Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Siebentes Kapitel

In dem Wohnzimmer zu Diependahl, wo die bestäubten Ahnenbilder hingen, hatten der lange Jagdjunker Philipp sich halb auf den gebohnten Klapptisch gesetzt und ließ eines seiner Beine in vergnügter Stimmung hin und her baumeln, während das andre den Teil seines Körpers stützte, den der Tisch nicht trug. Der anmutige junge Mann war damit beschäftigt, seine Base Josina zu necken, die sanftmütig genug war, keinen seiner derben Scherze übel zu deuten.

»Ach, wie wird es hübsch sein!« sagte sie, ihre Filetarbeit fortwerfend und sich in die Sofaecke zurücklehnend, »O kommen Sie, setzen Sie sich hierher; hören Sie nur, welches Leben das sein wird: immer abends, wenn Sie von der Jagd zurückkommen, finden Sie Ihr Zimmerchen voll der schönsten Blumen und Ihren Meerschaum ganz blank und glänzend daneben; alle Pfeifen sind gestopft; wenn es kalt ist, dann hänge ich Ihren Schlafrock an den Ofen, daß er ganz, ganz warm ist, wenn Sie kommen.«

»Und die Pantoffeln?« sagte Philipp lachend.

»O, für die werd' ich auch schon sorgen. Die Zeitung les' ich Ihnen vor.«

»Wenn ich sie hören mag.«

»Ja und das alte Klavier lassen wir stimmen – o ich spiele so hübseh, wenn Sie's nur einmal anhören wollten.«

»Aber jeden Abend muß Juno ihren Pfannkuchen und ich Reisbrei haben!«

»Jeden Abend, Philipp!«

Sie sprang auf und umarmte ihn. »Wir wollen leben wie Bruder und Schwester zusammen!«

Philipp lachte in toller Freude laut auf, drückte seine unschuldsvolle Braut an sein Herz und tanzte mit ihr zweimal im Zimmer umher.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür und beiden unerwartet – denn noch nicht die halbe Zeit seiner Nachmittagsruhe war verflossen – trat der Hofrat ins Zimmer.

»Alle Teufel, welche Wirtschaft ist das! Ruhe da! Hier, lest einmal!«

Der Freiherr von Katterbach machte ein Gesicht, auf dem sich ein ungemessener Zorn spiegelte. Er warf ein Papier auf den Tisch. »Da, lest einmal! Nein, nun wird's mir zu toll, meiner Seel! Ich, ein Mörder! Den Hals will ich dem Schuft umdrehen!«

Josina ordnete ihren etwas zerrütteten Anzug wieder und las das Papier. Es war die Insinuation der von Driesch eingereichten Klage mit der Vorladung des Freiherrn von Katterbach vor sein zuständiges Forum, um sich wegen des angeschuldigten Mordversuchs und Landfriedensbruchs zu verantworten, sub poena manu forti vorgeführt zu werden.

Philipp und Josina fühlten einigen Schrecken bei den gefährlich lautenden Phrasen; aber Katterbach, der mehr damit vertraut war, fühlte nur Ingrimm gegen den Kläger.

Nachdem er ausgetobt hatte, setzte er sich in die Sofaecke und ließ eine Weile schweigend seine blauen Augen rollen. Dann sprang er auf und sagte: »Nein, so soll's ihm nicht hingehen! Philipp, komm mal mit.« Er ging hinaus, Josina hörte sie darauf im Vorzimmer zusammen sprechen; endlich lachte Philipp, wie er noch nie gelacht und dann sah sie beide über den Hof in einen Speicher gehen. Nach einer Weile bewegte sich erst Philipps, dann Katterbachs Kopf an einer Dachluke des Bodenraums vorüber; später kamen sie wieder heraus, und Philipp trug einen ausgespannten Sack, in dem irgendein umfangreiches Instrument stecken mußte, denn er war an einigen Stellen wie von inneren Reifen ausgespannt. Philipp ging damit auf sein Zimmer, holte Hammer, Nägel und eine Schale mit Oel dazu und schloß sich dann ab, worauf man ihn hämmern und raspeln hörte. Der Hofrat sagte, er wolle noch den Abend nach Düsseldorf abreisen, obwohl der in der Ladung anberaumte Termin erst nach vierzehn Tagen eintraf. Er machte sogleich Anstalten dazu, ließ zwei Pferde satteln und ein drittes für einen Reitknecht, und als es dämmerte, ritten er, Philipp, der seinen Sack hinter sich hatte, und der Knecht zum Hofe hinaus.


