Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Zwölftes Kapitel

Der neue Jägermeister

Wir haben unsern Lesern bereits in einigen Worten eine allgemeine Vorstellung von Schloß Ruppenstein mit dem zu seinen Füßen liegenden Städtchen gegeben. Was den Charakter der ganzen Gegend betrifft, so sah diese vor mehr als hundert Jahren jedenfalls dergestalt aus, daß es schien, als habe sie der liebe Gott mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Falken, Habichten und wilden Schweinen gemacht, weniger in der Absicht, daß sich Menschen hier ansiedeln und wohlfühlen sollten. Rauhe Berge, oben nackt und kahl und frostig anzusehen, schlossen den Hintergrund in Osten und Süden. Mit dichten Waldungen, mit dunkeln und melancholischen Tannen bedeckte Hügel nahmen den Mittelgrund ein, wahrend irgendein schäumender, rauschender Gebirgsbach durch eine der schmalen Schluchten dieser Hügel hervorbricht, und dann talwärts so rasch und keck daherschießt über Geröll und Felsgeschiebe, daß man sieht, das wilde Gebirgskind hat keine Furcht, da unten seine Freiheit zu verlieren; keine Furcht, in diesem Tale würden Menschen kommen, schlaue betriebsame Menschen, und beuten seine Wasser aus, um ihn zum Mahlen ihres Korns, zum Drehen von großen Rädern an Drahtrollen und Eisenhämmern, oder zum Bewässern magerer, unfruchtbarer Wiesen zu mißbrauchen: und deshalb zeigt sich der Sohn des Gebirges so mutwillig und unbändig, er schlägt Bogen wie ein Aal, den ein Fischer am Kopf gepackt hat; und je nachdem ihn die Laune erfaßt, rieselt er zuweilen durch die einzelnen Rinnen in so dünnen Wasserfaden, als könne kein aus den Wäldern niedersteigendes Reh seinen Durst in ihm löschen; und zu andern Zeiten schwemmt er Wassermassen und Güsse daher, als wolle er eine Welt überfluten; immer aber läuft er mit der Hast eines Schelms, der sich nicht fangen lassen will.

Für die Falken und die Eber nannten wir diese Gegend geschaffen. Sie sind auch gekommen, sich darin anzusiedeln: Falken, deren wilder Schrei einsam um den nackten Felsgrat gellt, und andere Raubvögel, deren Nester auf den Vorbergen aufgebaut sind, fest aus Steinen gefügt, mit Mauern, Giebeln und runden Türmen; Eber, deren Rüssel den Boden der mastreichen Eichenwälder aufwühlen, und andere, deren Hauer einst von Eisen und Stahl waren wie die der »Eber der Ardennen«. Ein wildes Geschlecht, von Jagd und Fehde und Kampf gestählt, freiheitsdurstig wie der Falke und gewalttätig wie der Eber, hat Besitz von diesen einsamen Tälern und Halden genommen, wo es, von der Welt abgeschieden, ungehindert seinen Instinkten nachhängen und sich den Leidenschaften hingeben konnte, zu denen sein Naturell es führte. Und was die andern Menschen betraf, die, welche sich »im Schutze« der Schlösser und Burgen angebaut hatten, so konnten sie wenigstens darüber nicht klagen, daß ihnen das Schicksal die Gelegenheiten versagt habe, sich Ansprüche auf eine besondere Berücksichtigung bei der letzten Ausgleichung aller irdischen Dinge zu verdienen; es waren ihnen vollauf dazu Mittel geboten. Sie hatten um sich her eine sterile Natur, die ihnen zähe vorenthielt, was ihr nicht durch die äußerste Anstrengung entrissen wurde; sie hatten um sich her Wälder, welche nicht ihnen gehörten, und Wild darin, das sie nicht erlegen, in den Bächen hatten sie Fische, welche sie nicht fangen durften: sie hatten Steuern von allen Arten, und hatten in den Tagen, von denen wir reden, als Schützer und Hort und Landesvater – Philipp den Tollen!

