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Fünftes Kapitel.

Es war eine stürmische Nacht mit Wind und Regenschauern.

»Ach du meine Zeit,« sagte der alte Bettler, indem er sich an der geschützten Seite der alten Eiche niederhockte, um auf seinen Gefährten zu warten. – »Was doch die Menschennatur für ein launisches, wunderliches Ding ist! – Aus purer Gewinnsucht kommt dieser Dusterwühler hierher in diesem Sturm und Unwetter um zwölf Uhr nachts an diese wilde Stätte! Und bin ich nicht ein größerer Narr als er, daß ich hier sitz und auf ihn warte?«

Nach diesen weisen Betrachtungen hüllte er sich in den Mantel und heftete das Auge auf den Mond, der durch die stürmischen düsteren Wolken glitt. Der trübselige ungewisse Schein, den er durch die vorüberziehenden Schatten warf, fiel voll auf die Bogen und Fenster des alten Gebäudes, die so in ihrem Verfall auf einen Augenblick deutlich sichtbar wurden und dann wieder als dunkle, undeutliche, schattenhafte Masse erschienen.

»Ich hab in Deutschland und in Amerika auf Posten gestanden,« sagte der Bettler zu sich selber, »in mancher schlimmern Nacht, wo ich wußte, daß ein Dutzend Scharfschützen vor mir im Dickicht liegen konnten. Aber ich hab meine Pflicht getan, und nie hat jemand Edie schlafend ertappt.«

Während er so vor sich hinsprach, schulterte er unwillkürlich seinen Stock und stellte sich hin wie eine Schildwache, und als sich Schritte dem Baume näherten, rief er in einem Tone, der besser zu seinen militärischen Erinnerungen als zu seinem gegenwärtigen Zustande paßte: »Halt! Wer da?«

»Tschum Satan, guter Edie,« antwortete Dusterschieler, »was brüllen Sie hier wie ein Bärenhäuter oder wie eine Schildwache?«

»Weil ich eben im Augenblick dachte, ich wär eine Schildwache,« antwortete der Bettler. Eine entsetzliche Nacht ist's – haben Sie eine Laterne und einen Quersack, wo wir das Silber hineintun können?«

»Ja – ja – mein guter Freund,« sagte der Deutsche, »hier ist ein doppelter sogenannter Sattelsack. Eine Seite ist für Sie, eine Seite für mich – ich nehme beide nachher auf mein Pferd, damit Sie es nicht selber tschu tragen brauchen, denn Sie sind ein alter Mann.«

»Sie haben also ein Pferd hier?« fragte Edie Ochiltree.

»O ja, mein Freund, da drüben habe ich's angebunden,« antwortete der Schwarzkünstler.

»Na, da hab ich ja auch ein Wort mitzureden, von meinem Anteil soll nichts auf den Rücken des Pferdes kommen.«

»Was sollten Sie dabei tschu befürchten haben?« '

»Bloß, daß mir Mann, Pferd und Geld ausreißen könnten,« versetzte der Landstreicher.

»Wissen Sie auch, daß Sie damit einen Ehrenmann tschu einem großen Schurken stempeln?«

»Mancher Ehrenmann kann das aus sich machen,« erwiderte Ochiltree. »Aber wozu streiten wir uns? Wenn Sie Lust haben, dann wollen wir uns ans Werk machen, wenn nicht, so kehr ich zurück zu meinem gemütlichen Strohlager bei Ringan Eichholz und nehme Schaufel und Spaten wieder mit, wo ich sie her habe.«

Obwohl innerlich vor Wut kochend, nahm doch Dusterschieler den schmeichelnden Ton an, in dem er zu sprechen pflegte, und bat seinen Freund, den guten Meister Edie Ochiltree, er möchte ihn führen, und versicherte ihm, daß er mit allem einverstanden wäre, was ein so ausgezeichneter Freund vorschlagen würde. »Na schön,« sagte Edie, »dann sehen Sie sich vor, daß Sie in dem langen Grase nicht über lose Steine fallen.«

Mit diesen Worten schritt Edie voran, der Ruine zu, und der Adept folgte ihm auf den Fersen. Gleich darauf aber blieb er wieder stehen.

