Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Siebzehntes Kapitel

Seltsame Reisegefährten und eine seltsame Herberge

Was Frau Gebharde am Ende des vorigen Kapitels ihrem Gatten vom Verschwinden der beiden Frauen mitgeteilt hatte, war eine Tatsache, die sich höchst einfach damit erklärte, daß die Vogtin es vorgezogen hatte, nicht nach Amelsborn, dem Wohnsitz Franz von Ardeys, sondern zum Freiherrn von Eggenrode zu flüchten. Da aber Franz darüber keinen Bescheid erhalten hatte, so befand er sich in der quälendsten Unruhe.

Er war am folgenden Tage ausgeritten, als man ihm in einem kleinen Dorfe erzählte, daß der Durchmarsch einer Kolonne österreichischer Truppen erwartet werde. Er lenkte, als sie herangekommen, sein Pferd zur Seite und ließ sie an sich vorüberziehen. Es war ein ganzes Infanterieregiment, das aber durch seine Strapazen und seine Verluste in den Gefechten ganz bedeutend zusammengeschmolzen war und auch in seiner Erscheinung verriet, wie schwer es gelitten hatte, wie tapfer es gefochten, wie zähe es den Widerwärtigkeiten und Leiden eines unglücklichen Feldzuges die Stirn geboten. Als sie vorüber waren, und nach ihnen auch die Wagenkolonne des Regiments sich mühsam in dem unchaussierten Wege weiter geschleppt hatte, hielt Franz jedoch, zerstreut ihnen nachblickend, noch immer auf derselben Stelle, bis aufs neue seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen wurde durch ein den vorausgezogenen Regimentswagen in großem Zwischenraum langsam und mühselig nachschleichendes Gefährt. Es war ein leichter, mit Leinwand überzogener Korbwagen, den ein abgemagertes Rößlein zog; hinterdrein ritt ein Mann in preußischer Husarenuniform, auf einem unansehnlichen, doch wohlverpflegten Rappen. Obwohl nicht frei vom Staub und Schmutz des Weges, waren doch Mann und Roß in einem vortrefflichen Zustande, der sich von dem Aussehen der voraufgezogenen Truppen höchst vorteilhaft unterschied. An die Uniform und das Sattelzeug des Reiters war zwar nicht eben übermäßiger Luxus verschwendet; alles war dürftig und knapp; aber es war unabgenutzt, sorgfältig instand gehalten und zeigte jedenfalls, wie gesagt, einen grellen Kontrast zu dem Äußern der Österreicher.

Als der leichte Einspänner neben Franz von Ardey angekommen war, ritt der Husar vor und indem er jemand im Wagen zuschrie: »Halten Sie jefälligst mal an!« wandte er sich, während das Gefähr hielt, an Franz von Ardey, den er militärisch grüßte, und sagte: »Sie, jutester Herr, Sie scheinen mich aus diese Jegend hier zu sind, und dadrum erlauben Sie mich, dat ick Ihnen um einen juten Rat anjehe. Ick habe hier een paar Frauenzimmer in det Jefähr, denen ick meine Teilnahme widme, denn warum, et sind die Marketenderinnen, wat immer so eene kleine Sympathie und Magnetismus für unsereens ist, und nu habe ick mir ihnen angeschlossen, weil ick uf Kommando bin und mit de Kolonne dieselbe Marschroute habe, denn, wie Sie sehen, Jutester, wenn Sie von det Militär etwas verstehen, so bin ick preußischer Husar, mit Ehren zu vermelden, Unteroffizier Plantebitzel von det siebente von Zitzewitz mit 'n Dodtenkopf, Sie werden et bemerkt haben, denn wat die Adjustierung von Mann und Pferd betrifft und wat die ganze Haltung is, det is gar nich zu verkennen ... nu, wat ick sagen wollte, und wat det Frauenzimmer angeht, so is et eine jute Person, die Olle, un nu is sie bei dieses herbstliche Wetter von eenen eklichen Rheumatismus oder wat sonst die Wissenschaft darüber sagt, befallen, un wenn sie so langsam die Kolonne bis in die Nachtquartiere nachrückt, so findet se alle Löcher besetzt un weggenommen, un kann in ihren Jefähr kampieren, wat für en fieberhaften Menschen keine zuträgliche Manier is, die Nacht zuzubringen, un Kultur is auch nich in diese miserablige Dörfer zu finden, eene Krankensuppe oder dergleichen für en jebildeten Menschen, der mit en Rheumatismus unterwegs is – na, dadrum wollte ick man bitten, ob Sie mich nich hierherum en jastliches Jehöfte oder wat et nu is, anweisen könnten, wohin man det Frauenzimmer instradierte, in der Hoffnung uf en jebildetes Nachtquartier ...«