Und doch lebten sie, und wenn sie arm waren, so bewahrte sie doch eine zähe Ausdauer, eine nicht zu erstickende Energie vor dem äußersten, unmenschlichen Elend, dem ein Stamm von geringerer Widerstandskraft, von geringerer Hartnäckigkeit vielleicht verfallen wäre. In ältern Zeiten hatten sie sich nachdrücklich zu schützen gewußt, wenn die Falken gar zu keck aus ihren festen Nestern hervorgekommen waren, um auf ihre Beute zu stoßen; wenn die Eber gar zu wild geworden und in ihre Hürden gebrochen, als Brecher des Friedens und des Gesetzes. Was da noch das Bewußtsein der uralt vererbten Freiheit besessen, das hatte sich nach dem altfreien Väterbrauch zusammengetan und in schlichter derber Kürze sich sein Recht genommen gegen femwrogige Mannen. An irgendeiner alten Malstätte, unter einer Eiche, oder einem Holunderstrauch saß dann eine Gruppe von Bauern mit derben Armen und schwieligen Fäusten, im Flieswams oder im Zwillichkittel; die tauschten eine kurze Weile allerlei Sprüche und aus verschollenen grauen Urzeiten bewahrte Reime, und darauf ihre Meinungen und Gedanken über die Sache, um derentwillen sie zusammengetreten, aus; und danach gingen sie und hängten einen gefangenen Mann mit einem Weidenstrick an den nächsten passenden Waldbaum. Oft auch war der Missetäter nicht gekommen; es war ein mächtiger Herr, den Mauer und Bellfried seiner Burg schirmte: aber Tor und Riegel und Waffen halfen ihm nichts, wenn der freie Bauer sein Urteil gesprochen; es waren der helfenden Arme der »Wissenden« zu viele, und die Stunde kam, wo er »baumelte«.

Diese Zeiten waren nun freilich vorüber. Aber die Sitten hatten sich gemildert, das Leben war erträglicher, vor Friedens- und Rechtsbruch gesicherter geworden; und mit welchen Gedanken und Vorstellungen auch diese stillen Gebirgstäler den Wanderer erfüllen, er wird gestehen müssen, daß sie eine großartige Natur vor ihm enthüllen; er wird diese waldigen Gebirge, diese alten Burgen, diese einsamen Flußtäler als ein bleibendes Bild in seine Seele aufnehmen; und wo er in den bevölkertern, mildern Teilen des Landes den emsigen Fleiß und die Betriebsamkeit des in seinen Eisenhämmern, seinen Steinbrüchen, seinen Drahtrollen oder auf seinen bergigen Äckern hart werkenden Volks wahrnimmt, wird er Respekt vor einem Menschenschlag bekommen, der es verstand, seinem eigenen Wesen treu zu bleiben und eine Art von derber Poesie an seinen Herd zu fesseln, an dem noch heute der Väter patriarchalische Sitte, die alten Traditionen und der Brauch der Vorzeit walten. Er wird einen Menschenschlag ehren, der mit seinem hohen Wuchs und seinen breiten Schultern die echten blonden Söhne der alten Marsen oder Sigambrer darstellt, welche in diesen Waldschluchten den Gedanken der römischen Weltherrschaft verhöhnten und mit ihren Fäusten die Adler der Cäsaren zerbrachen; die Söhne jener Sachsen, deren harte Schädel man mit dem Schwerte taufen mußte, ehe die Sonne des fränkischen Christentums wie aus einem Meer von Blut über diese Welt aufging. – –