»Sie sind ein Gelehrter, Herr Dusterspieler, und wissen viel über das wunderbare Wirken der Natur – wollen Sie mir eines sagen? Glauben Sie daran, daß Geister und Gespenster auf der Erde wandeln? Glauben Sie daran? – ja oder nein?«

»Ei, guter Herr Edie,« flüsterte Dusterschieler in mahnendem Tone, – »ist jetscht eine Tscheit und ist dies ein Ort, solche Fragen tschu stellen?«

»Das ist es in der Tat, Herr Dusterspieler, denn ich muß Ihnen offen sagen, es geht die Rede, daß der alte Schwarzrock umgeht. Nun wär das aber eine sehr häßliche Nacht für ein Zusammentreffen mit ihm, und wer weiß, ob er über unseren Besuch bei seinem Grabe sehr erfreut sein würde.«

»Alle guten Geister,« murmelte der Adept, und der Rest der Beschwörungsformel verlor sich in einem zitternden Brummen, »ich wünschte nur, Sie sprächen nicht so, Herr Edie, denn nach allem, was ich neulich Nacht gehört habe, glaube ich sehr stark ...«

»Na, ich,« sagte Ochiltree und trat in die Kapelle, indem er mit einer trotzigen Gebärde den Arm schwenkte, »ich würde nicht soviel mehr für ihn geben, wenn er jetzt in diesem Augenblicke erschiene – er ist nur ein lebloses Wesen, und in uns ist Leben und Kraft.«

»Um der Liebe des Himmels willen,« sagte Dusterschieler, »sagen Sie nichts von solchen Dingen!«

»Schön,« sagte der Bettler, indem er den Schirm von der Laterne nahm, »hier ist der Stein, und Geist oder kein Geist, ich will noch ein bißchen tiefer ins Grab.«

Und er sprang hinein, und nachdem er ein paar Stiche mit dem Spaten getan hatte, wurde er müde, oder er stellte sich wenigstens so – und sagte zu seinem Gefährten:

»Ich bin schon alt und schwach und kanns nicht halten – kommen Sie herein und nehmen Sie die Hacke ein bißchen, nachher löse ich Sie wieder ab.«

Dusterschieler stieg daher an Stelle des Bettlers hinein und arbeitete mit all dem Eifer, den die Habgier – freilich hatte auch das bange Verlangen, fertig zu werden und sobald wie möglich die unheimliche Stätte zu verlassen, seinen Teil daran – in einem zugleich gewinnsüchtigen und furchtsamen Gemüt erwecken konnte.

So arbeitete denn Dusterschieler unter den Steinen und dem harten Boden wie ein Pferd und fluchte innerlich auf deutsch. Wenn solch ein unheiliges Wort seinen Lippen entschlüpfte, begann Edie, der ihm in aller Gemütsruhe bei seiner schweren Arbeit zusah:

»O fluchen Sie nicht, fluchen Sie nicht! Wer weiß, wer's hören kann? – He, Gott sei bei uns! was ist das da? – He, es ist weiter nichts als ein Efeublatt, das von der Mauer weggeflattert ist. Wie der Mond darauf schien, sah es doch ganz aus wie der Arm eines Toten mit einer Kerze in der Hand. Dacht ich doch, es war der Schwarzrock selber. Aber lassen Sie sich nicht stören – arbeiten Sie weiter – werfen Sie die Erde hierher – fein verstehen Sie die Arbeit, wie ein echter und rechter Totengräber! Was halten Sie denn jetzt an?«

»Halt!« sagte der Deutsche in einem Tone der Wut und Enttäuschung. – »Ich bin auf den Felsen geraten, auf dem diese verfluchten Ruinen – Gott vertscheih mir – gebaut worden sind.« »Gut,« sagte der Bettler, »das wird nur ein Stein sein, der dazwischen geschoben ist, damit man das Gold nicht sogleich sehen soll. Hauen Sie drauf, Mann – ein ordentlicher derber Schlag, und er wird zersplittern, dafür steh ich Ihnen. Na, so ist es recht!« Durch Edies Aufforderungen veranlaßt, hatte in der Tat der Adept ein paar verzweifelte Schläge geführt und zwar nicht den Stein – denn wie er vermutet hatte, war es allerdings der harte, feste Felsen – dafür aber das Werkzeug, das er führte, zerbrochen, und ein Krampf fuhr ihm durch die Arme bis hinauf in die Schulterblätter.

