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Sechstes Kapitel.

Erfunden ward der Brief Unglücklichen zum Heil,
Er tröstet Liebende im Kerker und Exil.

Pope

Durch eine ungewöhnliche Anstrengung mit der Feder brachte Jeanie noch am nämlichen Tage nicht weniger als drei Briefe zu Stande, um sie am folgenden sogleich mit der Post befördern zu können. Der erste war sehr kurz. Er war an Georg Staunton gerichtet, und enthielt Folgendes:

 

»Herr!

Ich schreibe Ihnen dies, damit nicht noch mehr Unheil geschehe. Ich habe von Ihrer Majestät der Königin die Begnadigung meiner Schwester erhalten, worüber Sie sich gewiß recht freuen werden, ohne daß ich von gewissen Dingen gesprochen, die Ihnen bekannt sind. Aber ich muß Sie bitten, Herr, nicht wieder zu meiner Schwester zu kommen, denn es wäre besser, wenn es niemals geschehen wäre. Und so, Herr, wünsche ich Ihnen Heil an Seele und Leib, und daß Sie von Ihren Irrwegen umkehren mögen, und bin Ihre unterthänige Dienerin, Sie wissen wer.«

 

Der nächste Brief war an ihren Vater, und ziemlich lang. Wir geben Einiges davon:

 

»Mein theurer und sehr geehrter Vater!

Mit Versicherung meines kindlichen Gehorsams kann ich Ihnen die gute Nachricht mittheilen, daß es Gott gefallen, meine arme Schwester aus der Gefangenschaft zu erretten. Denn Ihre Majestät die Königin, für welche wir stets unsre Hände zum Himmel erheben müssen, hat ihr Begnadigung gewährt. Und ich sprach von Angesicht zu Angesicht mit der Königin, und es ging recht gut; denn sie ist nicht viel anders als andre Frauen, nur daß sie einen sehr vornehmen Anstand hat, und Augen so blau wie Falkenaugen, die mich so zu sagen durch und durch bohrten wie ein Messer. – Und dies Alles verdanken wir, nächst Gott, dem Herzog von Argyle, der ein ächtes schottisches Herz hat, und gar nicht stolz ist, wie so viele Andre, die wir kennen. Und dann ist er auch sehr geschickt, was die Viehzucht betrifft, und will mir zwei Devonshirer Kühe schenken, und ich habe ihm Käse versprochen, und wenn unsre scheckige Kuh schon gekalbt hat, sie so viel saugen zu lassen, als sie will, denn wie ich höre, hat er keine von solcher Zucht, und ist gar nicht hochmüthig, sondern wird recht gern etwas von geringen Leuten annehmen, daß ihr Herz ihnen ein Bischen leichter werde von der großen Schuld der Dankbarkeit.

Und o, theuerster Vater, da es Gott gefallen, sich der armen Effie zu erbarmen, laßt es ihr nicht an Eurer Verzeihung fehlen, wodurch sie wieder fähig werden wird, ein Gefäß der Gnade, und ein Trost für Euer graues Haar zu sein. Lieber Vater, laßt auch den Lord wissen, daß wir recht unerwartet Freunde gefunden haben, und daß das Geld, welches er mir borgte, dankbar wieder bezahlt werden soll. Und, lieber Vater, durch Herrn Butler's Hülfe bin ich zu so guter Bekanntschaft mit dem Herzog gekommen, wegen eines Freundschaftsdienstes unter ihren Vorfahren in den alten unruhigen Zeiten. Und Frau Glas ist so liebreich gegen mich gewesen wie eine Mutter. Sie hat hier ein hübsches Haus. Sie steht sich sehr gut, und hat zwei Dienstmädchen, einen Ladendiener und einen Ladenburschen. Sie wird ein Pfund feinen Schnupftabak schicken, und wir müssen auch an ein Geschenk für sie denken, da sie mir viel Liebes und Gutes erzeigt.

