Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.

Von der Zeit an, da Sir Arthur den Schatz im Grabe Schwarzrocks gefunden hatte, hatte Sir Arthur sich in einer Stimmung befunden, die mehr einer Verzücktheit als vernünftiger Verständigkeit glich. Einmal hatte seine Tochter wirklich für seine fünf Sinne gefürchtet, denn, da er tatsächlich das Geheimnis zu besitzen wähnte, zu unermeßlichem Reichtum zu gelangen, so sprach er und benahm sich ganz wie jemand, der den Stein der Weisen gefunden hatte.

Er sprach davon, ausgedehnte Güter anzukaufen, die vom einen Ende der Insel bis zur andern sich erstrecken sollten, wie wenn er fest entschlossen wäre, keinen Nachbar, als die See neben sich zu dulden. Mit einem berühmten Baumeister verhandelte er über den Neubau seines väterlichen Schlosses. Ein riesiger Park sollte gleichfalls angelegt werden. Scharen von Dienern in prächtigen Livreen sah er schon in seinen Sälen stehen und die Krone eines Marquis oder Herzogs (denn der Reichtum gibt ja Anspruch auf alle Ehren) strahlte ihm vor den Augen.

Und auf welche Partien hatte nicht seine Tochter nun Anrecht? Sogar ein Schwiegersohn aus königlichem Blute lag nicht außer der Sphäre seiner Hoffnung. Seinen Sohn sah er schon als General – und sich selber auf einem Posten, wie ihn höchster Ehrgeiz nur irgend in seinen wildesten Phantasten erträumen kann.

Der Leser wird sich die Verwunderung Fräulein Wardours denken können, als sie nicht, wie sie erwartet hatte, in Verhör wegen Lovels Liebeswerbungen genommen wurde, sondern daß sie aus allen Worten ihres Vaters nur entnehmen konnte, wie sehr all sein Denken und Trachten erhitzt war von der Hoffnung auf den grenzenlosesten Reichtum.

Aber in ernste Unruhe geriet sie, als Dusterschieler nach dem Schloß geholt wurde – als sich ihr Vater mit ihm einschloß – ihm zu seinem Unfall sein Beileid aussprach – ihn in Schutz nahm und ihm den erlittenen Verlust ersetzte. Das Mißtrauen, das sie so schon gegen den Mann gehegt hatte, stieg noch, als sie ihn so eifrig bemüht sah, die goldnen Träume ihres Vaters zu nähren und unter den mannigfachsten Vorwänden sich soviel wie irgendmöglich von dem Sir Arthur so seltsam in die Hände gefallenen Schatze zu sichern.

Andere böse Anzeichen machten sich eines nach dem andern bemerkbar. Briefe kamen mit jeder Post, die Sir Arthur, sobald sie kamen, von allen Seiten betrachtete und dann ins Feuer warf, ohne sie zu öffnen. Fräulein Wardour konnte sich des Argwohns nicht erwehren, daß diese Briefe, deren Inhalt ihr Vater sozusagen zu wittern schien, von drängenden Gläubigern kamen. Die Hilfe, die ihm vorübergehend der gefundene Schatz gewährt hatte, schwand inzwischen rasch dahin.

Bei weitem der größere Teil war von dem fälligen Wechsel verzehrt worden, dessen Betrag von sechshundert Pfund Sir Arthur mit unvermeidlicher Katastrophe bedroht hatte. Der Rest ging zu einem Teile an den Adepten, zu anderm Teile wurde er in extravaganten Anschaffungen verschwendet, zu denen der arme Ritter sich angesichts seiner hoch aufgeblühten Hoffnungen durchaus für berechtigt hielt, ein dritter Teil wurde verwendet, um besonders einigen jener rücksichtsvollen Geldleiher »das Maul zu stopfen«, die der ewigen Vertröstungen müde waren und endlich mal etwas Geld sehen wollten.

Endlich stellte es sich heraus, daß schon nach wenigen Tagen alles ausgegeben war, auf neuen Zuschuß aber nicht gerechnet werden konnte. Sir Arthur wurde natürlich ungeduldig und machte Dusterschieler von neuem Vorwürfe, daß er seine Versprechungen, alles Blei zu Golde zu machen, nicht erfülle.

