Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

»Zieh die Vorhänge zurück,« sagte Katharina von Plassenstein am andern Morgen zu ihrem Kammermädchen und schlug ein Buch auf, das vor ihr lag; es war ein Band von Montaigne. Die Vorhänge von gelber chinesischer Seide mit roten und weißen Blumen rauschten zurück; das Tageslicht fiel hell in das Zimmer und glänzte auf dem schwarzen Lack des Tisches, auf den Katharina den Arm stützte. Sie betrachtete die Platte desselben, auf der goldene Malereien eine chinesische Landschaft mit einer Gruppe Mandarinen darstellten; dann die hellblaue Blumenvase vor ihr, die den Mangel eines Straußes durch die abenteuerlichsten Gewächse und Rankenverschlingungen ersetzen zu wollen schien, die in roter Farbe mit der Glasur eingebrannt waren. Dann ließ sie ihr Auge auf die Supporte gleiten, ein ziemlich wertvolles Oelgemälde in französischem Geschmack mit einem kraus verschnörkelten Rahmen als Stukkatur umher.

»Nein,« sagte sie, vor sich hinflüsternd; »hier doch wenigstens etwas Mythologisches zur Abwechslung; eine fliehende Najade und ein Faun; nun es paßt auch. Sonst alles chinesisch; sind es die Künstler, die sich damit über ihre Zeit lustig machen wollen, oder ist dieser Geschmack von einer innern Wahlverwandtschaft eingegeben? Die Menschen werden immer chinesischer: steif, egoistisch, eingeknöchert; die Sitte bis zur Verzerrung in Unnatur verfallend; der einzige Unterschied ist, daß man bei uns den Zapf im Nacken trägt und die Chinesen ihn auf dem Wirbel tragen.«

»Ziehe die Vorhänge wieder zusammen, Leonore; es fällt ein unerträglich grelles Licht ins Zimmer.«

Das Zimmer wurde wieder in eine lichte Dämmerung gehüllt und Katharina erhob sich und schritt auf dem Hautelisseteppich hin und her. Ihre Züge zeigten etwas Abgespanntes; sie war blässer geworden; aber was ihre Schönheit an Glanz verloren haben konnte, war mehr als ersetzt durch den Ausdruck gedankentiefer Sinnigkeit, der sich bis zu einem auffallenden Grade in ihrem Gesicht ausgebildet hatte. Zuweilen nur schien die stolze und fast marmorne Ruhe ihrer Züge von einer inneren Bewegung gefährdet zu werden; ihre Augen bekamen dann etwas Unstetes, die Lider zwinkerten, und sie blieb einige Momente stehen, als sähe sie im Geiste ein Hemmnis vor sich, das ihren Schritten Einhalt geböte. Gleich darauf aber trat sie rascher und heftiger wieder über die Köpfe der holländischen Bauernhochzeit fort, die unter ihren Füßen ihre grotesken Tanzkünste zeigte.

Der Freiherr von Driesch wurde gemeldet. Als ihm hinterbracht worden war, daß sein Besuch ein willkommener sei, schritt die freundliche und bewegliche Gestalt des ältlichen Herrn über die Schwelle; mit den Manieren einer jetzt schon verschollenen Etikettenperiode, die vor allen Dingen eine sehr große Ergebenheit an den Tag zu legen geeignet waren, machte er der Dame seine Reverenz und küßte ihre Hand.

»Ich freue mich außerordentlich, Sie so wohl zu sehen, Herr von Driesch,« sagte Katharina; »Sie müssen sich in der Residenz verjüngt haben, oder ich habe Ihnen früher unrecht getan, wenn ich Sie für einen Herrn über vierzig hielt.«

»Vierzig? Dafür haben Sie mich gehalten?«

»O, Sie sind es gewiß noch nicht; bitte, lassen Sie sich nieder; aber ich glaube, es ist die Poesie, die ihren Geweihten eine ewige Jugend beschert.«

Es gab nichts in der Welt, was Herrn von Driesch angenehmer zu hören gewesen wäre.

