Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Dreizehntes Kapitel

Die Geheimnisse von Schloß Ruppenstein

Es war an einem Nachmittage, zwei Tage nach dem von uns erzählten Ausfluge Ripperdas nach Dudenrode, als der letztere behaglich in einem breiten hölzernen Lehnstuhl ruhte, vor sich eine rundbauchige Flasche und zwei feingeschliffene Gläser. Sein Antlitz ist mehr als gewöhnlich hoch gerötet und der Blick seines einzigen Auges lebhafter und feuriger noch als sonst.

Ihm gegenüber, das Haupt wie sorgenschwer auf den Tisch gestützt, sitzt die schlanke Jünglingsgestalt Franz von Ardeys. Er ist in sorgfältigstem Gesellschaftsanzuge, im feinen dunkelbraunen Rock mit goldenen Knöpfen, in chamoisgelben Kniehosen und seidenen Strümpfen mit Schnallenschuhen; das Haar ist zurückgestrichen und in einen Zopf gebunden und läßt so die hohe gerundete Stirn, das ganze feine, vornehme Gesicht frei.

Ripperda steckt in einem Anzuge, der sich nicht wesentlich von dem, worin wir ihn früher auftreten sahen, unterscheidet. Es ist die grüne, mit goldenen Tressen galonierte reichsgräflich Ruppensteinsche Jagduniform für Galatage und Hofgesellschaften.

»Es ist so, wie ich sage, mein lieber junger Freund«, sagte er, indem er aus seiner halb liegenden Stellung sich aufrichtete, um sein Glas zu leeren. »Der Tolle hat den verwegenen Burschen unter sein Militär stecken lassen, und Marie Stahl ist hier irgendwo in einem Kämmerlein dieses Schlosses untergebracht, wo unser gnädigster Herr sich bestrebt, ihr seine zärtliche landesväterliche Gesinnung klar zu machen!«

»Es ist eine unselige Geschichte!« brach jetzt Franz von Aidey aus. »Mag nun mit ihrer Einwilligung oder ohne sie dieser unglückliche Student seine Erklärung gemacht haben, wir müssen endlich handeln, wir müssen Marien befreien, lieber heute noch als morgen!«

»Ganz richtig,« versetzte Ripperda, »aber ich habe keine Lust, mich von meinem gestrengen Gebieter hängen, rädern oder köpfen zu lassen, was sicherlich seine gnädigste Verordnung sein würde, wenn Sie bei der Unternehmung scheiterten und dabei ertappt würden; denn alsdann würde unser auffallend häufiger Verkehr in den letzten Tagen für Leute, die nicht halb blind sind, hinreichend auf meine Mitschuld deuten. Ich knüpfe meine Mitwirkung an die Bedingung: nur sacht, vorsichtig und besonnen, und vor allen Dingen nur so, daß weder auf mich, noch auf Sie irgend der Schatten eines Verdachts fällt. Ich habe meinen Plan. Ich will sie aus dem Schlosse befreien. Ich will sie nach Ihrem Gute Amelsborn bringen lassen, das, wie Sie sagen, außerhalb des reichsgräflich Ruppensteinschen Gebiets liegt. Sie soll dort eine Zuflucht finden, und Sie, Herr von Ardey, sollen bei der ganzen Geschichte nicht die mindeste Gefahr laufen – aber ich verlange dafür, daß Sie meinen Anordnungen folgen, und zum Lohne für meine Hilfe verlange ich nachher von Ihnen – – – Ihren vollen Undank!«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Es ist leicht erklärt. Ich verlange, daß Sie den Umgang mit mir abbrechen. Ich will nicht, daß man sage, Sie hätten tagtäglich mit mir verkehrt während der Zeit, wo Sie die Torheit begangen, ein armes bürgerliches Mädchen zu heiraten, oder was Sie sonst mit ihr vorhaben. Ist Gras über die Geschichte gewachsen, so können wir unsere Freundschaft, auf die ich in der Tat nur mit Schmerzen verzichten würde, wieder anknüpfen. Nehmen Sie diese Bedingungen an, so schlagen Sie ein.«

Franz von Ardey legte seine weiße schmale Hand in die breite gebräunte Faust Ripperdas. »Ich kann ja nicht anders«, sagte et.

»Nun wohl – also von diesem Augenblicke an unterwerfen Sie sich ohne Widerspruch meinen Anordnungen?« fuhr Ripperda fort.