Dieser Ehrenmann aber hatte jetzt ausgedient und sein Plan stand fest. Er hatte Anstand genug, den Zusammenbruch eines Hauses, das er untergraben hatte, nicht noch mitanzusehen, und gab sich Mühe, Sir Arthur mit einigen Kunstausdrücken abzuspeisen. Er verabschiedete sich von Knockwinnock mit der Versicherung, daß er am folgenden Morgen wiederkommen werde, und zwar mit einer Nachricht, die Sir Arthur aus aller Not befreien würde.

»Denn solange ich nun schon auch mich mit diesem Studium befasche,« sagte Hermann Dusterschieler, »soweit bin ich noch nie bis tschum arcanum vorgedrungen, wie man das große Geheimnis nennt. So nahe bin ich noch nie der panchresta – der polychresta gekommen, und ich weiß jetscht soviel davon wie Pelaso von Taranta oder Basilius – und entweder bring ich Ihnen in tschwei bis drei Tagen die Numero drei vom guten Meister Schwartschrock oder Sie mögen mich einen Schurken nennen und mir nie wieder ins Angesicht schauen.«

Der Schwarzkünstler ging mit dieser Versicherung, fest entschlossen, den letztern Teil seines Vorschlages möglich zu machen und nie wieder vor seinem hintergangnen Gönner zu erscheinen. Sir Arthur blieb in zweifelhafter angstvoller Stimmung zurück. Die selbstbewußten Versicherungen des Weisen mit den schweren Worten Panchresta, Basilius und so weiter machten ja wohl einigen Eindruck. Aber er war schon oft mit solchem Kauderwelsch genasführt worden, und daher fühlte er sich auch jetzt nicht von allen Bedenken befreit. Er zog sich für den Abend in seine Bibliothek zurück, in der schrecklichen Stimmung eines Mannes, der über einem Abgrunde hängt und, ohne entrinnen zu können, den Stein, auf dem er sitzt, allmählich vom Felsen sich lösen fühlt, um mit ihm in die Tiefe hinabzustürzen.

Die Träume der Hoffnung sanken zusammen, und dafür wuchs die fieberhafte Qual der bösen Ahnung, mit der ein in vornehmem Sinne erzogener und an Überfluß und Wohlleben gewöhnter Mann – der überdies der Träger eines alten Namens und Vater zweier blühender vielversprechender Kinder war – die Stunde herannahen sah, die ihn all des Glanzes, ihm mit der Zeit unentbehrlich gewordenen Glanzes berauben und ihn mitten hinein in den alltäglichen Kampf mit der Armut, Habgier und Verachtung werfen sollte.

Am dritten Morgen nach dem Verschwinden Dusterschielers, legte der Diener wie gewöhnlich die Zeitungen und Briefe des Tages auf den Frühstückstisch. Fräulein Wardour nahm die Briefe an sich, um ihrem Vater, der schon sich heftig geärgert hatte, weil das geröstete Brot zu scharf gebräunt war, neuen Verdruß zu ersparen.

»Ich sehe schon, wie es sich verhält,« sagte Sir Arthur, »meine Diener haben mein Glück mit mir geteilt – jetzt aber denken sie, es ist in Zukunft doch nicht viel mehr bei mir zu holen. Aber solange ich noch der Herr dieser Schurken bin, solange will ich es sein und mir keine Nachlässigkeiten bieten lassen – nicht eines Haares Breite sollen sie mir von dem Respekt versagen, den ich berechtigt bin, von ihnen zu verlangen.«

»Ich bin bereit, den Dienst Euer Ehren auf der Stelle zu quittieren,« sagte der Diener, dem das Versehen mit dem Frühstücksbrot vorgeworfen worden war, »sobald Sie mir meinen Lohn auszahlen lassen.«

Wie von einer Schlange gestochen, fuhr Sir Arthur mit der Hand in die Tasche und langte sofort das Geld heraus, das er darinnen hatte – es langte aber nicht für die Ansprüche des Mannes.

»Was haben Sie für Geld bei sich, Fräulein Wardour?« fragte er mit erkünstelter Ruhe, aber man hörte ihm an, wie heftig erregt er war.