»Glauben Sie, meine Gnädigste,« sagte er, mit Mühe ein Lachen unterdrückend, das als Ausbruch seines Vergnügens sich laut machen wollte; »nun ja, ich habe mich ziemlich geschont.«

»Aber weil wir darauf gekommen sind, wollen Sie nicht einmal eine von Ihren Arbeiten Ihren Freunden mitteilen? Wollen Sie ewig die Hippokrene, die so reichlich bei Ihnen sprudelt, neidisch ummauert halten und uns Laien den Zugang wehren?«

»Nun, meine kleine Hippokrene vermischt ihr Gewässer mit den stolzen Fluten der Pegnitz, deren Musageten, für die Kundmachung sorgen zu wollen, mir versprochen haben. Freilich, sie lassen mich ziemlich lange warten. Aber ich mag meine Sachen nicht selbst drucken lassen; die Typographie ist eine Kunst, welche sehr im Sinken begriffen ist; wo sind die Christoph Plantin, die Elzevir, die Stephanus der guten alten Zeit! Soll ich meinen Versen ein Gewand geben lassen, daß sie aussehen, wie eine, alte Chronik auf holländischem Tabakspapier?«

So wenig in Abrede gestellt werden kann, daß dies für die sämtlichen Werke des säuberlichen Herrn allerdings keine passende Ausstattung gewesen sein würde, so war doch noch ein andrer Grund da, aus dem Herr von Driesch sie noch nicht zum Drucke befördert hatte: bis jetzt war nämlich noch keins dieser schmierigen, auf holländisches Tabakspapier druckenden Subjekte, die von Herrn von Driesch mit dem Antrage beehrt worden waren – es waren ihrer eine ganz ansehnliche Zahl – auf den gescheiten Einfall gekommen, durch die Uebernahme der klassischen Produkte des Pegnitzschäfers sich einen unendlichen Reichtum und ihrer Firma für ewigen Zeiten einen ganz ausgemacht unsterblichen Namen zu erwerben– ein Betragen, das Herrn von Driesch vollständigst zu der Annahme berechtigte, daß sie alle Esel seien.

Dagegen fand er in diesem Augenblicke es unbegreiflich, wie er nicht früher schon die nähere Bekanntschaft der Dame gesucht habe, die jetzt, gewiß durch ihre Bewunderung seines Talentes gedrängt, so zuvorkommend die ersten Schritte dazu eingeleitet hatte und einen so außerordentlich gebildeten Geschmack verriet. Er erklärte sich deshalb ganz geneigt, seine Uebersetzung des ersten Buches von Vergils Landbau und einige Proben seiner anakreontischen Studien Fräulein von Plassensteiri im Manuskripte mitzuteilen, die er zufällig, ganz zufällig in seiner Rocktasche hatte. Das Fräulein nahm sie mit vieler Grazie an. Als Herr von Driesch jedoch nach seiner Brille suchte, um das, was er die schönsten und gelungensten Stellen nannte, ihr vorzulesen, sprang sie auf einen andern Gegenstand der Unterhaltung ab und sagte: »Wie fatal und verdrießlich muß es doch für einen Herrn von Ihren Verdiensten sein, sich in einer so gefährlichen als unpassenden Lage zu befinden; es tut mir wirklich in der Seele leid, Herr von Driesch, wenn Sie mir anders die Teilnahme vergönnen, die mich drängt, Ihnen dieses auszudrücken.«

»Was? in einer gefährlichen Lage? ich?« rief Herr von Driesch erschrocken und verwundert.

»Nun ja, gefährlich kann man es wohl nennen, denn Herr von Schemmey soll sein Florett mit einer bewunderungswürdigen Gewandtheit führen.«

»Aber um des Himmels willen, was hab' ich mit dem Florett des Herrn von Schemmey zu schaffen?«

»Ist Ihnen das Kartell noch nicht zugekommen, so werden Sie es wahrscheinlich bei Ihrer Heimkunft vorfinden.«

»Ein Kartell? Sagen Sie in der Tat ein Kartell? Ich soll mich schlagen?«

»Nun ja!«

»Ich, ein Mensch wie ein Lamm? Mein Gott, mein Gott,« sagte Herr von Driesch ängstlich, »das ist ja abscheulich! Nein, das ist gegen göttliche und menschliche Gesetze; nimmermehr! nichts soll mich zwingen, wissentlich ein Gebot zu übertreten, das mir von Jugend auf heilig gewesen ist. Ich schlage mich nicht!«

Er sprang mit den Gestikulationen der äußersten Entrüstung von seinem Stuhle auf.