»Hurra! Ringans Hacke ist zum Teufel!« rief Edie. »Eine Schande ist's, daß das Volk in Fairport so zerbrechliches Werkzeug verkauft! Versuchen Sie's mit der Schaufel. Nochmals ans Werk, Herr Dusterwühler!«

Ohne eine Antwort kletterte der Adept heraus aus der Grube, die sechs Fuß tief war, und wandte sich an seinen Gefährten in einem Tone zitternder Wut.

»Wissen Sie, Herr Edie Ochiltree, wer es ist, mit dem Sie Ihre Witsche und Schertsche reißen?«

»Sehr gut, Herr Dusterwühler, sehr gut kenn ich Sie, und hab Sie schon lange gekannt, aber von Witzen und Scherzen ist hier gar keine Rede, denn mir liegt daran, daß wir unseren Schatz zu sehen kriegen – wir hatten längst schon den Mantelsack vollhaben müssen. Hoffentlich ist er groß genug, daß alles hineingeht?«

»Warten Sie, Sie gemeine alte Person,« sagte der vor Wut rasende Philosoph, »wenn Sie noch einen Mumpitsch, mit mir treiben, dann schlag ich Ihnen mit dieser Schaufel den Schädel ein!«

»Und wo wären dann wohl meine Hand und mein Stock hier?« versetzte Edie in einem Tone, der keine Furcht verriet. »Papperlappapp! Herr Dusterwühler, ich habe nicht so lange auf dieser Welt gelebt, daß ich nun auf diese Weise hinausgeschaufelt werden sollte. Was tut Ihnen denn weh, Mann, daß Sie sich mit Ihren Freunden zanken? Ich wette, ich finde den Schatz in einer Minute!«

Und er sprang in die Grube und ergriff den Spaten.

»Ich schwöre Ihnen,« sagte der Adept, dessen Verdacht nun voll erwacht war, »wenn Sie mir einen groben Streich gespielt haben, so will ich's Ihnen heimtschahlen mit groben Hieben.«

»Da hör ihn einer,« sagte Ochiltree, »er weiß, wie der Hase läuft! Wer nicht selber hinter der Tür gesteckt hat, vermutet keinen anderen dahinter.«

Bei dieser Bemerkung, die wahrscheinlich auf den Auftritt des Adepten mit Sir Arthur gemünzt war, verlor der Philosoph den letzten Rest an Geduld, der ihm noch verblieben war, und da er überhaupt wilden, leidenschaftlichen Charakters war, hob er den Stumpf der zerbrochenen Hacke, um sie auf das Haupt des alten Mannes niedersausen zu lassen.

Der Schlag wäre aller Wahrscheinlichkeit nach verhängnisvoll gewesen, wenn nicht der, dem er galt, in strengem, festem Tone ausgerufen hätte:

»Schande über Sie, Mann! Glauben Sie, Himmel oder Erde ließen es zu, daß Sie einen alten Mann ermorden, der Ihr Vater sein könnte? Mann, sehen Sie sich um!«

Unwillkürlich wandte Dusterschieler sich um, und zu seinem größten Erstaunen sah er eine große, dunkle Gestalt dicht hinter sich stehen.

Die Erscheinung ließ ihm nicht Zeit, mit Beschwörung oder in anderer Weise gegen sie vorzugehen, sondern ging sogleich zur Tat über und ließ mehrere so wuchtige Schläge auf die Schultern des Adepten niederrasseln, daß er zusammenbrach und zwischen Furcht und Betäubung eine Weile besinnungslos liegen blieb.

Als er wieder zu sich kam, war er allein in der verfallenen Kapelle und lag auf der weichen, feuchten Erde, die aus Schwarzrocks Grab geworfen worden war. Er erhob sich mit einer gemischten Empfindung von Wut, Schmerz und Entsetzen, und erst, nachdem er ein Weilchen aufgerichtet dagesessen hatte, konnte er hinreichend Ordnung in seine Gedanken bringen, um sich zu erinnern, wie und in welcher Absicht er hierhergekommen war.

