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Vierzehntes Kapitel.

Beiderseitiges Erstaunen lag auf ihren Gesichtern, als der Altertümler und Lord Glenallan sich begrüßten. Herr Oldbuck zeigte stolze Zurückhaltung, der Graf große Verlegenheit.

»Mylord Glenallan, wo mir recht ist?« sagte Herr Oldbuck.

»Ja – sehr verändert seit der Zeit, da er Herrn Oldbuck kannte.«

»Ich wollte Euer Lordschaft nicht stören,« sagte der Altertümler; »ich wollte nur diese unglückliche Familie besuchen.«

»Und Sie haben damit einen gefunden, der noch größern Anspruch auf Ihr Beileid hat.« »Mein Beileid? – Lord Glenallan kann meines Beileids nicht bedürfen. Und wenn er des bedürfte, so würde er mich wohl kaum darum angehen.«

»Unsere frühere Bekanntschaft,« sagte der Graf. ...

»Liegt nun ja so weit zurück, Mylord – und war auch von so kurzer Dauer und mit so außerordentlich peinlichen Umständen verknüpft, daß ich wohl meine, wir können von jeder Erneuerung absehen.«

Mit diesen Worten wandte der Altertümler sich ab und verließ die Hütte, aber Lord Glenallan folgte ihm hinaus, und trotzdem Oldbuck ihm nur ein flüchtiges »Guten Morgen, Mylord,« zurief, bat doch der Graf ihn um eine kurze Unterredung und seinen Rat in einer wichtigen Angelegenheit.

»Euer Lordschaft werden viele geeignetere und bessere Ratgeber finden, Mylord, die es sich zur Ehre anrechnen werden, von Ihnen gefragt zu werden. Ich meinerseits lebe zurückgezogen vom Geschäft und der Welt und bin kein Freund davon, die vergangenen Geschehnisse meines nutzlosen Lebens wieder auszukramen. Und nehmen Sie mir's nicht übel, aber es würde für mich ganz besonders schmerzlich sein, zu jener Periode meines Lebens zurückzukehren, wo ich wie ein Esel handelte und Euer Lordschaft wie ...«

»Wie ein Schurke, wollten Sie sagen,« ergänzte Lord Glenallan, »allerdings muß ich Ihnen so vorgekommen sein.«

»Mylord, Mylord, ich habe kein Verlangen, Ihre Beichte anzuhören,« sagte der Altertümler.

»Aber, Herr, wenn ich zeigen kann, daß man mehr an mir gesündigt hat, als daß ich gesündigt habe – daß ich ein unglücklicher Mann – ein unsagbar unglücklicher Mann gewesen bin, der jetzt nach dem frühzeitigen Grabe als dem Hafen der Ruhe sich sehnt – so werden Sie sich nicht weigern, mich anzuhören oder dagegen Einspruch erheben, daß ich Ihr Erscheinen in diesem kritischen Augenblick als einen Wink vom Himmel ansehe.«

»Gewiß, Mylord, werde ich nicht länger der Fortsetzung dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft aus dem Wege gehen.«

»Ich muß Sie dann an die gelegentlichen Begegnungen vor etwa zwanzig Jahren im Schloß Knockwinnock erinnern. – Sie werden sich auf eine Dame besinnen können, die damals zur Familie gehörte.« »Das unglückliche Fräulein Eveline Neville, Mylord, – ich erinnere mich recht gut.«

»Sie brachten ihr Neigung entgegen.« –

»Eine weit tiefere Neigung, als ich je zuvor und je seither einem Mitglieds ihres Geschlechts entgegengebracht habe. Ihre Sanftmut, ihre Gelehrigkeit, ihr Vergnügen an den Studien, die ich ihr wies, machten mir wohl das Herz wärmer, als meinem Alter geziemte (ich war allerdings noch gar nicht mal so sehr alt) oder bei der Solidität meines Wesens sich gehörte. Aber ich brauche Eure Lordschaft wohl nicht daran zu erinnern, auf wie mannigfache Weise Ihre Spottlust sich an dem linkischen zurückgezogenen Studenten betätigte, den die ihm so ganz neuen Gefühle verwirrten – und wahrscheinlich hat die junge Dame an der wohlverdienten Verhöhnung teilgenommen, – das ist ja so die Manier des Weibsvolks. Eure Lordschaft können versichert sein, daß ich mich noch auf alles sehr wohl erinnern kann, und Sie können Ihre Geschichte ohne Bedenken und ohne überflüssiges Zartgefühl erzählen.«

