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Einundzwanzigstes Kapitel.

Als Fräulein Wardour im Schloßhofe anlangte, erkannte sie auf den eisten Blick, daß die Gerichtsbeamten schon sich eingestellt hatten. Verwirrung und mürrische und traurige Stimmung herrschte, und Neugierde unter dem Dienstpersonal, während die Exekutoren von einem Platz zum andern gingen und ein Inventarium aller Gegenstände aufsetzten, die unter ihren Beschlagnahme-Befehl fielen. Kapitän M'Intyre flog Isabella entgegen, als sie, von der jähen Erkenntnis des völligen Zusammenbruchs wie betäubt, auf der Schwelle stehen blieb.

»Teueres Fräulein Wardour,« sagte er, »machen Sie sich keine Sorge, mein Oheim wird gleich da sein, und er wird sicher Mittel und Wege finden, das Haus von diesen Schurken zu säubern.«

»Ach, Kapitän M'Intyre, ich fürchte, es wird zu spät sein.«

»Nein,« antwortete Edie, ungeduldig, »wenn ich nur nach Tannonburgh könnte. Ums Himmels willen, Kapitän, finden Sie Mittel und Wege, daß ich hinkommen kann, und Sie werden dieser ruinierten Familie den besten Dienst erweisen, den sie seit den Tagen Rothands erfahren hat. Denn wenn je eine alte Sage zur Wahrheit würde, so würde heute Knockwinnock Haus und Land an einem Tage verloren und gewonnen.«

»Was könntet Ihr denn tun, Alter?« fragte Kapitän M'Intyre.

Aber Robert, der Diener, mit dem Sir Arthur sich am Morgen entzweit hatte, ergriff die Gelegenheit, seinen Eifer zu betätigen, trat rasch vor und erklärte sich bereit, den Bettler in einer Stunde im Wagen nach Tannonburgh zu fahren.

»In Gottes Namen,« sagte der Alte, »spannt an, Robert, und beeilt Euch, denn jeder Augenblick ist kostbar!«

Aber als er den Wagen aus dem Stalle gezogen hatte und das Pferd anspannen wollte, klopfte ihm ein Exekutor auf die Schulter:

»Mein Freund, das Pferd müssen Sie da lassen, das ist beschlagnahmt.«

»Was?« sagte Robert, »soll ich nicht das Pferd meines Herrn nehmen dürfen, um den Auftrag des Gnädigen Fräuleins auszuführen?«

»Sie dürfen absolut nichts von hier wegbringen,« sagte der Beamte, »oder Sie müssen für alle Folgen aufkommen.«

»Was zum Teufel, Mann,« sagte Hektor, der mitgegangen war, um Edie Ochiltree näher nach der Art seiner Hoffnungen und Erwartungen auszufragen, – schon längst kochte in seinen Adern das Blut und er suchte nur nach einem Vorwand, seinem Ingrimm Luft zu machen, »was ist das für eine Unverschämtheit, den Diener hier an der Ausführung seiner Befehle zu verhindern?«

Es lag im Ton und in der Haltung des jungen Soldaten etwas, das darauf zu deuten schien, daß er sich bei seiner Verwahrung am Ende nicht mit bloßen Worten begnügen würde. Wenn damit auch Aussicht war auf die Vorteile eines Strafverfahrens wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und tätlicher Beamtenbeleidigung, so mußten doch erst die Unannehmlichkeiten hingenommen werden, die den Tatbestand für eine solche Anklage zu liefern hatten.

»Kapitän M'Intyre,« sagte der Beamte, »ich habe mich mit Ihnen nicht herumzustreiten – aber wenn Sie mich in meiner Amtswaltung behindern, so machen Sie sich strafbar, und ich werde den Fall zur Anzeige bringen.«

»Scher mich den Teufel drum,« rief Hektor, »ob ich mich strafbar mache – vor allen Dingen sind Sie strafbar und die Strafe soll sogleich an Ihnen vollzogen werden, wenn Sie noch länger den Burschen hier daran hindern, die Pferde anzuspannen und den Befehlen seiner Herrin nachzukommen.«

In diesem Augenblick kam der Altertümler zur rechten Zeit an, um einem Auftritt ein Ende zu machen, der für Hektor unangenehme Folgen hätte haben können. Er kam pustend und keuchend, das Taschentuch hatte er sich unter den Hut gebunden und die Perücke auf das Ende seines Stockes gesetzt.