Am Abende des zweiten Tages nachher saß Herr von Driesch wieder allein der alten Margret gegenüber am Herdfeuer der Küche auf Bechenburg. Er hatte Bernhard, ihren Sohn gebeten, seinem Johannes eine Lektion im Lateinischen zu geben; sie saßen oben auf seinem Zimmer. Die Domestiken hatte er hinausgeschickt, und nachdem Lene, das Küchenmädchen, einen neuen Bündel Reisig auf die Flamme gelegt hatte, war auch sie fortgewiesen. Margret hatte einen Haspel auf ihre Knie gestellt und wand Garn auf.

»Hört mal, Frau Fahrstein,« hub Herr von Driesch leise an, »da ist diesen Morgen ein wunderliches Subjekt bei mir gewesen.«

»Unser Herrgott hat viel wunderliche Kostgänger«, sagte Margret.

»Ja, aber dieser war, befürcht' ich, jemand anders, als des lieben Herrgotts Kostgänger. Er war ein Schatzgräber.«

»So,« versetzte Margret ohne Teilnahme; »was wollte der hier?«

»Er sagte, er habe einen Schatz gefunden, hinter dem Busch am Teigenkamp.«

»Weshalb hebt er ihn nicht?«

»Ja, das ist mir auch eingefallen, Margret; aber er sagt, er sei ein alter schwacher Mann, der nicht allein Kraft genug dazu habe; und wenn er's einem hier herum anvertraue, der stärker sei als er, laufe er Gefahr, daß der alles nehme und statt seines Parts ihm eine Tracht Prügel gebe. Und das ist auch wahr; alt und schwach schien mir der Mensch. Er wollte, ich sollt' ihm helfen, weil er wisse, daß ein Kavalier nicht einen armen Schelm um das Seine bringen würde.«

»So?« sagte Margret gedehnt; »und wollt Ihr denn hin, Ew. Graden?«

»Ja, Margret, das wollt' ich wohl, ein Schatz ist nicht alle Tage zu finden; aber des Nachts, so allein – seht, Margret, Ihr wißt so allerlei; ich dachte, ob Ihr nicht auch ein Mittel hättet, bei Tage die Stelle zu finden; dann könnt' es ohne Gefahr abgehen.«

Margret schwing.

»Habt Ihr keine Wünschelrute?«

»Da hinterm Bauchfang liegt noch eine alte,« sagte sie.

»Ei, so wären wir ja fertig; wollt Ihr morgen mit mir den Teigenkamp entlang gehen?«

»Herr, ich bin eine alte Frau, und das Gehen wird mir sauer.«

»Aber es soll Euer Schade nicht sein; ein Zehntel, ein Fünftel wollt' ich sagen –«

»Ew. Gnaden, Ihr braucht kein Geld, und ich hab's gerade auch so nötig nicht. Laßt den Schatzgräber sehen, wie er fertig wird.«

»Ihr wollt nicht, Frau Fahrstein?«

»Herr, man kann dabei auf allerhand Dinge stoßen und etwas anderes finden, als wonach man ausgegangen Ist. Laßt's unterwegs.

Frau Fahrstein haspelte schweigend weiter, und Herr von Driesch schaute in unheimlicher Stimmung und mißvergnügt die Schatten an, die über die Wand flogen; es war so still in der weiten Küche, daß jeder aus der Holzflamme sprühende Funken wie ein lauter Schall hineintönte.

