Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Vierzehntes Kapitel

Der Fluchtplan

Es war am folgenden Tage. Ripperda ging langsam in seinem Wohngemach auf und ab, die Hände auf dem Rücken, das Gesicht dem Boden zugewandt, die braune Stirn in eine einzige düstere Falte zusammen gezogen.

Er wurde durch ein leises Offnen seiner Tür unterbrochen, und rasch umblickend wurde er den Kopf eines Mannes in gepuderter Perücke gewahr, der ins Zimmer schaute.

»Tritt ein, Baptist«, sagte Ripperda, und nachdem der Kammerdiener über die Schwelle geschritten, ging er selbst, sorgfältig die Tür hinter ihm zu schließen.

»Was willst du? Hast du einen Brief von Frau von Averdonk?«

»Nein,« versetzte Baptist, »aber dieses.« Er legte eine kleine Rolle Gold vor Ripperda auf den Tisch. »Dann«, fuhr er fort, »habe ich drüben beim Grafen einen Brief abgegeben, der die Bitte enthielt, mich mit Marie Stahl sprechen zu lassen, um von ihr Aufschluß über ein Geschäft von Belang zu erhalten, das die gnädige Frau die Marie Stahl, als sie noch bei uns war, beauftragt habe abzuschließen.«

»Und wo ist Marie Stahl?«

Baptist führte Ripperda ans Fenster und deutete mit dem Finger auf den neuern, im Rokokogeschmack gebauten Schloßflügel, nach oben hin, auf die Reihe der Mansardenfenster.

»Dort oben?«

»Dort, aber nicht in einer der Kammern nach vorn heraus, zu uns her, sondern nach rückwärts. Es läuft ein Korridor da oben durch die ganze Länge des Flügels; rechts und links liegen Zimmer. Marie bewohnt das letzte Zimmer am Ende des Korridors, vom Wiprechtsbau aus rechts, also mit der Aussicht auf den hintern Hof.«

»Und was trieb sie? Wie sah sie aus?«

»Sie sah leidend aus; es war ein anderes junges Mädchen bei ihr; sie waren zusammen mit einer Arbeit beschäftigt.«

»War sie blaß und verweint und verschüchtert?«

»Wohl so auch, blaß wenigstens, sehr blaß; aber verschüchtert nicht – unter uns, Herr von Ripperda, ich glaube, das Mädchen hat irgendeinen bestimmten verzweifelten Entschluß gefaßt. Sie sprach so fest und bestimmt, wie ein solches schwaches Geschöpf nicht sprechen würde, wenn es nicht irgendeinen Rückhalt hinter sich hat.«

»Und was sollte der Rückhalt sein? Sie wird sich kein Leids antun wollen!«

Baptist zuckte die Achseln. »Ich meine nichts, Herr von Ripperda, als daß, wenn ich der Graf wäre, ich mich nicht so darauf versteifen würde, auf diese Weise bei einzelnen Untertaninnen die letzte Hand an ihre Ausbildung zu legen!«

Ripperda entgegnete nichts; er sah eine Weile nachdenklich durchs Fenster, dann fragte er Baptist: »Über die Örtlichkeit dort oben hast du mir sonst nichts mitzuteilen?«

Baptist dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Von unten her kommt man nicht hinauf, und durch den Wiprechtsbau noch weniger; schon der Schildwachen wegen; es müßte also – das wäre der einzige Weg – von oben her geschehen.«

»Von oben her ... aber man wird von oben her nicht durch den Plafond in das Kämmerchen des jungen Mädchens steigen können?«

»Das nicht... aber am Ende des Korridors, dicht neben der Tür Mariens – ich sagte Ihnen, daß es die letzte rechts auf dem Gange ist?«

»Das sagtest du – also am Ende des Korridors? ...«

»Führt eine schmale Treppe nach oben, auf die Speicher.«

»Aber zunächst wohl vor eine Tür?«

»Ja, vor eine Tür. Ob sie verschlossen ist, weiß ich nicht.«

»Es käme also«, sagte Ripperda, »nur darauf an, daß man...« »So etwas wie ein Marder oder Iltis wäre, um auf den Speicher zu kommen«, fiel Baptist ein.

»Oder ein Fuchs, womit für dich die Aufgabe wesentlich erleichtert wäre, Freund Baptist«, erwiderte Ripperda. »Nun, es ist gut, ich danke dir. Du kannst jetzt heimkehren. Der Hof ist eben menschenleer, und du wirst gut tun, diesen Augenblick zu benutzen.«

»Baptist machte eine Verbeugung. »Für die gnädige Frau ...«

»Habe ich keinen Auftrag weiter. Adieu!«

Ripperda nickte mit dem Kopfe, und Baptist entfernte sich so geräuschlos, wie er gekommen war.

