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Siebentes Kapitel

Am andern Morgen war der alte Edie in aller Frühe wieder auf den Beinen, und seine erste Frage galt Steenie und der Brieftasche. Der junge Fischer hatte seinem Vater helfen müssen, um noch vor Tagesanbruch sich die Flut zu nutze zu machen, aber er hatte versprochen, gleich nach seiner Rückkehr die Brieftasche mit all ihrem Inhalt, sorgfältig in ein Stück Segeltuch gewickelt, selber bei Ringan Eichholz für den Eigentümer Dusterschieler abzugeben.

Ehe der Bettler das Haus des Fischers verließ, trat er zu der alten Großmutter hin, die wieder an ihrem Platz am Herde saß, während die Fischerin selber schon zum Markt nach Fairport gegangen war.

»Guten Tag, Mütterchen,« sagte er. »Zur Erntezeit komm ich wieder, und ich hoffe, Sie dann noch immer frisch und gesund anzutreffen.«

»Bittet, daß Ihr mich in Ruhe im Grabe finden möget,« versetzte die Alte mit hohler, geisterhafter Stimme. »Hat nicht gestern jemand gesagt, – mir war's doch so, aber alte Leute haben ein schwaches Gedächtnis – hat nicht jemand gesagt, Joscelinde, die Gräfin von Glenallan, hätte das Zeitliche gesegnet?«

»Wer das gesagt hat, der hat die Wahrheit gesagt,« erwiderte der alte Edie. »Gestern ist sie bei Fackellicht in St. Ruth beeidigt worden.«

»Dann will ich mein Herz von seiner Last befreien, komme, was da wolle.« Dies sagte sie unter geringerer Mühsal, als ihr sonst das Sprechen zu bereiten schien, und machte dabei eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie etwas wegwerfen wollte. Sie richtete sich auf und suchte mit der langen, welken Hand in einer großen, altmodischen Tasche. Endlich brachte sie einen hübschen Siegelring hervor, in welchen eine Haarlocke von zwei verschiedenen Farben, schwarz und hellbraun durcheinandergeschlungen, eingesetzt war, der mit Brillanten von beträchtlichem Werte geziert war.

»Guter Mann,« sagte sie zu Ochiltree, »sofern Ihr je Gnade zu finden hofft, so müßt Ihr für mich nach dem Schlosse Glenallan gehen und den Grafen zu sprechen begehren.«

»Den Grafen von Glenallan! Ei, Mütterchen, der empfängt schon niemand von den Edelherren des Landes – wie sollte er gar einen Landstreicher wie mich vor sich lassen?«

»Geht hin und versuchts – und sagt ihm, Elsbeth von Craigburnfoot – wenn er den Namen hört, wird er sich auf mich besinnen können – müßte ihn sprechen, ehe sie von ihrer langen Pilgerfahrt abgerufen würde, sie sende ihm diesen Ring, damit er erkennen möge, worum es sich handle.«

Ochiltree sah den Ring an und staunte über den offenbaren Wert des Kleinods, dann legte er ihn in das Schächtelchen zurück, wickelte dieses in ein altes zerlumptes Taschentuch und steckte es in seine Brusttasche.

»Schön, Mütterchen,« sagte er, »ich will Ihren Auftrag ausführen, und wenn es nicht glückt, solls nicht meine Schuld sein. Aber das ist gewiß noch nicht dagewesen, kriegt ein Graf ein solches Juwel geschickt und von einem alten Fischweib, und der's ihm bringt, ist ein alter Bettelmann!«

Mit diesen Worten ergriff Edie seinen Stab, setzte den breitkrempigen Hut auf und trat seine Wanderschaft an. Die alte Frau stand eine Weile in starrer Haltung, die Augen auf die Tür geheftet, durch die ihr Gesandter gegangen war, dann wich die Spannung von ihr, und in ihrer alten Apathie sank sie wieder auf ihrem gewohnten Platz in sich zusammen.