Franz hatte, während der Husar sprach, seine Blicke etwas überrascht auf das Gefährt gerichtet und sandte dieselben forschend in das Innere des Wagens. Eine jugendliche Gestalt, die eine ziemlich auffallende Erscheinung bildete, hatte sich daraus vorgebogen, um nach ihm zu sehen, und wartete jetzt, in den Wagen zurückgelehnt, den Erfolg der Unterhandlung ab, während sie die Zügel des Pferdes hielt. Es war ein junges Mädchen mit einem überaus schön geschnittenen Oval des regelmäßigen, etwas blassen Gesichts, das reiches dunkles Haar umrahmte, über dessen Flechten ein zierliches Soldatenmützchen ohne Schirm thronte. Ein grüner Spenser, mit dunkelroten Schnüren besetzt, mit rot ausgenähten Säumen, hüllte sie ein; ein kurzer, sehr faltiger Rock vom selben Stoffe mit rotem Bandbesatz vollendete das Kostüm der Marketenderin. Neben ihr saß oder lag vielmehr eine Person im selben Anzuge; es war augenscheinlich die Kranke, sie hatte sich in einen grauen Soldatenmantel gehüllt und lag matt ausgestreckt.

»Sie wünschen irgendwo ein näheres und besseres Unterkommen,« wandte sich Franz jetzt an das junge Mädchen, »als die Dörfer Ihnen bieten können, wo Ihr Regiment die Nacht bleiben wird? Allerdings könnte ich Ihnen ein Gut nennen, welches hier in der Nähe liegen muß ... ich zweifle auch nicht, daß der Bewohner desselben Sie aufnimmt, nur möchte ich Ihnen raten, daß Sie selbst ihn darum bitten; es ist ein etwas unzugänglicher Herr, aber einem so hübschen jungen Mädchen wie Ihnen wird er es nicht abschlagen!«

»So bitte ich Sie, die Lage des Guts dem Husaren dort zu bezeichnen«, erwiderte das junge Mädchen, indem sie sich unter das Linnentuch des Wagens zurückzog, mit einem Tone, der alle weiteren Galanterien abschnitt; zugleich so, als wenn der Husar ein Mann sei, der in ihrem unmittelbaren Dienste stehe und den sie mit der Sorge für alles andere beauftragen könne.

»Kommen Sie,« wandte sich Franz an den Unteroffizier; »ich will Ihnen den Weg zeigen, der einen Steinwurf von hier links von der Heerstraße abbiegt; ich werde mit Ihnen durch das kleine Gehölz dort reiten, am Ende desselben können Sie das Haus liegen sehen und gar nicht mehr verfehlen.«

»Det is ja charmant von Ihnen, mein jutester Herr,«, entgegnete der Husar ... »wie heeßt denn die Boutique, wo Sie meinen, dat wir ufjenommen würden?«

»Es ist keine Boutique, sondern ein sehr solid gebauter Edelhof; er heißt Eggenrode«, versetzte Franz, der jetzt sein Pferd antrieb und neben dem Husaren herritt.

»Na, wat die Bauart anjeht, so is diese mich enjal«, entgegnete der letztere; »die Kasteeler in diesen verwahrlosten und unsittlichen Lande sind alle zusammen nischt wert; verdammte Steinhaufen sind et mit höchst überflüssigem Ufwand, von Altertum und grauem bemoostem Mauerwerk, Türmen und Giebel. Da sollten Sie mal die Güter bei uns zu Lande sehen, Jutester, die sehen anders aus; da sieht man, dat man sich in zivilisierte Jegenden befindet: allens im besten Stande, hübsch aus jutem Holze ufjezimmert und immer proper und blank in die Farbe jehalten!«

»Bei uns zulande ist Wohl die Mark Brandenburg?« fragte Franz.