»Margret,« fragte der Gutsherr nach einer Weile, »wißt Ihr nicht ein Mittel, sich unsichtbar zu machen? Dann könnte man's immer wagen!«

»Was meint Ihr, was ich wär', Ew. Gnaden?« fuhr Margret auf.

»Eine kreuzbrave Frau, die lange gelebt hat und die Augen offen gehalten hat. Dann lernt sich manches.«

»Wißt Ihr, was dazu gehört, sich unsichtbar zu machen?«

»Nein, Margret, deshalb frag' ich.«

»So will ich's Euch sagen. Ihr müßt –« sie stockte einen Augenblick, dann faßte sie sich und sprach leise weiter: »Ihr müßt sieben Herzen von ungeborenen Kindern essen; die müßt Ihr tot gemacht haben, nun ja, das freilich, sonst könntet Ihr's nicht, aber die Kinder müssen Eure eigenen sein.«

Der Gutsherr zwinkerte mit den Augen wie ein schläfriger Raubvogel; dann schüttelte er sich und rückte seinen Stuhl einen halben Schritt von Margret weiter fort.

»Man kann auch nebenbei sich ein Mittel machen, wenn man nachts in ein Haus gehen will, daß niemand darin aus dem Schlafe aufwachen kann, so lange man will. Man braucht nur den Talg von einer der Kinderleichen zusammenzuschmelzen und eine Kerze daraus zu gießen; so lange die brennt, wacht niemand auf. Was man dabei sagen muß, sind wunderliche Worte; aber ich habe mich nie um solche gottlose Dinge viel gekümmert.«

Margret warf einen verstohlenen pfiffigen Blick auf den Gutsherrn; dieser vermochte nicht mehr seine Augen von ihrem Gesicht zu wenden. »Leibhaftiger Satan!« murmelte er. Margret drehte immerzu ruhig ihren Haspel um; durch den Kreis, den seine Schwingungen beschrieben, schaute ihr seltsames, markiertes Gesicht, und die blauen Augen lugten bohrend hindurch. Von Zeit zu Zeit knackte die hölzerne Feder, um das Zeichen zu geben.

Der Gutsherr mußte sie unverwandt anschauen; ihre Züge wurden ihm immer unheimlicher, ihr Gesicht, deuchte ihm, verzerrte sieh; die Augen traten immer größer, immer quecksilberartig lebendiger hervor; ihm schien – ja wahrhaftig, sie fingen jetzt an, sich, ebenso wie der Haspel, in ihren Höhlen herumzudrehen. Er stemmte beide Arme auf seine Knie und legte sich mit vorgebeugtem Oberkörper darauf; es war ihm zumute wie einem armen Vogel, den eine Klapperschlange mit ihren Blicken fängt. – »Hinter den Augen hat der Teufel seine Talgkerze angezündet,« flüsterte er. Der Haspel knackte. – »Ja, fletsch' du nur mit deinen Zähnen!« murmelte Herr von Driesch. Jetzt – o Herr Gott! – jetzt fing ihr ganzes Gesicht an, sich mit den kreisenden Garnfäden in die Runde zu drehen.

»Was willst du, Lene?« sagte Margret ruhig zu der eintretenden Magd.

»Frau Fahrstein, es geht ein fremder Mensch ums Haus her; erst stand er eine Weile auf der Mühlenbrücke still, und jetzt ist er unter die Kastanienbäume gegangen,« sagte Lene schüchtern.

»So laßt den Jäger Sr. Gnaden ihm aufpassen!« Mit diesen Worten hob Margret ihr Gesicht zu Lene in die Höhe, und damit war auch der Zauber verschwunden, der Herrn von Driesch gefesselt hielt.

»Hu!« rief er aus, sprang auf und schüttelte sich. Dann brach er in ein unmäßiges Gelächter über sich selber aus.

»Torheit ohne Ende!« sagte er für sich; »das war der Mühe wert! ein altes Weibergesicht! Na, am Telgenkamp wird's auch nicht schlimmer sein. Lene, zünde mal die Laterne an. Soll mich der Teufel holen, wenn ich je wieder mich fürchten will!«

Er ging hinaus und kam gleich darauf zurück, im Oberrock, einen schweren Hirschfänger an der Seite. Dann zog er am Feuer seine Stulpstiefel in die Höhe und nahm die Laterne.