»Was zum Kuckuck geht hier vor?« rief er, indem er hastig Perücke und Kopfbedeckung wieder in Ordnung brachte. »Ich bin dir nachgerannt, weil ich Angst hatte, du könntest dir deinen Brausekopf an einem Felsen einrennen. Und hier bist du kaum von deinem Bucephalus herunter, so zankst du dich auch schon mit Kehraus. Mit einem Gerichtsvollzieher, Hektor, ist nicht gut Kirschen essen.«

»Soll ich etwa ruhig dabeistehen und zugucken, wie ein Schuft wie dieser Mensch da – mag er sich zehnmal Gerichtsvollzieher seiner Majestät schimpfen – eine junge Dame vom Hause Wardour beleidigt?«

»Alles ganz gut und schön, Hektor,« sagte der Altertümler, »aber der König hat wie alle andern Leute ab und zu lumpige Geschäfte zu erledigen und – laß dir's ins Ohr sagen – dazu braucht er eben auch lumpige Kerls. Aber angenommen selbst, du weißt nicht mit den Statuten Wilhelms des Löwen Bescheid, in denen – capito quarto, versu quinto – dieses Verbrechen des Widerstandes und der Beamtenbedrohung als despectus domini regis bezeichnet wird, das heißt also, eine Beleidigung des Königs selber bedeutet – so mußtest du doch wissen, daß auch nach heutigem Gesetz dieses Vergehen als Auflehnung schwer geahndet wird. Aber ich will dich noch einmal aus diesem Wurstkessel herausbringen.«

Dann sprach er mit dem Gerichtsvollzieher, der sich beruhigte und Herrn Oldbucks Bürgschaft annahm, daß Pferd und Wagen in zwei bis drei Stunden wieder zurück sein würden.

»Schön, Herr, da Sie so zuvorkommend sind,« sagte der Altertümler, »so sollen Sie nun etwas ganz besonders Feines überwiesen bekommen – ein bißchen was im Gebiete der Politik – ein Verbrechen, das in die lex julia fällt – passen Sie mal auf, Herr Kehraus.«

Und er flüsterte ein paar Minuten mit dem Beamten, und gab ihm ein Blatt Papier. Darauf stieg der Beamte auf sein Pferd und ritt mit ein paar seiner Unterbeamten im Galopp davon. Der Unterbeamte, der allein zurückblieb, schien seine Amtstätigkeit absichtlich sehr in die Länge zu ziehen, verrichtete alles aufs langsamste und mit der Vorsicht und Genauigkeit eines Untergebenen, dem ein kundiger und strenger Kontrolleur auf die Finger sieht.

Inzwischen nahm Oldbuck seinen Neffen am Arm und ging mit ins Haus, und sie traten vor Sir Arthur Wardour, der in seiner Erregung, seinem verletzten Stolze, der qualvollen Angst und dem vergeblichen Bemühen, seine wahren Gefühle unter erkünstelter Gleichgültigkeit zu verbergen, ein schmerzlich interessantes Bild abgab.

»Sehr erfreut, Sie zu sehen, Herr Oldbuck – immer erfreut, meine Freunde zu sehen in schönem und trübem Wetter,« sagte der arme Baron, der nicht nach Fassung rang, sondern sich heiter gestimmt zu stellen versuchte – eine Künstelei, die in starkem Kontrast stand zu dem nervösen und langen Händedruck und der Aufregung seines ganzen Wesens; »freut mich sehr, Sie zu sehen – sind zu Pferde da, wie ich sehe – hoffentlich fehlt es in diesem Tohuwabohu den Pferden an nichts – ich liebe es, daß die Pferde meiner Freunde ordentlich versorgt werden – na, das kann ja nun allerdings leicht geschehen, – denn von meinen eignen werden mir ja keine gelassen, wie Sie, sehen – hehehe! wie, Herr Oldbuck?«

Dieser verunglückte Scherz wurde von einem hysterischen Kichern begleitet, das wie ein gleichgültiges Lachen herauskommen sollte.

»Sie wissen doch, ich reite nie, Sir Arthur,« sagte der Altertümler.