»Beruhigen Sie sich; Sie können sich ja auch schießen, wenn Sie das vorziehen.«

»Vorziehen? Ich ziehe nichts vor, weder das Schießen, noch das Stechen, noch das Schlagen; es ist wider meine Grundsätze, ich tu' es nicht, und nun will ich sehen, wer mir nahe kommt!«

»Es wird Ihnen nichts helfen; Sie haben seine Braut am gestrigen Abend zu öffentlich, zu eklatant beleidigt.«

»Ah, das ist der Grund! so, so; nun, meinetwegen; Alfanzereien; wenn ich nur nicht abreisen müßte. Ich werde noch heute die Stadt verlassen, denn ich habe sehr dringende, in der Tat ganz außerordentlich dringende Geschäfte auf meinen Gütern abzumachen; ja, ich muß mich wirklich bei Ihnen beurlauben – ich bedauere auf das tiefste–«

Herr von Driesch suchte nach seinem Hut, als Katharina ihn unterbrach: »Herr von Driesch, geben Sie doch um Gottes willen unsrer mokanten Gesellschaft die Blöße nicht; fügen Sie Ihren Freunden nicht diese Schmach, diese tiefe Beschämung zu, wenn es hieße, Sie seien davongelaufen!«

»Davongelaufen?« sagte Driesch mit sanfter Stimme und resigniertem Gesicht, während seine Brust schmerzhaft Atem holte wie ein Mensch, der seines Elends keinen Rat weiß und sich mit gebrochener Kraft darein ergibt. »Ich glaube, daß keiner, der mich kennt, das sagen würde,« fuhr er dann mit Würde fort.

»Ganz unfehlbar! – Setzen Sie sich wieder und hören Sie mich; ich vermag vielleicht etwas über Herrn von Schemmey.«

»Ja, man sagt, er habe Gnade vor Ihren Augen gefunden,« versetzte Driesch mit derselben kläglichen Milde, indem er galant zu lächeln versuchte, was ihm einigermaßen mißglückte.

»Ich will Sie aus der Klemme reißen, in der Sie zwischen den Vorurteilen der Gesellschaft und Ihren eignen, so achtungswürdigen Grundsätzen stecken; aber Sie müssen eine Bedingung eingehen?«

»Und die lautet?«

»Sie müssen sich in Fräulein Josina von Katterbach verlieben.«

»In die Katterbach? o ja, bis zum Sterben; denn ich werde das Gallenfieber bekommen, wenn ich sie sehe. Und dann?«

»Es kommt darauf an, daß Sie ihr völliges Vertrauen erringen.«

»Das möchte schwer halten; ich habe sie beleidigt, bin der Feind ihrer Familie und ein Mann, der gewiß ihren jugendlichen Bräutigam nicht verdrängt.«

»Ganz abgesehen von Ihren glänzenden Verdiensten, Herr von Driesch, kann nichts leichter sein als dies. In der Stimmung, in welche Fräulein von Katterbach die Aufmerksamkeiten des Herrn von Schemmey für mich versetzt haben, wird sie jeden Anbeter aufnehmen, wie ein Schiffbrüchiger die Planke, die ihn vor dem Ertrinken rettet, Glauben Sie mir das. Ihr Bräutigam – nun sie wird ihn bald völlig ihr geraubt glauben; sie wird dann keine Rücksichten mehr kennen; sie wird, wenn Sie geschickt sind, Ihnen alles anvertrauen, was Sie über Schemmey weiß; und das ist, was ich von Ihnen wieder zu erfahren hoffe. Herr von Schemmey spielt den Verschlossenen, was sein früheres Leben angeht; ich verzweifle daran, etwas aus ihm herauszubringen. Und doch, wie Sie begreifen werden, Herr von Driesch, gibt es Verhältnisse, bei welchen man seinem Stande und seinem Rufe schuldig ist, die größte Besonnenheit anzuwenden, bevor man sich zu tief einläßt. Sie werden mich verstehen.«

»Ich verstehe Sie vollkommen; aber erlauben Sie mir die gehorsamste Bemerkung, daß Sie mich da zu etwas machen, das einem Spion ganz abscheulich ähnlich sieht.«

Katharina errötete: »Sie haben nicht ganz unrecht, mir den Vorwurf zu machen. Aber bei Gott, ich weiß mir anders nicht zu helfen und ich habe ein Ziel im Auge, das gewiß ein gutes ist und von dem mein Lebensglück abhängt. Also wählen Sie, Herr von Driesch; entweder das Florett des Mars oder den Blumenpfeil Amors.«

Herr von Driesch erklärte sich entschieden für den Blumenpfeil Amors.

