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Sechstes Kapitel

In der Fischerhütte von Mucklebackit sah es recht unordentlich, ja schmutzig aus. Aber bei allem Schmutz hatten Luckie Mucklebackit und ihre Familie in ihrem Äußern alle etwas Behagliches, so daß das alte Sprichwort: »Je klatriger, um so gemütlicher« hier zur Wahrheit zu werden schien. Auf dem Herde brannte ein riesiges Feuer, obwohl es Sommer war – es verbreitete zugleich Licht und Wärme und besorgte der Familie die Mahlzeit.

Die stämmige athletische Gestalt Maggies, der Fischersfrau, schaffte emsig inmitten einer Schar halbwüchsiger und noch kleinerer Kinder, Jungen und Mädchen. Einen starken Kontrast zu ihr bildete die Mutter ihres Mannes – mit ihrem untätigen, halb blödsinnigen Blick und Wesen. Dieses Weib hatte die letzte Stufe menschlichen Lebens erreicht und saß an ihrem gewohnten Platz am Feuer, ohne aber die Wärme zu verspüren, sie murmelte vor sich hin und lächelte ab und zu irr den Kindern zu.

Obgleich es schon lange nach Mitternacht war, war doch die ganze Familie noch auf den Beinen und dachte auch noch nicht daran, zu Bett zu gehen. Die Hausfrau war noch dabei, Haferkuchen zu backen, und ihre älteste Tochter richtete Heringe zu.

Während sie so beschäftigt waren, klopfte es leise an die Tür, und herein kam Hanne Rintherout, das Dienstmädchen des Altertümlers.

»Was? Ist's möglich, Hanne! Na, man bekommt dich ja recht selten zu sehen!«

»Ach, Frau, die Wunde von Kapitän Hektor hat uns so viel zu schaffen gemacht, daß ich vierzehn Tage lang nicht hinausgekommen bin. Nun geht es ihm besser. Sobald daher heute unsere Herrschaft zur Ruhe gegangen ist, habe ich mich davon gemacht. Wollte doch mal sehen, ob es bei Ihnen was Neues gäbe. Haben Sie denn schon gehört von der großen Kiste voll Gold, die Sir Arthur unten in St. Ruth gefunden hat? Nun wird er großartiger sein als zuvor und die Nase noch höher tragen.«

»Ja ja, davon spricht die ganze Gegend, aber der alte Edie sagt, sie machtens zehnmal größer, als es gewesen sei. Und er wär' dabei gewesen, wie sie sie gefunden hätten. Ja ja, lange dürfte es dauern, bis mal ein armer Kerl so was findet.«

»Ja, das stimmt. Und Sie haben wohl auch gehört, daß die Gräfin von Glenallan gestorben ist und in St. Ruth in dieser Nacht beerdigt wird bei Fackellicht und alle Papisten und Ringan Eichholz – der ist ja auch Papist – ist auch mit dabei, und es soll ein prachtvoller Anblick sein.«

»Die alte Metze, wie Ehrwürden Heulmeier sie nennt, hat wenig Freunde hier in der Gegend. Aber weshalb begraben sie den alten Drachen (ein schlimmes Weib war sie) in der Nacht? Die Großmutter wird's wohl wissen. He, Großmutter! Weshalb werden denn die von Glenallan immer bei Kerzenlicht in den Ruinen von St. Ruth beerdigt?«

Die alte Frau hob ihr aschfarbenes Gesicht, das nur durch das Spiel zweier lichtblauer Augen von dem einer Leiche unterschieden war, und antwortete:

»Weshalb die Glenallans ihre Toten bei Fackellicht beerdigen? Ist denn ein Mitglied der Glenallans jetzt gestorben?«

»Die alte Gräfin, Großmutter.«

»So ist sie endlich heimgerufen worden?« versetzte das alte Weib, mit mehr Aufregung, als sich bei ihrem hohen Alter erwarten ließ. »Soll sie denn endlich ihre letzte Rechenschaft ablegen nach ihrem langen Leben voller Stolz und Macht? O, Gott möge ihr verzeihen!«

»Aber die Mutter hat gefragt,« wiederholte Hanne, »warum die Glenallans immer ihre Toten bei Fackellicht begraben?«

»Das haben sie immer schon gemacht,« sagte die Großmutter, »seit der große Graf in der Schlacht von Harlow fiel, wo der Totengesang erklungen sein soll von der Mündung des Tay bis zum Ende des Crabrach, daß man nichts anderes vernehmen konnte als die Klagen der Männer um die Helden, die im Kampfe gegen Donald von den Inseln gefallen waren. Aber die Mutter des großen Grafen lebte noch, und die Frauen vom Geschlecht Glenallan waren hochfahrend und grausam – und die Mutter wollte keinen Totengesang für ihren Sohn singen lassen, und sie ließ ihn mitten im Schweigen der Mitternacht zu seiner letzten Ruhestätte tragen, ohne ein Leichenmahl zu halten oder ein Klagelied anzustimmen. – Sie sagte, er hätte genug erschlagen, daß die Witwen und Töchter der Hochländer, die er getötet, den Totengesang für ihre Gestorbenen und für ihren Sohn zugleich anstimmen könnten. Und mit trockenen Augen und ohne einen Laut der Klage hat sie ihn ins Grab gelegt. Das galt nun in der Familie für ein stolzes Wort, und daran haben sie festgehalten, besonders in der letzten Zeit, weil sie in der Nacht ihre papistischen Feierlichkeiten ungestörter Vollziehen können, als bei hellem Tage. Wenigstens in meiner Zeit ist es so gewesen. Am Tage hätte die Behörde sich eingemischt und auch der Pöbel von Fairport. Die Welt wird anders. Manchmal bin ich mir selber nicht klar, ob ich stehe oder sitze, ob ich noch lebe oder schon tot bin.«