Inzwischen schritt Edie Ochiltree seines Weges. Die Strecke bis Glenallan betrug zehn Meilen (nach englischer Messung) – ein Marsch, den der alte Soldat etwa in vier Stunden zurückgelegt hatte. Mit der seinem müßigen Gewerbe und seinem lebhaften Charakter eigenen Neugierde zerbrach er sich den ganzen Weg lang den Kopf darüber, was es wohl mit dieser seltsamen Sendung, die ihm aufgetragen worden war, für eine Bewandtnis habe, und in welcher Beziehung der stolze, reiche und mächtige Graf von Glenallan wohl zu den Verbrechen oder der Reue einer schwachsinnigen Greisin stehen könne, deren Stellung im Leben fast ebenso niedrig war wie die ihres Sendboten.

Er bemühte sich, an alles zurückzudenken, was er je von der Familie Glenallan gehört hatte, aber auch das brachte ihn nicht weiter, und es war ihm unmöglich, zu irgend welchem Schlüsse in dieser Angelegenheit zu gelangen. Er wußte, daß das ganze ausgedehnte Besitztum dieser alten und mächtigen Familie an die vor kurzem verstorbene Gräfin übergegangen war, die in besonders hervortretendem Grade den starren, wilden, unbeugsamen Charakter geerbt hatte, der seit ihrem ersten Auftreten in der schottischen Geschichte der Familie Glenallan eigen gewesen war.

Gleich allen ihren Ahnen war sie der römisch-katholischen Kirche in Eifer treu geblieben und war an einen englischen Edelmann derselben Konfession verheiratet worden, der aber zwei Jahre darauf schon gestorben war. Die Gräfin war also früh verwitwet und hatte ohne weitere Beaufsichtigung oder Beistand die bedeutenden Besitztümer ihrer beiden Söhne.

Der ältere, Lord Geraldin, auf den Vermögen und Titel der Glenallan übergehen sollte, war zu Lebzeiten seiner Mutter völlig von ihr abhängig. Der jüngere nahm am Tage seiner Großjährigkeit Namen und Wappen seines Vaters an, ergriff Besitz von seinem Vermögen und seinen Gütern, gemäß den im Heiratsvertrag der Gräfin getroffenen Bestimmungen. Nach dieser Zeit hatte er hauptsächlich in England gelebt und, seiner Mutter und seinem Bruder nur sehr kurze Besuche abgestattet. Als er sich gar zur reformierten Konfession bekehrte, hörten diese völlig auf.

Aber schon ehe er der Gebieterin von Glenallan diese tödliche Kränkung zufügte, hatte der Aufenthalt in Glenallan für einen jungen munteren Mann wie Edward Geraldin Neville wenig Verlockendes, wenn auch das düstere und abgeschiedene Leben dort dem menschenscheuen und melancholischen Wesen des älteren Bruders zuzusagen schien. Lord Geraldin war im Anfang seines Lebens ein vorzüglicher, vielverheißender Mann gewesen. Wer ihn auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, hegte die höchsten Erwartungen von seiner zukünftigen Laufbahn. Aber solche schönen Hoffnungen werden oft sonderbar vereitelt.

Der junge Mann kehrte nach Schottland zurück, und nachdem er ein Jahr etwa in Gesellschaft seiner Mutter gelebt hatte, schien die starre Finsternis und Schwermut ihres Charakters ganz auf ihn übergegangen zu sein. Da die Anhänger seiner Konfession von Staatsämtern ausgeschlossen waren, stand er dem politischen Leben fern, von allen Beschäftigungen leichterer Art hielt er freiwillig sich abseits, und so führte Lord Geraldin ein völlig zurückgezogenes Leben.

Sein gewöhnlicher Verkehr war nur von den Geistlichen seiner Kommunion gebildet, die ab und zu in das Herrenhaus kamen; und nur bei hohen Festlichkeiten wurden zwei bis drei Familien, die gleichfalls noch der katholischen Konfession angehörten, formell auf Glenallan-Haus bewirtet.