»So gehen Sie, zuerst Fräulein Josina Abbitte für Ihr gestriges Betragen zu leisten; damit ist die Bekanntschaft eingefädelt; ich schreibe unterdes einige Zeilen an Herrn von Schemmey.«

»Aber zuvor muß ich noch um einige nähere Instruktionen bitten, worauf ich eigentlich meine Fragen bei Fräulein Josina richten soll.«

»Fragen? Um Gottes willen, so weit sind wir noch nicht; verderben Sie nur nicht alles damit; die größte Behutsamkeit ist nötig, und erst nach Wochen des emsigsten Ritterdienstes, der unermüdlichsten Galanterie dürfen Sie es in zärtlicheren Tete-a-tetes zu ernsthafteren Unterhaltungen kommen lassen.«

»Gnädiges Fräulein,« sagte Herr von Driesch mit einem komischen Ausdruck unangenehmer Ueberraschung, »ich will doch lieber noch heute abreisen.«

»Nein, nein, das dürfen Sie nicht, und was hülfe es Ihnen? Herr von Schemmey würde Sie auch auf Ihren Gütern zu finden wissen; ich selbst würde ihn auf das bestimmteste dazu auffordern, damit dem verehrtesten meiner Freunde nicht nachgesagt werden könnte, er sei feig vor einem Duell durchgegangen.«

»Alle Achtung vor Ihrer Freundschaft,« fiel Herr von Driesch ängstlich ein, »aber –«

»Sie sind gefangen, ergeben Sie sich. Ich will Ihnen jetzt sagen, welches die Gegenstände sind, die ich zu erfahren wünsche. Zuerst, wo Herr von Schemmy war, in den letzten Tagen, bevor er nach Diependahl kam; dann, weshalb er so rasch ein Verlöbnis mit Josinen eingegangen ist, die er nicht liebt; ferner, ob er nicht auch ohne eine Heirat mit ihr die Ansprüche, welche sein Name auf die Güter des Herrn von Katterbach ihm gibt, durchsetzen könnte, und endlich womit er diese Ansprüche beweist. Näheres besprechen wir später. Nur das zwingt mich, meine Achtung und meine Teilnahme für Sie, Herr von Driesch, Ihnen noch anzudeuten, daß ich durchaus nicht im Sinne habe, Sie bloß zu meinem Werkzeuge zu gebrauchen; sondern daß ein gewisser Plan, zu dem Sie mitwirken sollen, wenn er gelingt, Ihnen eine eklatante Genugtuung, Ihrem Feinde, dem Freiherrn von Katterbach gegenüber, verheißt. Verlassen Sie sich darauf, aber fragen Sie nicht weiter.«

Diese Andeutung gab Herrn von Driesch einen Sporn, der ihn rasch erheben ließ, um mit dem größten Interesse seine Mitwirkung an einem so willkommenen Plane einzuleiten. Nur hätte er erst gern etwas Näheres erfahren. Aber das Fräulein lehnte seine Fragen mit großer Entschiedenheit ab.

»Nur noch eins,« sagte sie, als er sich empfehlen wollte; »Sie haben mich vor längerer Zeit bei der Gräfin S., als die Rede von seltsamen Ereignissen und unerklärlichen Erscheinungen war, mit Ihrem Vertrauen in einem derartigen Falle beehrt. Sie erzählten von einer Gestalt, die vor Ihren Augen, aus dem Kamine schlüpfend, ein verborgenes Schubfach in Ihrem Saale geöffnet habe und dann verschwunden sei. Ist Ihnen in der Residenz niemand begegnet, niemand aufgefallen, dessen Aeußeres Sie an jene Erscheinung erinnert hätte?«

»Nein, niemand.«

»So bitte ich Sie, acht darauf zu haben, ob sich Ihnen diese Erinnerung nirgends aufdrängen wird; ob auch nicht bei den Domestiken des einen oder andern Ihrer Bekannten. Seien Sie scharfsichtig!«

Herr von Diersch versprach es, obwohl er den Grund nicht einsehen konnte, und beurlaubte sich dann mit dem Versprechen, am andern Tage wieder aufzuwarten, um das Urteil der Dame über seine Poesien zu vernehmen, ein Gegenstand, den der Verfasser derselben über der späteren wichtigen Verhandlung durchaus nicht aus den Augen verloren hatte und der ihm den Vertrag um so willkommener machte, kraft dessen er der übereilten Flucht aus der Residenz überhoben war.

Er war kaum gegangen, als dem Fräulein von Plassenstein eine unbekannte Person gemeldet wurde, die sie dringendst zu sprechen verlange. Bevor wir dieselbe jedoch bei ihr einführen können, muß unsre Erzählung einige Ereignisse nachholen, die sich schon vor mehreren Monaten, noch im Spätherbst des verflossenen Jahres, während wir schon den Frühling ins Land ziehen sahen, in dem stillen Dörfchen Kraneck begeben hatten.


 << zurück weiter >>