»Janz die richtige Uckermark ... ick bin aus diese bewundernswürdige Provinz entsprossen, eenes braven Schulmeisters eheleiblicher Sprößling, un nu merken Se ooch, woher dat die scheene wissenschaftliche Anlage stammt, die Sie bei mich bemerkt haben werden, de richtige Orthographie im Ausdruck und de vielseitigen Kenntnisse, womit ick Ihnen ufwarten könnte, un in meiner zarten Jugend habe ick mir auch anjenehm zu machen jewußt mit ne große Fertigkeit uf der Maultrommel ... Also hier zweigt sich der Weg ab? Na, nu vorwärts, olle Füchsin, geben Sie ihr mal eene kleene Ufmunterung mit die Peitsche, Mamsell Traudchen!«

Die letzteren Worte richtete der redselige Husar an den Gaul, welcher den Wagen der Marketenderinnen schleppte, und an das junge Mädchen, das die Zügel führte und dem Wege folgte, den Franz mit dem Preußen voranreitend ihr zeigte.

»Woher ist denn die hübsche Marketenderin?« fragte Franz von Ardey nach einer Pause, während deren sie in ein Gehölz gelangten, durch das ein schmaler, wenig gebrauchter Fahrweg sich schlängelte.

»Die Kleene? Dat is nu eene janz egentümliche Persönlichkeit«, versetzte der Husar; »sie hat sich in Köln von der Ollen drin als Jehülfin anwerben lassen ... et is aber en stolzes Kind Jottes, un det Organ für ne kleene Scherzhaftigkeit is wenig entwickelt; bei die Österreicher hat se sich ooch jewaltig in Respekt jesetzt, und die Olle jeht mit ihr um, als wenn et en abjeschältes Ei wäre; ick habe mir bemüht, durch einige kleene Dienstfertigkeiten ihre Zutraulichkeit zu jewinnen, wie se sonst unter Reisejefährten nich unjewöhnlich is, aber ick gloobe, et is leichter, eene wilde Schnepfe zahm zu machen als dieses spröde Wesen. Ick habe mir schon jedacht, dat se ne unjlückliche Liebe zu eenem von die österreichischen Offiziers hat und dadrum sich bei det Korps hat anwerben lassen!«

Der Wald öffnete sich vor den Reisenden und nach zehn Minuten hielt die müde alte Füchsin, wie der Husar sie nannte, mit dem Wagen der Marketenderin samt seiner militärischen Bedeckung auf dem Hofe des Guts.

Dieses Gebäude war ein phantastisches, uraltertümliches, seltsames Bauwerk. Es bestand aus zwei Flügeln und einem gewaltigen, in seinen unteren Teilen aus rohen Feldsteinen, oben aus Holzwerk aufgerichteten Turm, der am Ende des einen Flügels so vorsprang, daß er eine dritte Seite des Hofs abschloß. Er war offenbar der Patriarch des Ganzen, vielleicht einst der einzige Wohnraum eines von ritterlichem Broterwerb, d: h. aus dem Stegreif kümmerlich und ärmlich lebenden Geschlechts, das erst in spätern Zeiten so viel vor sich brachte, um zunächst einen und dann ein oder anderthalb Jahrhunderte später einen zweiten Bauteil daranstellen zu können. Diese letztern standen nun beide in grellem Kontraste zu dem hohen und wie aus heidnischen Zeiten herüberragenden steinernen Patriarchen und in ebenso grellem Gegensatz zueinander; nichtsdestoweniger aber hatten sie sich eng aneinander gelegt und waren durch einen Bogengang, der an dem untersten Stockwerke entlang lief, miteinander verbunden. Über den Bogen, die auf schwerfälligen Pfeilern ruhten, traten Erker mit vorspringenden Giebeln hervor, und zwischen denselben waren Fenster der verschiedensten Größenverhältnisse angebracht. Das Ganze hatte dadurch etwas außerordentlich Malerisches bekommen – leider nur war es entsetzlich verfallen, und es war nicht das Geringste getan, durch Sauberkeit der Umgebung den malerischen Eindruck desselben zu unterstützen. Ein alter, sumpfiger Graben, dessen gemauerte Böschungen an vielen Stellen eingefallen und in die schilfbedeckte Tiefe gesunken waren, umgab es ringsumher; das Holzgitter aber, welches die offene Seite des Hofes einfaßte, war verwittert, vermodert und streckenweise ganz verschwunden.