Als ihm alles wieder einfiel, konnte er nicht daran zweifeln, daß die Lockspeise, mit der Edie Ochiltree ihn an diesen einsamen Ort gebracht hatte, der Spott, durch den er einen Zank mit ihm heraufbeschworen hatte, und die pünktlich bereite Hilfe, die den Streit beendet hatte – daß dies alles von vornherein abgekartete Sache war, um Hermann Dusterschieler Schande und Schaden zuzufügen.

Er konnte kaum denken, daß er die schwere Arbeit, die Angst und die erlittenen Schläge allein der Bosheit Edie Ochiltrees verdanke, sondern meinte, daß der Bettler nur als Werkzeug einer wichtigeren Person tätig gewesen sei. Sein Argwohn schwankte zwischen Oldbuck und Sir Arthur Wardour. Daß es der letztere sei, hatte seines Erachtens die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn wenn Sir Arthur wohl auch noch nicht all seine Schlechtigkeit in ihrem vollen Umfange durchschaut haben mochte, so mußte der Adept doch vermuten, daß er wohl genug vom wahren Sachverhalt erfahren haben mußte, um Vergeltung an ihm zu üben.

Dusterschieler hatte sich daher kaum in die Höhe gearbeitet, so hatte er auch bei sich selber schon geschworen, seinen Wohltäter ins Verderben zu stürzen, und unglücklicherweise lag es nur zu sehr in seiner Macht, den Zusammenbruch des Barons zu beschleunigen.

Aber für die Rachegedanken, die ihm im Hirne rumorten, war jetzt nicht die Zeit. Die Stunde, die Stätte, seine eigene Lage, die Gegenwart oder vielleicht die Nähe derer, die ihn überfallen hatten, lenkten alles Sinnen des Adepten zunächst auf Selbsterhaltung. Die Laterne war umgefallen und in dem Ringen erloschen. Der Wind, der zuvor so laut durch die Bogen der Ruine geheult hatte, war fast ganz zur Ruhe gegangen, unterdrückt von dem Regen, der leise und stark herniederfiel. Der Mond war nun völlig verfinstert, und obwohl Dusterschieler einigermaßen in den Ruinen Bescheid wußte, und er sich darüber klar war, daß er das östliche Tor der Kapelle zu erreichen versuchen müsse, so waren doch seine Begriffe derartig verwirrt, daß er eine Zeitlang ratlos stand und nicht wußte, in welcher Richtung er es zu suchen habe. In dieser Verwirrtheit gewann wiederum der Aberglaube, unterstützt durch die Finsternis und sein böses Gewissen, die Oberhand über ihn.

»Ah bah!« sagte er tapfer zu sich selber, »das ist alles Mumpitsch! – Das ist alles weiter nichts als großer, riesengroßer Schwindel und Betrug! Teufel! ein dicknischeliger schottischer Baron, den ich fünf Jahre lang an der Nase herumgeführt habe, sollte jetscht Hermann Dusterschieler tschum Narren haben!«

Als er zu diesem Schluß gekommen war, da geschah etwas, das wohl angetan war, den Boden, auf den er sich in diesen Betrachtungen gestellt hatte, zu erschüttern. Mitten in dem melancholischen Geseufze des Windes und dem leisen Plätschern des Regens auf Blätter und Steine erhob sich plötzlich, und allem Anschein nach nicht weit von dem Hörer, eine klangvolle, melodische Musik, die in ihrer Schwermut und Feierlichkeit ganz so klang, als ob die abgeschiedenen Geister der Kirchenmänner, die einst diese verlassenen Ruinen bewohnt hatten, über die Einsamkeit und die Verwüstung klagten, denen ihre geweihte Wohnstätte preisgegeben war.

Dusterschieler, der sich jetzt emporgerafft hatte und an der Mauer der Kapelle tastend entlangschlich, stand wie angewurzelt, als dieses neue Wunder sich ereignete. Jede Fähigkeit seiner Seele schien für den Augenblick mit in den Sinn des Hörens einbezogen, und alle schienen ihm einstimmig die Überzeugung aufzudrängen, daß der tiefe, wilde, langgezogene Gesang, den er jetzt hörte, eine der feierlichsten Totenweisen der römischen Kirche sei.