»Es ist ordentlich gruselig,« sagte Hanne, »die Großmutter in dieser Weise sprechen zu hören. Es ist, als ob ein Toter mit den Lebendigen spräche.«

»Das stimmt, Mädel. Sie wird es nicht gewahr, was tagsüber vor sich geht. Bringt man sie aber auf alte Geschichten, dann kann sie reden wie ein Buch. Über die Glenallans weiß sie ganz genau Bescheid, denn ihr Mann war lange Zeit Fischer dort.«

»Still! Still!« flüsterte Hanne. »Die Großmutter will wieder reden.«

»Hat nicht irgendwer gesagt,« begann die alte Sibylle, »oder hab ich's geträumt, oder ist es mir geoffenbart worden, daß Joscelinde, die Gräfin Glenallan in dieser Nacht gestorben und begraben wäre?«

»Ja, Großmutter, so ist es,« sagte Hanne.

»Und recht ist es, daß es so ist,« sagte die alte Elsbeth. »Manches Herz hat sie schon schwer gemacht – selbst ihrem Sohn hat sie das Leben verbittert – lebt er noch?«

»Ja, er lebt noch – aber wie lange wohl noch – erinnerst du dich nicht mehr, wie er vergangenen Frühling nach dir gefragt und Geld für dich dagelassen hat?«

»Kann schon sein, Maggie – besinn mich nicht mehr drauf – aber ein hübscher Herr ist er gewesen und sein Vater auch. Ja, wenn der am Leben geblieben wäre, dann hätten sie glückliche Leute sein können. Aber er starb, und die Gnädige machte nun mit dem Sohne, was sie wollte, und zwang ihn, an Dinge zu glauben, die er nie hätte glauben sollen, und Dinge zu tun, die er sein Lebtag schon bereut hat und noch immer bereuen wird, wenn auch sein Leben so lang sein sollte, wie mein langes beschwerliches Dasein. Ach, bittet doch ihr alle zu Gott, daß ihr nicht einmal dem Stolz und der Willkür eures eigenen Herzens anheimfallt. Sie können in der Hütte ebenso die Oberhand gewinnen wie im Schlosse, das hab ich selber erlebt! – Ach, will denn die Erinnerung an diese furchtbare grausige Nacht nicht aus meiner Seele? Wie ich sie auf der Erde liegen sah, und ihr langes Haar troff vom Meerwasser! das wird der Himmel rächen an allen, die dabei beteiligt waren! Kinder, ist mein Sohn draußen in dieser stürmischen Nacht?«

»Nein, Mutter, bei diesem Wetter kann kein Boot auf See sein. Mucklebackit schläft schon.«

»Dann ist wohl Steenie, sein Sohn, draußen?«

»Nein, Steenie ist mit dem Bettler Ochiltree weggegangen, sie wollen vielleicht die Beerdigung ansehen.«

»Das kann nicht sein, die Sache war ja geheim gehalten worden und fünf Stunden vom Schlosse her ist die Leiche mitten in der Nacht gebracht worden.«

»Dann weiß ich nicht,« sagte die Hausfrau, »was der alte Bettler mit meinem Jungen noch in der Nacht vorhaben mag.«

In diesem Augenblick traten Steenie und Edie Ochiltree in die Hütte. Beide waren erhitzt und außer Atem.

»Es hat uns jemand nachgesetzt,« sagte Steenie.

»Ein Mann war's zu Pferde,« sagte Edie.

»Ihr Gesellen ihr!« rief Maggie Mucklebackit, »es wird einer von den Reitern vom Begräbnis der Gräfin gewesen sein.«

»Was!« sagte Edie, »ist die alte Gräfin heute nacht in St. Ruth beerdigt worden? Daher kamen also die Lichter, die uns verscheucht haben, und der Lärm! Hätt ich das gewußt, dann hätt ich den Kerl nicht dort liegen lassen. Aber die werden sich schon seiner annehmen. Du hast ordentlich auf ihn dreingeprügelt, Steenie, ich dachte, du würdest ihm den Garaus machen. Nun, wenn die Sache glatt abläuft, dann will ich die Vorsehung nicht noch einmal versuchen. Aber ich kann es nicht für strafbar ansehen, wenn man solch einem Schurken von einem Landstreicher, der selber bloß davon lebt, ehrlichere Leute an der Nase herumzuführen, einmal einen Possen spielt.«

»Was sollen wir aber mit dem Ding da anfangen?« fragte Steenie und zog eine Brieftasche hervor.

»Gott behüte uns, Steenie!« rief Edie, aufs höchste bestürzt. »Was mußtest du das Ding an dich nehmen. Jedes Blatt darin kann uns ins Verderben bringen!«

»Das hab ich doch nicht gewußt,« erwiderte Steenie. »Die Brieftasche war ihm entfallen, glaub ich, denn ich fand sie vor meinen Füßen, als ich ihm wieder auf die Beine helfen wollte.«

»Wir müssen sie dem Schurken auf irgend eine Weise wieder zurückbringen,« sagte Edie. »Am besten wär's wohl, wenn du die Brieftasche in aller Frühe selber zu Ringan Eichholz brächtest. Nicht um hundert Pfund wollte ich, daß sie in unserem Besitz gefunden würde.«

Das versprach denn Steenie auch zu tun.


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