»Die Sache ist leichter, als ich mir vorgestellt habe«, sagte Ripperda, sobald er allein war. »Die Region der Speicher da oben haben wir untersucht und kennen sie. Ich denke, wir können die Ausführung unseres Planes sofort beginnen.«

Mit diesen Worten nahm er aus einem über seinem Bette befindlichen Spind eine kleine Flasche, aus welcher er einige Tropfen schwarzes Blut in der Mitte des Raumes auf den Boden goß; dann tröpfelte er ungefähr ebenso viel davon auf den Ballen seiner linken Hand und verschloß sorgsam das Fläschlein wieder in das Spind. Er nahm nun sein weißes Sacktuch und wickelte es langsam um die Hand, sodaß es von dem Blut durchtränkt wurde.

Nachdem dies geschehen, langte Ripperda sich eins seiner Pistolen, die an einem der Rehgeweihe an der Wand hingen, herunter, schoß es ab und warf es neben das Blut auf den Boden. Der Knall donnerte wie ein Kanonenschlag durch den geschlossenen und gewölbten Raum. Die Kugel war in die Wand der Tür gegenüber eingeschlagen. Nipperda ließ einige Augenblicke vergehen, dann sprang er zum Fenster, um den einen Flügel desselben aufzureißen. Draußen kamen eilig ein paar Soldaten ans der Wachtstube herangelaufen, die vom Hofe aus neugierig ins Innere des Wohngemachs schauten; bald wurde auch die Tür aufgerissen, und eine Gruppe von Stallknechten und anderm Hofgesinde drängte herein, um zu sehen, was der Schuß zu bedeuten habe.

Ripperda wickelte eifrig an dem Tuche um seine linke Hand und stieß laut ein paar Flüche aus.

»Ich bin mein Lebenlang ein ungeschickter Mensch gewesen,« sagte er – »der Teufel weiß es ... nun, schert euch doch fort, Leute, was wollt ihr? das Pistol hat sich mir unversehens entladen, und die Kugel hat mich an der Hand hier gestreift ... Du, Fritz, erzeige mir den Gefallen und laufe zum Herrn Grafen hinüber, hörst du? Serenissimus wird nicht wissen, woher der Schuß kommt, ich lasse meine gehorsamste Entschuldigung vermelden, es sei ein Zufall gewesen, wobei ich mir die linke Hand verletzt hätte, es werde aber nicht viel zu bedeuten haben, obwohl es freilich höllische Schmerzen macht, es ist gerade durch den Muskel gegangen – lauf', Fritz, eile ...«

Der Lakei Fritz eilte von dannen.

»Und du, Arnold,« fuhr Ripperda zu einem zweiten der Diener gewendet fort, »mußt mir einen andern Dienst tun: spring' hinunter in die Stadt und hole mir den neuen Kompagniechirurgen her, hörst du?«

Nach einer Weile kam Fritz, der Lakai, wieder herein. Serenissimus ließen dem Herrn von Ripperda vermelden, dieselbigen hätten einen dummen Streich gemacht, denn wider Schußwunden hätten Serenissimus keine Macht. Sie sollten zu einem Pflasterkasten schicken.

»Lasse untertänigst danken und würde mich der gnädigst erteilten Erlaubnis bedienen!« erwiderte Ripperda auf diese Botschaft, das Gesicht in höhnische Falten ziehend.

Als eine Viertelstunde verflossen war, stand der Gewünschte vor ihm.

»Sie haben sich nicht zu Ihrem Vorteil verändert, seit wir uns in Köln sahen«, redete ihn Ripperda an; »solch eine mit Talg eingeschmierte Soldatenperücke steht doch abscheulich. Ich denke mir, es wäre Ihnen doch sehr angenehm, wenn Ihre Chirurgenschaft nun ein Ende nähme?«

»Wenn ich das so dringend wünschte, so hätte ich ihr bereits ein Ende gemacht, mein Herr«, versetzte Hubert trotzig.

»So? Steht das so in Ihrer Gewalt? Serenissimus rechnet Sie weder zu den ganz vertrauten, noch zu den halb vertrauten Leuten seiner Kompagnie, soviel ich weiß, sondern zu den ›Unsichern‹; Sie dürfen weder bei Tage noch bei Nacht die Ringmauern dieser gräflichen Residenz und Hauptstadt verlassen!«

Hubert zuckte die Achseln. »Was mich hier gehalten hat,« sagte er, »das sind die Gründe, die ich dafür habe, nicht die Befehle oder die Mauern des Herrn Grafen!«

»Für so leicht halten Sie also das Entkommen?«

»Ich glaubte herberufen zu sein, um eine Verwundung, welche Sie sich beigebracht haben, zu behandeln!« versetzte Hubert.