»Das will ich,« sagte Lord Glenallan, »zuvörderst aber will ich Ihnen sagen, daß Sie dem Andenken der zartesten, liebsten und unglücklichen aller Frauen unrecht tun, wenn Sie meinen, Sie hätte mit der Zuneigung eines so biederen Mannes wie Sie Spott treiben können. Oft genug hat sie mich getadelt, wenn mein Leichtsinn sich Sie zum Ziel erkor. Darf ich nun annehmen, daß Sie jetzt über die Ausgelassenheit hinwegsehen, die Ihnen damals weh tat?«

»Mylord, Sie haben volle Verzeihung,« sagte Herr Oldbuck, »Sie sollten wissen, daß ich wie andere damals keine Ahnung davon hatte, daß ich mit Eurer Lordschaft in Nebenbuhlerschaft trat; ich dachte damals, daß Fräulein Neville noch über ihre Hand zugunsten eines ehrlichen Mannes hätte entscheiden können. Aber ich vergeude nur Zeit, – ich. wünschte, ich könnte glauben, daß die Absichten anderer ebenso ehrlich und wohlgemeint gewesen wären wie meine.«

»Herr Oldbuck, Sie urteilen hart.«

»Nicht ohne Grund, Mylord. Als ich allein von allen Obrigkeitspersonen dieser Gegend – weil ich nicht wie viele unter ihnen die Ehre hatte, Ihre einflußreiche Familie zu kennen, noch auch wie wieder andere so feige war, eine so mächtige Familie zu fürchten – als ich, wie gesagt, als einziger eine Nachforschung darüber anstellte, wie Fräulein Neville ums Leben gekommen wäre – ich erschüttere Sie, Mylord, aber ich muß Ihnen reinen Wein einschenken – so muß ich zugeben, daß ich alle Ursache hatte, zu glauben, daß ihr höchst niederträchtig mitgespielt worden sei und daß sie entweder durch die Vorspiegelung einer Heirat betrogen oder sehr gewaltsame Maßregeln ergriffen worden seien, die Beweise einer wirklichen Heirat zu vernichten. Und ob diese Grausamkeit von seiten Eurer Lordschaft nun aus Ihrem freien Willen entsprungen oder aus der Beeinflussung der Gräfin hervorgegangen sein mag – ich kann bei mir selber nicht daran zweifeln, daß Sie dadurch die unglückliche junge Dame zu der verzweifelten Tat getrieben haben, mit der sie ihr Leben endete.«

»Sie irren sich, Herr Oldbuck, und folgern falsch, wenn Sie auch in ganz natürlicher Weise aus den Umständen Ihre Schlüsse ziehen. Haben Sie die Güte, mit Platz zu nehmen auf dieser Bank, denn ich bin nicht imstande, länger zu stehen, und hören Sie die seltsame Entdeckung an, die ich heute gemacht habe.«

Sie setzten sich, und Lord Glenallen begann seine unglückliche Familiengeschichte zu erzählen – seine heimliche Heirat – die entsetzliche Lüge, durch die seine Mutter die geschlossene Verbindung unmöglich gemacht hätte. Er schilderte eingehend die Künste, durch die die Gräfin die Dokumente über Fräulein Nevilles Geburt unterdrückt hätte, und wie sein Vater eine Zeitlang aus Familiengründen eingewilligt habe, daß sie für seine natürliche Tochter erklärt worden sei, und wie er unmöglich den Betrug seiner Mutter hätte ahnen oder gar entdecken können, zumal die Dienstpersonen Elsbeth und Theresa die Sache beschworen hätten.

