Levin Schücking
Die Marketenderin von Köln
Levin Schücking

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Elftes Kapitel

Enthüllungen. Der Österreicher weicht, der Franzose rückt ein, und der Preuße erfreut sich des Schauspiels

Während der gefangene Student dem Schicksal entgegenharrt, welches der zornige Reichsgraf über ihn zu verhängen geruhen wird, wollen wir uns nach Köln zurückversetzen, um uns nach unsern dortigen friedlichen Freunden umzusehen.

Es war um die Stunde der Dämmerung. Professor Bracht saß in seinem Studierstüblein hinter dem Auditorium bei seinen Büchern, die Frau Professorin überwachte von der Küche aus das Ladengeschäft.

Professor Bracht war aber in seinem Studio nicht allein. Traudchen Gymnich war gekommen, aber die sonst immer tätige, mit irgendeiner Arbeit Beschäftigte, ließ heute ihre Hände müßig im Schoß ruhen und blickte nachdenklich in die Flamme des Lichts.

»Ach,« sagte sie nach einer langen Pause mit einem schmerzlichen Seufzer, »wäre ich nur ein Mann – dann wäre alles gut!«

Des Professors Miene drückte nicht aus, daß er für Traudchen viel gewonnen glaube, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Es ist möglich, daß, obwohl er ein alter Professor war, sie ihm so besser gefiel.

»Ich bin immer noch der Ansicht,« sagte er, »man wendet sich an die Obrigkeit. Da der Studiosus Hubert Bender nunmehro nach allbereits vierzehn Tagen immer noch nicht heimgekehrt ist, so wäre es auch schon unsere Pflicht, geziementlich dem Rektor und Senat unserer Hochschule von seinem Verschwinden Anzeige zu wachen. Und weil wir seine Spur auch in der Tat gefunden, so würden Rektor und Senat sicherlich mit ihrer Autorität dazwischentreten.«

»Ach, Herr Professor, die würden viel ausrichten!« rief Traudchen unwillig aus. »Sie würden schreiben, beraten, dann wieder schreiben und wieder beraten, endlich an irgend jemand, den es angehen könnte im Lande da drüben, einen langen Brief in sehr schönem Lateinisch erlassen, worauf sie nach einem Vierteljahr die Antwort erhielten, man fände drüben nichts von dem verlorenen Studenten in den Akten ... Damit wäre viel geholfen! Nein, nein – so nicht! Lieber ziehe ich selber die Kleider eines Mannes an und wandere ihnen nach, diesen bösen Menschen, bis ich sie finde, und schmettere sie zu Boden mit dem, was ...«

Sie vollendete nicht, sondern verschwieg das Ende ihres Satzes.

»Was wollte Sie sagen, Jungfer Traud?« fragte der Professor.

»Nun, mit dem, was ich weiß!« stieß Traudchen wie zornig heraus.

Professor Bracht zuckte die Achseln.

»Es sind Phantasmata, Kind«, sagte er. »Sie ist nun einmal kein Mann, und wenn etwas für den armen Menschen geschehen soll, so muß es anders angefaßt werden.«

Traudchen schwieg wieder. Nach einer Pause, während deren ihre Gedanken eine ganz andere Richtung schienen eingeschlagen zu haben, sagte sie plötzlich: »Glauben Sie denn auch, was die Leute reden, daß wir die Franzosen nächstens hier haben würden? Wenn der Ohm Gymnich abends aus dem Weinhause kommt, so schwört er Stein und Bein darauf, sie würden am andern Tage vor dem Hahnentore stehen.«

»Nun, es ist möglich genug, und gewiß ist, daß sie nicht davor stehen bleiben, vor dem Hahnentore, Traud. Der Ohm Gymnich! Er ist auch einer von der schlimmen Bande, die sich das tausendjährige Reich und alle Herrlichkeit von ihnen verspricht. Sie werden es bereuen, bitter bereuen, wenn wir diese edlen Krieger, deren jeder den Tornister voll Brüderlichkeit, Gleichheit und Heil für die ganze Welt hat, mehr in der Nähe zu sehen bekommen ... sie werden's bereuen!«

»Der Ohm Gymnich«, fuhr Traudchen fort, »kommt alle Tage trunken heim, und dann schwatzt er alles aus, was sie in dem Weinhause ausgemacht haben. Auf dem Neunmarkt wollen sie den Freiheitsbaum errichten, und den Magistrat, sagte er, und die Vierundvierziger könnten er und seine Freunde jetzt schon um den kleinen Finger wickeln.«

Professor Bracht nickte trübselig mit dem Kopfe.