»Meinen Sie?« entgegnete Ripperda, indem er die verwundete Hand erhob, das um sie geschlagene blutige Tuch loswickelte und Hubert seine Hand zeigte.

»Die Hand ist ja gesund!« rief Hubert aus. »Was soll die Posse?«

»Sie sehen, ich habe Sie nicht um meinetwillen kommen lassen.«

»Wozu denn? Was wollen Sie von mir!«

»Verständigen wir uns – auf andere Weise kommen wir nicht weiter. Machen wir uns zuerst die Tatsachen klar. Setzen Sie sich dazu, denn unsere Verhandlung wird voraussichtlich noch eine Zeitlang dauern, bis wir zum Friedensschluß kommen.«

Hubert lehnte den angedeuteten Stuhl durch eine Bewegung des Kopfes ab.

»Nun, wie Sie wollen«, fuhr Ripperda fort. »Sehen Sie, mon cher ami, die Dinge liegen, um einmal ganz ernsthaft darüber zu reden, so: Sie entzogen sich dem Machtbereich der Dame, die ein großes Interesse daran hat, Ihres Schweigens sicher zu sein. Es bleibt uns mithin nichts übrig – Sie sehen, daß ich ganz offen bin – als auf dem Wege gütlichen Übereinkommens jetzt dasselbe zu erreichen, was uns mißglückt ist, durch Gewalt zu erreichen. Dieses gütliche Übereinkommen werden wir also abschließen.

»Sie sind sehr zuversichtlich, mein Herr von Ripperda.«

»Allerdings, mein Herr Hubert Bender,« entgegnete Ripperda, indem er einen scharfen, etwas scheuen Blick auf den Studenten warf – »ich bin zuversichtlich, denn ich weiß, daß Sie auf meine Bedingungen eingehen werden. Sie sind ein mutiger, edel denkender junger Mann. .. hätte ich Ihren Charakter früher so gekannt, wie ich ihn jetzt kenne, wie er sich zu Elsen gezeigt hat, so würden wir von Anfang an anders gegen Sie gehandelt haben. Sie sind nicht imstande, Bedingungen auszuschlagen, deren erste ist: ich gebe Ihnen die Gelegenheit und die Mittel an die Hand, Marie Stahl aus der peinlichsten und verzweifeltsten Lage zu retten, welche für ein junges tugendhaftes Mädchen als möglich gedacht werden kann ...«

»Sagen Sie Ihre weiteren Bedingungen«, fiel Hubert, ein, indem er sich aufrichtete und seine Augen plötzlich aufleuchteten.

»Ich helfe Ihnen«, fuhr Ripperda fort, »nicht allein, das junge Mädchen zu retten, sondern selbst aus dieser unwürdigen Gefangenschaft zu entkommen ...«

»Sie war deshalb meiner nicht unwürdig,« unterbrach Hubert ihn stolz, »weil ich sie nur ertrug in der Hoffnung, für das junge Mädchen hier etwas tun zu können!«

»So stimmen also unsere Absichten auf das beste überein. Also ich gebe Ihnen die Mittel, sie zu entführen; Sie erhalten vorher diese Geldsumme dort und die Zusage weiterer Unterstützungen, wenn Sie dieselben später in Anspruch nehmen wollen, um sich irgendwo – nur nicht in dieser Gegend hier – als Chirurg oder promovierter Arzt, wenn Ihr Ehrgeiz so hoch fliegt, niederzulassen. Und dagegen schwören Sie mir, nie eine Silbe von dem zu verraten, was Sie in Köln belauscht haben, mag dessen nun viel oder wenig sein... niemals etwas darüber laut werden zu lassen, es sei denn, daß ich selber Ihr Zeugnis darüber fordere!«

»Das Geld dort werde ich nehmen müssen, um Mariens willen, zu deren Rettung es mir nötig sein wird«, versetzte Hubert. »Eine weitere Unterstützung nehme ich von Ihnen für mich nicht in Anspruch.«