Fräulein Wardour gab ihm ihre Börse, er versuchte die Banknoten zu zählen, die sie enthielt, konnte aber die Summe nicht zusammenrechnen. Nachdem er sich zweimal verrechnet hatte, warf er alles seiner Tochter hin und sagte in strengem Tone:

»Bezahle den Schurken, dann soll er auf der Stelle aus meinem Hause!«

Mit diesen Worten schritt er stolz hinaus.

Herrin und Diener sahen sich an, gleich verwundert über seine Aufregung und Heftigkeit.

»Wirklich, Gnädige, wenn ich gewußt hätte, daß ich an der Sache schuld wäre, dann hätt ich mich nicht verantwortet, wie Sir Arthur mich ausschalt. Ich bin lange in seinem Dienst und er ist immer ein freundlicher Herr gewesen wie Sie eine gütige Herrin. Ich möchte nicht, daß Sie von mir dächten, ich ginge wegen eines unfreundlichen Wortes weg. Es mag freilich unrecht von mir gewesen sein, daß ich von dem Lohne was gesagt habe, wo Sir Arthur jetzt vielleicht seine Schwierigkeiten hat. Ich hätte nie daran gedacht, daß ich einmal auf diese Weise dieses Haus verlassen sollte!«

»Gehen Sie hinunter, Robert,« sagte seine Herrin, »es ist etwas vorgefallen, worüber mein Vater sich geärgert hat – gehen Sie hinunter, und wenn es klingelt, soll Mick an die Tür gehen.«

Als der Mann hinausging, trat Sir Arthur wieder ein, als hätte er warten sollen, bis der Diener gegangen wäre.

»Was soll das heißen?« sagte er hastig, als er das Geld noch auf dem Tische liegen sah. »Ist der Mann nicht entlassen? Wird mir der Gehorsam verweigert als Gebieter wie als Vater?«

»Er ist gegangen, und wird seinen Posten als Hausverwalter an einen andern abtreten, Vater – ich dachte nicht, daß es so sehr eilig wäre.«

»Es ist eilig, Tochter,« fiel ihr der Vater ins Wort. »Was ich hinfort noch im Hause meiner Ahnen tue, muß schnell oder nie verrichtet werden.«

Dann setzte er sich nieder und nahm mit zitternder Hand eine für ihn zurechtgestellte Tasse, trank sie aber sehr langsam, um den Augenblick, wo er die auf dem Tische vor ihm liegenden Briefe öffnen mußte, noch möglichst hinauszuschieben. Inzwischen warf er ihnen ab und zu einen Blick zu, als wären sie ein Nest von Ottern, die im Nu lebendig werden und auf ihn losfahren könnten.

»Es wird dich sehr freuen zu hören,« sagte Fräulein Wardour, die ihren Vater gern von seinen düstern Gedanken ablenken wollte, »daß Leutnant Taffrils Brigg glücklich in Leith Roads angelangt ist. Wie ich höre, ist man in Sorge um sein Leben gewesen – es freut mich, daß wir nichts davon gehört haben, bis wir nun vernehmen, daß er außer aller Gefahr ist.«

»Und was geht mich Leutnant Taffrils Brigg an?«

»Aber Papa!« rief Fräulein Wardour erstaunt. Denn in seiner gewöhnlichen Stimmung brachte Sir Arthur all dem Geklatsch des Tages und des Kreises ein kleinliches Interesse entgegen.

»Ich wiederhole,« sagte er in höherm und ungeduldigerm Tone, »was kümmert es mich, wer gerettet wird oder wer draufgeht? Das geht doch mich nichts an, dächt ich.«

»Ich wußte nicht, daß du beschäftigst seiest, Papa. Da aber Herr Taffril ein braver Mann und obendrein aus unsrer Gegend ist, so glaubt ich, du würdest dich glücklich schätzen ...«

»O, ich schätze mich glücklich – so glücklich wie möglich – und damit auch du dich glücklich schätzen kannst, sollst du nun auch ein paar von meinen erfreulichen Nachrichten dafür zu hören bekommen.« Und er nahm einen Brief zur Hand. »Es kommt nicht drauf an, welchen ich zuerst öffne. Sie singen alle die gleiche Leier.«

Er brach rasch das Siegel auf, überflog das Schreiben und warf es dann seiner Tochter hin.