»Wenn er das im Rausche sagt, so ist es leider darum nicht minder die Wahrheit. Seit der Preuße in Basel mit den Republikanern Frieden gemacht und Österreich im Stich gelassen hat, kann uns der Kaiser nicht mehr schützen. Der österreichische General Graf Baillot hat wenigstens den Schatz, den die Stadt in ihrem Zeughaus besitzt, retten und aufs andere Rheinufer bringen lassen wollen. Es sind eine Fülle guter Geschütze und Waffen darin. Aber die Schreier, wie Ihr Ohm Gymnich, gönnen sie lieber den Franzosen als den Österreichern, und daher hat der Rat es dem General abgeschlagen. Heute nachmittag ging die Nachricht durch die Stadt, man hätte vor dem Ehrentore und dem Hahnentore draußen in der Ferne eine Kanonade gehört. Vielleicht haben wir morgen die ganze österreichische Armee hier auf dem Rückzuge. Und dann kommen schlimme Zeiten über uns – schlimme Zeiten, Traudchen!«

Die Sorgen und ängstlichen Voraussagungen des alten Mannes schienen Traudchen nicht sehr zu rühren.

»Und wohin würden sich die österreichischen Heere wohl wenden, wenn sie sich vor den Franzosen zurückziehen und auf die andere Rheinseite hinüber müßten?« fragte sie ruhig.

»Wohin? Nun, ins Bergische hinein, nach dem Süderland und so weiter, durch Hessen ins Fränkische.«

Traudchen Gymnich schien diese Rückzugslinie der Österreicher allerhand zu denken zu geben. »Wenn ich ein Mann wäre,« sagte sie nach einer Weile, »so zöge ich mit ihnen!«

»Mit den Österreichern? Sie?«

Traudchen antwortete nicht. Nach einer Pause fragte sie: Ist keiner unter Ihren Bekannten, der den General Baillot kennt?«

»Niemand«, versetzte der Professor. »Und wenn es der Fall wäre?«

Bevor Traudchen geantwortet hatte, wurden draußen Stimmen und Schritte laut. Man hörte in dem Auditorium des Professors die Stimme der Hausfrau, welche einen Fremden zurechtwies, und gleich darauf klopfte es an des Professors Stüblein.

Auf Brachts: Herein! öffnete sich die Tür und eine wohlbeleibte Gestalt trat ein; niemand anders als unser guter Bekannter, Herr Stevenberg, der Künstler und Heraldikus.

Der Gelehrte bot ihm einen Stuhl.

Herr Stevenberg setzte sich und sah mit düsterer, gerunzelter Miene, seinen Hut zwischen die Knie geklemmt und die Hände auf seine Schenkel stützend, zuerst den Professor, dann Traudchen Gymnich und sodann das bescheiden bürgerlich eingerichtete Stübchen an, in welchem er sich befand. Nach dieser Rundschau stürzte er mit einer merkwürdigen Hast die Frage hervor:

»Ist der Studiosus Bender nicht hier? ... hat mir gesagt, er wäre um diese Stunde hier zu finden ... damit ich nicht so weit zu laufen habe, bis ... ha, ha, ha ,.. bis hinter St. Georg ...«

»Kennen Sie den Studenten Bender? Was wollten Sie ihm sagen?« fragte eifrig Traudchen, die bei dem Namen hoch aufgehorcht hatte.

»Kennen? ... den Studiosus Bender? Wie sollt' ich ihn kennen! Er ist nur einmal vor mehreren Wochen bei mir gewesen. Hat mich um einen Gefallen gebeten.«

»Und worin bestand der Gefallen?« fragte Traudchen Gymnich, welche aufgestanden war, sich vor den Tisch gestellt hatte, an dem die beiden Männer saßen, und, indem sie ihre Hand darauf stützte, gespannt in das Antlitz des Wappenmalers blickte.

»Worin er bestand? ...« versetzte Herr Stevenberg; »er wollte wissen, ob ich ihm nichts sagen könne über eine Familie Walrave von drüben her, aus dem Süderlande ...« »Walrave?« rief Traudchen Gymnich höchst überrascht aus.

»Nun ja, Walrave«, fuhr Herr Stevenberg fort, und es war augenscheinlich, daß der Klang dieses Namens das Gepräge einer tiefen Melancholie auf seine Züge drückte ...

»Ich habe erfahren,« sagte er dann, »und wenn Sie den Studenten sehen, so sagen Sie's ihm ... daß die Walrave ausgestorben sind. Schon seit vielleicht zwanzig Jahren oder noch länger. Der letzte von ihnen ist Wilbrand Goswin von Walrave gewesen, ein ruchloser Patron, der in seiner Jugend drüben im Lande auf eine für andere friedfertige Leute höchst unbequeme Art seinen Mutwillen ausgetobt hat. Zuletzt«, fuhr der Wappenmaler fort, »hat er aus lauter Übermut sich ... ha ha ha ... das Vergnügen gemacht, sich aufzuhängen!«

Herr Stevenberg mußte erst einem Anfall seiner Lachlust nachgeben, bevor er fortfahren konnte:

»Es ist das eine wunderliche Geschichte, von der man nicht recht weiß, wie sie zusammenhängt. Es ist ein Fräulein von Stovelar zu Equordt und Dudenrode da im Lande gewesen, eine reiche Erbtochter, nach der hat ein Baron von Averdonk gefreit.«

»Das sind ja die Leute, von denen Sie uns gesprochen haben, als wir Ihnen das Siegel mit dem großen Wappen brachten«, fiel hier der Professor ein.

