Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Als Katharinens Reisewagen etwa die Mitte des Hanges erreicht hatte, über dem Hohenkraneck lag, sah sie eine leichte und schlanke Gestalt den Berg herabschreiten, die nach wenigen Augenblicken ihren mühsam emporklimmenden Pferden zur Seite war und überrascht stehen blieb, um die Equipage anzuschauen. Es war Abend geworden und begann zu dunkeln, aber sie erkannte auf der Stelle Bernhard. Ein rascher Ruf gebot dem Bedienten auf dem Bocke, halten zu lassen; dann sank sie so ergriffen in die Wagenecke zurück, daß sie sich unfähig fühlte, sich zu erheben, um auszusteigen. Bernhard trat an den Wagen; er glaubte ihre Stimme erkannt zu haben; zitternd streckte er die Hand aus, um den Schlag aufzureißen; dann überkam ihn ein Gefühl, als ob er davonlaufen müsse. Es war zu spät; der Bediente öffnete und half der Dame auf ihren Wink aus dem Wagen. Als sie am Boden stand, wankten ihre Knie, daß sie sich an der Schulter des Lakaien aufrechthalten mußte. Aber früh daran gewöhnt, in jeder Situation sich zu beherrschen, faßte sie sich und sagte tonlos: »Fahrt nur hinauf; ich werde nachkommen, wenn ich mit diesem Herrn gesprochen habe; meldet Herrn von Kraneck, daß ich ihn um seine Gastlichkeit für eine Nacht ansprechen müsse, weil ich kein andres Unterkommen wisse.«

Bis der Wagen wieder in Bewegung gesetzt war und sich aus dem Gehörkreise entfernt hatte, standen beide in stummer Verlegenheit und schauten nach, als ob es nichts Seltsameres für sie in der Welt geben könne, als eine von vier Pferden fortbewegte Reisekalesche; dann flüsterte Bernhard, während sein Atem stockte und mit Mühe ihn die Worte hervorbringen ließ: »Sie sind es, Sie hier?«

»Und das macht Sie staunen, daß Sie keine Worte finden?«

»Muß es das nicht?«

»Glaubten Sie sich am Ende der Welt geborgen? Freilich haben Sie alles mögliche getan, um es mich denken zu lassen. Sie waren verschwunden, spurlos, keine Silbe, keine Zeile beruhigte mich über Ihr Geschick!« Katharina sprach diese Worte mit einiger Heftigkeit im Andenken an das, was Bernhards Verschwinden sie hatte leiden lassen. Beiden aber wurde noch beklommener zumute, als zuvor. Beide hatten sich oft mit Zweifeln an des andern Liebe gequält, aber dennoch im Innersten ihres Herzens ein Wiedersehen nur von den Ausbrüchen stürmischen Entzückens begleitet denken können. Und nun die kalte, trockene Weise, die es annehmen zu wollen schien!

»Hatten Sie Ihre Freundin vergessen?« fuhr Katharina fort, als Bernhard stumm blieb.

Er reichte ihr den Arm, weil der Bergweg, den sie hinunterzuwandeln begannen, uneben und steinig war; als sie den ihren darauf legte, durchrieselte sie ein Gefühl, das ihr bisher fremd gewesen – als ob sie zerschmelzen müsse.

»Ich hatte Sie nicht vergessen«, antwortete Bernhard, »aber ich glaubte, ich müsse es; ich war auf dem Wege zu Ihnen, ich wollte meinen Kummer Ihnen klagen und hoffte Erleichterung von Ihrem Versprechen, auch in der Ferne Ihre Teilnahme mir folgen zu lassen. Und gerade als meine Gedanken nichts andres in der Welt kannten als Sie, während alles Leben meiner Seele nur Sie waren – da kamen Sie an mir vorüber, als ob Sie kaum mich kannten, als gäbe es nicht zwei fremdere, durch das Leben weiter auseinander geworfene Personen denn wir. Die Pflicht – vielleicht auch der Stolz sagten mir, ich müsse Sie vergessen.«

»Und Sie haben es getan?«

»Nein, ich habe es nicht gekonnt, auch nicht gewollt; von Ihnen konnte ich mich entfernen, aber von der Erinnerung an Sie – ich habe zu wenig im Leben, um das zu vergessen, von dem auch nur ein Traum mir einmal sagte, daß ich einen Teil davon besitze.«