»Glücklicher hätte ich es gar nicht treffen können! – Das gibt den Rest!«

In stummem Entsetzen nahm Fräulein Wardour den Brief auf.

»Lies laut! – lies laut!« sagte ihr Vater. »Es kann nicht zu oft gelesen werden. Das wird dich vorbereiten, auf andre gute Nachrichten derselben Art.«

Sie begann mit stockender Stimme zu lesen:

»Werter Herr!«

»Mit werter Herr redet er mich auch noch an, siehst du wohl – diese unverschämte Schreiberseele – ich vermute, nächstens avanciere ich sogar zu seinem werten Ritter.«

»Werter Herr,« fuhr Fräulein Wardour fort, aber sie unterbrach sich, »ich sehe, der Inhalt ist nicht eben angenehm. – Du wirst dich nur darüber ärgern, wenn du ihn laut lesen hörst.«

»Wenn du mir noch mein eignes Vergnügen gestattest, Tochter, dann lies bitte weiter. Wenn es nicht nötig wäre, so würde ich wahrscheinlich dir nicht die Mühe bereiten.«

»Da ich in letzter Zeit,« fuhr Fräulein Wardour den Brief zu lesen fort, »in Teilhaberschaft getreten bin mit Herrn Gilbert Grünhorn, dem Sohne Ihres verstorbenen Korrespondenten und Geschäftsführers, Girnigo Grünhorn, Hochwohlgeboren und Sachwalter, dessen Geschäfte als Protokollführer im Parlament ich mehrere Jahre hindurch besorgt habe, und da unsere Geschäfte künftig unter der Firma Grünhorn & Grinderson weitergeführt werden (worauf ich Sie der richtigen Adresse wegen für die Zukunft hiermit aufmerksam gemacht haben möchte) – und da Ihre letzte verehrliche Zuschrift an meinen besagten Teilhaber, Herrn Gilbert Grünhorn, der zur Zeit anläßlich der Rennen in Lamberton weilt, in meine Hände gekommen und von mir geöffnet worden ist, so erlaube ich mir hierdurch ergebenst, auf dieses Ihr Schreiben zu antworten....«

»Wie du siehst, weiß mein Freund den Hund zu führen und erklärt mir erst, wie ich zu einem so vornehmen und bescheidnen Briefwechsel komme. – Fahr nur fort, ich kann's ertragen.«

Und er ließ jenes bittre Lachen hören, das vielleicht der entsetzlichste Ausdruck für seelisches Elend ist. Zitternd vor dem, was sie weiter lesen werde, und doch besorgt, ihren Vater durch Ungehorsam noch mehr zu reizen, fuhr Fräulein Wardour fort zu lesen:

»In meinem und meines Teilhabers Namen muß ich unser Bedauern aussprechen, daß wir Ihnen für die genannten Summen keine längere Frist gewähren können und daß wir uns ferner auch nicht für eine längere Stundung der Forderungen Goldvogels verwenden können. Ein solches Verfahren würde uns in das Licht größter Inkonsequenz setzen, da wir aufgefordert worden sind, besagten Goldvogel vor Gericht zu vertreten. In dieser Eigenschaft haben wir Ihnen einen Zahlungsbefehl über die Summe von 4756 Pfund durch den Gerichtsvollzieher zugestellt, und wir erwarten, daß die betreffende Summe nebst Zinsen und Kosten in der erforderlichen Frist an uns gezahlt wird, damit alle weitern Unannehmlichkeiten vermieden werden. Gleichzeitig sehe ich mich genötigt, unsere eigene Forderung in Erinnerung zu bringen, welche sich auf 769 Pfund 10 Schillinge und sechs Pence beläuft. – Umgehende Begleichung wäre uns sehr erwünscht. Da wir aber Ihre Papiere, Privilegien und Rechtstitel als Unterpfand in Händen haben, so sind wir nicht abgeneigt, eine gemessene Prolongierung zu gewähren, nämlich bis zum nächsten Fälligkeitstermin. In meinem und meines Teilhabers Namen habe ich noch hinzuzufügen, daß wir von Herrn Goldvogel den Auftrag haben, peremptorie und sine mora vorzugehen. Ich habe also das Vergnügen, Ihnen dies mitzuteilen, um für die Zukunft Irrtümer zu vermeiden. Was wir für Maßregeln ergreifen werden, das behalten wir uns für die jeweiligen Fälle vor.