Der Herzog wird die Begnadigung durch einen Eilboten schicken, und ich reise mit etlichen von seinen Leuten bis nach Glasgow, und von da ist es dann nicht weit mehr bis zu der lieben Heimath, wornach mich so sehr verlangt. Möge der Geber alles Guten Euch behüten, lieber Vater, dies ist das innige Gebet Eurer gehorsamen Tochter

Jeanie Deans.«

 

Der dritte Brief war an Butler. Sie gab ihm ebenfalls Nachricht von dem glücklichen Erfolg ihrer Reise, und wie viel seine Empfehlung dazu beigetragen. Der Brief seines Vorfahren, schrieb sie, habe großen Eindruck auf den Herzog gemacht, und er Butler's Namen in seine Schreibtafel eingetragen, woraus hervorzugehen scheine, er wolle ihn bei Kirchen oder Schulen versorgen. Sie meldete ihm, daß sie jetzt reichlich mit Gelde versehen sei, sie bäte ihn daher, sich nichts abgehen zu lassen, was zu seiner Gesundheit diene; denn wozu solle dem Einen das Geld, wenn es dem Andern fehle. Sie sage dies nicht, ihn an etwas zu erinnern, was er vielleicht vergessen wolle, im Fall er nun, wie gesagt, zu einer Kirche oder Schule käme; sie hoffe aber, setzte sie hinzu, es werde eine Schule sein, wegen der vielen Schwierigkeiten der Eide und anderer kirchlichen Angelegenheiten, mit denen ihr guter Vater nicht so ganz zufrieden sein möchte. Es thäte ihr Leid, sagte sie, nicht zu wissen, welche Bücher Butler bedürfe, denn hier hätte man ganze Häuser voll davon, und wüßte gar nicht damit zu bleiben, so daß man sie in den Straßen aufstelle, und sehr wohlfeil verkaufe. Mit einem innigen Lebewohl schied sie von ihrem Freunde.

Nach einem so bedeutenden Tage legte sich nun Jeanie zur Ruhe nieder. Doch sie schlief wenig. Das freudige Bewußtsein, ihre Schwester sei gerettet, und der Drang, die Fülle ihres Glücks vor jenem allgütigen Wesen ausströmen zu lassen, dem sie so oft ihre Sorgen und ihren Kummer anvertraut, waren zu mächtig in ihr.

Den ganzen nächsten Tag, und den darauf folgenden, trieb Frau Glas sich in unruhiger Erwartung im Laden hin und her, am dritten Morgen kam endlich der ersehnte Wagen vorgefahren; vier Diener in dunkelbraun und gelb standen hinten auf, der Herzog selbst in gesticktem Kleide, mit Stern und Ordensband stieg aus.

Er fragte nach seiner kleinen Landsmännin, verlangte aber nicht, sie zu sehn, vermuthlich um nicht seiner Bekanntschaft mit ihr das Ansehn eines genauern Verhältnisses zu geben. Die Königin, sagte er zur Frau Glas, habe die Gnade gehabt, sich für jenes unglückliche Mädchen bei Seiner Majestät dem König zu verwenden, wozu sie größtentheils die edle und liebevolle Entschlossenheit der ältern Schwester bewogen; und es sei bereits ein Begnadigungsschreiben nach Edinburg abgegangen, mit der hinzugefügten Bedingung jedoch, daß Effie Deans vierzehn Jahre lang Schottland meiden solle. Des Königs Anwalt habe sich einer unbedingten Verzeihung widersetzt, und nachgewiesen, daß in dem kurzen Zeitraum von sieben Jahren ein und zwanzig Fälle des Kindermords in Schottland vorgekommen.

»Hol' ihn der Henker!« sagte Frau Glas, »wozu braucht er das seinem eignen Vaterlande nachzusagen? Und was soll denn das arme Ding in der Fremde thun? – Sie soll wohl die alten Streiche wieder anfangen, daß man sie der Aufsicht der Ihrigen entzieht.«

»Ei nun,« versetzte der Herzog, »das sind spätere Sorgen. Sie kann ja nach London kommen, oder nach Amerika gehen, und eine gute Heirath machen, als wäre nichts geschehen.«