»Ich verließ mein Vaterhaus,« schloß er, »als wenn die Furien der Hölle mich vorwärts getrieben hätten, und jagte in wahnwitziger Schnelligkeit – wohin, weiß ich nicht. Auch habe ich nicht die mindeste Erinnerung, was ich getan oder wohin ich mich begeben habe, bis mein Bruder mich aufgefunden hatte. Ich will Sie nicht behelligen mit einer Beschreibung meines Krankenlagers und meiner Genesung, oder wie ich lange nachher noch Nachforschungen nach meiner unglücklichen Geliebten angestellt und erfahren habe, daß sie in ihrer Verzweiflung ein furchtbares Mittel gegen alles Leid gefunden hatte. Das erste, was mich wieder zur Besinnung brachte, war die Nachricht, daß sie in diese grausame Geschichte Licht zu bringen bemüht seien; und es wird Sie kaum wundernehmen, daß ich – da mir eine solche Darstellung der Sachlage beigebracht worden war, mich an den Bemühungen meiner Mutter und meines Bruders, Ihrer Nachforschung einen Riegel vorzuschieben, emsig beteiligte. Es gelang, Sie abzuschrecken und alle Zeugen, die bei der Eheschließung zugegen gewesen waren, mundtot zu machen oder außer Landes zu bringen. Ich selber, Herr Oldbuck,« fuhr der unglückliche Mann fort, »betrachtete mich von diesem Augenblicke an als ausgestrichen aus dem Buche der Lebenden und als einen, der auf dieser Welt nichts mehr zu suchen habe. Wenn während dieser zwanzig Jahre, Herr Oldbuck, ein Wesen auf der Erde herumgekrochen ist, das Ihr Mitleid verdiente, so bin ich dieses Wesen gewesen. Meine Nahrung hat mich nicht genährt – mein Schlaf hat mich nicht erfrischt – meine Frommheit hat mich nicht getröstet – alles, was für den Menschen erheiternd und nötig ist, hat sich für mich in Gift verwandelt. Dagegen anzukämpfen hätte eine Energie erfordert, die ich nicht mehr besaß, seit der vernichtende Schlag mich getroffen hatte. Ich vegetierte, so gut es eben ging – Phantasie, Gefühl, Urteil und Gesundheit gingen allmählich zugrunde, wie ein Baum eingeht, dessen Rinde zerstört wurde. Bemitleiden Sie mich nun? Vergeben Sie mir nun?«

»Mylord,« sagte der Altertümler, sehr ergriffen, – »meine Vergebung – mein Mitleid, haben Sie nicht zu erbitten, denn Ihre Geschichte ist an sich die triftigste Entschuldigung für alles, was in Ihrem Verhalten geheimnisvoll erscheinen konnte, und mag wohl selbst Ihre schlimmsten Feinde, Mylord (und zu denen habe ich nie gezählt), zu Tränen und Beileid rühren. Aber erlauben Sie mir danach zu fragen, was Sie nun tun wollen und weshalb Sie mir die Ehre erwiesen, mich bei dieser Gelegenheit ins Vertrauen zu ziehen, da doch meine Meinung hier kaum in Frage kommen kann?«

»Herr Oldbuck,« erwiderte der Graf, »die Natur des Bekenntnisses, das ich heute vernommen habe, konnte ich nicht voraussehen, und daher ist es mir, das brauche ich wohl nicht erst zu sagen, auch niemals in den Sinn gekommen, daß ich Sie einmal um Rat würde fragen müssen – aber ich bin ohne Freunde, an keine Geschäfte gewohnt durch meine lange Abgeschlossenheit, ich kenne auch nicht die Gesetze des Landes und die Gebräuche der lebenden Generation. Nun finde ich mich plötzlich in Dinge verwickelt, in denen ich gar nicht Bescheid weiß, und so greife ich wie ein Ertrinkender nach der ersten Stütze, die sich mir bietet, und wende mich an Sie um Rat, um Mitgefühl, um Hilfe.«

»Sie sollen es nicht vergebens getan haben, Mylord,« sagte Oldbuck, »aber die Sache will reiflich bedacht sein, und gestatten Sie mir zunächst die Frage, was Sie momentan beabsichtigen?«

»Ich will mir Gewißheit darüber verschaffen, was aus meinem Kinde geworden ist,« sagte der Graf, »mögen die Folgen sein, welche sie wollen, und ich will dem Andenken der Eveline Gerechtigkeit erweisen.«

»Und das Andenken Ihrer Mutter?«

»Muß seine eigene Last tragen,« versetzte der Graf seufzend, »besser sie wäre verdientermaßen des Betruges überführt, als andere ungerecht noch weit schrecklicherer Verbrechen angeklagt.«

»Wann haben wir zunächst dafür zu sorgen,« sagte Oldbuck, »daß die Mitteilungen dieser alten Frau in gesetzmäßiger Form aufgenommen werden. Das wird uns vor morgen nicht möglich sein, und ich mache Ihnen daher den Vorschlag solange in Monkbarns mein Gast zu sein. Morgen werden die armen Fischersleute ihrem Gewerbe wieder nachgehen, und wir treffen dann die alte Elsbeth allein und können ihre Aussage zu Protokoll nehmen.«

Nach einer förmlichen Entschuldigung der Umstände, die er ihm bereiten würde, nahm Lord Glenallan die Einladung an und ließ auf dem Heimweg geduldig die ganze Geschichte von John o'the Girnell über sich ergehen, eine Legende, die Herr Oldbuck bekanntlich jedem, der seine Schwelle betrat, zum besten gab.


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