Ich verbleibe, in meinem und meines Teilhabers Namen werter Herr, Ihr ergebner p. Grünhorn & Grinderson Gabriel Grinderson.«

»Undankbarer Schurke!« sagte Fräulein Wardour.

»Ei nicht doch, das ist ganz, wie es gemacht zu werden pflegt. Der Schlag hätte nicht so völlig zerschmetternd sein können, wenn eine andre Hand ihn geführt hätte. Es ist durchaus, wie es sein sollte,« antwortete der arme Baron, und die zitternde Lippe und das rollende Auge straften die erkünstelte Ruhe Lügen. »Aber hier ist noch ein Postskriptum – das hab ich nicht bemerkt. Bitte, lies die Epistel zu Ende.«

»Ich habe hinzuzufügen (nicht in meinem, sondern lediglich in meines Teilhabers Namen), daß Herr Grünhorn gern Ihr silbernes Tafelgeschirr und Ihr Viergespann von Füchsen, wenn sie gesund an Lunge und Gliedern sind, als Teilzahlung annehmen wird.«

»Gott vernicht ihn!« rief Sir Arthur und verlor über diesen herablassenden Vorschlag alle Selbstbeherrschung. »Sein Großvater hat noch meinem Vater die Pferde beschlagen, und dieser schuftische Abkömmling eines Grobschmieds will mich aus meinem Hause setzen. Aber ich will ihm eine Antwort schreiben, die sich gewaschen haben soll!«

Er setzte sich hin und schrieb mit Ungestüm, dann hielt er inne und las laut:

»Herrn Gilbert Grünhorn.

In Erwiderung auf zwei Briefe, die ich vor kurzem erhielt, teile ich Ihnen mit, daß mir eine Zuschrift zugegangen ist von einer Person, die sich Grinderson nennt und sich als Ihren Teilhaber ausgibt. Wenn ich mich an jemand wende, so möchte ich mir doch verbeten haben, mir durch einen Stellvertreter zu antworten. Ich denke, ich bin Ihrem Vater von Nutzen gewesen und freundlich und zuvorkommend gegen Sie, und es setzt mich nun in Erstaunen, ... Und doch,« sagte er und hielt plötzlich inne, »warum sollte denn dies oder irgendetwas mich in Erstaunen setzen? oder warum sollte ich meine Zeit vergeuden, indem ich an solch einen Schurken schreibe? – Man wird mich doch nicht für immer im Gefängnis sitzen lassen, denk ich, und wenn ich wieder herauskomme, soll es mein erstes sein, diesem Schweinehund die Knochen zu brechen!«

»Im Gefängnis, Vater?« sagte Fräulein Wardour tonlos.

»Ja, im Gefängnis, gewiß. Fragst du danach auch noch? – Scheinbar ist des Herrn Soundso Brief in seinem und seines Teilhabers Namen für dich verlorene Liebesmüh gewesen, oder du mußt viertausend und soundsoviel hundert Pfund nebst der nötigen Summe an Pence und halben Pence parat haben, daß du seine Forderungen bezahlen kannst.«

»Ich, Vater? – O wenn ich die Mittel hätte! – Aber wo ist mein Bruder? – Warum kommt er nicht? und solange weg aus Schottland? – Er kann vielleicht etwas für uns tun?«

»Wer, Reginald? – Der wird wohl mit Herrn Grünhorn oder sonst einem liebenswürdigen Herrn zum Rennen nach Lamberton sein. Vergangne Woche habe ich ihn zurück erwartet. Aber es kann mich nicht wunder nehmen, wenn meine Kinder mich aufgeben, wie alle andern Leute. Aber dich sollt ich um Verzeihung bitten, liebes Kind, denn du hast mir nie in deinem Leben weh getan.«

Und er küßte sie auf die Wange, während sie die Arme um seinen Hals schlang. Er empfand den Trost, den ein Vater in der größten Not fühlt, wenn er die Liebe eines Kindes besitzt.