»Wollt Ihr gehen, Ew. Gnaden? die Nacht ist niemands Freund!«

»Ei was, Alte, bleibt Ihr nur ruhig hier am Feuer sitzen, dann wird's draußen schon sicher sein.«

»Lene sagt, ein fremder Mensch treibe sich ums Haus her.«

»So, Ist er da? desto besser; dann können wir zusammen durchs Holz gehen. Nun, mit Gott, Alte; sollt Euch wundern, was ich heimbringe.«

»Es wird viel sein,« sagte Margret, als er aus der Tür war, und sandte dann Lene hinauf, um Bernhard herunter zu rufen, mit dem sie einige Worte wechselte und der dann gleichfalls Anstalten zum Ausgehen machte.

Als Herr von Driesch vor den Toren seines Gutes stand, war alles still. Die Nacht war nicht gerade finster, aber doch spärlich erhellt. Er schaute sich um, ging einigemal an dem äußern Graben auf und ab und hielt die Laterne hoch, um sie weiterscheinen zu lassen; aber niemand war da als ein Nachtvogel, der durch die Kastanienzweige am andern Ufer schoß. Endlich glaubte er eine Gestalt aus dem Schatten der Mühle treten zu sehen; ja ein leiser Pfiff tönte daher; dann ging sie langsam auf die Wiesenfläche hinab, die jenseits an den Wald stieß, hinter dem der Telgenkamp lag. In der Ferne bellte ein Hund. Herr von Driesch stand eine Weile still. Ich könnte es vor Kind und Kindeskind nicht verantworten, wenn ich die Gelegenheit in den Wind schlüge, sagte er darauf; in dem Busch wird auch nicht mehr sein, als bei Tage drin ist. Dummer Schnack! Altweibergeschwätz. Geh ritterlich drauf los, Säuberlicher! Heda, Karo, du kannst mitmarschieren! 's ist doch etwas.

Er ging rasch in den innern Hof zurück und häkelte Karo, einen dicken, zottigen Siebenschläfer, von seiner Kette los; der Rüde wollte ihm anfangs nicht folgen, und als er ihn am Halsband zerrte, schnappte er knurrend nach seiner Hand.

»Verfluchte Bestie!« Ein paar heftige Tritte mit dem Stiefelabsatz brachten ihn zum Gehorsam; er trabte nun dicht hinter den Fersen seines Herrn her, die weit auszuschreiten begannen und über die Wiesengründe, so rasch es der moorige und weiche Boden erlaubte, dem Walde zustrebten. Am Saume desselben angekommen, hielt Herr von Driesch wieder ein; er hob die Laterne in die Höhe und spähte rechts und links in den Wald hinein; nichts als hohe, graue Eichstämme, auf deren unterer Hälfte der gelbe Lichtschein zitterte. Nun wurde die Leuchte geöffnet, der Docht der Kerze vorsichtig mit den Fingern geschneuzt, und Herr von Driesch schritt, mit gellenden Pfiffen, die zusammengenommen eine damals moderne Opernarie vorstellen sollten, in den Wald hinein, Karo mit gesenktem Haupte, baumelnden Ohren und den Schwanz zwischen die Beine ziehend dicht hinter ihm.

Der Abfall mehrerer Laubgenerationen, der den Fußpfad nach dem Telgenkamp bedeckte, raschelte unter seinen Füßen; hier und da knackte ein zertretener dürrer Zweig auf; zuweilen ein leises Windregen oben in den Aesten, das ihm ein gelbes Blatt auf das Dach der Laterne warf, oder ein morsches Reis, das knisternd abbrach und ihm zur Seite niederfiel: das schien alles zu sein, was der Wald für die Nacht an Ereignissen habe. Nur einmal war Herr von Driesch erschrocken zusammengefahren; aber es war nur eine Eule, die dicht an seiner Nase vorbeischnurrte.

