Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

In Glenallan-Haus wurden die alten Formen der Trauer beobachtet, obwohl die Mitglieder der Familie in dem Rufe standen, daß sie ihre Toten nicht in der üblichen Weise zu beweinen pflegten. Als die Gräfin den Brief erhalten hatte, der ihr den Tod ihres zweiten und, wie man einst vermutete, ihres Lieblingssohnes meldete, war es aufgefallen, daß ihre Hand nicht gebebt, noch ihr Augenlid gezittert hatte: ruhig empfing sie das Schreiben, als betreffe es irgend ein alltägliches Geschäft.

Der Himmel allein konnte wissen, ob die Strenge, mit der sie in ihrem Stolze ihre mütterlichen Gefühle unterdrückte, nicht dazu beigetragen hatte, ihren Tod zu beschleunigen. Wenigstens wurde allgemein angenommen, daß durch den Schlaganfall, der so kurz darauf ihrem Leben ein Ende machte, die zürnende Natur sich für die ihr angetane Vergewaltigung gerächt habe. Aber obgleich Lady Glenallan die gewöhnlichen äußeren Zeichen des Kummers nicht an den Tag legte, hatte sie doch viele der Gemächer – darunter ihr eigenes und das des Grafen – schwarz verhängen lassen.

Der Graf von Glenallan saß daher in einem mit schwarzem Tuch verhängten Zimmer. In dunklen Falten hing die Trauerverkleidung von den hohen Wänden hernieder. Ein gleichfalls schwarz überzogener Schirm stand an dem hohen engen Fenster, so daß durch das bunte Glas nur wenig Licht hereinfiel.

Der Tisch, an dem der Graf saß, war von zwei in Silber gearbeiteten Lampen erhellt. Sie verbreiteten jenes unangenehme fahle Licht, das entsteht, wenn künstliche Beleuchtung mit dem hellen Tageslicht vermischt wird. Auf demselben Tische stand ein Kruzifix und ein paar mit Schlössern versehene Pergament-Bücher.

Der Insasse und Herr dieses Zimmers war ein Mann, der noch nicht über die Blüte des Lebens hinweg war, aber von Krankheit und seelischem Jammer so gebrochen war und so hager und gespenstisch abgezehrt erschien, daß man ihn ein Wrack von einem Menschen hätte nennen können. Und als er eilig aufstand und auf seinen Besuch zuging, schien bei dieser Anstrengung seine ausgemergelte Gestalt fast zusammenzubrechen.

Als sie in der Mitte des Zimmers sich gegenüberstanden, war der Kontrast in höchstem Maße auffallend. Die gesunde Farbe, der feste Schritt, die aufrechte Haltung und das unerschrockene Wesen des alten Bettlers bekundeten Geduld und Zufriedenheit im höchsten Alter und in der niedrigsten Lage, zu der der Mensch herabsinken kann. Das niedergeschlagene leblose Auge, die bleiche Wange und die schlotternde Gestalt des Edelmannes zeigten dagegen, wie wenig der Reichtum, die Macht und selbst die Vorteile der Jugend mit den Kräften zu tun haben, die der Gestalt Festigkeit und der Seele Ruhe verleihen.

Der Graf trat dem alten Mann in der Mitte des Zimmers entgegen und hieß seinen Diener auf den Korridor hinausgehen und dafür sorgen, daß niemand hereinkomme, bis er klingle. Dann wartete er mit fliegender Ungeduld, bis er die Tür erst seines Zimmers und dann der Antichambre sich schließen hörte. Als er sich dann gegen Lauscher gesichert wußte, trat er dicht an den Bettler heran, den er scheinbar irrtümlich für einen Mann der Religion in Verkleidung hielt, und sagte in hastigem, doch zitterndem Tone:

»Im Namen dessen, was unsere Religion am heiligsten achtet, sagt mir, ehrwürdiger Vater, was habe ich von einer Mitteilung zu erwarten, die sich durch ein Zeichen voll so entsetzlicher Erinnerungen anzeigt?«

Erschrocken über ein Wesen, das so ganz anders war, als er es von dem stolzen und mächtigen Edelmann erwartet hatte, wußte der alte Mann nicht, was er antworten und wie er ihn aufklären konnte.

»Sagt mir,« fuhr der Graf fort, im Tone steigender Angst und Seelenqual, »sagt mir, kommt Ihr, um mir kund zu tun, daß alles, was getan worden ist, um so entsetzliche Schuld zu sühnen, zu nichtig und zu unbedeutend gegenüber der Missetat gewesen ist, und wollt Ihr neue und wirksamere Wege zu noch strengerer Buße weisen? – Ich will nicht davor zurückschrecken, Vater – laßt mich lieber die Qualen meines Verbrechens hier im Leibe leiden als nachher die Seele vergehen!«

Edie hatte Geistesgegenwart genug, sich zu sagen, daß er Lord Glenallan in seiner Offenherzigkeit unterbrechen müsse, wenn er nicht mehr hören wollte, und daß es mit Gefahr seines Lebens verbunden sein möchte, der Vertraute eines so hohen Herrn in anscheinend so heiklen Dingen zu sein. Er sagte daher rasch und ängstlich:

»Euer Lordschaft irren sich – ich bin nicht von Ihrer Konfession, noch überhaupt ein Geistlicher, sondern in aller schuldigen Ehrfurcht bin ich bloß Edie Ochiltree, Bettelmann Seiner Majestät des Königs und Eurer Lordschaft.«

Diese Erklärung begleitete er mit einer tiefen Verbeugung und dann richtete er sich auf seinem Stabe kerzengerade in die Höhe, warf sein langes weißes Haar zurück und heftete die Augen auf den Grafen, auf eine Antwort wartend.