»Ja.«

»Gut, so sage ich Ihnen denn, daß wir den Studenten aus Köln dazu benutzen werden, die gefährliche Rolle in dem Drama zu übernehmen. Er wird Marie aus dem Schlosse führen ...«

»Er?« fuhr Franz auf – »unmöglich, das kann ich nun und nimmer zugeben!«

»Und doch werden Sie es.«

»Ei, der sich für Mariens Verlobten hält ...«

»Possen!«

»Wenn er es nicht täte, würde er bereit sein zu dem, was Sie ihm zumuten wollen?«

»Dafür lassen Sie mich sorgen.«

»Ich kann nicht zugeben, daß dieser Student ...«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen; Ihr eifersüchtiges Herz empört sich gegen den Gedanken, daß der Student sich auf die unauslöschliche Dankbarkeit Mariens so große Rechte erwerbe. Aber ich kann Ihnen nicht helfen. Entweder so wird es geschehen oder gar nicht.«

Ripperdas Energie und Entschiedenheit hatten sich in der kurzen Zeit seines Umganges einen solchen Einfluß auf den Charakter des aufgeregten, zwischen den verschiedensten Empfindungen stürmisch hin und hergeschleuderten jungen Mannes errungen, daß der letztere beinahe verstummte. Er warf nur noch ein:

»Aber ob der Student oder ich selber Marien rettet, kann Ihnen das nicht einerlei sein?«

»Keineswegs. Der Student gilt in den Augen des Tollen als Mariens Verlobter. Er selbst ist gewaltsam unter das Militär gesteckt. Wenn er mit ihr flieht, so ist das kein Wunder, eine Tat, bei der man nicht lange untersuchen wird. Scheitert die Sache, so hat er die Folgen allein zu tragen – auf mich kann kein Verdacht fallen, der Mensch ist mir völlig fremd. Und dann habe ich noch einen Grund: der Student ist nicht verliebt wie Sie, also ist er kaltblütiger, ruhiger, besonnener –«

»Aber gewiß nicht mutiger und entschlossener!« fuhr Franz auf.

»Aber praktischer! Darum ergeben Sie sich darein«, versetzte Ripperda. »Und nun genug! Das Nähere bereden wir morgen vormittag. Jetzt begeben Sie sich in den Wiprechtsbau zur Gesellschaft zurück. Machen Sie Fräulein Helene von Wrechten den Hof.«

»Ich bin in der rechten Stimmung dazu!«

»So zeigen Sie sich wenigstens dort. Ihre lange Abwesenheit fällt auf. Ich folge Ihnen in einer Viertelstunde.«

Franz von Ardey nahm seinen Hut mit den schmalen Goldborten und dem Federsaum, der damals noch zur Tracht eines Kavaliers, welcher bei Hofe erscheint, gehörte, und schickte sich an, Ripperda zu verlassen; er ging jedoch erst einigemal in dem Zimmer auf und ab, sich zu fassen, und dann schritt er gesenkten Hauptes über den Schloßhof dem großen Portal zu, das in den Wiprechtsbau führte. In einer Flucht Zimmer im ersten Stockwerk dieses Baues war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft versammelt. Graf Philipp III. hatte einige Adelsfamilien der Nachbarschaft zu seinem heutigen Diner eingeladen. Die Gesellschaft hatte eben den Kaffee eingenommen und war jetzt in mehr oder minder lebhafter Unterhaltung begriffen; zerstreut in den einzelnen Räumen, hatte sie sich abgesondert zu verschiedenen Gruppen. Einige »Spitzen« der gräflichen Behörden hielten sich zumeist in dem vordersten Zimmer auf; sie politisierten ziemlich lebhaft untereinander, durch die drohenden Zeitereignisse und das immer näher kommende Kriegswetter zu einer Art der Unterhaltung angeregt, welche sonst, wie billig, in den Räumen, wo ein souveräner Herr weilt, vermieden wird. Aber man wußte, daß man Philipp III. nicht mißfiel, wenn man von den Mißgeschicken der österreichischen Waffen sprach. Österreich war die einzige Macht in Deutschland, welche in dem alten Reichskörper eine gewisse Widerstandskraft nach außen hin lebendig erhielt; ohne Österreich wäre das liebe Heilige Römische Reich eine moderige oder gallertartige Masse gewesen, die jedem Fußtritt, den ihr ein hochmütiger Nachbar versetzt, nachgegeben hätte. Solch ein Zustand aber war einem Souverän wie Philipp III. unendlich willkommener als das, was er die »österreichischen Intrigen« nannte, um die Mitglieder des Reichskörpers in ewiger Unruhe und Not und Aufregung zur Bekämpfung des Franzosen zu erhalten. Auch hatte Philipp III. seit Jahren schon manches Hühnchen zu rupfen bekommen mit einem paar ganz fataler, chikanöser und in jeder Beziehung verderblicher und unmoralischer Institute, die Österreich, seiner Ansicht nach bloß aus Tücke und Frevelmut, zur Unterdrückung der Souveränitätsrechte der deutschen Reichsstände aufrecht erhielt. Dies waren das Kammergericht und der Reichshofrat. Der Reichshofrat und das Reichskammergericht waren so etwas wie eine letzte Zuflucht für alle, welche unter dem Zepter irgendeines kleinen Reichstyrannen keine Hilfe und keinen Rechtsschutz mehr fanden. Sie waren die Organe, wodurch sich von Zeit zu Zeit zeigte, daß noch immer eine schirmende Kaisergewalt da sei, welche den Unterdrückten beisprang und die Kleinen gegen die Großen in Schutz nahm.