Nachdem der Marketenderwagen über eine alte gemauerte Brücke gerollt war, hielt die Lenkerin desselben die Zügel an; der Husar sprang aus dem Sattel und half dem jungen Mädchen, sich unter dem Linnendach hervorzuarbeiten und neben dem Vorderrad herunter auf den Boden zu kommen.

»Na, Mamsell Traudchen, det wäre nu det Nachtquartier,« sagte er dabei, »et is en sehr scheenes verwunschenes Schloß aus ene recht kindliche Märchenwelt; un wenn Se nu man jleich diesem ollen Bären oder Oger oder wat et für ein Unjeheuer aus die Fabelbücher is, enen herzhaften Kuß jeben, so wird er sich man so ohne weiteres in einen allerliebsten jungen Prinzen verwandeln.«

Der Husar deutete dabei auf die Bojarengestalt des Gebieters von Eggenrode, der, ohne sich zu rühren, Traudchen auf sich zukommen ließ. Als sie ihre Bitte vorgetragen hatte, betrachtete er sie eine Weile schweigend, dann nickte er mit seinem Kopfe und sagte: »Bin sonst kein Freund von fremd Volk. Wenn Sie aber zu den Österreichern gehört, so kann Sie bleiben mit der Kranken. Pack' Sie nur aus. Der Husar kann die Pferde in den Stall führen.«

Währenddessen erschien eine ältliche Person in einer langschößigen Tuchjacke und einer gestickten Nebelkappe, ein Bund Schlüssel in der Hand, unter dem Bogengange. Der Baron von Eggenrode rief ihr ein Paar Worte zu. Sie kam darauf in den Hof hinab, stemmte beide Arme fest in die Seite, als ob ihr dies eine wesentliche Unterstützung gewähre, um über Charakter und Verhältnisse der Fremden ins reine zu kommen, und nachdem sie in dieser Beziehung nach Verlauf einer geraumen Zeit anscheinend zu einer gewissen Befriedigung gelangt, sprach sie ihre Ansicht von der Sache durch die nachdrücklich geäußerten Worte aus: »Das ist nun wohl so!« – und zog dann eine große Horndose hervor, um eine Prise zu nehmen.

»Richtig,« antwortete der Husar, nachdem er eine Weile sich der trügerischen Erwartung hingegeben, daß diese Bemerkung noch eine für die Ankömmlinge freundlichere Fortsetzung finden werde ... »Darin widerspreche ick Ihnen sicherlich nicht, werte Madame aus die Jahrhunderte von det Faustrecht un die jrauen Biederzeiten, denn nach Ausweis Ihres anjenehmen Schlüsselbundes zu die Speckkammer und die unterirdischen Gegenden, wo die jroßen Oxhofte noch von det ehemalige Femgericht her liegen geblieben sind, habe ick in Ihnen wol diejenigte Person zu respektieren, bei die ick mir vorzugsweise beliebt zu machen streben werde; aberst ooch ohne dieses zeugt et von einem jebildeten Geiste, wenn der Mensch sprechen tut: ›Dat is nun wohl so‹, oder, in einen richtigem Dialekt übersetzt: ›so is et‹! Denn mit einem solchen richtigen Grundsatz finde ick mir in allens, wat dieses irdische Leben mit sich bringt!«

Die würdige Dame mit den Schlüsseln hörte diese Beredsamkeit sich entfalten, ohne ihr irgendein Zeichen der Beistimmung zu zollen. Im Gegenteil runzelte sie ihre Stirn, schüttelte den Kopf und wandte sich dann von dem Husaren ab, um Traudchen einen Wink zu geben, daß sie ihr folgen solle. Traudchen brachte zueist ihre Kranke unter, dann ging sie, aus dem Wagen die nötigsten Gegenstände zur Nachtruhe hereinzuholen, und als sie zurückkam, was ihr nicht, ohne sich einigemal in dem wüsten, alten Gebäude zu verirren, gelang, fand sie die Beschließerin bereits mit allerlei Herzstärkungen, Hausmitteln und Tränkchen um die Kranke beschäftigt. Die Beschließerin zeigte sich im Laufe des Gesprächs auch nicht zurückhaltend in Eröffnungen jeder Art über Haus Eggenrode und seinen Besitzer sowie über dessen Eltern, Großeltern und Urgroßeltern; auch die Eigenschaften und Charakteranlagen der Nachbarn zog sie in den Kreis ihrer Betrachtung; der gleichmäßige Redefluß begann schon auf Traudchen eine Wirkung auszuüben, die ihren Wimpern eine auffallende Schwere verlieh, als plötzlich ein Name an ihre Ohren drang, der alle ihre Lebensgeister von neuem wachrief.

