Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Nachwort

Der Name des Verfassers der »Marketenderin von Köln« ist dem Leser von heute zumeist als der des Freundes der Annette von Droste geläufig, und es kann in der Tat kein Zweifel sein, daß diese Beziehung für die deutsche Literatur von Bedeutung geworden ist, weil die hervorragendsten Leistungen der großen westfälischen Dichterin ohne die eigentümliche Liebesfreundschaft, die sie mit ihrem um siebzehn Jahre jüngeren Landsmann verband, nie entstanden wären.

Aber dieses Verhältnis erwuchs auf dem Grunde gemeinsamer literarischer Interessen und wäre nicht denkbar gewesen ohne eine gegenseitige Achtung vor dem dichterischen Können des Anderen. Die Dichterin verleugnete sie erst später, als sie innerlich mit dem Freunde zerfallen und ihr Urteil über ihn nach jeder Richtung von Bitterkeit getrübt war.

Das literarische Talent Levin Schückings (1814-1883) war eine Erbschaft seiner früh verstorbenen hochbegabten Mutter, Katharina Busch, die in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts im Münsterlande für ihre feinsinnigen und seelenvollen Poesien viele Verehrer gefunden hatte. Sie hatte ihn frühzeitig auf den Weg der Literatur geführt, wo er bald im Roman sein eigentliches Lebenselement erblickte. Länger als ein Menschenalter hat seine Erzählungskunst denn auch in der Tat ein ständig wachsendes Publikum gefesselt, das sich aus den besten deutschen Bildungsschichten zusammensetzte.

Das erklärt sich leicht aus dem Gehalt wie der Vielseitigkeit seines Schaffens. Ein Mann von ungemein weitreichender Bildung, empfänglichem Geiste und humaner Gesinnung, hat er auf der einen Seite mancherlei Probleme, die im geistigen Leben seiner Zeit von Bedeutung waren, in seine Kunst einbezogen. Werke wie die Darstellung des westfälischen Adels, in den »Ritterbürtigen«, aus den kritischen Jahren vor der Revolution (1846) und der Renaissanceroman »Luther in Rom« aus dem Jahre des Unfehlbarkeitskonzils (1870) sind dafür unter vielen besonders bezeichnend. Die künstlerisch wertvollsten Wirkungen erreicht der Erzähler jedoch da, wo er seiner innersten Neigung zum romantischen Fabulieren nachgeben kann, wie in einzelnen seiner Novellen und vor allem in seinen bodenständigen kulturhistorischen Romanen.

Dieser Hang war durch Erziehung und Umgebung in ihm wachgerufen. Als Knabe hatte er begierig seiner Mutter gelauscht, wenn sie ihren Kindern des Abends in dem einsamen Heideschlößchen von Clemenswerth aus den Romanen von Walter Scott vorlas, und der mächtige Eindruck der Schilderungsweise des großen Briten, mit ihrer zärtlichen Einfühlung in eine idealisierte Vergangenheit, wirkte sein ganzes Leben lang in ihm nach. Nachdem das Organ für den Reiz des Historischen einmal auf solche Weise erweckt war, fand es dann namentlich in der an Farben und Motiven reichen westfälischen Heimat seine Nahrung. So hat er denn für diesen Teil des deutschen Vaterlandes in mancher Hinsicht Ähnliches geleistet, wie die ihm verwandten Heinrich König und Willibald Alexis für andere, so daß man nicht, mit Unrecht von ihm als dem »Walter Scott Westfalens« gesprochen hat.

In die Reihe der westfälischen Romane nun gehört auch – besonders eng mit »Paul Bronckhorst« zusammen, – die hier in einer neuen, von seinem Enkel unternommenen Bearbeitung vorliegende »Marketenderin von Köln«. Schücking schrieb das Buch auf seinem Landsitz in Sassenberg in Westfalen im Jahre 1860. Sein Lebensweg hatte ihn von Augsburg, wo er als Feuilleton-Redakteur an der damals ersten Zeitung Deutschlands, der von Kolb herausgegebenen »Augsburger Allgemeinen«, die ersten Jahre seiner Ehe mit Louise von Gall und die glücklichste Zeit seines Lebens überhaupt verbrachte, auf sieben Jahre, von 1845 – 1852 nach Köln geführt. Eine Spiegelung seiner genauen Kenntnis dieser Stadt und der innigen Liebe zu allem an ihr, was einer auf eine bunte und abenteuerliche Vergangenheit gelichteten Phantasie Nahrung gewährt, bietet diese Erzählung. Einerlei, ob es sich um ihre ehrwürdigen, Dächer und Türme, oder den Würdenträger, der in gänzlichem Absterben begriffenen, ehemals so hochberühmten Universität handelt, der die materiellen Ergebnisse der Wissenschaft aus einem gleichzeitig betriebenen Kramladen ergänzen muß, oder ob – ein Prachtstück lebendigster Erzählungskunst, – der Einzug der Sansculotten beschrieben wird, immer umgibt die Stadt der Heiligen Drei Könige ein ganz besonderer romantischer Zauber.

Die Haupthandlung freilich führt rasch aus ihr fort in das gebirgige Westfalen. Für ihre Umwelt scheint Schloß Wittgenstein bei Laasphe als Modell gedient zu haben, wenn auch der Regent von Ruppenstein dort historisch nicht nachweisbar ist. Die Züge in seinem Bilde sind in der Fürstengeschichte des 18. Jahrhunderts nicht schwer zu finden.

Hier ist der Verfasser nun wiederum in ganz besonderem Sinne zu Hause. Die Poesie der urwüchsigen Natur dieses Landstrichs spricht stark zu ihm, sein besonderes Interesse aber besitzen die Burgen und Schlösser, die in ihrer oft bizarren Stilmischung doch fast jedesmal zu einem gewissen organischen Gesamteindruck zusammengewachsen sind. Er beschreibt sie indes nicht nur von außen, sondern auch das seltsame Innere dieser Behausungen ist ihm bis zu dem oft phantastischen und gespenstischen Eigenleben ihrer toten Winkel auffallend vertraut, vor allem aber weiß er über die Kulturwelt dieser Gegend im 18. Jahrhundert in allen ihren Erscheinungsformen von Tracht und Gebärde bis zur politischen und sozialen Einstellung der Menschen genau Bescheid.

Das Charakteristische an diesen großenteils ungebändigten und unabgeschliffenen Herrennaturen, die, bei aller Gepflegtheit höfischer Umgangsformen noch unberührt vom humaneren Geiste bürgerlicher Lebensgemeinschaft sind, tritt anschaulich zutage und erfährt eine köstliche Ergänzung durch die mit scharfem Griffel, ohne karikaturistische Übertreibung festgehaltenen Physiognomien von Edelkäuzen, wie sie nur in solcher absonderlichen Welt ihr Wesen entfalten können. Der liebenswürdige Humor, der in ihrer Zeichnung lebt, gibt als Unterströmung an vielen Stellen der Erzählung einen besonderen Reiz.

Alles das ist in eine Fabel verflochten, die, wenn sie auch keine Gelegenheit geben will, besondere seelische Tiefen auszumessen, immerhin durch ihre Buntheit und den Reichtum an Abwechslung fesselnd bleibt, und obschon ihre Verwicklungen bisweilen auf den ersten Blick ein wenig labyrinthisch anmuten, doch die starke dramatische Spannung, auf die sie angelegt ist, nicht erlahmen läßt. So gehört die »Marketenderin von Köln« auch heute noch zu den anmutigsten und unterhaltendsten Schöpfungen deutscher Erzählungskunst.


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