Schloß Ruppenstein, wie wir sagten, lag, eine ziemlich ausgedehnte Tallandschaft beherrschend, auf der mittlern Höhe einer sanft ansteigenden Bergwand; einst bloß eine wehrfeste Burg, war es durch allmählichen Ausbau einzelner Flügel zu etwas geworden, was einen mehr schloßartigen Charakter trug. Doch waren seine hohen Ringmauern hinter trockenen, in das feste Berggestein gehauenen Gräben aufrecht erhalten, und ein mächtiger Torbau mit gewölbtem Durchgang und einem praktikabeln Fallgitter verteidigte es. Hinter dem Fallgitter rechts war in diesem Vorbau der Eingang in ein Wachtlokal, welches der gräflich Ruppensteinsche graue Grenadier mit dem Qualm seines fürchterlich schlechten Tabaks und dem Lärm über seine noch schlechtern Spaße füllte. Der Hof, in welchen man gelangte, wenn man an der Wache vorübergekommen war und sich zur Zufriedenheit des kommandierenden Unteroffiziers über Stand, Namen und Absicht des Kommens ausgewiesen, war von einem großen, altersgrauen, sehr hohen Gebäude im Hintergrunde abgeschlossen, das unten noch spitzbogige Fenster zeigte und auch ein breites Eingangsportal mit einer Spitzbogentür hatte. Über diesem letztern zeigten sich mächtige Wappenschilder mit zahlreichen Quartieren, in denen mehrfach der auf die Abstammung von dem Sachsenherzog Wittekind und den alten Grafen im Westfalenlande zu Werl und Altena beutende Silberadler zu sehen war. Zur Rechten dieses, den Kernpunkt der ganzen Gruppe von Gebäulichkeiten bildenden massiven Schloßbaues, der mit seiner Wucht, seinen starken Quadern, seinen breiten und schwerfälligen Verhältnissen für eine Persönlichkeit wie Philipp III. wie geschaffen schien, erhob sich, halb verdeckt von einer mächtigen, uralten Linde, ein zierlicher, schlank aufstrebender Bau in gotischem Stil, die Schloßkapelle. Gebäulichkeiten für Dienstleute und zur Unterbringung des Hofpersonals füllten die übrige rechte Seite des Hofes aus. Zur Linken dagegen zog sich von dem Hauptbau bis an das Ende der linken Seite des Hofs ein ziemlich langer, im blühendsten Rokokostile erbauter Flügel von zwei Stockwerken und mit einer Reihe Mansardenfenster versehen. Da, wo dieser Flügel an den alten Haupt- oder sogenannten »Wiprechtsbau« anstieß, zeigte sich ein gewölbter Durchgang, der auf einen zweiten, von Remisen, Pferde- und Hundeställen gebildeten Hof führte. Aus dieser Gegend der Schloßgebäude pflegte zu den verschiedensten Tageszeiten ein überaus mißtönendes Geheul herüberzuschallen, das namentlich gegen die mittäglichen und abendlichen Fütterungsstunden ganz entsetzlich wurde; es waren Serenissimi Koppelhunde, Solofänger, Teckel und Windspiele, die so für die einzige Musik sorgten, welche innerhalb der Mauern von Schloß Ruppenstein Übung und der Herrschaft geneigtes Gehör fand. Im vordern Hofe pflegte an sonnigen Tagen als Zeremonienmeister und angenehmer Bewillkommner der Fremden, namentlich der schüchtern mit Bitten und Klagen nahenden Untertanen, ein großer alter Bär umherzuspazieren, dem zwar Zähne und Krallen genommen waren, der aber darum nicht minder ganz entsetzlich zornig grunzte, wenn er irgendeinen verwegenen Sterblichen, der ihm nicht als hoffähig bekannt war, sein Gebiet betreten sah.

In einem Gemache dieses alten ehrwürdigen Väterschlosses ist seit einigen Tagen Herr von Rippersa als seiner Dienstwohnung installiert.

Was Traudchen Gymnich im vorigen Kapitel dem Professor Bracht erzählt hatte, daß Herr von Ripperda sich vor den anrückenden Franzosen eiligst geflüchtet, war völlig richtig gewesen. Ein paar lakonische Zeilen ohne Unterschrift von Gebhardens Hand hatten ihm zwei Tage vorher gesagt, daß sie sein Verlangen erfüllt habe, daß er kommen dürfe. Sein Wunsch ist jetzt erfüllt: er ist in den Dienst des Grafen von Ruppenstein aufgenommen. Das Gehalt, welches dem neuen Jägermeister ausgeworfen, ist freilich außerordentlich klein; aber Herr von Ripperda hat eine Wohnung im fürstlichen Schlosse, die Annehmlichkeiten einer guten Tafel, die er nach ihrem ganzen Umfange zu schätzen weiß, eine ihm zusagende Beschäftigung, und die Ehre, einem Herrn zu dienen, unter dessen landesväterlicher Obhut und Fürsorge das edle Weidwerk blüht wie kein anderer Zweig des öffentlichen Dienstes im Lande Ruppenstein.