»Ganz dieselben«, sagte Herr Stevenberg, mit einer Miene, als ob die Erinnerung an diesen Umstand etwas tief Schmerzliches für ihn habe, und dann setzte er hinzu:

»Sie sind auch schon verlobt gewesen, da ist dieser Wilbrand von Walrave dazwischengekommen und hat das Erbfräulein für sich gewonnen, und man hat gesagt, der Bräutigam, der Herr von Averdonk, habe die Angst vor dem tollen Walrave bekommen und sich gar nicht mehr außerhalb seines Hauses – ich meine, Amelsborn muß sein Gut heißen – sehen lassen. Das hat nun eine Weile allerlei Hader und Span gegeben zwischen dem Erbfräulein von Stovelar und ihren Eltern, die den Walrave sich nicht haben über die Schwelle kommen lassen wollen, und dem Averdonk – bis eines schönen Tages gar plötzlich und unvermutet der alte Herr von Stovelar auf Dudenrode, der Vater des Erbfräuleins, gestorben ist. Nun hat jedermann geglaubt, der Walrave werde jetzt seinen Willen durchsetzen und das reiche Fräulein heimführen; aber die Mutter hat darauf angetragen, daß ihres seligen Mannes Freund, ein alter Herr von Eggenrode, zum Vormund ihrer Tochter gesetzt werde, und der hat gewußt, der Sache auf irgendeine Weise ein Ende zu machen; der Walrave hat weichen müssen und nach kurzer Zeit ist er, wie man gesagt hat, im Walde gefunden worden, an einem Eichbaume aufgehängt. Anfangs hat es geheißen, er habe sich selber ums Leben gebracht, denn sein Hab und Gut sei verzehrt und verschleudert gewesen, und seine Juden hätten nicht Lust gehabt, für seinen weitern standesmäßigen Unterhalt zu sorgen. Später aber hat man gesagt, der alte Eggenrode sei noch einer von den alten Wissenden und Freischöffen da aus der Gegend, der hätte mit einigen seiner Bauern Gericht über ihn im Walde gehalten und ihn an die Eiche gehängt, um seiner vielen Missetaten willen! Daran ist nun freilich nicht zu glauben; ich habe, so oft ich drüben im Lande gewesen bin, niemals eine Silbe mehr von dem alten Wesen gehört; und es ist auch gesagt worden, es sei alles nicht wahr, der Walrave sei gar nicht tot gefunden worden, sondern habe sich still aus der Gegend verzogen. Dem sei nun wie ihm wolle, mag der Walrave an der Eiche gehangen haben oder nicht, genug, das Erbfräulein hat den Averdonk heiraten müssen, und auf dem Schlosse Dudenrode wohnen sie noch heute, und das ist, was ich mir habe erzählen lassen, und wenn der Studiosus damit nicht zufrieden ist, so muß er sich an den Herrn Kanonikus Klevesahl an St. Aposteln wenden, der, wie mir gesagt worden ist, vor Jahren als Pfarrgeistlicher im Süderlande, in derselben Gegend, gestanden hat und vielleicht Genaueres weiß!«

Professor Bracht versicherte ihm, daß er zwar nicht wisse, welches Interesse sein abwesender fleißiger Zuhörer und Scholar an dieser Geschichte gehabt haben könne, daß sie aber jedenfalls merkwürdig genug sei, um sie sich einzuprägen, und daß er sie dem Studenten getreulich berichten wolle, sobald er ihn wiedersehe; und da ihm Herr Stevenberg nicht der Mann schien, von dem in der Angelegenheit Huberts eine besonders praktische Auffassung zu erhoffen, noch irgendein guter Rat einzuholen, so ließ er es bei diesen Worten bewenden, was den Wappenmaler dann veranlaßte, ohne weiteres Zürnen oder ferneres Gelächter seinen Aufbruch einzuleiten und sich endlich zu verabschieden. Als der Professor ihm über den Vorsaal geleuchtet hatte und zurückkam, fuhr das junge Mädchen wie aus einem Traume auf – sie legte hastig die Hand auf den Arm des Professors, und indem sie mit der andern Hand ein Papier aus ihrem Busen hervorzog, sagte sie in einem Tone, durch den etwas wie ein lauter Jubel klang: »Jetzt weiß ich alles, alles ... diese Menschen sind in meine Hand gegeben ... Professor, lesen Sie das – lesen Sie ...«

Der Professor sah sie betroffen an, dann nahm er das Papier, schlug es auseinander und las, indem er es der Lampe nahe brachte, die folgenden Zeilen, die auf einem von oben an beschriebenen Folioblatt standen:

»Demnach mir mitgeteilt ist, daß hiesigen Orts obrigkeitlich dem vorübergehenden Aufenthalt des Herrn Wilbrand von Walrave, jetzo genannt von Ripperda, Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden wollen, so bezeuge ich demselben auf sein Ansuchen, daß selbiger, obwohl anitzo Emigrant, doch von teutscher Herkunft und aus dem Gelderland daheim ist. Derselbige ist mir als solcher seit vielen Jahren von Person wohl bekannt, und traute ich selbsten ihme Anno 1777 mit dem hochwohlgebornen Freifräulein Gebharde Josephe von Stovelar zu Equordt und Dudenrode. Solches geschah am 13. Augusti adcitirten Jahres in der Pfarrkirchen zu Wolfshagen. Nachderhand um eine Anstellung in Frankreich zu suchen, verließ Herr von Ripperda das teutsche Vaterland, wurde Capitaine des chasses des Herzogs von Condé und kehret anitzo, weil der Herzog sich hat flüchten müssen, zurück. Ich bitte deshalb, ihme, als mir wohlbekannten und respectabeln Manne kein Hindernuß in den Weg zu legen, wenn er hiesigen Ortes zu verweilen wünschet.

Augustin Klevesahl, Canonicus ad S. S. Apostolos

Nachdem der Professor dieses seltsame Instrument halblaut für sich hin gelesen hatte, sah er verwundert zu Traudchen auf.

»Das ist eine verwunderliche Sache!« rief er aus. »Herr Hubert Bender spürt einem Herrn von Walrave nach, Walrave ist Ripperda, Ripperda ist getraut mit Fräulein Gebharde von Stovelar, die wieder, wie Stevenberg behauptet, mit dem Freiherrn von Averdonk verheiratet ist; und diese selbe Frau von Averdonk entführt den Herrn Bender – höre Sie, Traud, mir steht der Verstand still ...«

»Und der meine bekommt Flügel wie ein Falke dabei ...« fiel Traudchen Gymnich ein.

»Aber da hätte ja die Frau von Averdonk zwei Männer zur Ehe genommen ... das heißt, sie hätte, wenn dieser Maler Stevenberg die Wahrheit angibt ... aber es ist ganz unglaublich, Traudchen!«

»Unglaublich? Herr Professor« – rief das junge Mädchen in höchster Aufregung aus – »weshalb unglaublich? Wenn sie ein gutes Gewissen hätten, diese Leute, so würden sie nicht das Tageslicht scheuen und nicht heimlich bei nächtlicher Weile in einem alten, von keinem Menschen besuchten Hause zusammenkommen; noch weniger würden sie jemand, der sie belauscht, behandeln, wie sie Hubert Bender behandelt haben, und sich seiner bemächtigen, um ihn unschädlich zu machen, auf daß er ihre verbrecherischen Geheimnisse nicht verrät.«

Der Professor wiegte nachdenklich das Haupt.

»Um Gottes willen, woher hat Sie das Papier, Jungfer Traud? Sie hat es unter den Sachen des Herrn von Ripperda gefunden?«

»Ich habe es gefunden«, versetzte das junge Mädchen.

»Und Sie hat es ihm fortgenommen?«

Jungfer Traud bejahte durch ein ruhiges Nicken des Kopfes.

»Aber«, sagte der Professor ...

Traudchen sah ihn so an, daß er seine Worte für sich behielt.

»Wenn man Krieg führt, Krieg auf Tod und Leben, darf man seinem Feinde doch die Waffen nehmen!« sagte sie. »Sie ist in seinem Dienst ... Sie muß seine Sachen durchstöbert und durchkramt haben ...«

Traudchen hörte gar nicht mehr auf diese Gewissensskrupel des alten Mannes. Sie war zu sehr von einem Gedanken beherrscht, zu ausschließlich mit aller Energie ihrer Seele einem Ziele hingegeben, als daß sie ein Organ für solche Bedenken gehabt hätte.

»Es ist seltsam gefaßt«, sagte der Professor, indem er noch einmal die Schrift überflog. »Wie eine Rekommendation bei dem Bürgermeister sieht es aus ... weshalb der Kanonikus aber die ganze Lebensgeschichte dieses Ripperda hineingesetzt hat, und besonders daß er ihn getraut habe ... das ist auffallend, das begreife ich nicht.«

»Welche Absicht er auch gehabt haben mag,« antwortete Traudchen, »so viel ist gewiß, diese Menschen sind dadurch in meine Hände gegeben, und ich werde mit ihnen ins Gericht gehen, und wehe ihnen, wenn sie an Hubert Bender so gefrevelt haben, daß es nicht mehr in ihrer Macht steht, es vollauf wieder gut zu machen!«

»Traudchen, was will Sie tun?« fragte der Professor erschrocken. »Wenn Sie es durchaus wagen will, von diesem Papier da Gebrauch zu machen, so wende Sie sich im geheim an einen tüchtigen Advokaten. Lasse Sie den seine Maßregeln ergreifen.«

»An einen Fremden?« erwiderte das junge Mädchen – – »nein, nein, einem Fremden gebe ich dieses Blatt nicht in die Hände. Er könnte es sich von den Leuten, welche es angeht, für eine große Summe Geldes abkaufen lassen! Die Versuchung ist zu groß. Nein – ich selbst muß handeln. Und bald, bald ... sonst wird es zu spät. Hubert Bender ist jetzt seit vielen Tagen fort, und es ist kein Lebenszeichen von ihm da – ich ertrage das nicht länger«, setzte sie halblaut hinzu und barg ihr Gesicht in beiden Händen.

