können so glücklich mit einander sein! Komm zu uns, Deinen eigenen, theuersten Freunden zurück. Eine alte Hecke gibt bessern Schutz, als ein neugepflanzter Wald.«

»Du sprichst vergebliche Worte, Jeanie. – Was geschehen ist, muß geschehen bleiben. Ich bin verheirathet, und muß meinem Manne folgen in Glück und Unglück.«

»Verheirathet, Effie!« rief Jeanie aus. »Unglückliches Geschöpf! Und an jenen Furchtbaren« –

»Still, still,« sagte Effie, ihr die Hand auf den Mund legend, indem sie mit der andern nach dem Dickicht hindeutete: »Er ist dort!«

Sie sagte dies in einem Tone, welcher bewies, ihr Mann habe ihr eben so viel Furcht als Liebe eingeflößt. In diesem Augenblick trat ein Mann aus dem Gehölz hervor.

Es war der junge Staunton. Selbst bei dem undeutlichen Licht des Mondes konnte Jeanie bemerken, daß er schön gekleidet war und das Ansehen eines Mannes von Stande hatte.

»Effie,« sagte er, »unsere Zeit ist beinahe vorüber – das Boot wird wieder in der Bucht sein, und wir dürfen nicht länger verweilen. – Deine Schwester wird mir hoffentlich erlauben, sie zu begrüßen?« Doch Jeanie bebte vor seiner brüderlichen Umarmung zurück. »Nun,« sagte er, »es liegt nicht viel daran; wenn Ihr auch das Gefühl der Abneigung bewahrt, so handelt Ihr wenigstens nicht darnach, und ich danke Euch für Eure Rücksicht gegen mein Geheimniß, wo ein Wort – welches ich in Eurer Stelle sogleich würde ausgesprochen haben – mir das Leben gekostet hätte. Man sagt, Du sollst das Geheimniß, welches Dir den Hals kosten kann, auch vor dem Weibe Deines Busens geheim halten – mein Weib und ihre Schwester wissen beide das meinige, und ich werde deshalb nicht weniger ruhig schlafen.«

»Und sind Sie wirklich mit meiner Schwester verheirathet?« fragte Jeanie ängstlich und zweifelnd; denn sein nachlässig stolzer Ton ließ sie das Schlimmste befürchten.

»Ich bin gesetzmäßig mit ihr verheirathet, und unter meinem wahren Namen,« versetzte Staunton ernster.

»Und Ihr Vater – Ihre Freunde?«

»Mein Vater und meine Freunde müssen sich mit dem aussöhnen, was geschehen und nicht mehr zu ändern ist,« erwiederte Staunton. »Indessen ist es meine Absicht, theils um gefährliche Verbindungen abzubrechen und meinen Freunden Zeit zu lassen, sich zu besänftigen, meine Heirath jetzt noch zu verschweigen und einige Jahre außer Landes zu bleiben, so daß Ihr in dieser Zeit nicht von uns hören werdet, wenn Ihr überhaupt je wieder von uns hört. Ihr müßt einsehen, daß es gefährlich ist, in Verbindung zu bleiben, denn Jeder würde in Effie's Gatten den – wie soll ich mich nennen? – den Mörder des Porteous vermuthen.«

»Hartherziger, leichtsinniger Mensch!« dachte Jeanie; »welch einem Manne hat sie ihr Glück vertraut! – Sie hat in den Wind gesäet, und muß vom Wirbelwind ärnten.«

»Denke nicht schlecht von ihm,« sagte Effie leise, indem sie ihren Gatten verließ und Jeanie ein wenig bei Seite führte; »denke nicht allzu schlecht von ihm. Er ist gut gegen mich, Jeanie, so gut als ich es verdiene. Und er ist entschlossen, nicht mehr auf seinen argen Wegen zu wandeln. – Und so gräme Dich denn nicht zu sehr um Effie; es geht ihr noch besser, als sie es verdient. – Aber Du, o Du, wie kannst Du glücklich genug sein! – Niemals, bis Du in den Himmel kommst, wo alle so gut sind, wie Du selber. – Jeanie, wenn ich lebe und es mir wohlgeht, sollst Du von mir hören; wo nicht, vergiß, daß je ein Geschöpf lebte, Dich zu kränken! – Lebe wohl! – O, lebe wohl!«

Sie entriß sich den Armen ihrer Schwester, eilte zu ihrem Gatten, und Beide waren augenblicklich im Gebüsch verschwunden.

Es war Jeanie, als erwache sie aus einem Traum. Nur der Ruderschlag, den sie bald darauf vernahm, und das kleine Boot, welches sie jenem früher erwähnten Schleichhändlerschiffe zueilen sah, überzeugten sie von der Wirklichkeit des Vorganges.

Diese Zusammenkunft hatte eben so viel Schmerzliches als Erfreuliches für Jeanie gehabt. Doch wußte sie wenigstens, daß Effie rechtmäßig verheirathet und ihr Mann entschlossen sei, den Pfad des Lasters zu verlassen, und dies gewährte ihr einigen Trost. Archibald, durch ihr langes Ausbleiben beunruhigt, kam ihr bereits entgegen, als sie sich dem Hause näherte. Kopfweh diente ihr zur Entschuldigung, sich sogleich zurückzuziehen, um ihre sichtbare Gemüthsbewegung zu verbergen.

Durch diese frühere Entfernung wurde ihr ein unangenehmer Auftritt erspart, der sich bald darauf ereignete. Knockdunder's Schiffchen war gegen ein anderes Boot gefahren und umgeworfen worden, ein Vorfall, den die Trunkenheit des Hauptmanns und sämmtlicher Mannschaft veranlaßt. Er selbst und einige seiner Gäste, die er mit herüberbrachte, die Lustbarkeit des Tages in seinem Hause zu beschließen, hatten ein tüchtiges Bad bekommen. Da die Schiffer des fremden Boots sie aber sogleich wieder aus dem Wasser zogen, fand weiter kein Verlust dabei statt, als daß Duncan's Tressenhut in's Wasser fiel.

Knockdunder stieß nichts desto weniger die heftigsten Drohungen gegen jene aus, die ihn umgeworfen. Da jedoch am andern Morgen weder das Boot, noch das Schleichhändlerschiff, zu dem es gehörte, in dem Meerbusen zu sehen waren, so mußte er die Beleidigung verschlucken. Und es ärgerte ihn um so mehr, sagte er, da die Schurken es vorsätzlich gethan, und ihm deshalb aufgelauert. Er habe erfahren, der Steuermann sei selbst am Ufer gewesen, Erkundigungen einzuziehn, wann des Hauptmanns Boot hinüber und wieder zurückfahre.

»Aber wenn sie mir wieder auf dem Wasser begegnen,« setzte er mit großer Würde hinzu, »will ich das verdammte Mondschein-Gesindel wohl lehren, mir aus dem Wege zu gehen.«


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