Eines Tages, als er von einer Streiferei heimkehrend durch die Hauptstraße des Städtleins schritt, erblickte er einen jungen Mann, in die graue gräfliche Montur steif eingeknöpft, auf der Bank vor einem sehr bescheiden aussehenden Bürgerhause sitzend – und diese Gestalt mußte ihm wie die eines Bekannten erscheinen oder sonst eine anziehende Kraft auf ihn üben, denn er lenkte plötzlich von seinem Wege ab, schlenderte lässig, die Hände aus dem Rücken, darauf zu und ließ sich dann ohne Gruß und schweigend neben derselben nieder.

Der junge Mann blickte erstaunt zu dem Jägermeister auf und fixierte ihn mit Blicken, in welchen nichts weniger als der Ausdruck einer freudigen Überraschung lag, diesem schmarrenentstellten Gesicht mit der schwarzen Binde über dem Auge wieder zu begegnen.

»Wenn mir recht ist, so müssen wir uns kennen, mein lieber junger Mann«, begann Ripperda.

»Allerdings,« versetzte der andere – »es ist nicht das erstemal, daß wir uns begegnen, und Leute, welche aussehen wie Sie, vergißt man so leicht nicht wieder ...«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir dies zu versichern – und um so mehr, als es sonst der Lauf der Welt ist, diejenigen zu vergessen, gegen welche wir eine gewisse Pflicht der Dankbarkeit haben, weil sie freudig eine Gelegenheit ergriffen, uns zu verpflichten ...«

»Sie werden doch nicht andeuten wollen, daß Sie – Sie mich jemals in meinem Leben verpflichtet hätten?« rief Hubert überrascht aus.

»Nun – ich meine denn doch – und zwar in nicht ganz gewöhnlichem Maße, mein junger Freund. Brauche ich Sie daran zu erinnern – an jenem Abend in Köln, wo Sie den beklagenswerten Unfall hatten –«

Hubert Bender unterbrach den Redenden, indem er ausrief: »Ja, Ihnen dank' ich's, wenn ich hier endlich in die Gewalt des tollen Philipp geraten bin – unter sein Militär gesteckt, zu seinem Feldscherer und etatsmäßigen Quacksalber gepreßt – als Studenten der Medizin hat er geruht, mich dazu zu bestellen, was ich noch als eine große Gnade betrachten soll – Ihnen, mein Herr ...«

»Von Ripperda, wenn Sie erlauben.«

»Ihnen dank' ich's ... und es kann mir nur sehr angenehm sein, Sie endlich hier vor mir zu sehen, ich weiß jetzt, wo ich mir Genugtuung holen kann für alles das, was man sich gegen mich erlaubt hat! Wenn ich auch für den Augenblick und bis es mir gelungen ist, diesen Sklavenrock abzustreifen, kein würdiger Gegner für den Herrn von Ripperda bin, so kommt doch die Stunde, wo Sie mir, dem Studenten Bender, schon die Ehre erweisen werden, einige Kugeln mit mir zu wechseln – ich habe Mittel, Sie dazu zu zwingen.«

»Und welche sind dies, wenn ich fragen darf?«

»Sie sind sehr einfach. Ich habe in Köln mit meinen eigenen Ohren vernommen, daß Sie ein anderer sind, als wofür Sie sich ausgeben ... daß Sie sich scheuen, von den Leuten hier wiedererkannt zu werden, namentlich von einem Herrn von Eggenrode ... daß Sie in einem ganz eigentümlich innigen Verhältnis zu der Frau von Averdonk stehen – daß diese, um Ihnen zu dem Jägermeisteramt zu verhelfen, sich von Ihnen hat zu einer niederträchtigen Handlungsweise bewegen lassen – das alles weiß ich, und werde laut und offen von dem allen reden, vor jedermann, der es hören will, wenn Sie ...«

»Wie Sie das ohne Zweifel bereits schon ausreichend getan haben?« fiel Nipperda mit einem spähenden Seitenblick in Huberts Züge, aber mit anscheinend völlig ruhigem Tone ein – »Sie sehen, daß mir bis jetzt aus diesem Gerede, welches unsereiner verachten kann, nicht viel Verdruß erwachsen ist!«