Er war schon über halb Weg durch den Wald und jetzt etwa zehn Minuten von Bechenburg entfernt, als Karo stehen blieb, den Kopf hob und rechts und links hin eine Bewegung damit machte, als wittere er etwas.

»Was hast du, Karo?«

Der Hund knurrte. »Es wird ein Igel sein oder so etwas,« sagte Herr von Driesch, streckte aber die Leuchte weit vor, lockerte seinen Hirschfänger in der Scheide und ging, indem er nach allen Seiten umschaute, mit so langen Schritten, als er sie nur machen konnte, leise und behutsam weiter.

»Hui!« schrie er auf einmal gellend auf – ein plötzliches Gerassel unten an der Erde tönte dazwischen, der Arm mit der Leuchte schnellte konvulsivisch in die Höhe, und eins der Beine hüpfte ebenso hurtig auf, während der andere Fuß wie festgemauert am Boden stehen blieb. »O Gott, o mein Heiland, Hilfe, Hilfe!« Karo hob ein wütendes Gebell an.

»O gütiger Jesus!« stöhnte Herr von Driesch fort, wie von Todesangst regungslos; aber ein infamer Schmerz an seinem Beine machte ihn bald wieder lebendig. Er bückte sich und fuhr mit der Hand danach; er fühlte eine dicke Eisenstange; als er hinleuchtete, sah er, daß sein Fuß in einer unmenschlich großen und tief in der Erde festgerammten Wolfsfalle stak, die um sein Schienbein geschlagen und mit langen eisernen Spitzen durch den Stulpstiefel bis in das Fleisch gedrungen war. Er setzte die Laterne auf den Boden, um sie aufspringen zu machen; aber sie war ganz anders, schien es ihm, als gewöhnliche Wolfsfallen, das Federwerk war eingeschnellt und wollte nicht wieder aufgehen – er riß und drückte – es vermehrte nur den höllischen Schmerz an den Spitzen – plötzlich fuhr ihm ein heftiger Stoß in die Rippen, von der andern Seite ein zweiter – er fuhr auf und fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Zur Rechten, hinter dem nächsten Baumstamm her, blickte ihn ein Gesicht an, ein scheußliches Gesicht, und darunter streckte sich ein Arm aus, der mit einer langen Stange auf ihn losdrosch. Das Gesicht war verzerrt, tolle Freude und der grimmigste Hohn jauchzte heraus; und obgleich das Licht, das aus der am Boden stehenden Leuchte fiel, nur matt flackerte, sah Herr von Driesch doch gleich, daß es das Gesicht seines Feindes Katterbach war; ihm gegenüber, hinter einer andern Eiche zur Linken, stand der lange Philipp, ebenso bewaffnet, ebenso rüstig mit seiner Stange ausholend. Hinter ihm trat ein Dritter aus dem Gebüsch – es schien der Schatzgräber zu sein – und ging mit gezogenem Hirschfänger auf Karo los, der anfing mörderlich zu heulen und dann alle viere in die angestrengteste Tätigkeit setzte.

Herr von Driesch saß im eigentlichsten Sinne in der schrecklichsten Klemme. Befreien konnte er sich nicht, und die langen. Stangen fielen wie Dreschflegel auf ihn nieder. – »Mord, Mord, Hilfe!« schrie er dann; »infernalische Bosheit, o ihr Hunde!« – Sein Schrecken ging in Verzweiflung über. Er zog den Hirschfänger, reckte sich rechts und links, so weit ihm die Falle erlaubte, sich auszulegen, und haute wie ein Rasender um sich; aber die Hiebe trafen nur die Rinde der Eichenstämme, hinter denen seine Peiniger standen.