In diesem Augenblick wurde das Tête-à-tête des Professors mit seiner jungen Freundin unterbrochen. Die Frau Professorin kam eilig durch das Auditorium dahergeschritten und riß rasch die Tür auf.

»Bracht,« rief sie mit einer hohen, eifernden Stimme, »wo steckst du? – Um Gottes willen, da sitzt der Mann und schwatzt und kümmert sich um die Welt nicht – und draußen auf der Gasse laufen bereits alle Leute zusammen.«

»Die Leute werden schwerlich bemerken, daß ich unter ihnen fehle!« entgegnete Bracht, indem er sein gelehrtes Haupt ruhig seiner zürnenden Gattin zuwandte.

»Nun seh' Sie, Traud,« eiferte die aufgeregte Dame weiter, »das sind so seine Redensarten, womit er einen zur Verzweiflung bringt – es ist nicht auszuhalten mit dem Mann! – Ei, so steh' doch auf und geh' hinaus und geh' aufs Rathaus und höre zu, was es denn eigentlich gibt. Sie sagen draußen, die Österreicher seien wieder von den Franzosen geschlagen und seien auf dem vollen Rückzuge von Jülich und Düren her, und zwischen hier und Düsseldorf gingen sie über den Rhein, und nun würden wir die Franzosen hier haben, vielleicht in dieser Nacht noch ... Gott steh' uns und allen Christenmenschen bei!«

Bracht war aufgestanden und nahm seine schöne Pelzmütze mit dem Fuchsschwanz und sein spanisches Rohr. »Es wird so arg nicht sein,« sagte er, »wenn es auch arg genug sein wird. Ich will zum Rathause gehen. Sie geht wohl mit hinunter, Traudchen?«

»Ja, ich gehe mit Ihnen«, sagte Traudchen und warf ihr Umschlagetuch um. Dann verließen sie beide das Haus. Auf der Straße, wo in der Tat eine ungewöhnliche Bewegung herrschte, ging das junge Mädchen schweigend neben dem Professor her. Dann bot sie ihm plötzlich eine gute Nacht, um in eine nach rechts sich abzweigende Straße einzubiegen.

»Wohin will Sie, Traudchen?« fragte Bracht.

»Nach dem Blankenheimer Hof.«

»Nach dem Blankenheimer Hof?« fragte der Professor verwundert. »Doch nicht zu dem österreichischen General?«

»Zum Grafen Baillot«, entgegnete Traudchen entschlossen und verschwand eiligen Schrittes in der dunkelnden Nebengasse.

Bracht blickte ihr kopfschüttelnd nach; dann setzte er sorgenerfüllt seinen Weg fort.

Der Professor fand die Hiobsposten seiner Gattin nur zu bald bestätigt; als er in die Nähe des Rathauses gelangte, begegneten ihm Bekannte, welche durch ihre Beziehungen zu den regierenden Herren der Stadt imstande waren, die genauesten Nachrichten zu geben, und es zu bekräftigen, daß die Österreicher unter Clairfayt, bei Aldenhoven zurückgedrängt, ihren Rückzug über den Rhein in der Gegend von Neuß nähmen. Aus den fernen Gassen schallte Trommelwirbel herüber, die österreichischen Marschtrommeln, die andeuteten, daß die Truppe, welche die Stadt trotz ihres Widerstrebens hatte als Besatzung aufnehmen müssen, im Abziehen begriffen sei. Die freie Reichsstadt hatte sich aus Leibeskräften gesträubt, sich von andern deutschen Truppen als von ihrer eigenen Soldmiliz beschützt zu sehen; dumpfe Gärung war durch die Reihen ihrer tapfern und ausgezeichneten Funken gegangen, als zum ersten Male nach dem Ausbruch des Krieges österreichische Korps in die Tore gerückt waren.

Und jetzt – – wo diese Österreicher abzogen, wo eine unberechenbare, fremde, durch den Sieg trunken gemachte, von entfesselten Leidenschaften beherrschte Macht ihnen auf den Fuß zu treten drohte ... wie gern hätten da die ängstlich erregten, auf die kommenden Ereignisse voll Sorge gespannten Gemüter der auf ihre »Neutralität« so eifersüchtigen Bürger diese Österreicher zurückgehalten! Diese gutmütigen Österreicher, die sich so viel gefallen ließen, mit denen man um jedes Quartier, jede Ration, jede Gewährung sich gezankt und gefeilscht, bis man sie in kärglichem Maß den unvergleichlichen Truppen zugestanden ... den Truppen, welche, wenn sie einen ihrer würdigen Führer wie Clairfayt hatten, sich stets mit Ruhm bedeckten, die jetzt aber, wo alles sie verließ, das linke Rheinufer Deutschland nicht retten konnten.

