Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Achtzehntes Kapitel

Die Erzählung des alten Barons

Nach einer kurzen Frist kehrte der Freiherr von Eggenrode zurück. Unmittelbar hinter ihm kam eine hochgewachsene bleiche Frau, die in ihrem Wesen etwas auffallend Schüchternes und Demütiges zeigte, und dann trat ein junges Mädchen ein, welches einen eigentümlichen Kontrast zu Traudchen Gymnich, mit der sie in einem Alter stehen mochte, bildete. Wir brauchen nicht zu sagen, daß es Marie Stahl war. Marie, mit ihrem reichen, blonden Haar, ihren blauen Augen, ihrem unbeschreiblich feinen und zarten Teint, stand neben Traudchen, der dunkeln Brünette im herausfordernden Kostüm, wie eine Lilie neben der üppigen Zentifolie. Traudchen heftete einen finstern, prüfenden Blick auf Marie. Es lag etwas Feindliches in diesem Blicke und doch nichts Gereiztes oder Zorniges. Es war ein Blick, wie man einen Gegner messen mag, den man zu besiegen sicher ist: in Traudchen schien diese Zuversicht in einem Maße zu leben, daß sie nichts von der ruhigen und kalten Entschlossenheit verlor, mit welcher sie gewappnet war. Wohl war sie überrascht von der Erscheinung Mariens; aber zugleich war dieses blonde zarte Wesen so wenig das, was ihr imponierte, was ihrem Geschmacke zusagte, daß sie sich desto weniger erschüttert fühlte in dem Bewußtsein ihres Einflusses und ihrer Macht über das Herz des jungen Mannes, mit dem sich seit so langer Zeit jetzt ihre Gedanken beschäftigt hatten, daß ihr allmählich geworden, als ob er ihr eigen sei, wie ein Kind der Mutter gehört. Das sollte seine Braut sein? Es war Torheit ... Torheit von den Menschen, die es glaubten, Torheit von ihm, wenn er es selbst glaubte... dafür lebte sie, Traudchen Gymnich, willensstark genug, ihn vor kleinen Verirrungen und Unbesonnenheiten zu bewahren, nachdem sie erst das Größere getan, ihn zu retten und zu rächen!

»Setze Sie sich, Frau Stahl, auf den Stuhl dort,« sagte der Baron, »und Ihre Tochter kann sich auch setzen; sehe Sie sich die Marketenderin hier an; das ist ein unternehmendes Kind Gottes. Will wie eine Hexe mit Feuer und Schwefel dazwischenfahren. Mache Sie's mit ihr aus, was Sie tun kann, um dem Studenten Luft zu machen. Ich seh's nicht ab. Die Marie dort, Ihre Tochter, hat mir erzählt, daß der Student auf Dudenrode seltsame Dinge geredet von einem alten Hause in Köln, wie er die Frau von Averdonk da mit einem, so sich Ripperda nennt, zusammen gesehen, und wie er dort mißhandelt worden sei. Ich kann's Ihr jetzt sagen, wie es zusammenhängt, und die Marketenderin da soll's auch hören, und dann mag sie beschließen, was ihr gut scheint.