»Bernhard, Sie machen mir Vorwürfe, die Sie bereuen würden, wenn Sie wüßten, wie schmerzlich, wie heftig ich jenen Jagdmorgen verwünscht habe, an dem mich eine Einladung des Kurfürsten, der das Jagdgebiet unsres Stiftes zum Schauplatz seines ritterlichen Vergnügens ausersehen hatte, zwang, seinem Trosse zu folgen. Es war unmöglich, den Wunsch des Fürsten abzuschlagen; so schloß ich mich dem Zuge an, mit trübem Mut, ohne Lust; als ich Sie jedoch an der Buche stehen sah, freute ich mich und fühlte mich stolz, daß Sie Zeuge wurden, wie gut ich ein Roß – nun, es war eine kleine Eitelkeit, die ich bitter gebüßt habe. Ihr spurloses Verschwinden hat mir viel, viel Kummer gemacht!«

»Katharina«, sagte Bernhard, »ich weiß nicht, welcher Zufall Sie hierher führt und nach kurzer Zeit weiter führen wird; aber ich will ihn benutzen, um einmal das auszusprechen, was mir das Herz abdrückt, wenn ich stumm damit ins Grab fahren soll – ich habe Sie lieber als alles auf der Welt, als meine Mutter, als Gott, glaube ich; ich sterbe aus Liebe zu Ihnen!«

Bernhard legte, seiner nicht mächtig, die Stirn an ihren Busen und schlang seinen Arm um ihren Nacken, als er tonlos diese Worte gestammelt hatte.

»Und ich lebe für Sie!« sagte Katharina lächelnd und weinend zugleich, indem sie zurücktrat und seine beiden Hände erfaßte, »aber Sie haben es mir schwer gemacht! Wollen Sie es nicht mehr tun, wollen Sie jetzt ganz, ganz – Bernhard!« rief sie aus und warf sich mit stürmischer Heftigkeit an seine Brust, in einer Bewegung, die nur durch einen Strom von Tränen sich Luft zu verschaffen wußte. »Ja, Sie müssen mich liebhaben, Sie sind mein alles, mein Blut, mein Herz, der Atem meiner Seele.«

Bernhard faßte ein Schwindel an, als er ihre schlanke Gestalt, in seinen tiefsten Nerven erzitternd, an sich drückte. Das Blut pochte durch seine Adern, als wolle es an den Schläfen sie zersprengen. Sie lag wie ein willenloses, stammelndes Kind in seinen Armen und ließ ihn die ganze Seligkeit des Besitzes und all die stolze Freude fühlen, die wir empfinden, wenn zum erstenmal in wunderbarer Metamorphose die eigentliche Psyche des Weibes sich vor uns aus der gewohnten Hülle entpuppt und die ätherischen Flügel ihres Gefühls auseinanderschlägt. Was sie weiter gesprochen, gelispelt und gekost, ist nicht für uns gesprochen worden. Als sie endlich zum Schlosse hinaufgingen, erzählte Katharina Bernhard alle Umstände, die auf ihre Entdeckung Bezug hatten. Das Geständnis der alten Margret machte einen Eindruck auf ihn, der, wenn er nicht an diesem Abende gekommen, ihm kaum zu ertragen gewesen wäre; er war eben auf die Höhe des Daseins hinaufgehoben worden und mußte gleich darauf einen Blick in seine grauenhaftesten Tiefen werfen; das Leben schien sich um ihn aus seinen Angeln loszureißen und plötzlich, wie von einer ungeahnten Gewalt ergriffen, in tollen Wirbeln zu drehen; aber Katharina ließ ihm nicht Zeit, diesen Empfindungen nachzuhängen; sie schien ihm wie ein Engel darüber zu schweben, der ihm die rettende Hand reichte.

Von den Bewohnern des Schlosses oben empfangen, wußte Katharina ihr Erscheinen so gut zu motivieren, als es gehen wollte, ohne Herrn und Frau von Kraneck ganz in das Geheimnis einzuweihen, das wohl entdeckt war, dem aber noch die eigentlichen Belege fehlten. Um diese zu bekommen, hoffte Katharina auf den Schutz des Kurfürsten und ein gerichtliches Verfahren. Bernhard hatte beschlossen, gegen den Prätendenten seines Namens eine summarischere Prozedur einzuleiten.


 << zurück weiter >>