Der Tod der Gräfin hatte nun den finsteren Sohn zum Herrn gemacht, und Vermögen und Titel gingen auf ihn über. Doch schon verbreitete sich das Gerücht, die Gesundheit des Grafen sei durch das streng religiöse Leben untergraben, und er werde seiner Mutter bald ins Grab nachfolgen. Daß es so kommen würde, schien um so wahrscheinlicher, als sein Bruder an einem schleichenden Leiden gestorben war, das in den späteren Jahren seines Lebens zugleich seinen Leib und seinen Geist hingerafft hatte. Schon forschten die Genealogen in ihren Listen nach, wer wohl der Erbe dieser vom Unglück heimgesuchten Familie wäre, und die Advokaten freuten sich schon im voraus auf den bevorstehenden großen Prozeß der Glenallan-Erbfolge.

Glenallan-Haus, ein altes umfangreiches Gebäude, lag jetzt vor Edie Ochiltree, und während er darauf zuschritt, überlegte er, wie er wohl am besten Zutritt erlangen könnte, um seinen Auftrag auszurichten. Nach mannigfachem Bedenken beschloß er, dem Grafen das Erkennungszeichen durch einen der Diener bringen zu lassen.

Zu diesem Zwecke machte er an einer kleinen Hütte Halt, wo er aus dem Schächtelchen ein versiegeltes Päckchen machte, das er mit der Aufschrift versah: An Ihro Gnaden den Grafen von Glenallan. Aber da er sich doch sagen mußte, daß Sendungen, die von solchen Leuten wie ihm an den Toren vornehmer Häuser abgegeben wurden, nicht immer an die richtige Adresse gelangten, so beschloß Edie als alter Soldat, erst das Gelände aufzuklären, ehe er zum Angriff überging.

Er näherte sich nun der Wohnung des Pförtners und sah davor arme Leute in Reihen stehen, darunter auch mehrere wandernde Bettler wie er. Er schloß daraus, daß eine allgemeine Spende oder Almosenausteilung stattfinden solle.

Ein alter Bedienter teilte die Almosen aus, die in Fleisch, Brot und Geld bestanden, und als dieser ein paar Worte insgeheim wechselte und dabei sein Name genannt wurde, fiel dieser sowie das Gesicht des Mannes sofort unserem Blaurock auf, und als die anderen Leute alle ihr Teil erhalten und sich zerstreut hatten, rief er dem Manne, der eben gehen wollte, zu:

»He, Francie Macraw! Könnt Ihr Euch nicht mehr besinnen auf Fontenoy und das Formiert das Karree!«

»Hoho! Hoho!« rief Francie mit einem echten nordländischen Gebrüll des Erkennens, »so kann niemand anders sprechen als wie mein alter Kamerad aus dem ersten Glied Edie Ochiltree! Aber es tut mir leid. Mann, daß ich Euch in so jammervollem Zustand sehe.«

»Nicht ganz so schlimm, wie Ihr vielleicht denken mögt, Francie. Aber ich will nicht von hier fortgehen ohne einen Plausch mit Euch, alter Kerl, und ich weiß nicht, wann ich Euch mal wieder sehen werde, denn Eure Herrschaft sieht keine Protestanten gern, und das ist auch der Grund, weshalb ich noch nie hier gewesen bin.«

»Pst! Pst!« machte Francie. »Laßt diesen Flohstich jetzt! Wenn der Dreck trocken ist, könnt Ihr noch genug jucken. Jetzt kommt mit mir, ich will Euch was Besseres geben als das Zeug da!«

Und nachdem er ein paar vertrauliche Worte mit dem Pförtner gesprochen, (wahrscheinlich um sein Einverständnis zu haben) und gewartet hatte, bis der Almosenverteiler mit feierlich gemessenem Schritte in das Haus zurückgekehrt war, führte Francis Macraw seinen alten Kameraden in den Hof von Glenallan-Haus, den sie so schnell wie möglich überschritten. Sie traten in ein kleines Gemach, das Francis allein innehatte, da er des Grafen Kammerdiener war. Es war für ihn nicht schwierig, etwas kalte Küche und Bier herbeizuschaffen, und nun schwatzten die beiden von ihrer Soldatenzeit, bis dieser Gegenstand erschöpft war und Edie beschloß, nunmehr auf seinen Auftrag zu kommen, den er beinahe ganz vergessen hätte.