»Das könnte sie freilich, Eure Durchlaucht; und es fällt mir eben ein, daß mein alter Handelsfreund in Virginien, Ephraim Bockleder, der dem Dornbusch nun bereits vierzig Jahre lang seinen ansehnlichen Bedarf an Tabak liefert, mir schon seit zehn Jahren anliegt, ihm eine Frau zu schicken. Er ist nicht viel über sechzig alt, und gesund und rüstig. Er sitzt warm, eine Zeile von meiner Hand könnte die Sache richtig machen, und Effi's Unglück wäre vergeben und vergessen.«

Ohne sich in eine Beantwortung dieses Vorschlags einzulassen, gab der Herzog nun der Frau Glas Bericht, auf welche Weise er Jeanie nach Hause zu senden gedenke. Und durch ein Lächeln und einen Knicks bei jedem Wort aus seinem Munde, gab Frau Glas ihren Beifall zu erkennen. Nachdem er noch seine Dose gefüllt, ohne ihr eine Bezahlung dafür zuzumuthen, und Jeanie grüßen lassen, ging er, und ließ Frau Glas, außer sich über so viele Herablassung, als die stolzeste und glücklichste aller Tabakshändlerinnen zurück.

Das freundliche Benehmen Seiner Durchlaucht war von sehr günstigem Einfluß auf Jeanie's gegenwärtige Lage. Frau Glas war jetzt noch zehnmal gütiger gegen sie als vorher, und bemühte sich, ihr den Aufenthalt in London, wo sie noch einige Wochen verweilen mußte, so angenehm als möglich zu machen.

Jeanie würde mehr Vergnügen an den Merkwürdigkeiten dieser großen Stadt gefunden haben, hätte nicht die dem Gnadenbrief angehängte Bedingung ihr das Herz wieder schwer gemacht. Ein Schreiben ihres Vaters, das sie als Antwort auf das ihrige erhielt, gab ihr jedoch einigen Trost hierüber. Mit inniger väterlicher Liebe gab er ihr seinen Segen. Er betrachtete den Schritt, den sie zur Rettung der Ihrigen gethan, als eine unmittelbare Eingebung des Himmels. Wegen der Verbannung jenes unglücklichen Opfers solle sie sich nicht ängstigen, schrieb er ihr. So lieb ihm sein Vaterland sei, wäre er doch entschlossen, es um Effie's willen zu verlassen, und mit den Seinigen nach Northumberland zu ziehn, wo viele Presbyterianer lebten. Er sagte ihr ferner, daß er Effie gesehen, und daß man sie in wenigen Tagen der Haft entlassen würde. Dieser Brief enthielt noch mehrere andre Nachrichten, und einige Warnungen vor den Irrthümern ihres jetzigen Aufenthalts. Eine einzelne Zeile darin, und oft genug ward sie von der Empfängerin gelesen, besagte, daß Ruben Butler ihm wie ein Sohn gewesen sei in seinem schweren Kummer. Da der alte Deans Butler's selten zu erwähnen pflegte, ohne irgend eine spöttelnde Anspielung auf seine weltliche Gelehrsamkeit oder seines Großvaters Ketzerei mit einfließen zu lassen, sah Jeanie das diesmalige Abweichen von seiner Gewohnheit als eine günstige Vorbedeutung an.

Hoffnungen der Liebenden fassen leicht Wurzel, und wachsen dann schnell und mächtig empor. Jeanie's Einbildungskraft, obgleich keine der lebhaftesten, war es doch genug, sie auf ein Gütchen in Northumberland, wohl versehen mit Schafen und Milchkühen, zu versetzen; in dessen Nähe Ruben Butler einer Gemeinde ernster Presbyterianer als Seelsorger vorstand; Effie, der Ruhe, wenn auch nicht der Freudigkeit wieder gegeben, – ihr Vater mit seinem grauen schlichten Haar und der Brille auf der Nase, – sie selbst mit der Matronenhaube anstatt des jungfräulichen Haarschmucks, – sich alle im gottesdienstlichen Hause versammelten, Worte der Andacht zu hören, mächtiger und eindringender für sie durch das Band der Liebe, welches sie an den Verkünder dieser Worte knüpfte. Diese süßen Träume machten ihr den Aufenthalt in London von Tage zu Tage unerträglicher, und mit nicht geringer Freude erhielt sie endlich eine Aufforderung von dem Herzog, sich zur Reise anzuschicken.


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