Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

– Hat unsre Bark' das Glück
Oder das Schicksal hingeführt
Zu diesem schönsten Ort, da wir
Den Hafen nicht bestimmen konnten.

Fletcher.

Die Inseln im Meerbusen von Clyde sind von außerordentlicher Schönheit. Ihre Lage schützt sie größtentheils vor den strengen eisigen Frühlingswinden der übrigen Gegenden Schottlands, so wie vor den gewaltigen Stürmen des atlantischen Meeres. Die Luft ist deshalb von einer seltenen Milde dort, und die Thränenbirke, die Trauerweide und andere früh knospende Bäume erreichen in diesen freundlichen Eilanden eine den östlichern Bezirken unbekannte Vollkommenheit.

Das Malerischschöne der Insel Roseneath war stets von sehr großem Reiz für die Grafen und Herzoge von Argyle gewesen. Sie liebten diesen Aufenthalt sehr, und hatten sich eine Wohnung dort einrichten lassen, die späterhin mehr und mehr verschönert ward.

Diesem anmuthigen Eiland steuerte jetzt die Reisegesellschaft mit fliegendem Segel zu. Als sie dem Landungsplatz nahe kamen, der mit niedrigen, aber dicht belaubten Eichen und Haselsträuchen bedeckt war, sahen sie dort einige Menschen, dem Anschein nach, sie erwartend. Jeanie gab wenig Acht hierauf.

Das Boot hielt an, die Ruderer trugen sie an's Ufer, und vom höchsten Erstaunen wie von einem schnellen Blitzschlage getroffen, sah sie sich in den Armen ihres Vaters.

Es schien zu wunderbar, zu sehr einem seligen Traume gleich, um wahr und wirklich zu sein. Sie entzog sich seinem festen liebenden Umschlingen, und hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt, um sich zu überzeugen, ob es keine Täuschung sei. – Es war David Deans selbst, in seinem besten hellblauen Sonntagsrock mit großen Metallknöpfen, und eben dergleichen Unterkleidern, in seinen Halbstrümpfen von grauem Tuch, seiner breiten blauen Mütze, – die sich zurückschob, indem er die Augen in stummer Dankbarkeit gen Himmel wandte, mit seinen grauen Locken, seiner freien tiefgefurchten Stirn, den hellen blauen Augen, die ungetrübt von den Jahren, noch klar und licht unter den buschigen grauen Wimpern hervor blitzten, es waren seine Züge, deren gewohnte Strenge jetzt in den Ausdruck des freudigen Entzückens, der Liebe, der Dankbarkeit verschmolz.

»Jeanie, meine Jeanie, mein bestes, mein theuerstes Kind, der Herr Israels sei Dein Vater, denn ich bin Deiner nicht würdig! Du hast uns die Ehre unsers Hauses wiedergegeben. Aller Segen der Verheißung und Vergeltung sei mit Dir, mein Kind! Allein Gott hat Dich bereits gesegnet durch das Gute, zu dessen Werkzeug er Dich erkoren.«

Diese Worte brachen nicht ohne Thränen hervor, so wenig weichmüthig David Deans auch sonst zu sein pflegte. Mit seiner Aufmerksamkeit hatte Archibald alle Zuschauer entfernt, so daß nur der Wald und die untergehende Sonne Zeugen der Gefühle des Vaters und der Tochter waren.

»Und Effie? – Und Effie, theuerster Vater?« war die Frage, mit welcher Jeanie wiederholt die Ausbrüche ihrer Freude und ihres Danks unterbrach.

»Du sollst es hören, Du sollst es hören,« sagte David Deans hastig, und pries dann von Neuem den Himmel, daß er Jeanie gnädiglich behütet, und sie glücklich aus dem Lande ketzerischer Lehren zurückgeführt.

»Und Effie?« fragte die liebende Schwester wieder und wieder. »Und – und –« (gern hätte sie Butler genannt, aber sie hielt noch mit der Frage zurück,) »und Herr und Frau Sattelbaum, – und Stummendeich, – und alle andern Freunde?«

»Alle gesund, alle gesund, Gottlob!«

»Und – und Herr Butler, er war nicht ganz wohl, als ich fortreiste.«

»Er ist ganz und gar hergestellt, ganz wohl.«

»Gott sei Dank! – Aber ach, liebster Vater, Effie? – Effie?«

»Du wirst sie nie wiedersehen, mein Kind,« antwortete Deans mit feierlichem Ton; »Du bist das einzige Blatt, das dem alten Baum geblieben. – Heil und Segen sei mit Dir!«

»Sie ist todt! – Sie haben sie umgebracht! – Es ist zu spät gekommen!« rief Jeanie mit bangem Händeringen.

»Nein, Jeanie,« erwiederte Deans, mit demselben traurigen Ernst, als zuvor. »Sie lebt im Fleisch, und frei von irdischem Zwange. Wäre sie nur eben so lebendig im Glauben, und eben so frei von den Stricken des Satans.«

»Der Herr sei uns gnädig!« rief Jeanie; »kann das unglückliche Mädchen Euch, mein Vater, um jenes Bösewichts willen verlassen haben?«

»Du sprichst nur zu wahr,« sagte Deans; »sie hat ihren alten Vater verlassen, der um sie weinte, und für sie betete. Sie hat ihre Schwester verlassen, die für sie litt, und als eine Mutter an ihr that. Sie hat die Gebeine ihrer Mutter, und ihr Vaterland verlassen, um jenem Belialssohn zu folgen. Bei Nacht und Nebel ist sie davon gegangen.« Er schwieg. Ein Gefühl zwischen Kummer und Zorn machte ihn verstummen.