Die nach ihnen kamen, traten anders auf; denn sie kamen in der Tat; kamen schon am andern Tage. Schüchtern und demütig bot ihnen eine Abordnung des Magistrats, die ihnen eine halbe Stunde weit entgegen gegangen, die Schlüssel der freien deutschen Reichsstadt dar. Ein jugendlicher General, ein hochgewachsener schöner Mann mit anmutigen Bewegungen und dunkeln Feueraugen, der seine Tagesbefehle mit dem Namen Championnet unterzeichnete, nahm diese Schlüssel entgegen. Er ließ es nicht fehlen an schönen Verheißungen. Dann begann der Einmarsch der Avantgarde des französischen Heeres durch die dunkeln Torwölbungen der alten heiligen Stadt, die so lange ein Kernpunkt echt deutschen Lebens, ja, die Metropole der deutschen Kulturentwicklung gewesen war, seitdem es ein Reich deutscher Nation gegeben.

Es war eine seltsame Bande, diese siegreichen Truppen der französischen Republik, welche kamen, das deutsche Kaiserreich über den Haufen zu stürzen. Zuerst rückten Jäger ein; sie sahen aus wie Mannschaften, welche einen harten Feldzug mitgemacht haben, auszusehen pflegen: abgerissen, von Wind und Wetter mitgenommen; aber sie sahen aus wie geschulte Soldaten; sie waren uniformiert, gleichmäßig bewaffnet, sie marschierten, wenn nicht in geschlossenen Gliedern, doch in einer gewissen Ordnung, ihre Hornisten vorauf. Verwundersam aber war anzuschauen, was hinter ihnen drein marschierte; lange Züge von seltsamen Menschenkindern. Es war, als ob alle Zigeuner der Welt sich auf die Wanderschaft begeben und als ob sie sich dazu ausgerüstet, indem sie alle Trödlerläden des Erdenrundes vorher ausgestohlen. Die meisten waren kleine, schwarzäugige, gelbe Gesellen; der eine mit einem dreieckigen Hut und Federbusch auf dem unternehmend dreinschauenden Spitzkopf, der andere bedeckt mit einer grauen Filzkappe; der eine in der Stallmütze, der andere mit der blauen Radmütze des baskischen Hirten; der eine im Kittel, der andere im erbeuteten blauen Uniformrock, dessen Schöße sich auf dem Marsche verspätet zu haben und erst mit einem folgenden Korps nachrücken zu wollen schienen. Kleidungsstücke, welche im bürgerlichen Leben für so unentbehrlich gehalten werden, wie Hemden, Strümpfe, Schuhe, schienen bei dieser Soldateska für abgelegte Vorurteile zu gelten; und was beibehalten, das war zerlumpt, zerrissen und geflickt. Ebenso war ihre Bewaffnung, wie der Zufall sie ihnen zugeführt, und ihr Marsch ein regelloses Durcheinander. Und doch, wenn sie auch nebeneinander liefen, wie es jedem Einzelnen gefiel, schwebte über ihren Reihen ein gewisser unsichtbarer Geist der Disziplin und Ordnung – man ahnte, daß diese nachlässig einherschlendernden Haufen auf ein ernstes Kommando im Augenblick der Gefahr sich in Blitzesschnelle ordnen und zu festen Gliedern zusammenschließen würden.

Die Bevölkerung der Stadt hatte sich in den Straßen zusammengedrängt, um dem Einmarsch dieser Heersäulen zuzuschauen. Ängstliche Spannung lag auf fast allen Gesichtern, auf einigen wenigen Freude und Triumph; noch seltener waren in dem allgemeinen Schweigen die vereinzelten Rufe: Vivent les Français! – Vive la liberté! – Vive la République! obwohl sie hier und dort vernommen wurden. Die einmarschierenden Truppen achteten nicht darauf; höchstens schienen diese Rufe die Heiterkeit zu erhöhen, welche in einzelnen Gruppen herrschte, wo die Spaßmacher und witzigen Köpfe des Zugs ihre Scherze über irgendein ihnen auffallendes Ding, die Physiognomie eines Zuschauers, das Aussehen eines schwarzen baufälligen Hauses, oder was sonst ihren Spott hervorlocken mochte, zum besten gab.

An der Ecke des Neumarkts, da, wo die Schildergasse beginnt, hatte sich eine Gruppe von Zuschauern gebildet, von denen uns einige bekannt sind.