Es ist nun mehr als ein Viertel Jahrhundert verflossen,« fuhr er langsam fort, »da lebte noch mein Vetter Stovelar – von Stovelar zu Equordt und Dudenrode. Wir hatten zusammen studiert und nachmalen auch gereist, und darum waren wir gute Freunde und sahen uns oft. Seine Tochter Gebharde war, als er starb, ein- oder zweiundzwanzig Jahre. Sie hatte Freier genug. Es war kein Wunder. Dudenrode, Stovelar, die Hälfte von Amelsborn gehörte ihr, und noch andere Güter mehr. Sie ließ sich das Freien schon gefallen, aber sie führte ihre Kavaliere so recht mit Vergnügen am Narrenseile herum. Da kam ein junger Mann vom Reisen zurück, ein entfernter Verwandter von uns, Lactantius von Averdonk, er hatte just nicht viel, die Hälfte von Amelsborn gehörte ihm; aber mein Freund und Vetter Stovelar hatte ihn gern, weil er ein braver und gefälliger Mensch war, der niemand etwas in den Weg legte; er war immer heiter, zu einem guten Spaß aufgelegt, auch gar nicht dumm, und es war bequem mit ihm zu leben. Und da er die Hälfte von Amelsborn besaß, so konnte er auch als Freier schon auftreten, denn es war immer wünschenswert, daß die beiden Teile zusammenkamen, obwohl Stovelar auf Gut und Vermögen nicht zu sehen brauchte. Averdonk gefiel auch dem jungen Mädchen. Sie ließ sich seine Bewerbungen gefallen, ohne dabei ihre andern Freier zu verabschieden; es war eben ein lustiges Treiben dazumal auf Dudenrode, und das junge Volk lebte toll und leichtfertig in den Tag hinein – Gebharde schien nicht gewillt, dem ein Ende zu machen, indem sie einem der Freier ihre Hand zusagte und damit den andern den Laufpaß gab. Das ging nun eine Weile so gut, bis der Teufel sich hineinmischte und den Gelegenheitsmacher spielte, und vielleicht war es auch nicht der Teufel allein; wer weiß es? Averdonk war schlau – er war nicht immer so, wie er jetzt ist, und wußte wohl seinen Vorteil wahrzunehmen – kurz es kam dahin, daß Gebharde von Stovelar ihrer Mutter Bekenntnisse ablegen mußte, die nun nichts weiter zu tun übrig ließen, als beide, sie und Averdonk, in möglichst kurzer Frist zusammenzugeben. Wäre das geschehen, und wäre Stovelar der Mann dazu gewesen, das durchzusetzen, so wäre alles gut geworden, und viel Kummer und Leid wäre Stovelar erspart worden. Aber ganz unerwarteterweise weigerte sich Gebharde entschieden, Averdonk zum Manne zu nehmen; sie beteuerte, daß sie ihn jetzt hasse, daß sie ihn verabscheue, daß sie ihn nicht wiedersehen wolle, und was sonst ein launenhaftes, unvernünftiges Frauenzimmer alles noch vorbringen mag, wenn sie sich gedemütigt fühlt und den Zorn darüber und über ihre eigene Schwäche nicht überwinden will, und wenn sie nicht gehorchen gelernt hat, wie es einem Weibe zukommt. Mit einem Wort, der Averdonk durfte ihr nicht mehr vor die Augen kommen; was der Vater redete, wurde nicht gehört; und Gebharde wurde für eine Zeitlang wegen Unwohlseins nicht mehr sichtbar; und eines Tages kam Stovelar zu mir, um mir anzuvertrauen, daß sie ein Kind geboren, welches er heimlich bei zuverlässigen Leuten untergebracht habe. Ich sagte ihm gerade und derb meine Meinung über seine weibische Schwäche und Nachgiebigkeit; aber er wußte nichts zu antworten, als daß es eben sein einziges Kind sei, und daß sie nun einmal ihren Kopf und ihren Willen habe, der an Zwang nicht gewöhnt worden. Nun ja, das wußte ich; an Zwang war sie freilich nicht gewöhnt, sie kommandierte das ganze Haus! Stovelar aber grämte sich und bekam weiße Haare über die ganze Geschichte, und ein Jahr nachher überfiel ihn ein hitziges Fieber, oder was es war, und daran ist er gestorben. Seine Frau überlebte ihn, aber da sie eine schwache, einfältige Frau war, die auch bald wieder sich verheiratete, und da Gebharde noch nicht großjährig, so mußte ein Mann als Vormund für sie da sein, und die Gerichte machten mich zu ihrem Vormund.