»Die Frau von Averdonk?« fragte Traudchen, und ihr Herz schlug bis in die Kehle hinauf, »kennt Sie die?«

Frau Walpurgis – als Beschließerin hieß die gutmütige alte Dame nach guter alter Sitte Walpurgis – begann zu einer langen Erklärung auszuholen, aber Traudchen unterbrach sie ungeduldig: »Führen Sie mich zu ihrem Herrn.«

Frau Walpurgis stand auf und folgte ihr, nachdem sie eine kleine Lampe angezündet hatte, durch die beiden Vorzimmer und über den langen Gang, nicht ohne der rasch vorauseilenden Marketenderin von Zeit zu Zeit sorglich ihre Warnungen vor den kleinen Treppen zuzurufen, die bald auf-, bald abwärts führten. Endlich waren sie am äußersten Ende eines Ganges angelangt; Frau Walpurgis öffnete hier die Tür zu einem Raume, der offenbar als eine Art Vorzimmer diente.

»Warte die Jungfer hier,« sagte Frau Walpurgis, »ich will sie dem Herrn anmelden, wenn er drin ist, vielleicht sitzt er noch unten bei dem Haselanten...« Sie öffnete dabei eine Seitentür, und nach dem Lichtschein zu schließen, der daraus hervordrang, mußte Herr von Eggenrode allerdings in seinem Zimmer sein; Traudchen hörte aber auch seine tiefe und rauhe Stimme, und hörte sie im Zwiegespräch mit einer andern Stimme, welche die eines jungen Mädchens zu sein schien; wenigstens eine sehr wohllautende Frauenstimme war es.

»Will nun einmal nichts mit ihm zu schaffen haben. Will nichts mit ihm zu schaffen haben! Er hat den Teufel im Leib!« vernahm Traudchen den Baron Eggenrode in kurz abgebrochenem Staccato und merkwürdig tiefem Baß sagen.

»Dann ist der Unglückliche verloren! Er ist verloren!« erwiderte die weibliche Stimme.

»Kann nichts daran ändern. Nichts, gar nichts! Kann ich's ändern, Mamsell?« lautete die Antwort des Barons. »Was will Sie, Walpurg? Die Marketenderin? Die will mich sprechen? Was hat sie denn? Nun, laß sie kommen. Gute Nacht, Mamsell!«

Walpurgis erschien wieder auf der Schwelle des Zimmers und winkte Traudchen mit der Hand. Diese trat ein und sah, daß die Person, mit welcher Eggenrode geredet hatte, bereits verschwunden war. Sie mußte sich durch eine entgegenstehende Tür entfernt haben.

»Was will Sie, Marketenderin? Was will Sie?« sagte er ... »kann sich setzen, wenn Sie müde ist, auf den Stuhl da!«

»Ich will einem Menschen Hilfe bringen, an dem die unverantwortlichste Freveltat begangen ist, der hier im Lande ein Opfer rücksichtsloser Gewalttätigkeit ward, der in irgendeinem Gefängnis oder Verließ schmachtet, damit er der Welt nicht ungeahnte Sünden und Verbrechen bekannt mache ...«

»Zum Teufel, es wird sich doch nicht schon wieder um den Studenten handeln? Sie wird doch nicht auch von mir verlangen, daß ich dem Tollen den armen Teufel aus dem Rachen reiße?«

»Studenten?« fiel Traudchen voll Verwunderung ein – »um einen Studenten handelt es sich allerdings ...«

»Hubert Bender!«

»So heißt er ... Und Sie wissen von ihm?«

»Leider mehr, als ich verlange!« entgegnete Eggenrode.