»Sie irren ... ich habe bis jetzt keine Veranlassung gehabt, von diesen Dingen zu reden – ich habe auch nicht gewußt, daß der Herr von Ripperda sich allbereits in Ruppenstein befinden und die Früchte des höchst ehrenhaften Handels genießen, welchen die Frau von Averdonk mit dem Tollen hat abschließen müssen, um dem Herrn von Ripperda dahier eine angenehme, ihren Mann nährende Hofstellung und eine ihm zusagende Beschäftigung zu verschaffen. Jetzt aber, wo dies abscheuliche Komplott wirklich ausgeführt ist, der Herr von Ripperda sich des Erfolges erfreut und sich hier befindet, so daß man vor aller Leute Augen mit den Fingern auf ihn deuten kann ...«

»Wird die Waffe, womit Sie drohen, bedenklicher, meinen Sie, mein junger Freund!« unterbrach ihn Ripperda mit großem Gleichmut.

»Es freut mich, daß Sie es einsehen: und machen Sie sich gefaßt darauf, daß ich sie gebrauche, diese Waffe; ich selbst bin ja das Opfer Ihrer Intrigen geworden, indem ich Marie Stahl vor dem Unglück schützen wollte, das Opfer derselben zu werden – wir sind es nun beide, sie wie ich... aber was rede ich weiter mit Ihnen davon ... während das junge Mädchen in der entsetzlichsten und marterndsten Lage ist, während ich hier in dieser grauen Züchtlingsjacke stecke, währenddes mögen Sie die Vorteile Ihrer Stellung, die damit erkauft ist, daß wir zertreten werden, genießen und auskosten ... aber schonen Sie sich nicht dabei, denn lange wird die Herrlichkeit nicht währen, dafür sorge ich, mein Herr Jägermeister von Ripperda!«

Hubert stand auf und wandte sich mit allen Zeichen einer tiefen Verachtung in den Zügen zum Gehen.

»Junger Mann, bleiben und hören Sie noch,« sagte Ripperda mit etwas bewegterer Stimme wie bisher – »wir sind noch lange mit diesem Gespräch nicht zu Ende ... und zu Ende möchte ich es doch führen, denn es beginnt ein hohes Interesse für mich zu bekommen – nicht gerade wegen seines Themas, aber deshalb, weil Sie mir darin Ihr offenes unverdorbenes Jünglingsgemüt enthüllt ... kann es ein interessanteres Schauspiel geben, als solch eine naive Natur, welche einem Feinde gegenüber alles ausplaudert, was sie denkt, und ihm alles enthüllt, was sie gegen ihn vorzunehmen beabsichtigt? Ist das Besonnenheit, junger Mann? Wenn ich nun meine Stellung bei Seiner hochgräflichen Erlaucht mißbrauchte, um Sie wegen gefährlicher, sowohl Sie, Seine höchstgedachte Erlaucht, als dero verdienten wohlbestallten Jägermeister und unterschiedliche andere Respektspersonen schwer kompromittierender Reden in irgendeinen Narrenturm stecken zu lassen? Glauben Sie, das kostet mich viel mehr als einige Worte?«

»Mag es!« versetzte Hubert kaltblütig.

»Nun, ich will Sie nicht beim Wort halten,« fuhr Ripperda fort; »denn«, sagte er, plötzlich aus dem bisherigen spöttischen und ironischen Tone fallend – »mich soll der Teufel holen, wenn Sie nicht eigentlich in dem, was Sie sagen, recht haben – verdammt recht! Ich habe das Mädchen, von dem es sich in unserer Geschichte handelt, nicht gesehen, die Mamsellen-Mutter im Schlosse hält sie, wie man mir erzählt, sorgfältig unter Schloß und Riegel, damit sie nicht davonläuft; ich weiß also nicht, inwiefern ich sie meiner Teilnahme für würdig halten darf: Sie kecker und verwegner Student jedoch, der weiter nichts verbrach, als daß er wohl nur aus Neugier und Fürwitz oder um einer Wette mit lustigen Kameraden willen in ein merkwürdiges altes Haus einstieg und darin umhertappte – Sie flößen mir Mitleid ein, und ich bin ganz bereit, Ihnen meine Hilfe anzubieten, um ...«

»Ich bedarf weder Ihres Mitleids noch Ihrer Hilfe!« fiel Hubert stolz ein.