»Verzeihung! Aber Ihren Neffen Hab ich doch ganz gewiß vor kurzem zu Pferde ankommen sehen. Offizierspferde wollen besonders gepflegt sein, und das war ein hübscher grauer Renner, soviel ich gesehen habe.«

Sir Arthur wollte läuten, aber Herr Oldbuck sagte:

»Mein Neffe ist auf Ihrem eignen Grauschimmel hergekommen, Sir Arthur.«

»Auf meinem!« sagte der arme Baron. »Das war mein Pferd? Na, da bin ich es freilich wert, kein Pferd mehr zu besitzen, da ich es nicht einmal selber mehr erkenne, wenn es mir vor Augen kommt.«

Guter Himmel, dachte Oldbuck, wie hat sich dieser Mann verändert, der früher die Steifheit und Blödheit in Person war – er wird schalkhaft im Unglück. Sed percunti mille figurae. Dann fuhr er laut fort:

»Sir Arthur, wir müssen notwendig von Geschäften sprechen.«

»Ei gewiß,« sagte Sir Arthur. »Es war nur so ausgezeichnet, daß ich das Pferd nicht erkannt habe, das ich nun seit fünf Jahren reite. Hahaha!«

»Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »wir wollen nicht die kostbare Zeit vergeuden. Zum Scherzen werden wir, hoff ich, noch weit bessere Zeit haben – desipere in loco ist der Grundsatz des Horaz. Ich hege den dringenden Verdacht, es ist nur der Schurkerei Dusterschielers zu danken, daß es soweit gekommen ist.«

»Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« rief Sir Arthur und die erkünstelte Heiterkeit verwandelte sich jäh in wildesten Ingrimm – seine Augen sprühten – sein Mund schäumte – seine Fäuste ballten sich. »Nennen Sie den Namen nicht, Herr!« fluchte er. »Wenn ich nicht vor Ihren Augen in Wahnsinn verfallen soll! – Daß ich ein solcher Esel gewesen bin – ein solcher blödsinniger Schafskopf – solch ein dreifach verballhorntes Rindvieh – daß ich mich von solch einem Schurken habe anführen und zum Narren halten lassen und unter so lächerlichen Gaunereien! – Herr Oldbuck, ich könnte mich selber zerreißen, wenn ich daran denke!«

»Ich wollte nur sagen,« antwortete der Altertümler, »daß dieser Bursche wohl noch seinen Lohn empfangen wird; und ich kann mir nicht anders denken, als daß wir ihm einen Schreckschuß einjagen und etwas entpressen werden, was uns von Nutzen sein kann. Er hat sicher eine gesetzeswidrige Korrespondenz mit Personen auf dem Festlande geführt ...«

»Hat er? hat er? hat er wirklich? dann hol alles Hausgerät und Hab und Gut und Pferde und so weiter der Satan – als ein glücklicher Mann will ich ins Gefängnis ziehen, Herr Oldbuck – ich hoffe zum Himmel, es wird sich ein Grund finden, daß er an den Galgen kommt?«

»Grund genug,« sagte Oldbuck, der ihn in dieser Annahme unterstützen wollte, um ein Gegengewicht gegen die Gefühle zu schaffen, die den armen Mann um den Verstand zu bringen drohten. »Es sind schon ehrlichere Männer an den Galgen gekommen – aber diese unglückliche Sache von Ihnen hier – kann denn nichts geschehen? – lassen Sie mich mal den Vollstreckungsbefehl sehen.«

Er nahm die Papiere, und beim Lesen wurde sein Gesicht hoffnungslos finster und trostlos. Fräulein Wardour war inzwischen eingetreten, sie heftete die Augen auf Herrn Oldbuck, wie um ihr Schicksal in seinen Blicken zu lesen, und sah unschwer an dem Spiel seiner Augen und dem herabgesunknen Unterkiefer, wie wenig zu hoffen war.

»So sind wir unrettbar ruiniert, Herr Oldbuck?« fragte die junge Dame.

»Unrettbar? das hoff' ich nicht. Aber die Forderung ist sehr hoch – und es werden noch andre haufenweis kommen.«

»Ja, das ist nicht zu bezweifeln, Monkbarns,« sagte Sir Arthur, »wo Aas ist, sammeln sich die Geier. Den Geier aber, der so lange auf mir herumgehackt hat – den haben Sie doch sicher?«

»Sicher genug!« sagte der Altertümler. »Der Ehrenmann wollte heute auf den Flügeln der Morgenröte davon – nämlich mit der Postkutsche. Aber er hätte schon in Edinburgh Leimruten gefunden. So weit ist er aber gar nicht erst gekommen – denn die Kutsche ist umgeworfen – er ist dabei schlecht gefallen und in eine Hütte bei Kittlebrig gebracht worden. Damit er nun auf keinen Fall entkommen kann, hab' ich Ihren Freund Kehraus hingeschickt, der soll ihn in nomine regis nach Fairport bringen und den Krankenwärter bei ihm spielen, wozu er sich so gut eignet. – Und nun, Sir Arthur, will ich mit Ihnen über die gegenwärtige unangenehme Sachlage reden, und wir wollen sehen, was sich machen läßt, um Sie aus diesem Betteltanz herauszubringen.«

Und der Altertümler nahm ihn mit in die Bibliothek.