»Und wo ist er?« »Der tolle Graf von Ruppenstein hat ihn in Haft und will ihn erschießen lassen ...«

»Gerechter Himmel!« rief Traudchen aus und ließ sich auf den nächsten Stuhl niederfallen. »Ihn erschießen lassen ... weshalb ... was hat er verbrochen?«

»Weil er ein Narr ist, der sich in Sachen mischt, die ihn nichts angehen: weil er sichs hat beigehen lassen, dem Tollen zu trotzen in seinem eigenen Hause – nun, es ist eine lange Geschichte. Was geht Sie's an? Ist er Ihr Bruder?«

»Nein.«

»Oder ein Anverwandter?«

»Nein, das ebenfalls nicht ...«

»Nun, Ihr Galan wird er doch auch nicht sein, oder er hätte schlecht an Ihr gehandelt. Er hat sich hier mit einem jungen Mädchen verlobt, das ihm, nebenbei gesagt...«

Traudchen ließ ihn nicht ausreden. »Verlobt?« rief sie aus – »Herr, das kann nicht wahr sein!«

Eggenrode nickte bloß mit dem Kopfe und machte eine eigentümlich spöttische Miene dazu. »Na,« sagte er dann, während Traudchens Züge eine tiefe Blässe annahmen und ihre Augen ihn anstarrten, als ob sie einen Geist vor sich sähe, »jetzt wird wohl Ihr Eifer, ihm zu helfen, ein wenig abgekühlt?«

Traudchen schien im ersten Augenblick Eggenrodes Frage gar nicht zu verstehen und fuhr fort ihn anzustarren. Dann, wie plötzlich sich fassend, entgegnete sie heftig: »Nein, nein, mag er sich verlobt haben oder nicht, darum handelt es sich nicht, obwohl ...« Sie schwieg plötzlich wieder, blickte vor sich hin und schien einen Augenblick ganz zu vergessen, wovon die Rede war und was sie eben noch so stürmisch bewegt hatte: wie grübelnd blickte sie in die Flamme der Kerze auf dem Tisch; und dann erhellten sich ihre Züge wieder, sie fuhr mit der Hand über ihre Stirn, und nun sagte sie mit größerer Ruhe und Bestimmtheit, als sie vorher gezeigt: »Also so schlimm steht es um ihn; und er ist in der Gewalt eines grausamen und ruchlosen Mannes, der ihn töten lassen kann?«

»Kann und auch wird ... daran ist nichts zu ändern«, entgegnete Eggenrode.

»Er wird ihn nicht töten lassen, Herr«, entgegnete Traudchen fest.

»Wird Sie ihn hindern?«

»Ja, ich – wenn ich auch selbst nicht die Macht habe – aber andere werden die Macht haben, sie werden die Mittel dazu auffinden, und diese andern werden es tun, weil ich es sie heiße.«

Eggenrode blickte sie verwundert an. »Höre Sie, hübsches Kind, wenn Sie für Ihren Studenten bei dem tollen Philipp etwas ausrichten will, so gibt es nur ein Mittel dazu. Lege Sie Ihren saubersten Staat an, setze Sie sich Ihr Marketendermützlein so keck, wie Sie's nur vermag, auf ihre dicken schwarzen Flechten, lasse Sie das kurze grüne Röcklein mit den vielen Falten kokett vor ihm hin- und herflattern... ich glaube, dann kann Sie mit ihm machen, was Sie will, dann schlägt er Chamade!«

Baron Eggenrode begleitete diese Worte mit einem Ansatz zu einem Lächeln; da aber der Ausdruck, den Traudchens Mienen dabei annahmen, dasselbe nicht sehr ermunterte, gab er den ungewohnten, sauern Versuch, irgendein Ding auf Erden spaßhaft zu behandeln, mit Vergnügen auf.