Fräulein Wardour benutzte diese weiche Stimmung und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. Sie erinnerte ihn daran, daß er ja noch viele Freunde hätte.

»Ich hatte einmal viele,« sagte Sir Arthur. »Aber bei vielen ist die Geduld durch meine hirnverbrannten Projekte zu Ende – andre sind nicht imstande, mir zu helfen – andre haben keine Lust – es ist eben vorbei mit mir – ich hoffe nur, Reginald nimmt sich ein warnendes Beispiel an meiner Torheit.«

»Sollte ich nicht Monkbarns holen lassen?« Fragte die Tochter.

»Zu welchem Zweck? Er kann mir eine solche Summe nicht leihen, und wenn er's auch könnte, so täte er es auch nicht, denn er weiß, daß ich anderweitig auch noch bis über die Ohren in Schulden stecke. Er würde mir nur misanthropische Brocken und schnurrige Schnitzelchen Latein zum besten geben!«

»Aber er ist klug und verständig und ist im Geschäft in der Lehre gewesen, und er hat unser Haus stets geliebt.«

»Ja, das glaube ich – aber es ist weit mit uns gekommen, wenn die Liebe eines Oldbuck für einen Wardour etwas zu sagen hat! Aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, was ich jeden Augenblick erwarte, dann können wir ihn ja ebensogut holen lassen. Und nun geh ein wenig spazieren, mein liebes Kind – ich bin jetzt ruhiger, seitdem ich dir die furchtbare Enthüllung gemacht habe. – Du kennst nun das Schlimmste und kannst es täglich, ja stündlich erwarten, ja darauf gefaßt sein. Geh spazieren – ich möchte ein Weilchen allein sein.«

Als Fräulein Wardour hinausgegangen war, benutzte sie sofort die halb erteilte Erlaubnis ihres Vaters und schickte den Boten nach Monkbarn, der den Altertümler und seinen Neffen in der Fischerhütte traf.

Sie wußte kaum, wohin sie ging, und der Zufall führte sie mach der sogenannten Brierybank. Ein Wässerchen, das zu frühern Zeiten den Schloßgraben gespeist hatte, kam hier in enger Klamm zu Tal, zu der hinan Fräulein Wardour einen reizenden Weg hatte legen lassen. Der Pfad war sauber gehalten und leicht zu steigen, ohne daß er künstlich geschaffen und erhalten aussah.

Auf diesem Pfade hatte jene Auseinandersetzung zwischen Fräulein Wardour und Lovel stattgefunden, die der alte Edie Ochiltree mitangehört hatte. Mit sanfter gestimmtem Gemüt – das von den Schatten des ihrer Familie drohenden Unglücks gedämpft war, – erinnerte jetzt Fräulein Wardour sich an jedes Wort und jeden Umstand, den Lovel zur Unterstützung seiner Werbung angeführt hatte, und sie mußte sich selber eingestehen, daß es sie nicht mit geringem Stolze erfüllen dürfe, einen jungen Mann von so hervorragender Begabung zu einer so starken und uneigennützigen Liebe beseelt zu haben.

Daß er einen Beruf aufgegeben hatte, in dem er so schnell emporzusteigen begann, daß er sich in einer so unangenehmen Stadt wie Fairport festgesetzt hatte, und daß er dort über einer unerwiderten Liebe brütete, das hätten freilich wohl weniger romantische Seelen lächerlich gefunden, sie aber, der diese Leidenschaft galt, verzieh ihm natürlich diese Überschwenglichkeit der Liebe.

Wenn er eine – wenn auch bescheidene – unabhängige Stellung gehabt oder unbestrittenen Anspruch auf den gesellschaftlichen Rang gehabt hätte, den einzunehmen er so voll befähigt schien, dann hätte es jetzt in ihrer Macht gelegen, für die Zeit ihres Unglücks dem Vater in ihrem eignen Heim eine Heimstätte zu bieten. Diese dem abwesenden Verehrer so günstigen Gedanken drängten sich einer nach dem andern auf mit einer bis in die Einzelheiten genauen Wiederholung seiner Worte, Blicke und Gebärden – ein deutliches Zeichen dafür, daß sie nur der Pflicht, nicht ihrer eignen Neigung gehorcht hatte, als sie ihn zuerst abwies.