»Und mit diesem Menschen? – Mit diesem furchtbaren Menschen?« rief Jeanie. »Und sie hat uns alle verlassen mit ihm zu gehen? – O Effie, Effie, wer hätte das geglaubt, nach einer solchen Errettung!«

»Sie ging von uns, mein Kind, weil sie nicht zu uns gehörte. Sie ist eine verdorrte Rebe, die keine Frucht der Gnade bringen kann, ein Sündopfer hinausgegangen in die Wüste der Welt zur Sühne unsrer Missethat. Der Friede der Welt sei mit ihr, und ein bessrer Friede, wenn ihr wieder die Gnade wird, darnach zu verlangen. Wenn sie von den Erwählten ist, wird ihre Stunde kommen. Der Herr kennt seine Zeit. – Sie war das Kind meines Gebets, und möge sie nicht gänzlich verworfen werden. Aber niemals, Jeanie, niemals werde ihr Name wieder unter uns genannt! Sie ist an uns vorüber gegangen, wie ein Bach von seiner Stätte vergeht, wenn der Sommer heiß wird, um mit dem geduldigen Hiob zu sprechen: Sie gehe dahin, und sei vergessen!«

Ein trauriges Schweigen folgte diesen Worten. Gern hätte Jeanie nach den nähern Umständen von Effie's Entweichung gefragt, doch mit zu bestimmtem Ton hatte David Deans seinen Willen ausgesprochen. Ihres Zusammentreffens mit Staunton wagte sie gleichfalls nicht zu erwähnen. Alles, was sie zu Willingham über jene unglückliche Geschichte erfahren, war nicht geeignet, den Kummer ihres Vaters zu mildern. Sie entschloß sich daher über den peinlichen Gegenstand zu schweigen, bis sie Butler wiedersehe, von dem sie nähere Auskunft erwartete.

Doch wann würde sie Butler wiedersehn? Dieser Zweifel stieg um so ängstlicher in ihr auf, da ihr Vater, als wolle er jedes fernere Gespräch über seine jüngere Tochter vermeiden, nach dem gegenüber liegenden Ufer deutend, sie fragte: Ob Dumbartonshire nicht ein angenehmer Aufenthalt sei? und gleich darauf hinzufügte, er werde seine Tage in dieser Gegend beschließen, da Seine Durchlaucht, der Herzog von Argyle, ihn als einen in landwirthschaftlichen Dingen Wohlerfahrnen, zum Aufseher einer großen Meierei ernannt hätte, die der Herzog zur Verbesserung der Viehzucht anlegt.

Jeanie war höchst bestürzt über diese Erklärung. Sie gab zu, das Land sei recht hübsch, und die Weide gewiß gut, da das Gras so grün aussehe, obgleich es trocknes Wetter gewesen, allein es war doch so weit von der Heimath, und sie würde gewiß recht oft an die schönen Wiesen voll Maßlieb und gelber Kuhblümchen zwischen den St. Leonard's-Felsen denken.

»Sprich nicht davon, Jeanie,« sagte ihr Vater, »ich will den Ort nie mehr nennen hören. Aber ich habe alle Kühe mit herübergebracht, die Dir die liebsten waren. Die scheckige, und Deine eigne braune, und die weiß gefleckte, der Du den Namen – ich brauche Dir nicht zu sagen was für einen Namen Du ihr gabst, aber es war mir nicht möglich, das Thier zu verkaufen, wenn es mir auch manchmal ein Herzeleid sein wird, es zu sehen.«

Bei genauer Nachfrage fand Jeanie immer mehr Ursache, die thätige Fürsorge ihres Freundes, des Herzogs von Argyle, zu bewundern. Die dem Gnadenbrief Effie's angehängte Bedingung hatte ihn voraussetzen lassen, auch David Deans werde seinen Wohnort verändern wollen, um sich nicht von seiner Tochter zu trennen. Durch Jeanie's Bericht von ihrem Vater hatte er eine vortheilhafte Meinung von den landwirthschaftlichen Kenntnissen und der Redlichkeit des alten Deans bekommen, und ihm unter sehr günstigen Bedingungen die Stelle eines Aufsehers seiner Lieblingsmeierei in Dumbarton anbieten lassen, wo er in verborgener Ruhe, und unter dem Schutz des Herzogs, seine Tochter ohne Schwierigkeit bei sich behalten konnte. Effie's Entweichung machte den alten Deans nur um so williger, die ihm jetzt verhaßten St. Leonard's-Berge auf immer zu meiden. Und gern nahm er das Anerbieten des Herzogs und seinen Vorschlag an, Jeanie auf diese Weise zu überraschen.

Unter Mittheilungen dieser und anderer Art gingen Vater und Tochter dem Hause zu, das zwischen den Bäumen hervorblickte. Als sie sich demselben näherten, berichtete ihr Deans mit einem gewissen greinenden Lächeln (der höchste Grad von Lustigkeit, zu dem er jemals seine Miene verzog), es wären zwei fremde Herren darin. Der eine sei der Bewohner desselben, der Lord von Knocktarlitie, ein hochländischer Edelmann, zornig und hastig wie die meisten, und nicht sehr besorgt für das Heil seiner Seele, aber sonst treuherzig und gastfrei, und mit dem man in gutem Vernehmen bleiben müsse. Der andre sei ein Geistlicher, durch die Gnade des Herzogs von Argyle zum Pfarrer dieses Kirchspiels bestimmt. Ueber ihn brauche er nicht viel zu sagen, setzte er hinzu, und lächelte wieder wie zuvor, da Jeanie ihn wohl schon sonst gesehn habe.

Und wohl hatte sie ihn schon gesehn, denn er kam ihnen entgegen, und es war Ruben Butler selbst.


 << zurück weiter >>