»Ich habe eine Bittschrift an den Grafen abzugeben,« sagte er.

»Ach, guter Freund, sagte Francie, »von Bittschriften will der Graf nichts wissen, aber ich will sie dem Almosenier geben.«

»Sie betrifft ein Geheimnis, und vielleicht ist es da dem Grafen das liebste, er sieht sie sich selber an.«

»Gerade deshalb wird sie wohl der Almosenier vor allen andern zu allererst sehen wollen.«

»Ich habe den weiten Weg hierher gemacht, Francie, da müßt Ihr mir nun schon behilflich sein.«

»Na, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« sagte sein Freund. »Mögen sie auf mich auch noch so böse sein. Mögen sie mich meinetwegen hinauswerfen!«

Mit diesem Entschlusse ging Francie hinaus. Es dauerte lange, bis er wiederkam, und als er endlich zurückkehrte, verriet sein Wesen Verwunderung und Unruhe.

»Mein Herr ist äußerst trostlos und sehr erstaunt,« sagte er. »Aber er will Euch sprechen, das hab ich erreicht. Ein paar Minuten lang war er wie abwesend, und ich dachte schier, er würde völlig den Verstand verlieren. Als er wieder zu sich kam, fragte er, wer den Brief gebracht hätte. Ich sagte ihm nun, das Papier hätte ein alter Mann mit einem weißen Barte gebracht, es könnt ein Kapuziner sein, denn er sei gekleidet wie ein alter Pilger. Er wird dich nun rufen lassen, sobald es ihm möglich ist.«

»Ich wollte, ich hätte die Geschichte schon glücklich hinter mir,« sagte Edie. »Die Leute sagen, der Graf wär nicht recht bei Sinnen, und vielleicht wird er fuchsteufelswild, daß ich mir so viel herausgenommen habe.«

Es gab nun aber kein Zurück mehr, denn es erklang jetzt eine Glocke und leise, als wär sein Herr ganz in der Nähe, sagte Macraw:

»Da schellt mein Herr! – folgt mir und tretet hübsch sacht auf, Edie.«

Edie folgte nun seinem Führer über einen langen Korridor und eine Treppe hinauf, die nach den Gemächern der Familie führte. Am Ende des Ganges traten sie in eine kleine, schwarzverhangene Antichambre. Hier sahen sie sich plötzlich dem Almosenier gegenüber, der das Ohr an die entgegengesetzte Tür gelegt hielt in der Stellung eines Mannes, der aufmerksam horcht, aber dabei ertappt zu werden fürchtet.

Der alte Diener und der Geistliche stutzten beide, als sie sich erblickten. Aber der Almosenier faßte sich zuerst, trat auf Macraw zu und sagte in gedämpftem, aber herrischem Tone:

»Wie könnt Ihr es wagen, dem Gemach des Grafen Euch zu nähern, ohne anzuklopfen? Und wer ist dieser Fremde und was hat er hier zu suchen? – Tretet in den Korridor zurück und wartet dort auf mich.«

»Es ist unmöglich, Euer Ehrwürden jetzt zu Willen zu sein,« antwortete Macraw, indem er die Stimme erhob, so daß er im nächsten Zimmer gehört werden konnte, denn er wußte, daß der Priester ihn nicht weiter behelligen werde, wenn er vom Grafen gehört zu werden fürchten mußte. »Der Graf hat geklingelt.«

Er hatte die Worte kaum gesprochen, da klingelte es nochmals, und stärker als zuvor. Der Geistliche sah ein, daß ein weiterer Einspruch unmöglich sei, drohte Macraw mit dem erhobenen Finger und ging hinaus.

Edies Freund öffnete nun die Tür, an der sie den Kaplan hatten stehen sehen.


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