Die österreichischen »Kostbeutel« also, wie man damals sich ausdrückte, waren dem regierenden Landesherrn in der Seele zuwider, und er hätte nichts gegen das gehabt, was seine Beamten, diese arme, vielgeplagte Menschenrasse, politisierend und kannegießernd wider sie vorbrachten, wenn er es hätte hören können. Das jedoch war ihm unmöglich, denn zwischen dem Raum, in welchem sie sich aufhielten, und dem, worin die höchsten Herrschaften sich befanden, lag ein zweiter Salon, in welchem einige mehr oder minder junge Damen, ein paar »Hofchargen« und ein paar Offiziere sich sehr lebhaft unterhielten.

Im Vorübergehen streift unser Blick eine dieser Damen, die auf einem Taburet in einer Fensternische ruht; ein blühendes, von Gesundheit und Fülle strotzendes Geschöpf. Es ist Hedwig von Wrechten, die Nichte des Hofmarschalls und des gräflichen Adjutanten. Sie bildet eben den Mittelpunkt einer höchst belebten Unterhaltung, denn die beiden Offiziere und ein paar andere junge Herren, die dem Adel der Nachbarschaft angehören, machen ihr sehr eifrig den Hof. Und Hedwig von Wrechten ist immer sehr liebenswürdig, sehr heiter und sehr graziös, wenn man ihr den Hof macht. Wenn dies nicht geschieht und Fräulein von Wrechten folglich sich langweilt, so ist jenes weniger der Fall. Sie schlendert dann languissant umher oder streckt sich auf einem Sofa und ist der vollendete Typus jener liebenswürdigen und achtungeinflößenden vornehmen jungen Damen, deren ganzes Sein und Wesen sich zu dem bewunderungswürdig logischen Programm ihrer Existenz zuspitzt: zwar ich verstehe und weiß nichts, aber man soll mich verehren; ich tue und leiste nichts, aber ich will bewundert sein; ich bin in jeder Beziehung nichts, aber mich zu lieben und anzubeten ist Pflicht jedes Sterblichen von gutem Geschmack, und wer es nicht tut, ist nicht wert, daß ich Notiz von ihm nehme.

Also Hedwig von Wrechten ließ sich eifrig den Hof machen, und darüber vergaß sie ihren stillen, blöden und wortkargen Verehrer Franz von Ardey, den ihr die Frau von Averdonk in Eintracht mit ihrem Oheim, dem Hofmarschall, und dem regierenden Herrn zum Gemahl bestimmt hatte, weil sie von tadelloser Herkunft und die Erbin eines ansehnlichen Vermögens war. Sie entbehrte seinen heute besonders ernst aussehenden blonden Kopf mit den mehr Unmut als Mut ausstrahlenden blauen Augen ganz und gar nicht unter den belebten, geröteten Gesichtern der Männer, welche sie umgaben und über die mehr heitern und kindlich albernen als sinnvollen Einfälle lachten, die sie zum besten gab.