Sie waren etwa zwei Stunden dort eingeschlossen, da störte sie Fräulein Wardour, die in Mantel und Hut, wie zu einer Reise fertig, hereintrat. Sie sah sehr bleich aus, aber doch verriet ihr Gesicht die ihr eigne Fassung und Ruhe.

»Der Gerichtsvollzieher ist zurück, Herr Oldbuck.«

»Zurück? – Was zum Teufel! er hat doch nicht etwa den Kerl aus den Klauen gelassen?«

»Nein, wie ich höre, hat er ihn in Gewahrsam gebracht, und nun ist er zurückgekehrt, um meinen Vater zu holen, er sagt, er kann nicht länger warten.«

»Dann hilft es nichts,« sagte Oldbuck, »ich fürchte, Sie werden mit dem Manne nach Fairport gehen müssen, fürs erste ist nichts dagegen zu machen– ich werde mit Ihnen gehen, um zu sehen, was zu tun ist – mein Neffe wird Fräulein Wardour nach Monkbarns bringen – ich hoffe, sie wird in Monkbarns bleiben, bis die Unannehmlichkeiten beseitigt sind.«

»Ich gehe mit meinem Vater, Herr Oldbuck,« sagte Fräulein Wardour fest. »Ich habe schon meine und seine Kleider gepackt – ich hoffe, man wird uns doch den Wagen zur Verfügung stellen.«

»Alles, wie es sich gehört, gnädiges Fräulein,« sagte der Exikutor. »Der Wagen steht schon draußen – ich steige auf den Bock zum Kutscher– aber zwei meiner Unterbeamten müssen Sie zu Pferde begleiten.«

»Ich reite auch mit,« rief Hektor und lief hinunter, sich selbst ein Pferd zu sichern.

»So müssen wir gehen,« sagte der Altertümler. »Ins Gefängnis,« sagte der Baron und seufzte unwillkürlich. »Und was ist denn weiter dabei?« fuhr er im Tone erkünstelter Heiterkeit fort. »Das ist 'ja schließlich nur ein Haus, aus dem man nicht herauskann. Wenn ich einen Anfall von Gicht bekommen hätte, ginge mir's in Knockwinnock ebenso. Ja ja, Monkbarns, sagen wir, es wäre ein Gichtanfall ohne die verd..... Schmerzen!«

Aber bei den Worten traten ihm die Tränen in die Augen und die versagende Stimme verriet, wie schwer ihm die erzwungene Heiterkeit wurde.

Auf der ersten Treppruhe machte Sir Arthur überwältigt Halt. Als er die Augen des Altertümlers angstvoll auf sich gerichtet sah, sagte er mühsam, doch würdevoll:

»Ja, Herr Oldbuck, dem Sprößling eines alten Geschlechts – dem Abkömmling Richards mit der roten Hand und Gamelyns de Guardover mag es verziehen sein, daß er seufzt, indem er aus dem Hause seiner Väter in dieser armseligen Weise hinaustransportiert wird. Als ich im Jahre 1745 mit meinem Vater selig zum Tower gebracht wurde – da geschah es wegen einer Anklage des Hochverrats – einer Beschuldigung, die unsere Abkunft nicht beeinträchtigte – und wir wurden eskortiert von einem Trupp der Leibgarde. Und nun werde ich in meinen alten Tagen von der Schwelle meines Hauses geschleppt durch einen so erbärmlichen Menschen wie dieser da (und er deutete auf den Gerichtsvollzieher) und wegen einer erbärmlichen Schuld von Pfunden, Schillingen und Pence.«

»Wenigstens haben Sie jetzt die Gesellschaft einer liebevollen Tochter,« sagte Oldbuck, »und eines aufrichtigen Freundes, und das kann ein Trost sein – aber da hör ich diesen heißblütigen Burschen schon wieder und noch lauter als sonst! Hoffentlich hat er sich nicht wieder was eingebrockt!«

In der Tat wurde plötzlich großer Lärm vernommen, und in dem Gewirr ließ sich Hektors nordischer Akzent vorherrschend vernehmen.


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