Nun war dazumal unter den jungen Leuten hier zu Lande einer, der hieß Wilbrand von Walrave. Es war ein hübscher, schwarzlockiger Bursche, der, wenn er wollte, reden konnte wie ein Buch, gewandt und verwegen war wie eine wilde Katze und abgefeimt wie ein Zigeuner. Er schien nur damit beschäftigt, Erfahrungen darüber zu sammeln, in wie kurzer Zeit sich ein ansehnliches Vermögen mit lockern Gesellen durchbringen und ein von Haus aus guter Name sich gründlich ruinieren lasse durch allerlei Streiche, die nicht gerade so waren, daß sie zu Galgen und Rad führten, aber auch nicht viel dahinter zurückblieben. Ich hatte ihn, wie gesagt, anfangs wenig gesehen; mit der Zeit aber begann er sich immer häufiger auf Dudenrode einzustellen, der Frau Mama Fleuretten zu sagen und der Tochter den Hof zu machen. Rasch und sicher ging er auf sein Ziel los, die reichste Erbin im Lande heimzuführen. Ich sann, was hier nun am besten zu tun wäre und wie ich jetzt meine Schuldigkeit täte als Vormund des törichten Mädchens, damit ich einst bestehen könnte vor unsers Herrn Richterstuhl und vor meinem toten Freund Stovelar.

In dem nächsten Städtchen, worin Walrave sein Quartier gehabt, war er niemalen daheim zu finden. Ich hatte schon manchen vergeblichen Ritt getan, um ihn anzutreffen, bis ich endlich ganz zufällig auf ihn stoße, als er in Wolfshagen aus dem Pfarrhaus des Pastors Klevesahl herauskommt.

Nachdem wir von den Zeitläufen und unsern Pferden und von andern Dingen auf kavaliermäßige Weise eine Weile diskutiert haben, so sage ich: ›Mit Permiß, Herr von Walrave, ist es an dem, daß Sie nach dem Fräulein Stovelar freien?‹

Sagt er wieder, mit einiger Verwechselung der Farbe: ›Und wenn es an dem wäre, Herr von Eggenrode?‹

›Was meine Mündel betrifft‹, erwidere ich Walrave, ›so ist demselben vielleicht nicht unbekannt, daß Gebharde von Stovelar sich der Freiheit, über ihre Hand zu verfügen, selbsten allbereits begeben hat; sie wird den Mann heiraten, den sie nach Christenpflicht, und wenn sie ein ehrliches Frauenzimmer sein will, heiraten muß.‹

›Wenn sie aber nicht will?‹

›So wird man sie zwingen.«

›Wer?‹

›Ihr Vormund.‹

›Der gnädige Herr?‹ sagte Walrave, und dabei zuckt er die Schultern, als ob ich der Mann sei, mit mir spotten zu lassen.

›Darauf gebe ich dem Herrn von Walrave meine Kavalierparole, möchte auch meinen, daß der Herr vorziehen sollte, vor der Zeit des nächsten Neumonds das Land zu verlassen und heimzukehren, woher er gekommen ist!‹

›Aber, Herr, ich begreife nicht, weshalb Sie eine solche Sprache gegen mich fuhren ...‹

›Weshalb, fragen der Herr von Walrave? Weil eine Malstäte der freien Schöffen in unserem Kirchspiele ist; weil ich der Freigraf dieses Stuhls, genannt zu den vier Telgen, bin; weil ich Sie am Tage nach dem nächsten Neumond vor die gespannte Bank werde heischen, und durch einen frei und echt geborenen wissenden Mann, nach Freistuhls Recht, auf roter Erde, werde anklagen lassen, wegen unterschiedlicher femwrogiger Missetaten; und weil wir Sie alsdann mit einem geflochtenen Weidestrick werden an den nächsten dazu geeigneten Baum hängen.‹

›Herr!‹ fuhr der Walrave auf, zornig und doch auch wieder die Farbe wechselnd vor Schrecken – ›das sind Drohungen und Worte...‹

›Die ihren guten Grund und Inhalt haben. Sie haben eine Bauerndirne geraubt und eine Zeitlang bei sich behalten. Sie haben einen Zigeunerbuben mit einigen andern guten Gesellen gehetzt, als ob es ein vogelfreies Wild wäre, Sie haben einen Juden um ein Pferd geprellt ...'

›Sie würden es wagen, einen Menschen zu ermorden?‹ rief er aus.