Während nämlich die Professorin Bracht mit ihren zwei lieblichen Töchtern Haus und Laden überwachte, hatte der Professor den Auftrag bekommen, die Hut seines hoffnungsvollen Söhnchens Drickeschen zu übernehmen, der durchaus auf die Gasse hinaus und dem merkwürdigen Schauspiel beiwohnen wollte; und Drickeschen hatte den nachgiebigen Mann dem Strome nach bis zum Neumarkt gelockt. Hier hatten beide zuerst die Spitze der einmarschierenden Truppen wahrgenommen, aber die dem Professor gestellte Aufgabe, seinen unruhigen und unbotmäßigen Sohn vor Beschädigung zu hüten und in heilem Zustand nach Hause zurückzubringen, war auch hier in bedenklicher Weise erschwert worden. Drickeschen nämlich, dessen kindliche Statur nicht ausreichte, über die Köpfe der drängenden Menge fort das Schauspiel zu übersehen, welches in so hohem Grade sein Interesse in Anspruch nahm, hatte den Entschluß gefaßt, auf das Dach einer an dem Eckhause befindlichen Pumpe zu klettern. Gewiß war dieses Auskunftsmittel kein an und für sich unzweckmäßiges – es trat ihm nur der Umstand in den Weg, daß besagtes Dach bereits von einem an Körperkräften dem Brachtschen Sprossen jedenfalls überlegenen jungen Reichsbürger eingenommen war, der nicht gewillt schien, sein Recht der »frühern Okkupation« aufzugeben. Drickes kletterte wie eine Katze neben ihn, aber eine energische Armbewegung des andern warf ihn sofort wieder hinunter. Drickes schrie, der andere bohrte ihm einen Esel; Drickes eilte zu einem erneuten Sturmangriff der Position; der Professor warf sich abmahnend zwischen die Kämpfenden – da kam eine starke Männergestalt, faßte den kleinen Mann am Kragen und setzte ihn mit einem kräftigen Schwung sich auf die Schulter.

»Nu halt dich an mingem Kopp faß und setz stell«, sagte der Mann in einem vorwurfsvollen, zürnenden Tone.

»Ah, Herr Stevenberg,« rief der Professor aus, als er erkannte, wer ihm so als Helfer in seiner Not gekommen, »ich danke Ihnen von Herzen!«

»Das junge Volk will auch etwas sehen!« entgegnete der Wappenmaler und brach in ein lautes Gelächter über diese komische Eigenschaft der Jugend aus.

»Ha, der Franzos kütt, der Franzos kütt!« schrie Drickeschen jetzt laut von seiner Höhe herab, während er den kahlen Schädel des Herrn Stevenberg umklammerte und nun zum ersten Male den vollen Anblick der vorübermarschierenden Truppen hatte.

In diesem Augenblick wandte sich ein Soldat in sehr knapper und enger blauer Husarenuniform, der unter den Zuschauern vor dem Professor stand, um, und indem er diesem ein wettergebräuntes mageres Gesicht mit großem blonden Schnurrbart zeigte, sagte er:

»Wat dieses jugendliche Individuum da für einen jebildeten Dialekt besitzt! Ja, betrachte dich man den ›Franzos‹, dat du in deinen ollen Dagen davon erzählen kannst; denn dieses is nu eine höchst weltgeschichtliche Bejebenheit: der Österreicher Holter hat sich uf die Beene jemacht und looft davon, der Franzose rückt in, und hier steht der Preuße und kuckt sich mit Jemütsruhe det Schauspiel an.«

Die Köpfe der Umstehenden wandten sich sämtlich dem Sprecher zu, und der Professor fragte verwundert: »Woher kommt Er denn, guter Freund?«

»Ick? Woher ick komme? Nu, von meine Schwadron. Von die dritte Schwadron von det siebente Husarenregiment von Zitzewitz mit'n Dodtenkopp, det in Wesel steht; ich bin mit einem Befehl an unsere Werbekommandos in dat Bergische un weiter hinuf abgesandt, un da habe ick im Vorüberreiten eenmal die Nase in dieses merkwürdige olle Nest gesteckt, um mich mal anzukucken, wie der Franzose denn eigentlich aussieht. Mit die Haltung und dat Ajustement von diese Mannschaften bin ick aber nich zufrieden. Kreuzmillionenschockdonnerwetter, wenn unser olle Oberste von Zitzewitz mit'n Dodtenkopp diese Bande zu sehen kriegte – wat würde der fluchen!«

Die Umstehenden begannen über den Ton und den Dialekt, worin diese Bemerkungen gemacht wurden, laut zu lachen; als der Husar wahrnahm, daß er der Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden war, fuhr er mit großer Zungengeläufigkeit fort, seinen Zuhörerkreis durch seine Glossen über die vorbeimarschierenden Truppen zu unterhalten.