Nach fünf Minuten warf Philipp seine Stange fort. »Nein, haltet ein, Herr Vetter,« sagte er, »das ist mein Seel' ein schlechter Kram, zwei über einen, der in der Falle sitzt. Ein Schuft, der ihm weiter was anhat. Laßt'n in der Klemme brummen diese Nacht, das ist genug!«

Philipp ging in weitem Umkreise um den Angegriffenen her und trat hinter den fortwütenden Vetter, um ihm die Stange fortzunehmen. Aber noch bevor er sie gefaßt hatte, hörte man etwa fünfzig Schritt weit hinten im Walde Geräusch –ein Knall, ein Schuß blitzte, und eine Kugel schlug über Katterbachs Kopf in den Baum. Dieser fuhr zurück, wenige Augenblicke, und ein junger Mensch stand vor ihm, der mit einem geschickten Griff in seine Halsbinde fuhr, sie zusammendrehte und im Nu den dicken Körper des Hofrats an die Erde schleuderte, worauf er seinen Fuß ihm auf den Nacken setzte, die Arme über der Brust zusammenschlug und dastand, so voll leuchtenden Zornes, als sei er der Erzengel Michael, der den Feind unter seine Füße geworfen hat. Sein Hut war ihm abgefallen, sein blondes Haar hing in ungeordneten Locken um den Kopf, das Gesicht glänzte, von dem dürftigen Lichtschimmer beschienen, und die ganze Erscheinung war so fremdartig schön, daß Philipp einen Augenblick stutzte und dann an Flucht dachte, statt seinem Vetter zu Hilfe zu kommen. Aber Philipp hatte Herz und Bravour; er faßte sich und griff mit der Hand nach den Locken des Fremden, um ihn von Katterbach fortzureißen.

Es mißglückte; die Mündung eines blitzenden Büchsenlaufs fuhr ihm ins Gesicht, daß er taumelte.

»Ruhig, Schufte, sonst fahrt ihr alle beide stantepeh zum Teufel!« rief ein zweiter Heraneilender, der dies Manöver mit der Büchse gemacht hatte. Es war der Jäger des Herrn von Driesch; er hatte nur gezögert, heranzukommen, um erst sein Gewehr wieder zu laden, was ihm in der Dunkelheit aber nicht gelingen wollte; nun sprang er herbei, um Bernhard zu unterstützen, der der zuerst Angreifende gewesen. Der Jäger wollte Philipp fassen, dieser aber war behend genug, zur Seite zu springen, mit einer raschen Fußbewegung die Laterne umzustoßen und dann das Weite zu suchen, wo keine Verfolgung mehr möglich war und wohin sich längst der Reitknecht in Sicherheit gebracht hatte. Er hätte gern den gefangenen Katterbach befreit; aber er war ohne andere Waffen als ein Weidmesser; mit den Reiterpistolen war der Knecht beladen und fort damit; Philipp konnte gegen zwei mit einer Büchse Bewaffnete nichts ausrichten und floh in den dunklen Wald hinein.

»Die Spitzbuben,« sagte Anton, indem er mit dem Kolben seiner Büchse Katterbach einen heftigen Stoß in die Seite gab; »aber wart', dem wollen wir's eintränken.«

»Ich will ihn schon halten, Anton! Geh nur, geh und mache den gnädigen Herrn frei.«

Anton richtete die Laterne wieder auf und sah jetzt erst, weshalb Herr von Driesch so unbeweglich, den gebückten Oberkörper auf seine Arme stützend, die wieder auf dem in die Erde gesenkten Hirschfänger ruhten, dastand und leise, vor sich hinstöhnte.

»Herr Jesus! Um Gottes willen! 'n Menschen wie'n unvernünftiges Tier in 'ne Wolfsfalle zu kriegen! O was 'ne Bosheit! Ach, Ew. arme Gnaden! – Mit der Hundepeitsche sollt' man drüber her; wart' nur! Halten Sie fest, Herr!« Anton brachte seine Büchse zwischen die Stangen, die sich um das Bein seines Herrn geklemmt hatten, um, wie mit einem Hebel sie so auseinander zu sprengen. Es wollte lange nicht gelingen, er hatte zu arbeiten, daß ihm der Schweiß von der Stirn troff.