Traudchen fixierte ihn nämlich mit einem beinahe zornigen Ernst und erwiderte:

»Ich habe andere Mittel. In meiner Hand liegt der Ruf, die ganze Existenz eines Weibes, die zu den angesehensten und mächtigsten hier im Lande gehört; sie soll mir beistehen; sie soll alles aufbieten, was sie vermag, um den Studenten zu retten – läßt sie ihn untergehn – dann vernichte ich sie. Aber ich kann nicht ohne Schutz, ohne einen Freund, so wie ich hier vor Ihnen stehe, als ihre Widersacherin vor sie treten; sie hat bewiesen, daß sie zu ihrer Selbstverteidigung keine Mittel scheut, ich wäre meines Lebens, meiner Freiheit wenigstens nicht sicher, begäbe ich mich ohne Vorsicht in den Umkreis ihrer Gewalt ...«

Baron Eggenrode schüttelte sein Haupt mit den mächtigen grauen Haaren wie der wolkenversammelnde Zeus. Es mochte ein Verdacht in ihm aufsteigen, daß dieses seltsam redende junge Mädchen nicht recht bei Sinnen sei. Seine Stirn runzelte sich, während er sie forschend anblickte.

Traudchen sah, daß sie keinen Augenblick mehr zögern dürfe, ihre Karten aufzudecken.

»So will ich reden. Kennen Sie einen Herrn von Ripperda?« fragte Traudchen.

»Ripperda? So heißt der neue Jägermeister in Ruppenstein. Ich habe von ihm gehört, habe ihn auch unlängst dort mit einem Blick gesehen.«

»Kannten Sie einen Herrn von Walrave?« fuhr Traudchen fort.

»Walrave? Was weiß Sie von dem?«

»Kannten Sie ihn?«

Eggenrode runzelte fürchterlich die Stirn, und seine Augen blickten so zornig auf das junge Mädchen, als ob er ihr andeuten wollte, er verbiete ihr bei irgendeiner entsetzlichen Leibes- und Lebensstrafe, jemals diesen Namen wieder von ihren Lippen fallen zu lassen.

»Ich muß um eine Antwort bitten!« sagte Traudchen, ohne dadurch beirrt zu werden.

»Nun, ins Teufels Namen, ja!«

»Und wissen Sie, daß Ripperda und Walrave eine Person sind?«

Die Züge des Freiherrn nahmen bei diesen Worten des jungen Mädchens einen ganz unbeschreiblichen Ausdruck an. Seine erloschenen Augen wurden groß, glasig, sein Mund verzog sich, so daß die Mundwinkel tief herabsanken; sein dichtes graues Haar schien sich aufzusträuben – wie vollständig versteinert blickte dieses seltsame verwilderte Mannesantlitz auf die Marketenderin nieder, die jetzt selbst erstaunt war über die merkwürdige Wirkung, welche ihre Mitteilung auf den alten Herrn hervorgebracht hatte.

Endlich sagte er:

»Hör' Sie mich an ... Da Sie einmal so viel weiß, so will ich Ihr alles sagen, damit Sie vorher überlegen kann, ehe Sie einen leidenschaftlichen Schritt macht, der Sie vielleicht einst, wenn Sie älter und kältern Bluts geworden, bitter gereuen würde. Sie soll den Schlüssel haben zu allem, und dann mag Sie handeln. Auf Ihre eigne Verantwortung. Ich kann Ihr nicht beistehen. Es sind zwei Frauen hier, die alles mit anhören mögen, weil es deren Sache so gut ist wie die Ihre... die eine ist des Studenten Braut, die andere deren Mutter. Sie sind zu mir geflüchtet, weil sie kein anderes Asyl wußten, wo sie verborgen bleiben konnten vor dem tollen Philipp und vor den Bewerbungen eines jungen Mannes, denen die Mutter ihr Kind entziehen wollte, weil dieser junge Mann der Neffe der Frau von Averdonk ist und weil ein bürgerliches Mädchen niemals die Seine werden kann. Sie hat nicht viel Verstand, die gute Frau, aber zuweilen trifft sie doch das Rechte, und dann setzt sie es durch mit dem Eigensinn dummer Leute. Sie geht dann vorwärts wie ein blindes Pferd in der Mühle. Ich will sie herbeirufen. Sie mag alles mit anhören. Dann könnt ihr Weiber beschließen, was ihr tun wollt. Mich geht's nicht an.«

Mit diesen Worten nahm der alte Baron eins der Lichter vom Tisch und verschwand damit durch die Tür, welche der, durch die Traudchen eingetreten war, gegenüber lag.


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