»Et is aber ooch eene janz von Jott verlassene Bande!« sagte er. »Det will Militär sind? Wenn mich solch ein Patron, wie die meesten sind, in die Straßen der berühmten Stadt Hameln bejegnete, so sagte ick: ›Dieses is also der berüchtigte Rattenfänger!‹ Hat doch der kleene schwarze Kerl da, hol' mir der Teufel, wieder eene jelbe Katze hinten uf den Tornister sitzen! Nu habe ick ihrer schonst achte jezählt von diese Tiergattung! Wat se nur dun mit det Katzenzeug! Is det 'ne Ordnung? Na, vielleicht sollen diese Beester ihnen bei det Mausen behülflich sind. Ooch jut. Und da kommt eener anjerückt, der hat eene dodige Jans uf det Bajonett jesteckt! Diese Erfindung is so übel nich – sie jefällt mich und könnte ooch bei det preußische Militär anjemessene Anwendung finden. Aber doch is et eene betrübende Tatsache, dat sich alle Zucht un Ordnung so uflösen kann ... aber nu ufjeschaut, Plantebitzel, da kommt die Kavallerie anjerückt, da kann der Unteroffizier von det siebente Husarenregiment seine Kenntnisse bereichern!«

Der Unteroffizier vom siebenten Husarenregiment hatte jedoch noch nicht drei Züge dieser neuauftretenden Waffengattung an sich vorüberziehen sehen, als er in einen Anfall ganz unbändiger Heiterkeit geriet.

»Ne, det is ja der janz richtige Templower, wie er wegen ungebührlichen Betragens an der Berliner Hauptwache uf den hölzernen Esel reitet. Det is nu wirklich eene Ergötzlichkeit anzusehen. Und diese Pferde! Det arme Biesterzeug! Na, bei diese Schwadron sollte ick Rittmeister sind ... da würden die Haselstöcke un Karbatschen im Lande deuer werden ... ick würde euch zeigen, wat striegeln is! Un da dervor looft nu der Österreicher! Ick habe immer Achtung jehabt vor diese Menschengattung, denn wat dat Riemenzeug angeht, so haben sie et immer blank und fleißig jewichst, un die Haltung is nich übel, man sieht, dat se von det preußische Militär wat gelernt und profitiert haben – aber vor diese Männekens auszukneifen, det wäre doch meiner militärischen Ehre zu nahe, det is eene unüberlegte Handlungsweise, wofür se alle miteinander ...« »Papa, Papa, süch enß!« rief in diesem Augenblick Drickeschen von seinem erhöhten Standpunkte aus, »de Jungfer Traud!«

»Wo ist die Jungfer Traudchen?« fragte der Professor.

Drickeschen glitt behende von der Schulter des Herrn Stevenberg herab, der sehr bereitwillig seiner ersten leisen Andeutung, von dem Hochsitz herunter zu wollen, nachgegeben hatte, denn dem Wappenmaler begann die Last nachgerade schwer zu werden – und behende wie ein Kobold wand Drickeschen sich durch die dicht stehenden Menschen, um nach wenig Augenblicken Traudchen, die er am Kleide gefaßt hielt, herbeizuzerren, obwohl sie wenig Lust zu haben schien, ihm zu folgen.

Das junge Mädchen sah aufgeregt und wie von Eile gerötet aus.

»Traudchen,« rief der Professor, »wohin so eilig?«

»Ich will fort, Herr Professor!«

»Fort? Wohin? War Sie bei dem General?« erwiderte Bracht, indem er seine Stimme zum Flüstern dämpfte.

Ich konnte nicht mehr zu ihm gelangen«, antwortete sie in demselben Tone. »Er stand im Begriff, den abgezogenen Truppen nach abzureisen.«

»Und der Ripperda ...«

»Gott sei Dank,« fiel Traudchen tief atmend ein, »er ist in der vorigen Nacht auch auf und davon – der Frau Zappes hat er gesagt, die Franzosen schössen jeden Emigranten tot, den sie trafen, darum hat er es so eilig gehabt.«

»Und Sie, Traudchen, will nun wirklich fort, um Hubert Bender aufzusuchen?«

»Ich will, noch heute«, antwortete sie lebhaft und entschlossen. »Ich habe eine vortreffliche Reisegesellschaft getroffen, eine zuverlässige Frau, die den österreichischen Truppen nachzieht und mich mit sich nimmt – als Marketenderin. In Deutz wartet sie auf mich – ich bin im besten Schutz – wir reisen zusammen ins Süderland ...«

»Herjes, rief hier der preußische Husar, der das hübsche Mädchen mit großem Wohlgefallen und seinen Schnurrbart streichelnd betrachtet hatte ... »von Reisen ins Süderland redet diese charmante Demoiselle, na, da nehmen Sie mir man als ufmerksamen und galanten Chapeau mit, da will ick ja justement ooch hin!«

Traudchen warf einen flüchtigen Blick auf ihn, dann reichte sie Bracht die Hand und sagte: »Leben Sie wohl, Herr Professor, ich muß eilen und den Augenblick benutzen, der Ohm Gymnich ist drüben auf dem Neumarkt in voller Tätigkeit, mit seinen Genossen einen Freiheitsbaum aufzupflanzen. So kann ich ungestört von ihm meine wenigen Sachen zusammenpacken. Leben Sie wohl – haben Sie keine Sorge um mich!«

Bracht erwiderte warm den Druck ihrer Hand und schaute ihr bewegt nach, als sie rasch im Gedränge verschwand.


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