»Nun wohl, wenn denn nichts mit Ihnen anzufangen ist,« rief Ripperda sich ebenfalls erhebend aus, »dann will ich mich in des Teufels Namen mit Ihnen nächstens schießen, hauen oder stechen, was Sie wollen – vorausgesetzt, Sie halten bis dahin reinen Mund und schweigen! Ich ersuche Sie darum, als einen ehrlichen und ritterlichen Gegner!« »Dazu bin ich bereit, vorausgesetzt, daß Sie in kürzester Frist Ihr Wort wahr halten!«

»Verlassen Sie sich darauf!« versetzte Ripperda.

»Dann, meine ich, haben wir nichts mehr zusammen zu verhandeln«, entgegnete Hubert, nickte stolz mit dem Kopfe und schritt ins Haus.

Ripperda wandte sich und schlenderte, die Hände auf dem Rücken, zum Schlosse heim.

So gleichmütig ruhig er dem Anschein nach sich mit Hubert unterhalten hatte, so wenig angenehm war ihm die Entdeckung des jungen Mannes in seiner nächsten Nähe gewesen, und so wenig gleichgültig waren ihm die Drohungen desselben geblieben.

Sich mit dem kecken Burschen zu schlagen, hatte er keine Lust; weder sich von ihm erschießen zu lassen, noch ihn zu erschießen, was jedenfalls ein Aufsehen gemacht hätte, das er fürchten mußte. Er fühlte dazu auch eine gewisse Teilnahme für den unglücklichen jungen Menschen. Die unumwundene Weise des Studenten gefiel ihm. Das Beste, sagte er sich, wäre, wenn man den kecken Studiosen nur erst wieder in seinem Köln hätte; dort wäre er unendlich weniger gefährlich als hier ... und dann gab er der Versuchung nach, über einem Plane zu brüten, wie er seinen erlauchten Dienstherrn um das neugewonnene Mitglied seiner militärischen Streitkräfte bringen könne, indem er diesem zur Desertion verhelfe. Das war das beste Mittel, Hubert zu beseitigen und ihn zu veranlassen, sich für immer möglichst weit vom Ruppensteinschen Gebiet entfernt zu halten.

Mit diesen Gedanken war Herr von Ripperda beschäftigt, als er am Nachmittag desselben Tages beschloß, einmal nach Dudenrode hinüberzureiten und die Bekanntschaft des Herrn von Ardey zu machen.

Er führte sofort diesen Entschluß aus.

Franz kam auf dem Wege von Dudenrode dem Fremden höflich, doch sehr gemessen und ein wenig zerstreut entgegen – es war augenscheinlich, daß sein Gemüt von andern Dingen eingenommen blieb als von dem, was Ripperda in geläufiger Rede ihm auseinandersetzte, um seinen Besuch zu erklären ... daß er so glücklich gewesen, bei dem Grafen von Ruppenstein eine Anstellung zu bekommen und dessen Jagden jetzt auf einen andern großartigen Fuß setzen wolle. Zum Schlusse setzte er hinzu, daß er sich im allgemeinen Auftrage der Erlaucht erlaube, den Herrn von Ardey einzuladen, an den nächsten Treibjagden teilzunehmen.

Franz von Ardey fuhr hierbei mit einer Lebhaftigkeit, welche einen merkwürdigen Gegensatz zu Ripperdas einschmeichelnder Höflichkeit bildete, auf:

»Ich soll an den Vergnügungen des Tollen teilnehmen, mein Herr?« rief er aus. »Was muten Sie mir zu? Dieser Mann erlaubt sich Handlungen ...«

»Die«, fiel Ripperda flüsternd und mit einem scharf fixierenden Blicke auf Franz ein, »allerdings ihm keine Freunde machen können bei Leuten von edler und geradsinniger, Denkungsweise.«

Franz von Ardey sah ihn überrascht an.

Über Ripperdas häßliche Züge aber ging es wie ein rasches Wetterleuchten. Es war, als ob eine Idee, ein Plan in ihm auftauchte – und in demselben flüsternden Tone fuhr er fort:

»Ich sehe, daß ich mich bei Ihnen offen aussprechen kann, und das ist mir eine Wohltat. Ich höre da in Ruppenstein allerlei munkeln von einer schnöden Gewalttat, welche sich der Reichsgraf gegen die Familie eines seiner Beamten erlaubt hat ...«

Franz von Ardey warf einen prüfenden Blick auf ihn.