»Und so seid Ihr nicht,« sagte Lord Glenallan, »so seid Ihr nicht ein katholischer Priester?«

»Verhüts Gott!« rief Edie und vergaß in seiner Verwirrung ganz, mit wem er sprach. »Ich bin bloß Bettelmann des Königs und Euer Gnaden, wie ich schon sagte.«

Der Graf wandte sich hastig ab und durchmaß das Zimmer ein paarmal, wie um diesen Irrtum zu überwinden. Dann trat er dicht an den Bettler heran und fragte in strengem gebieterischem Tone, wie er dazu käme, sich in seine Privatangelegenheiten zu mischen und wo er den Ring herhabe, den er ihm zugesandt habe.

Edie, ein Mann von Mut und Beherztheit, war über diese Art der Anrede weit weniger erschrocken, als er zuvor durch den vertraulichen Ton in Verwirrung geraten war. Auf die wiederholte Frage, von wem er den Ring habe, antwortete er gefaßt:

»Von jemand, der dem Herrn Grafen besser bekannt gewesen ist als ich.«

»Mir besser bekannt, Kerl?« sagte Lord Glenallan. »Was meint Ihr damit? Erklärt Euch auf der Stelle, oder Ihr sollt es verspüren, was es heißt, sich in Stunden der Familientrauer hereinzudrängen.«

»Die alte Elsbeth Mucklebackit hat mich hergeschickt,« sagte der Bettler, »ich soll bestellen ...«

»Ihr faselt, Alter,« sagte der Graf. »Den Namen hab ich noch nie gehört – aber dieser entsetzliche Ring erinnert mich –«

»Jetzt fällt mirs ein, Mylord.« sagte Ockiltree. »sie sagte, Euer Lordschaft würden sich besser auf sie besinnen, wenn ich sie Elsbeth von Craigburnfoot nennte. Diesen Namen führte sie, als sie bei Euer Gnaden in Dienst war, das heißt, bei Euer Gnaden Mutter, die damals noch lebte – Gott hab sie selig!«

»Ah,« sagte der Graf und sein Gesicht wurde noch blässer und sein Blick noch leerer, »dieser Name steht allerdings auf dem tragischsten Blatte einer beklagenswerten Geschichte geschrieben. Aber was kann sie von mir wünschen – ist sie tot oder lebt sie noch?«

»Lebt noch, Mylord und ersucht Sie, Sie möchten sie aufsuchen vor ihrem Tode, denn sie hat etwas mitzuteilen, das ihr schwer auf der Seele lastet, und sie sagt, sie könne nicht im Frieden sterben, bis sie Sie gesehen hat.«

»Nicht, bis sie mich gesehen hat? – Was kann das bedeuten? – Aber sie ist schon schwachsinnig vor Alter – ich sage Euch, Freund, es ist noch nicht ein Jahr her, da war ich selbst in ihrer Hütte, weil mir gesagt wurde, es ginge ihr schlecht, und sie kannte nicht einmal mein Gesicht und meine Stimme.«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden.« sagte Edie, der bei der Länge der Unterredung seine natürliche Beherztheit und Geschwätzigkeit wieder erlangte, »mit Verlaub Euer Gnaden möcht ich sagen, die alte Elsbeth ist wie eins der verfallenen Schlösser, wenn man sie zwischen den Hügeln liegen sieht. Viele Teile ihres Geistes erscheinen, wenn ich so sagen darf, brach gelegt und verfallen, aber andere Teile erheben sich dafür um so stärker und großartiger, als sie noch wohl erhalten sich zeigen unter den übrigen Trümmern. Sie ist ein unheimliches Weib.«

»Das war sie immer,« sagte der Graf, fast unbewußt den Worten des Bettlers zustimmend, »sie war immer anders wie die gewöhnlichen Weiber. Am meisten vielleicht hat sie an Charakter und Gemütsart der geglichen, die jetzt nicht mehr ist. Also wünscht sie mich zu sehen?«

»Vor ihrem Tode,« sagte Edie, »ersucht sie noch ernstlich um dieses Vergnügen.«

»Ein Vergnügen wird's für uns beide nicht sein,« sagte der Graf bitter, »doch soll es ihr gewährt sein. Sie wohnt, glaub' ich, am Strande im Süden von Fairport?«

»Zwischen Monkbarns und Schloß Knockwinnock, aber näher nach Monkbarns zu. Euer Lordschaft kennen doch ohne Zweifel den Laird und Sir Arthur?«

Ein starrer Blick, als begreife Lord Glenallan die Frage nicht, war die einzige Antwort. Edie sah, daß seine Gedanken anderswo weilten, und wagte nicht, die Frage zu wiederholen, die so wenig zur Sache gehörte.

»Seid Ihr Katholik, Alter?« fragte der Graf.

»Nein, ich bin, dem Himmel sei Dank, ein guter Protestant,« sagte Edie ohne Scheu.

»Wer sich mit gutem Gewissen gut nennen kann, hat in der Tat Ursache, dem Himmel zu danken, welcher Konfession der Christenheit er auch angehören mag. – Geht, geht Eures Weges, und in all Eurer Armut, Eurem Alter und Eurer Mühsal beneidet nie den Herrn eines solchen Hauses wie dieses, ob er nun schläft oder wacht! – Hier ist etwas für Euch.«

Der Graf legte Edie ein paar Guineen in die Hand. Dann rief er seinen Diener.

»Führ den Mann hier sicher aus dem Schlosse heraus, laß niemand Fragen an ihn stellen – und Ihr, Freund, geht und vergeßt den Weg, der nach meinem Hause führt.«


 << zurück weiter >>