Im dritten Raume, sagten wir, befanden sich die höchsten, Herrschaften ... es waren ihrer zwei, Graf Philipp und ein nur um ein Jahr jüngerer Bruder – ein harmloser dicker Mann, an dem die Natur offenbar genug getan zu haben glaubte, daß sie ihn zum Grafen von Ruppenstein gemacht; ja, als ob ihm damit bereits zu viel Ehre geschehen, schien sie nun auch jede weitere Gabe für überflüssig gehalten zu haben. Wie aber jedes individuelle Leben, welchem man eine ungehinderte und freie Entwicklung läßt, sich zu Besonderheiten, die es in seiner Art beachtenswert machen, ausbildet, so war Graf Rupprecht von Ruppenstein auch zu einer Individualität geworden, die ihren bestimmten Charakterzug hatte. Er leistete Erstaunliches darin, eine ruhig diskutierende Gesellschaft gerade im richtigen Moment durch irgendeine schreckliche Störung, z. B. durch das plötzliche wütende Schmerzgeheul eines unglücklichen Hundes, dem er auf den Schwanz trat, zu erschrecken; auch war es seine Spezialität, jemandem, der sich eben setzen wollte, so geschickt unversehens den Stuhl fortzureißen, daß er sicher auf den Boden fiel. Niemand war ferner geübter darin, Löcher durch Türen und Wände zu bohren, die einen Einblick in irgendeinen verschlossenen Raum verstatteten, namentlich dann, wenn er von Damen bewohnt war; und sein Kopf war äußerst fruchtbar an Einfällen, wenn es galt, irgendeinen Nebenmenschen um seine Nachtruhe oder seine Bequemlichkeit zu bringen, und dies besonders, wenn dabei Anstand und Reinlichkeit in ganz erstaunlicher Weise verletzt werden konnten.

Philipp steht in der Mitte des Salons, mit dem Rücken an eine große runde Tafel mit schwerer Marmorplatte gelehnt, und neben ihm steht der Freiherr Lactantius von Averdonk, der seine lange Figur heute in einen Staatsrock von dunkelblauem Samt mit silbernen Knöpfen und silbernen Borten gehüllt hat, und dessen Toilette wohl ohne Zweifel so tadellos ist, weil seine Gattin selbst sie einer Prüfung und letzten Nachhilfe zu unterwerfen für gut fand. Daneben zeigt sich ein großer, kräftig gebauter Mann in einer absonderlichen, altmodischen Ritterschaftsuniform, die durch ihre Falten und ihren verblichenen Glanz andeutet, daß sie sehr lange nicht mehr aus dem Kasten gekommen ist, und die dem Träger fortwährend ein Gefühl von Unbehagen zu erwecken scheint, das sich auf den mißmutigen Zügen des alten Mannes abprägt. Gegen die Sitte der Zeit trägt dieser Herr keine Perücke, sondern über seiner enorm hohen kahlen Stirn ruht ein aus seinen grauen Haaren gebildetes Toupé, welches da oben thront wie die Arche auf dem Berge Ararat; unter den merkwürdig dichten buschigen weißen Brauen rollt ein Paar schreckeneinflößender großer Augen, und der größte Teil des übrigen Gesichts ist in einen Wald von grauem Barthaar versteckt. Diese merkwürdige Figur, die aussieht, als habe sie in verschiedenen Perioden der Geschichte sich durch viele notable Taten ausgezeichnet und noch in reifern Jahren um die Welt große Verdienste erworben, sei aber zu stolz, sich in dieser Richtung weiter zu bemühen, gehört einem Freiherrn Burkard Mordian von Eggenrode zu.

Den Kreis, welcher sich um die Erlaucht gebildet hat, schließt ein Herr in österreichischer Uniform, ein Stabsoffizier, der auf der Durchreise begriffen ist, da er die Mission hat, die Wege in den Gegenden zu inspizieren, durch welche das österreichische Heer seinen Rückzug nach Franken zu bewerkstelligen beabsichtigt. Der Offizier war mit Philipp III. wegen der Herstellung einer fahrbaren Straße durch sein kleines Land in Unterhandlung getreten, hatte dabei jedoch den entschiedensten Widerstand gefunden. Philipp III. behauptete, es sei kein Weg in seinem Gebiet, auf welchem er selbst, wenn er sich zu Pferde setze, nicht recht wohl vorwärts käme, und wenn andere Leute das nicht vermöchten, so sei es offenbar Mangel an Geschick und gutem Willen. Die Verhandlung hatte sich etwas erhitzt; der österreichische Offizier hatte sich dabei, wie man in Wien sagt »gegiftet« und im stillen vorgenommen, seinerzeit womöglich Rache an der Erlaucht zu nehmen. Für den Augenblick schien der Hader vergessen; der Offizier erzählte mit großer Lebhaftigkeit von dem letzten Feldzuge in den Niederlanden, und Graf Philipp III. machte seine von mehr oder minder gesunder Urteilskraft zeugenden Bemerkungen dazu, während die beiden anderen Herren sich zu den Dingen, die ihnen im Geiste, vorgeführt wurden, in auffallender Verschiedenheit verhielten.