Wahrend Isabella abwechselnd über diesen Gegenstand, und über ihres Vaters Unglück nachsann, bog der Pfad um einen kleinen, mit Gebüsch bewachsenen Hügel herum, und hier erblickte sie plötzlich den alten Blaurock.

Mit einer Gebärde, als habe er etwas Wichtiges und Geheimnisvolles mitzuteilen, zog er den Hut und näherte sich mit dem behutsamen Schritt und sprach im behutsamen Ton eines Mannes, der nicht gern von einem dritten gehört sein möchte.

»Es ist mein dringender Wunsch gewesen, mit Euer Ladyschaft zusammenzutreffen – denn Sie wissen, ins Haus darf ich nicht kommen wegen Dusterschieler.«

»Ich habe gehört, Edie,« sagte Fräulein Wardour, ein Almosen in seinen Hut werfend, »daß du etwas sehr Dummes, wenn nicht etwas sehr Schlechtes getan hast, und das hat mir leid getan.«

»Ei, meine gute Dame, dumm – dumm ist ja alle Welt – wie sollte da der alte Edie weise sein? und was Schlechtes? mögen doch die, die mit Dusterschieler zu tun haben, mir sagen, ob er einen Deut mehr abgekriegt hat, als er verdient. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Von Ihnen selber wollt ich mit Ihnen sprechen. Wissen Sie, was dem Hause von Knockwinnock bevorsteht?«

»Großes Unglück, fürchte ich, Edie, aber es wundert mich, daß es schon so öffentlich bekannt ist.«

»Öffentlich? Kehraus, der Gerichtsvollzieher, wird heute noch mit seiner ganzen Sippschaft da sein. Das weiß ich von einem seiner Kollegen. Und sie werden ohne weiteres an die Arbeit gehen, – und wen sie scheren, der braucht keinen Kamm mehr, denn es bleibt nicht ein Haar übrig.«

»Weißt du's gewiß, Edie, daß diese schlimme Stunde so nahe ist? – Sag's nur, ich weiß es ja doch einmal.«

»Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe, Lady! Aber lassen Sie den Mut nicht sinken, es ist ein Himmel über Ihrem Haupte, auch jetzt, wie damals bei der Flut. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilf am nächsten. Und ich bin in aller Eile hierher gelaufen und Sie müssen dafür sorgen, daß ich heute noch weiterfahren kann.«

»Aber wo willst du denn hin, Edie?«

»Nach Tannonburgh, Mylady« (das war die erste Postkutschenstation von Fairport aus, aber noch ein gutes Stück näher an Knockwinnock heran) – »und zwar ohne Verzug – es betrifft Ihre eignen Angelegenheiten.«

»Unsre eignen, Edie? Ach, ich glaube herzlich gern, daß du es gut meinst, aber...«

»Da gibt's kein Aber, Gnädige, denn ich muß hin,« sagte der hartnäckige Blaurock.

»Aber was willst du denn in Tannonburgh? oder wie kann es meinem Vater irgendwas nützen, wenn du hinfährst?«

»Meine liebe gute Lady,« sagte der Schnorrer, »dieses kleine Geheimnis müssen Sie schon dem alten Edie lassen und dürfen auch gar nicht danach fragen. Wenn ich mein Leben in jener Nacht für Sie gewagt habe, so werden Sie mir wohl nicht zutrauen, daß ich jetzt was Böses gegen Sie im Schilde führte.«

»So komm mit, Edie,« sagte Fräulein Wardour, – »und ich will zusehen, daß ich dir Pferd und Wagen nach Tannonburgh verschaffen kann.«

»Dann beeilen Sie sich, gute Lady, machen Sie schnell, um des Himmels willen!«

Und so mahnte er sie zur Eile, bis sie im Schloß angelangt waren.


 << zurück weiter >>