Warum sie in dieser Einsamkeit gesungen wurde, und von was für einer Art Choristen sie gesungen wurde, das waren Fragen, die die entsetzte Phantasie des Adepten, in der all der deutsche Aberglaube von Nixen, Erlkönigen, Werwölfen, Kobolden, Waldschratten und schwarzen Geistern, weißen Geistern, blauen Geistern und grauen Geistern bunt durcheinander spukte, nicht zu beantworten wagte.

Bald wurde ein anderer seiner Sinne von dem Wunder beansprucht. Am Ende eines der Durchgänge der Kirche, am Grunde einer kleinen Treppe von wenigen hinunterführenden Stufen war eine kleine Eisengittertür, die, soweit er sich erinnerte, in ein tiefes Gewölbe, eine Art Sakristei, führte. Als er nach der Richtung hinschaute, aus der die Musik erscholl, bemerkte er einen starken, glühroten Lichtschein, der durch das Gitter fiel. Dusterschieler stand einen Augenblick unschlüssig, was er tun sollte. Dann faßte er plötzlich einen verzweifelten Entschluß und schritt den Bodengang hinab nach der Stelle, von der das Licht ausging.

Er schlug das Zeichen des Kreuzes zu seiner Stärkung und murmelte so viel Beschwörungsformeln, wie sein Gedächtnis ihm eingab – und so näherte er sich dem Gitter, von dem aus er, ungesehen, sehen konnte, was im Innern der Gruft vorging. Als er mit scheuen unsicheren Schritten herantrat, erstarb nach einigen wilden, langgezogenen Tönen der Gesang, und tiefes Schweigen herrschte. Das Gitter ließ ihn ein seltsames Bild im Innern der Sakristei erschauen.

Ein offenes Grab mit vier großen, etwa sechs Fuß hohen Fackeln an den vier Ecken – eine Bahre und ein Leichnam darauf – die Arme auf der Brust gefaltet – dicht an einer Seite des Grabes, als sollte er eben bestattet werden. Ein Priester mit Hut und Meßgewand hielt das offene Andachtbuch in der Hand – ein anderer trug, gleichfalls im Ornat, ein Becken mit Weihwasser – und zwei Knaben in weißen Hemden hielten das Geschirr mit dem Weihrauch – ein Mann, einst von hohem, gebietendem Wuchse, jetzt von Alter oder Schwäche gebeugt, stand allein und dem Sarge am nächsten in der Tracht tiefster Trauer. Dies waren die hervorragenden Erscheinungen in dem Bilde.

Ein Stückchen weiter entfernt standen ein paar Gestalten beiderlei Geschlechts in langen Trauergewändern, und noch mehr, etwa sechs an der Zahl, ebenfalls schwarz gekleidet, standen in noch größerer Entfernung an den Wänden der Gruft entlang, regungslos aufgestellt, jeder eine große Fackel von schwarzem Wachs in der Hand.

Das qualmige Licht, das von so vielen Fackeln ausging, verbreitete eine rote, undeutliche Atmosphäre und gab den Umrissen dieser seltsamen Erscheinung ein nebliges, unklares und in der Tat geisterhaftes Gepräge. Die Stimme des Priesters las jetzt laut, klar und volltönend aus dem Brevier, das er in der Hand hielt, die feierlichen Worte vor. die im Ritus der katholischen Kirche für Beerdigungen vorgeschrieben sind.

Inzwischen stand Dusterschieler noch immer am Gitter und war sich nicht klar darüber, ob das Bild, das sich ihm zeigte, der Wirklichkeit angehörte, oder ob es eine unirdische Darstellung der Zeremonien war, die in früheren Zeiten in diesen Mauern üblich waren, jetzt aber in protestantischen Ländern selten und in Schottland fast nie mehr ausgeübt wurden. Er wußte nicht, ob er die Feierlichkeit mit ansehen oder sich ans der Kapelle hinwegstehlen sollte, da verriet eine Bewegung seine Anwesenheit, und einer aus dem Trauergefolge erblickte ihn durch das Gitter. Die Person machte sofort durch einen Wink den Mann, der dem Sarge am nächsten stand, darauf aufmerksam, und als darauf er mit der Hand winkte, traten zwei aus der Gruppe heraus, kamen mit geräuschlosen Schritten heran, als fürchteten sie die Feier zu stören, und schlössen das Tor auf, das sie von dem Adepten trennte.