Lactantius von Averdonk hörte mit der gespannten Neugier eines Kindes zu, und schien ganz hingerissen von der Bewunderung jener männlichen Tapferkeit, die sich in den Schilderungen des Österreichers malte, wenn dieser von den letzten Waffentaten seiner Kriegsgenossen unter dem Erzherzog Karl und Clairfayt erzählte. Schwärmerei für männliche Tapferkeit, das ging aus allem hervor, war des Freiherrn von Averdonk schwache Seite, und wenn man sein leis gerötetes Gesicht, seine aufleuchtenden großen Augen betrachtete, so war man versucht, sich besorglich nach seiner treuen Gattin Gebharde umzusehen, ob sie auch in der Nähe und bereit sei, ihn von dem voreiligen Entschluß abzuhalten, sich sofort auf den Schauplatz des Kampfes zu begeben und sich ins dichteste Handgemenge zu stürzen.

Ganz anders der Freiherr von Eggenrode; er ließ mit einem Ausdruck des höchsten Unwillens seine dicken Brauen arbeiten und, die Mundwinkel so tief und mürrisch herabhängen, daß sein Gesicht eine auffallende Ähnlichkeit mit einer menschenfeindlich gesinnten Dogge erhalten hatte. Es war, als ob er den ganzen französischen Jakobinerschwindel und den ganzen österreichischen Leichtsinn, der sich mit ihm eingelassen hatte und ihn nun ins Land zog, wie eine persönliche Beleidigung gegen sich, den Freiherm von Eggenrode, aufnahm, dessen Rechte, Ansprüche, Meinungen und Privilegia als westfälischer Baron so gar nicht berücksichtigt und bedacht worden waren, bevor man solch einen unverantwortlichen Lärm in der Welt angefangen.

»Es ist doch ganz etwas anderes, wenn man das so lebendig von einem Kriegsmanne, der mit dabei war, erzählen hört,« sagte Lactantius, wie der Offizier eine Pause machte, »als wenn man es aus den Zeitungen oder aus den Büchern liest.«

»Und das ist Euer Fall, Averdonk,« fiel der Graf spöttisch ein, »hockt immer über den Büchern, wie?«

»Ich muß es leider bekennen,« entgegnete der lange Freiherr, »daß ich wohl etwas mehr als billig mich durch meine Studia von den Dingen dieser Welt abziehen lasse... aber was soll man machen, wenn man einmal sein Steckenpferd hat!«

Die meisten Anwesenden kannten sehr wohl des guten Lactantius Marotte, ein Bücherwurm sein zu wollen. Eggenrode allein aber schonte sie nicht, indem er mit seiner tiefen Baßstimme einfiel:

»Du hast recht, Lactantius, daß du dir zum Reiten ein Steckenpferd genommen hast. Das hohe Pferd in deinem Hause reitet ohnehin deine Eheliebste! Was aber den Bücherkram angeht, so wäre es meine Passion nicht. Die Bücher sind mir zu sehr unterschiedlich!«

»Ja, ja,« bemerkte Philipp III. kopfnickend, »sie sind unterschiedlich, aber die meisten sind schlecht. Und das ist auch ganz natürlich. Denn wer macht sie? Arme Teufel, Leute, die nichts zu sagen haben. Und wer nichts zu sagen hat, was wird der viel Gescheites schreiben können? Man tut deshalb am besten, sich nicht damit abzugeben. Was aber diesen Krieg angeht, so danke ich Gott, daß er uns nicht ins Land kommen kann; ich habe mich für neutral erklärt.«

»Und wenn die Franzosen nun doch kommen?« warf Lactantius besorglich ein.

»Dann fragt es sich immer noch, ob sie die Geschicklichkeit haben, auf Seiner Erlaucht Wegen vorwärts zu gelangen«, bemerkte kaustisch der Offizier.