›Zu ermorden – nein, aber zu richten. Es ist zwarn, so lang' ich Freigraf des Stuhls unter den vier Telgen bin, nicht mehr vorgekommen. Dies kann aber nicht hindern, daß wir nach Lage der Sache und nach Inhalt von Caroli Magni Gesetz und aufgerichteter Ordnung vorkommendenfalls tun, was Rechtens.‹

›Es ist eine Obrigkeit und Schutz im Lande gegen solche Gewalttätigkeiten!‹

›Allerdings sind unsers gnädigen Herrn, Seiner kurfürstlichen Durchlaucht, zur Regierung und Hofgericht verordnete Herren Räte da; allein dieses kann uns unsere alten Landesrechte, Privilegia und Bräuche nicht verkürzen. Ich will dem Herrn von Walrave auch einräumen, daß des Kurfürsten Dikasteria, wenn wir in besagter Weise einem verfeindeten Manne sein Recht angedeihen lassen, uns einen scharfen Verweis zukommen zu lassen sich bewogen finden dürften, deshalb, weil wir den Casum nicht vor löbliche Landesbehörden und ihre lateinische Jurisdiktion gebracht; steht auch dahin, ob uns die Herren nicht von solcher Justifizierung nach unsern alten deutschen Bräuchen für die Zukunft aufs ernstlichste abmahnen würden. Vermeine aber, daß dieses dem Herrn von Walrave alsdann, und wann derselbige mit der Weide vom Leben zum Tode gebracht, wenig Solatium und Erquickung bringen würde.‹

›Und wenn ich nun Ihr abenteuerliches Gerichthalten verlache, aber mich wohl hüte zu kommen?‹ sagte hierauf der Walrave mit bedeutend gedämpftem Tone.

›Würde demselben wenig nützen,‹ sprach ich dawider, ›wasmaßen die wissenden Männer Sie schon finden und nötigenfalls unter dem Torbogen von Dudenrode immerhin eine alte Klammer oder einen guten Nagel eingetrieben vorfinden würden, der eine Menschenlast aushält.‹

Nachdem wir so noch eine Weile über die Sache diskutiert hatten, kamen wir an eine Stelle, wo die Wege auseinanderliefen, und hier nahmen wir geziementlich Urlaub voneinander. Ich ritt heim nach Eggenrode und wartete ruhig das Weitere ab. Kam denn auch am zweiten Tage nachher der Herr von Walrave richtig in den Hof geritten und ließ mich um ein nochmaliges Gespräch ersuchen. Mochte sich derweil wohl nach unsern Freigerichten ein wenig erkundigt haben und innegeworden sein, daß es noch immer eine absonderliche Sache damit sei, und daß der Freigraf unter den vier Telgen nicht der Mann sei, der das gute alte Recht und die Satzungen der Väter zum Spotte werden lasse. Dazumal war noch eine andere Zeit wie heute, und es war noch nicht die Schreiberei und Klauberei in der Welt, der Edelmann war noch ein Herr und Edelmann, und der Bauer ein Bauer. Nun also kommt der Walrave zu mir herauf, etwas kleinlauter und stiller noch, als da er von mir geritten, und stellt mir rundheraus seine Lage für, wie daß er mit seinem Vermögen am Rand, und daß, er meinem Wink, sich aus der Gegend zu verziehen, nicht alsogleich folgen könne, weil er nicht wisse, womit und wohin. Da hab' ich denn, weil ich seinen guten Willen zu sehen vermeinte, dafür gesorgt, daß es ihm nicht am nötigsten gebreche; und gegen ein Erkleckliches, auch eine sichere Rekommandation für einen fremden Herrendienst, die ihm zuteil wurde, hat er mir in die Hand gelobt, sich hierlands nicht wieder blicken zu lassen. So hat ihn auch kein Mensch mehr gesehen, und es ist gar bald darauf das Gerücht gegangen, daß er elendiglich umgekommen und seinen Hals gebrochen, ja, wollen ihn etzliche sogar selber im Walde mit seiner eigenen Büchse erschossen und andere ihn gar erhänget gefunden haben, und was denn des Redens mehr gewesen ist, womit man das dumme Volk sich ergötzen lässet, zumalen es gar nicht nach der richtigen Wahrheit verlanget.