Jeder von beiden nahm ihn an einem Arme, und mit Gewalt – soweit sie bei seiner widerstandslosen Furcht sie anwenden mußten, setzten sie ihn in der Kapelle nieder und nahmen neben ihm Platz zu beiden Seiten, wie um ihn festzuhalten.

Beruhigt, daß er sich in der Gewalt von Menschen befand, die sterblich waren wie er, hätte der Adept sie gern ausgefragt, aber der eine deutete auf die Gruft, aus der die Stimme des Priesters deutlich herausklang, und der andere legte den Finger auf den Mund, ihn zur Ruhe zu ermahnen, und der Adept hielt es für das klügste, sich danach zu richten.

Und so hielten sie ihn, bis ein lautes Hallelujah, das durch die verlassenen Wölbungen von St. Ruth hallte, die seltsame Feier schloß, zu deren Zeugen ihn der Zufall bestimmt hatte.

Als der Hymnus und jedes Echo verklungen war, sagte einer von den Männern, die Dusterschieler hielten, in vertrautem Ton und Dialekt:

»Du liebe Güte, sind Sie das, Herr Dusterschieler? Sie hätten es uns doch sagen können, wenn Sie gern der Feier beiwohnen wollten! – Nur konnte mein Herr nicht erlauben, daß Sie so hier hereinguckten.«

»Im Namen aller irdischen und himmlischen Güte, sagen Sie mir, wer Sie sind?« unterbrach ihn der Deutsche. »Wer ich bin? Ei, wer sollt ich weiter sein als Ringan Eichholz, der Förster von Knockwinnock? Und was treiben Sie hier zu dieser Nachtzeit – wollten doch wohl bloß dem Begräbnis der Gnädigen beiwohnen?«

»Ich erkläre Ihnen, mein guter Meister Förschter Eichholtsch Ringan,« sagte der Deutsche, indem er sich erhob, »in dieser selben Nacht bin ich ermordet, beraubt und in drohende Furcht um mein Leben versetscht worden!«

»Beraubt? Wer sollte hier eine solche Tat begehen? Ermordet? Na, Sie reden noch ziemlich kräftig für einen Ermordeten. Furcht um Ihr Leben? Was hätte Ihnen denn Furcht einjagen können, Herr Dusterschieler?«

»Das will ich Ihnen sagen, Meister Förschter Eichholtsch Ringan, der alte, verkrüppelte, hündische, schurkische Blaurock, der sogenannte Edie Ochiltree ist es gewesen.«

»Das glaub ich im Leben nicht,« sagte Ringan. »Ich habe Edie gekannt und mein Vater vor mir – wir haben ihn immer nur gekannt als braven, treuen und friedliebenden Mann, und er schläft unten in unserer Hütte, und ist dort seit zehn Uhr abends.«

»Meister Ringan Eichholtsch Förschter, ich sage Ihnen, ich bin diesen Abend um fufftschig Pfund beraubt worden von Ihrem braven friedliebenden Freund Edie Ochiltree, und ich sage Ihnen, er ist jetscht ebensowenig in Ihrer Hütte, als ich je in das Königreich des Himmels tschu gelangen hoffe.«

»Nun Herr, wenn Sie mit mir kommen wollen, sobald die Trauergesellschaft sich zerstreut hat, dann wollen wir Ihnen bei uns ein Bett zurecht machen und sehen, ob Edie noch in der Scheune ist. Als wir mit der Leiche heraufkamen, sind zwei wild aussehende Kerle aus der Kirche verschwunden, das steht fest.«

Mit diesen Worten zog der freundliche Mann, dem die stumme Person – sein Sohn – dabei behilflich war, den Mantel aus, und beide geleiteten nun den Adepten, um ihn zur Ruhe zu bringen, deren er so sehr bedurfte.

»Ich wende mich morgen an die Obrigkeit,« sagte Dusterschieler, »oder all diesen Schweinehunden hetsch ich die Politschei und die Juschtitsch auf den Hals.«


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