»Werden's schon bleiben lassen,« entgegnete Philipp III., indem er dem Österreicher einen ungnädigen Blick zuwarf; »wenn's aber nicht anders ist, nun, dann wird man sich schon zusammen vertragen müssen.«

»Freilich,« sagte der Offizier, »das verstehen ja die Herren hier im Reich bewundernswürdig, sich in die Franzosen zu fügen und mit dem Reichsfeind zu vertragen! – –«

Währenddessen hatte Gebharde von Averdonk so geschickt manövriert, daß sie im vordersten Zimmer neben Ripperda in einer tiefen Fensternische stand, ohne beobachtet zu sein, und namentlich ohne die Aufmerksamkeit der Gruppe von jungen Leuten erregt zu haben, welche so laut ihre Huldigungen Hedwig von Wrechten darbrachten.

»Was wollen Sie mir sagen, Ripperda?« fragte sie flüsternd, nachdem sie einige unverfängliche Reden über die Lage von Ruppenstein, das gute Aussehen der Erlaucht und ähnliche, allen beiden gleich sehr am Herzen liegende Gegenstände laut vorausgesandt – »Sie machten mir ein Zeichen.«

»Ich wollte dir Vorwürfe machen, Gebharde«, versetzte Ripperda in demselben Tone, aber sie unterbrach ihn rasch und ängstlich: »Um Gotteswillen, hier nicht das Du und Gebharde!«

»Sie haben unsern Beschluß wegen des unglücklichen Studenten so schlecht ausgeführt, den Menschen so schlecht gehütet, daß wir in der größten Gefahr seinetwegen schweben.«

»Leider ... die Existenz dieses Menschen, sein Aufenthalt hier läßt mir keine ruhige Stunde! Ich bin in einer innern Aufregung seitdem, die mich krank macht, die mir den Tod antun wird, wenn ...«

»Es gibt einen Ausweg aus den Schwierigkeiten, ma chère.«

»So reden Sie ... wir können nicht lange mehr dieses Flüstergespräch fortführen, ohne aufzufallen.«

»Sie wissen,« sagte Ripperda, »daß der Student sich mit der Person verlobt hat, die unser Toller seitdem hier eingesperrt hält, während er in dem Studenten eine vortreffliche Erwerbung als Wundscherer für seine Armee gemacht zu haben glaubt.«

»Freilich weiß ich das!«

»Nun wohl – da der Student demnach ohne allen Zweifel auch in das hübsche Lärvchen dieser Marie verliebt ist, so meine ich, man kann ihn zu allem bewegen, ihn von hier fort in jede fernste Himmelsgegend schicken, wenn man sie ihm verspricht!«

»Aber wie kann man das, da der Reichsgraf ...«

»Man kann alles, wenn man's nur geschickt einfädelt«, fiel Ripperda ein. »Ich nehme den Studenten vor, gebe ihm die Mittel an, das Mädchen zu entführen, und er wird sich keinen Augenblick besinnen, auf dieses Wagstück einzugehen. Gelingt es ihm, desto besser; dann sind wir seiner und zu gleicher Zeit Mariens entledigt, die zwischen Ihnen und Ihren Absichten mit Franz von Ardey steht. Gelingt es ihm nicht, so wird der Tolle in seiner Wut ihn erwürgen lassen, das ist gewiß, und wir sind seiner auf diese Weise noch sicherer los! – Ersinnen Sie nur irgendein Mittel, zu erfahren, wo Marie Stahl untergebracht ist. Bis morgen abend muß ich eine Antwort von Ihnen haben ... aber man beginnt in der Tat, uns zu beobachten.«

Frau von Averdonk blickte scheu um sich. »Ich will tun,« antwortete sie nur noch rasch, »was ich kann, mehr verspreche ich nicht! Ich will Ihnen Baptist senden. Jedenfalls soll er Geld bringen!«

Dann verließ sie Ripperda, um zu einer alten Dame zu treten und mit dem Anschein der größten Seelenruhe ein gleichgültiges Gespräch mit ihr zu beginnen.

Ripperda trat ebenfalls aus der Fenstervertiefung vor, warf einige Blicke durch die Räume, fixierte dabei mit einem ganz eigentümlichen Ausdrucke seines stechenden Auges und einem höhnischen Aufwerfen der Lippen die groteske Gestalt des Freiherm von Eggenrode, welche er im Hintergrunde neben dem Grafen stehen sah, und dann verschwand er geräuschlos und unbeobachtet aus den Gesellschaftsräumen, nachdem er noch wahrgenommen, daß Franz von Ardey sich heroischen Anstrengungen hingab, in dem Kreise, der Hedwig Wrechten umringte, in die allgemeine Heiterkeit einzustimmen.


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