»Ich sehe,« sagte er dann, »Sie sind bereits sehr genau in die Lage der Dinge eingeweiht – und wahrhaftig, ich bin nicht in der Stimmung, Komödie zu spielen und mich zu verstellen – mögen Sie es immerhin wissen, und die ganze Welt mag es wissen ... meinethalb ... und mag ich zugrunde gehen darüber ... aber ich will dies Mädchen aus seiner entsetzlichen Lage retten und sollte ich zehnmal zu einem Mörder an einem Menschen wie dieser Philipp darüber werden! Aber«, fügte er, ruhiger werdend, nach einer Pause hinzu, »welches Interesse haben Sie ...«

»Interesse habe ich keins – aber Teilnahme ... empörtes Rechtsgefühl ... den Drang, eine edle Handlung zu unterstützen ...«

Franz von Ardey schwieg – er schien das rasch in ihm aufgestiegene Mißtrauen zu bekämpfen.

»Wahrhaftig,« sagte er dann, sich in seinen Stuhl werfend, »ich bin so verlassen und ohnmächtig in dieser Sache, daß ich nicht lange untersuchen kann, von welcher Seite mir Hilfe geboten wird, wenn sie nur kommt – wenn Sie mir wirklich redlich beistehen, will ich Ihnen zeitlebens dankbar und Ihr Schuldner sein ...«

»Nun wohl,« fiel Ripperda ein, »so ist unser Bund geschlossen – aber ich verlange Geduld, um mich erst über die Dinge noch genauer zu unterrichten; ich muß vorher die Leute, die mich umgeben, kennen lernen; muß die Örtlichkeiten studieren ...«

»Und wie lange Zeit verlangen Sie dazu?«

»Würden Sie mich morgen mit Ihrem Besuch in Ruppenstein beehren können?«

Nun wohl, so könnten wir alsdann uns weiter besprechen; in diesem Augenblick bin ich nicht imstande, Ihre Frage zu beantworten. Aber vertrauen Sie mir, daß ich nicht müßig sein werde!«

»Ich vertraue Ihnen – ich werde kommen!« Ripperda brach auf. Franz von Ardey wollte ihn eine Strecke heimbegleiten, um noch mit dem schnell gewonnenen Bundesgenossen zu reden, aber Ripperda bat ihn, zurückzubleiben.

»Es ist nicht nötig, daß wir in vertrauter Unterredung zusammen gesehen werden«, sagte er ... »Sie begreifen, daß ich Rücksichten zu nehmen habe ...« damit drückte er Franz die Hand und entfernte sich rasch, um in den Ställen selber sein Pferd zu suchen – vor Franz von Ardey verschwand er so schnell, daß diesem war, als hätte ihm ein Traum die ganze merkwürdige Erscheinung, mit der er in kurzer Zeit verbündet wurden, gebracht; aber freudig aufatmend rief der junge Mann, in sein Zimmer zurückkehrend, aus: »Der kommt wie vom Himmel gesendet, wie ein Bote, daß der alte Gott noch lebt!«

Weit weniger laut und nicht gerade so freudig waren die Betrachtungen, welchen sich Ripperda hingab, während er in gemessenem Schritt nach Ruppenstein heimritt; doch waren sie immerhin so, daß sie ihn mit einer an Freude streifenden Genugtuung erfüllten.