Unterdes lag seitwärts der Drache noch immer auf dem gelben Laube, des Erzengels Fuß noch immer auf seinem Nacken. Katterbach war korpulent und unbehilflich; er hätte Mühe gehabt, nach einem bloßen Falle sich wieder zu erheben; so fest niedergehalten, war es ihm unmöglich. Bernhard fühlte und sah sein fortwährendes Hin-und Herzucken und Arbeiten; dazwischen hörte er ihn murmeln, als ob er von Sinnen sei; hier und da ein vernehmliches Wort; es war ein Fluch. Aber er war und blieb gefangen; Bernhard war zu empört über den feigen, grausamen Streich; mochte daraus werden, was es wolle – er hielt fest.

Der Hofrat wandte mit einem Male heftig den Kopf mit den von allerhand inneren Grimmigkeiten und Schärfen furchtbar zerschnittenen Zügen – Herr von Driesch hätte nur so von der Vogelperspektive aus auf dies halbbeleuchtete wütig verzerrte Gesieht blicken dürfen, um zu schwören, es sei ein Waldteufel – er wandte den Kopf nach Bernhard hin, daß dessen Fuß auf seinen Hals zu stehen kam.

»Junge,« sagte er leise, »du bist Bernhard Fahrstein!«

Bernhard würdigte ihn keiner Antwort, neigte sich aber zu ihm nieder, um ihn besser zu verstehen.

Der Hofrat murmelte leise einige Worte; dann noch einige; plötzlich fuhr Bernhards Fuß von ihm zurück, als hätte ihn eine Viper hineingestochen. Er stand starr wie eine Bildsäule; dann schlug er die Hände heftig an die Stirn und lehnte diese, als habe er eine Stütze nötig, an den Stamm der nächsten Eiche.

Katterbach arbeitete sich in die Höhe; er reckte sich aus, gab einen Ruf von sich wie das Gewieher eines Tieres und stolperte davon in den dunklen Wald hinein. Antons Büchse war blitzschnell gerichtet, der Hahn knickte und sprühte eine ganze Funkengarbe, aber kein Schuß; – sie war nicht geladen; den Hofrat nahm die Nacht in ihre rettenden Arme.

»Alle Teufel! Was habt Ihr ihn laufen lassen? Das ist ja infamig dummes Zeug von Euch!« fluchte Anton; »ja, nun steht nur da, als wenn ihr behext wäret!« Er brachte zornig den Lauf wieder in die Falle. »Nun, Herr Bernhard, was ist Euch denn?«

Bernhard antwortete nicht; auch Herr von Driesch war seit einigen Augenblicken so stille geworden, daß es Anton ganz unheimlich ward; er bot seine letzte Kraft auf; die Falle knackte; sie war zersprungen, endlich, mitten auseinander. In demselben Augenblick fing Herr von Driesch an zu wanken, stolperte einen Schritt voran und lag ohnmächtig in Antons Armen.

»Der arme Ew. Gnaden!« sagte Anton tiefbetrübt; »nun, Herr, helft jetzt, in drei Teufels Namen!«

Bernhard ermannte sich, und beide brachten den Gutsherrn mit vieler Mühe nach Bechenburg zurück. Dort tat man alles mögliche zu seiner Erquickung und Heilung von den Folgen der Mißhandlung; der Rücken, die Schultern und die Seiten hatten einige blaue Flecke, doch hatte der wattierte Ueberrock ihn sehr geschützt; als man die Stiefel ihm abzog, war der eine ganz voll Blut; darüber geriet Johannes außer sich; er heulte wie ein Schoßhund und niemand konnte ihn jetzt mehr abhalten, zu seinem Vater in dasselbe Bett zu kriechen, um ihn die ganze Nacht nicht wieder zu verlassen, bis beide, der eine müde von seinen Schlägen, der andere vom Weinen darüber, in einen ruhigen Schlummer fielen.

Daß Herr von Driesch aus seiner Klemme gerettet worden, hatte er Margret zu verdanken; sie hatte Bernhard und dieser den Jäger aufgefordert, ihm nachzugehen, um im Falle der Not bei der Hand zu sein.


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