Nachdem ich nun einige Monden verfließen lassen, habe ich auch nach der Hand mich nach dem Averdonk umgeschaut, und als ich ihn guter williger Gesinnung gefunden, ihn eines Tages mit mir genommen nach Dudenrode, und habe ihn alldorten dem Frauenzimmer vorgestellt mit der Erklärung, daß ich nun der Sache ein Ende machen werde, wie ich es für meine Christenpflicht halte und vor meinem Gewissen verantworten könne. Die Mutter ist solcher Schlichtung der Sache auch gar nicht entgegen gewesen; hat aber die Tochter, die Gebharde, ein desto größeres Geschrei erhoben und sich dawidergesetzet; hat aber wahrnehmen müssen, daß sie, nicht mehr mit ihrem Papa seliger, sondern mit einem anderen zu tun gehabt, und daß ihr Vormund wohl durchsetzen könne, was er sich fürgenommen und ausgemacht. Da ist sie denn endlich bei mir mit dem Wort herausgekommen, daß sie Averdonk gar nicht heiraten könne, denn sie sei schon heimlicherweise mit dem Walrave getraut. Es habe der Pfarrer Klevesahl zu Wolfshagen sie in seiner Dorfkirche eines Morgens in aller Frühe stille zusammengegeben. Nun sei zwar der Walrave, ohne ihr Kunde und Nachricht zu hinterlassen, spurlos verschwunden; es ginge auch das Gerede, wie er kläglicherweise einen frühzeitigen Tod durch irgendeinen Unglücksfall gefunden; jedennoch könne sie, ehevor dies nicht bestätiget, keinen andern ehelichen. Da ich sie nun kannte und allbereits allerlei anderes nichtiges Fürbringen von ihr angehört hatte, so war ich der Meinung, daß dieses auch nur Flausen und listig ersonnene Ausflüchte seien. Es ging mir aber doch im Kopfe herum; und am andern Tage, um mich über die Sache zu vergewissern, machte ich mich auf den Weg nach Wolfshagen, und wie ich in die Pfarrei kam, da fand ich den Pastor in seinem Garten, ruhig sein Brevier betend und umherspazierend, und da faßte ich ihn beim Rock und sagte: Klevesahl, sagte ich, ist es an dem, daß Er heimlich ohne Fürwissen und hinter dem Rücken solcher, die es angeht, die Leute zusammengibt – sprech' Er, ist das an dem? Hat Er den Schelm, den Walrave, mit meiner Mündel getraut? Heraus damit! – Der Pastor, das nahm ich wohl wahr, entsetzte sich nun aus der maßen über diese Frage, sodann aber antwortete er mir in großem Zorn, mit mancherlei Worten, wie ich ihm vorkomme und was ich für ein Recht hätte, ihn zur Verantwortung zu ziehen und ihn mit solcherlei Unterstellungen zu beleidigen; und so gab ein Wort das andere, woraus ich doch genugsam abnehmen zu können glaubte, daß er der Sache nicht geständig sei. Und so kehrte ich zornig über der Gebharde freches Fürbringen nach Dudenrode zurück, und im führte ich meinen Willen aus, auf alles Gerede weiter nicht achtend, und der Averdonk wurde alsbald mit dem Fräulein Gebharde von Stovelar getraut in der Kapelle auf Dudenrode am ... nun, es steht hinten in meiner Hausbibel vermerkt, wann.

Das ist nun die ganze Geschichte, die der Jungfer Marketenderin zu wissen nötig, wenn es in Wahrheit besteht, was sie sagt, und sie eine aktenmäßige Bescheinigung darüber hat, daß die Frau von Averdonk dazumalen dennoch die Wahrheit geredet und mit dem Walrave getraut gewesen auch der sich Ripperda nennende und jetzt in Ruppenstein aufhaltende Mensch niemand anders als derselbe Walrave sei. Ich kann ihn heute nicht mehr an eine Eiche hängen lassen, obzwarn er es verdient hätte, schon weil er seine Kavalierparole gebrochen, daß er niemalen zurückkommen wolle; wir hegen in diesen jetzigen schlimmen und betrübenden Zeitläuften das Gericht nicht mehr auf der gespannten Bank. unter den vier Telgen; von den Freischöffen sind nur noch etliche wenige übrig, die andern sind alle tot. Das lateinische Schreibervolk aber hat alle Dinge zu seinen Händen genommen. Mag die Jungfer tun, was sie nicht lassen kann. Will sie sich der Sache zu ihrem Nutz und Zweck bedienen, so wird auf mich alten Mann die Anklage fallen, daß ich dazumal Gebharde zur Heirat gleichsam gezwungen und genötigt. Ich muß stille schweigen dazu ... was kann ich einwenden! Ich habe geglaubt, das Rechte zu tun, und damit muß ich mich trösten ...«