»Die Dinge nehmen eine ganz gute Wendung,« sagte er sich ... »wir verhelfen diesem äußerst verliebten und unbesonnenen jungen Manne zu seiner Demoiselle Marie Stahl oder wie sie heißt... und weshalb in aller Welt sollten wir uns ein Gewissen daraus machen, sie zusammenzubringen? Weshalb sollte ein so hübscher junger Mann nicht ein so hübsches junges Mädchen heiraten? ... aber ein unversöhnlicher Zwist entbrennt dann zwischen Tante Gebharde und Neffe Franz – von Übertragung der Güter ist keine Rede mehr – Franz von Ardey ist unrettbar verloren und vernichtet bei der Gnädigen ... nun, das ist seine Sache; und was sie angeht, die stolze Gebieterin, so ist ja jetzt glücklicherweise ihr diensteifriger Freund, der gute, langerprobte, in allen Dingen erfahrene, mit allen Hunden gehetzte Ripperda da, um ihr beizustehen in der Verwaltung ihrer Güter – Herr von Ripperda, der, nebenbei gesagt, durchaus keine Lust hat, den Rest seines bewegten Lebens damit zuzubringen, daß er diesem widerwärtigen und unvernünftigen Philipp III. die Jagdstiefel sauber hält und seinen Blitzableiter abgibt, wenn der tolle Mensch auf eine Wildsau fehlschießt. Beim Teufel, ein ehrenvolles Amt für einen Capitaine des chasses eines französischen Prinzen von Geblüt ... Frau Gebharde ist sehr harmlos, wenn sie damit die höchste Staffel meiner Wünsche erklommen glaubt! Sie wird mir noch ganz andere Wünsche zu erfüllen haben, wenn ich erst Faktotum und der eigentliche Herr auf Dudenrode bin. Ich hoffe, es soll das ein höchst heiterer Abend für den stürmisch bewegten Tag meines Daseins werden. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, zuerst den verehrungswürdigen und schmählich mißhandelten Lactantius in seine Herrenrechte einzusetzen! Lactantius ... es wird ein Schauspiel für die Götter werden, wenn ich diesen pauvre Sire zu meinem Strohmann mache, und wenn die harte stolze Gebieterin ihr Haupt wird unter Lactantius' Autorität beugen müssen!«

In natürlicher Gedankenfolge aber dachte Ripperda, während er dies Bild einer heitern Zukunft vor sich heraufbeschwor, zugleich an den eigentümlichen Umstand, daß ihm etwas abhanden gekommen war, was er mit großer Schlauheit sich zu verschaffen gewußt hatte, um eine recht nachdrückliche Schlagwaffe gegen Gebharde von Averdonk und im Notfall – man konnte nicht voraussehen, was kommen konnte – auch gegen Lactantius in der Hand zu haben ..., jenen Schein, den der gute »Knünch« so harmlos unterschrieben und der ihm von niemand anders als der wunderlichen Dirne in Köln entwendet sein konnte. Es war das nun freilich ein verdrießlicher Gedanke, daß dies Blatt in fremde Hände gekommen ... verdrießlich und beunruhigend zugleich, obwohl Ripperda sich zum Troste sagte, daß er sein Ziel auch ohne es werde erreichen können.

Und dann kehrten seine Gedanken zu dem kecken rachsüchtigen Studenten zurück – dem einzigen, wie er sich gestand, der ihm durch seine entschiedene Weise und seine ruhige Entschlossenheit gefiel unter den Menschen, mit denen er in dieser Gegend in Berührung gekommen; dessen Energie ganz ohne Zweifel sich in viel glänzenderer Weise bewahren würde, als der in seiner leidenschaftlichen Erregung unberechenbare und unzuverlässige Franz von Ardey; und der bei dem Wagstück, was Ripperda unterstützen wollte, sicherlich ein viel besserer Gehilfe war als der letztere. Und weshalb – sagte sich Ripperda, plötzlich erfreut über eine so gute Idee – weshalb sollten wir den jungen Feldscherer nicht bei dieser romantischen Entführungsgeschichte als den Mann der Tat gebrauchen und den Herrn von Ardey dabei im Hintergrunde lassen? Es wäre wahrhaftig die allerbeste Weise, den Studenten für uns unschädlich zu machen ... wenn er diese kleine Heldentat vollführt, wenn er diese bedrohte Unschuld aus der Höhle des Drachen gerettet hätte, würde er die Notwendigkeit einsehen, sich aus dem Staube zu machen und ganz sicherlich nie mehr in die Grafschaft Ruppenstein und deren Nachbarlande zurückkehren, um uns hier lästig zu werden ... Der Gedanke ist vortrefflich ... es ist doch merkwürdig, wie eine gute Tat sich sofort belohnt – ich hoffe, aus dem Edelmut, womit ich mich jetzt für diese arme Demoiselle Stahl opfern werde, wird mir gleich eine ganze Fülle von Glück erblühen – wahrhaftig, die Moralisten und Philosophen haben recht, es ist barer Profit dabei, ein edler Mensch zu sein! –


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