»Wir sind also einverstanden«, fuhr Ripperda fort; »ich gebe Ihnen die Mittel an die Hand, sich selbst und das Mädchen zu befreien und eine kühne Rittertat zu vollführen; ich gebe Ihnen das Geld dort und das Versprechen weiterer Unterstützung, wenn Sie diese später wollen und in Anspruch nehmen. Was Ihr Verhältnis zu Marie angeht, so machen Sie das nachher, wenn Sie sie in Sicherheit gebracht haben, selbst mit ihr und Franz von Ardey aus. Dagegen verpfänden Sie mir Ihr Wort, Ihre Ehre, Sie schwören mir, zu schweigen über das, was der Zufall oder vielmehr Ihr verdammter Fürwitz Sie etwa erfahren ließ ...«

»Ich schwöre Ihnen das, für den Fall, daß Sie Ihre Bedingung erfüllen.«

»Natürlich, nur für diesen Fall; aber nebenbei hatte ich noch eine weitere kleine Bedingung ... Sie werden einsehen, daß Sie bei unserm Vertrage ohnehin bedeutend im Vorteil find, und daß es nicht unbillig ist, wenn ich noch eine kleine Klausel anhänge!«

»Wie heißt diese Klausel?« fragte Hubert.

»Ich darf annehmen, daß Sie nicht ganz ohne alle Beziehungen zu dem alten Hause in Köln waren, in welches Sie damals eindrangen. Sie konnten nicht so ungehindert in dasselbe gelangen, ohne irgendeine Hilfe, ohne eine schuldige Mitwissenschaft des Hüters oder ein Einverständnis mit Personen, welche imstande waren, Ihnen einen Zugang zu öffnen.«

»Das Unternehmen ging lediglich von mir aus«, antwortete Hubert ausweichend; »ich war einfach neugierig, zu wissen ...«

»Danach frag' ich nicht, von wem es ausging, sondern danach, wer Ihnen bei der Ausführung half!«

»Niemand!« versetzte der Student.

»Mein lieber junger Freund, es ist eine Beobachtung, die schon seit dem höchst betrübenden Untergange Trojas erfahrene Leute gemacht haben wollen, daß, wenn irgendein tief in die Geschichte der Völker oder eines Menschenlebens greifendes Unheil angestiftet wird, gemeiniglich Weiber dabei waren. Kennen Sie die Nichte des Hüters jenes alten Hauses? Kennen Sie Traudchen Gymnich? Seien Sie offen gegen mich!«

Hubert errötete bei dieser Frage. »Ich kenne sie«, versetzte er; »ich wüßte nicht, weshalb ich es leugnen sollte!«

»Nun wohl,« fuhr Ripperda fort, »ich habe dieses Mädchen in der Absicht, sie auszuforschen, aufgesucht; sie hat, während ich in Köln mich aufhielt, mich bedient, ich habe sie dabei beobachtet – aber dieses Geschöpf ist von einer solchen kalten Verschlossenheit, daß es mir nicht gelungen ist, zu ergründen, ob sie damals, wie ich argwöhnte, Ihre Begleiterin war, ob sie ebenfalls die Lauscherin gemacht hat oder nicht...« Ripperda fixierte bei diesen Worten Hubert mit seinem einen Auge, als ob er ihn durchbohren wolle.

Hubert schwieg.

»Sie schweigen darüber – Sie bejahen es also! Nun wohl, dieses Mädchen ist in unsern Kontrakt mit eingeschlossen; Sie verpflichten sich, sie ebenfalls zu bewegen ...«

»Woher glauben Sie, daß ich eine solche Macht über sie hätte?« fiel Hubert ein.

»Sie sollen noch mehr tun«, fiel Ripperda mit einem Lächeln der Überlegenheit fort. »Während meines Aufenthalts dort ist aus meiner Briefmappe auf höchst rätselhafte Weise ein Papier verschwunden, das nur für mich, für mich ganz allein einen Wert hatte. Es war ein Zeugnis, das mir von einem Bekannten ausgestellt war, um gewisse Anstände zu entfernen, die sich meinem Aufenthalt in der Stadt entgegenstellten. Dieses Blatt ist mir – so glaube ich – von Traudchen Gymnich genommen.«

»Mein Herr von Ripperda,« fuhr Hubert zornig auf, »nehmen Sie sich in acht, ehe Sie eine solche Anschuldigung aussprechen.«

»Weil sie ihre Freundin ist?« fragte Ripperda mit spöttischem Tone. »Nun sehen Sie, ebendeshalb rede ich mit Ihnen von der Sache, ebendeshalb mache ich zur weiteren Bedingung, daß Sie das junge Mädchen, von dem wir reden, zum Schweigen und zur Herausgabe des Papiers bewegen und das letztere mir wohlverwahrt und wohlversiegelt durch einen besonderen Boten hierher senden! Also kommen wir zum Frieden, oder vielmehr, da ich denke, er ist abgeschlossen, zur Ratifikation. Ich habe Ihr Versprechen?«

»Das haben Sie; ich schwöre Ihnen, zu schweigen über Sie und über jene böse Frau, deren Mißhandlung ich erlitt; ich will sie zu vergessen suchen; und was das junge Mädchen angeht, von dem Sie redeten, so habe ich zwar keinen Einfluß auf ihre Entschlüsse ...«

»Ein junger Mann wie Sie hat immer Einfluß auf junge Mädchen, wenn er nur will!« schaltete Ripperda lächelnd ein.