Traudchen hatte dieser Erzählung mit einer Spannung zugehört, die wir nicht zu schildern brauchen. Sie war gekommen Mit dem Gedanken an eine schonungslose Rache, an ein rücksichtsloses Auftreten. Jetzt mußte sich diese Schärfe ihrer Entschlüsse um ein nicht Geringes abstumpfen. Sie mußte einsehen, daß die Verhältnisse und Dinge nicht so einfach und eben dalagen, daß sie mit einem robusten Entschluß gelöst werden konnten. Frau von Averdonk erschien ihr in der Erzählung Eggenrodes fast bemitleidenswert. Welche brutale Gewalt hatte dieser alte strenge Mann mit den düster zusammengezogenen Brauen gegen sie geübt, um sie zur Nachgiebigkeit, zu dem Bunde, gegen den ihr ganzer Stolz, ihr ganzer Eigenwille sich auflehnte, zu zwingen! Was mochte sie dann gelitten haben, als dieser Walrave ihr wieder ein Lebenszeichen zukommen zu lassen für gut fand, dann seine Stellung auszubeuten begann, sie zu heimlichen Zusammenkünften zwang ... gewiß, der junge Mann, den sie so rücksichtslos ihrer Sicherheit geopfert, war längst schon an dem unglücklichen Weibe gerächt! Aber auf das alles freilich kam es in dieser Stunde nicht an – Hubert schwebte in der schrecklichsten Gefahr, und es mußte augenblicklich gehandelt werden, wenn die Rettung nicht zu spät kommen sollte.

»Sie redeten da von einem Kinde der Frau von Averdonk,« sagte, nachdem der Erzählung Eggenrodes eine stille Pause gefolgt war, die Frau des Vogts jetzt – »wo ist das Kind geblieben?«

»Das Kind... das Kind ist gestorben. Es war ein Mädchen. Es ist nicht ein halbes Jahr alt geworden. Da ist es gestorben, wie mir Stovelar sagte.«

»Und wissen Sie nichts«, fuhr sie fort, »von einem Kinde, einem Knaben, der von Walrave einem Chirurgus Bender zum Aufziehen übergeben wurde und ...«

»Was soll ich davon wissen ... kenne ich alle Bastarde im Lande?« fiel ihr Eggenrode barsch ins Wort.

Sie schwieg verschüchtert, und Traudchen sagte nun: »Verlieren wir die Zeit nicht ... können diese zwei Frauen mir helfen, so sagen Sie, wie.«

Die stille Frau sah zu Eggenrode auf und sagte: »Lassen Sie das junge Mädchen die Nacht Über in unsern Zimmern wohnen; sie und Marie mögen dann reden zusammen und unsern Herrgott bitten, daß er es ihnen eingebe, wie uns. geholfen werden kann.«

Eggenrode nickte nur mit dem Kopfe und zog eine Klingelschnur in seiner Nähe, um Walpurgis kommen zu lassen. Traudchen stand auf und erklärte, daß sie erst rasch zu ihrer Kranken hinüberwolle, um nach dieser zu sehen. Marie begleitete sie und führte sie dann in die Räume, welche Eggenrode ihr und ihrer Mutter angewiesen hatte. Hier ließ Traudchen, da sie ihre Reisegefährtin für die Nacht versorgt wußte, sich Marie gegenüber an einem Kaminfeuer nieder; die stille Frau setzte sich neben ihre Tochter und horchte schweigend und nur selten ein Wort dazwischenwerfend zu, wie bis tief in die Nacht hinein die beiden jungen Mädchen mit geröteten Gesichtern eifrig ihre Erlebnisse und ihre Gedanken voreinander ausschütteten.


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