»Allein,« fuhr Hubert fort, »ich will Ihre Wünsche bei ihr befürworten.«

»Soviel Sie immer können?«

»Soviel ich kann!«

»Nun wohl, so will ich Ihnen mitteilen, wie Sie Ihre Flucht mit Marie Stahl bewerkstelligen können. Sehen Sie dort oben die Fensterreihe, über dem Schloßflügel uns gerade gegenüber?«

»Die Mansardenfenster?«

»Die meine ich. Dort oben wohnt Marie – das heißt in einer Kammer, die nach hinten hinausliegt und die letzte ist am Ende des Korridors, der zwischen diesen Räumen hindurchläuft. Sehen Sie – so«, fuhr Ripperda fort und nahm aus der Schublade unter seinem Tisch ein Stück Kreide. Er zeichnete einen kleinen Plan auf die Tischplatte und erläuterte daran eingehend die Geschosse und Treppenanlagen.

Als er geendet, fragte Hubert: »Nun, und wenn ich Marie Stahl gefunden und aus ihrem Zimmer über die Dächer entführt habe ...«

»So bringen Sie dieselbe hierher. Sie wirft hier den Regenmantel eines Dienstmädchens um, hüllt sich in die Kapuze dieses Kleidungsstücks, und so schreiten Sie zum Tore hinaus und geben der Wache an, das Mädchen begleite Sie, um eine Wundsalbe für mich aus der Apotheke zu holen. Für den Regenmantel werde ich ebenfalls sorgen. Für sich selber werden Sie, wenn Sie Marie Stahl glücklich hierher gebracht, bei mir die Livree eines herrschaftlichen Leibjägers finden. Ich gebe Ihnen ein amtlich versiegeltes Schreiben an einen der herrschaftlichen Oberförster in der Nachbarschaft. Marie Stahl nimmt die Livree unter ihren Regenmantel; in Ihrer Wohnung legen Sie dieselbe an, und dann können Sie zu jeder Zeit ungehindert jedes Tor passieren – das Schreiben ist Ihr Paß, wenn man noch irgendeinen Ausweis von Ihnen fordern sollte.«

»Und wann sollen wir zur Ausführung schreiten? Sicherlich wäre es heute besser als morgen.«

»Aus mancherlei Gründen!« lächelte Ripperda. »Wenn Sie wollen, kann es heute noch geschehen. Es wird weniger auffallen, wenn Sie heute abend spät noch kommen, unter dem Vorwande, nach meiner Wunde zu sehen, als wenn es morgen abend geschähe. Kommen Sie um neun Uhr. Um neun Uhr soupieren Ihre Erlaucht. Die Schloßbewohnerschaft ist dann zum größten Teil um den Mittelpunkt des herrschaftlichen Wirkens, den Speisesaal, versammelt, der große Lebensakt zieht alle dienenden Kräfte zum Zentrum zusammen. Es wäre gut, wenn Sie vor zehn Uhr sodann in Ihrer Livree das Stadttor passieren können, denn nach zehn Uhr wird geschlossen, es tritt eine schärfere Kontrolle ein.«

Hubert war mit allem einverstanden. Mit dem trotzigen Mute und der Zuversicht, welche ihm eigen waren, genehmigte er alle diese Vorschläge und sah nirgends eine Gefahr, die verdient hätte, näher und länger erörtert zu werden. Er hegte auch nicht den Verdacht, daß ihm eine Falle gestellt werden könne. Er selbst war zu leidenschaftlich mit dem Verlangen, Marien zu retten, beschäftigt, als daß er lange grübelnd darüber hätte nachdenken sollen, was denn diesen Ripperda bewege, für ihre Rettung so viel zu tun. Und so wurden denn die letzten Verabredungen bald getroffen. Ripperda beschrieb Hubert genau die Lage eines kleinen ärmlichen Gehöfts, wo Franz von Ardey mit einem Wagen auf Marie harren würde und wo Hubert dann mit diesem ausmachen solle, wem das junge Mädchen ferner folgen werde. Dann verabschiedete sich Hubert von ihm.


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