Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Drittes Kapitel

Das Gut Bechenburg liegt nahe bei dem Städtchen L. in Westfalen. Man geht an einem breiten Graben her, den ein Wald alter gewaltiger Kastanienbäume beschattet, wendet sich dann rechts und hat nun nach zwanzig Schritten eine tiefliegende Mühle, mit Wiesengründen dahinter, zu seiner Linken; zur Rechten das erste Tor des Gutes, zwei Steinsäulen, auf deren einer ein wappenhaltender Löwe, ein höchst blutdürstiges Ungeheuer, kauert, während sein Nachbar, von der andern heruntergefallen, im Schilf des versumpfenden Grabens liegt, von einer üppig grünenden Vegetation Schlammpflanzen bedeckt. Die Zugbrücke war ehemals in gutem Stande; man kann noch die eisernen Rollen oben an den Torsäulen sehen, über die ihre Ketten liefen. Das zweite Tor bildet eine niedere Durchfahrt, so niedrig, daß ein verdeckter Wagen vergeblich versuchte hindurchzukommen; man darf daraus auf das Alter der Burg schließen, die, klein und eng zusammengebaut, nicht jünger als das fünfzehnte Jahrhundert sein mag und jedenfalls für Menschen mit bescheidenen Ansprüchen auf Bequemlichkeit und äußeren Glanz gebaut ward, als unsre Generation hegt.

Unsre Reisenden hatten nach ihrem Unfall ein Unterkommen für die Nacht gesucht und im nächsten Kirchdorfe bei dem Pfarrer gefunden. So schritten sie erst am andern Tage, fast gegen Mittag, in den Hof ihres Gutes ein und gelangten, um einige Haufen aufgeschichteten Bauholzes her, durch ein ganzes Volk durcheinanderstäubender Hühner, endlich über eine auf den Treppenstufen sich sonnende Katze, der Johannes nicht unterließ auf den Schwanz zu treten, in das Innere. In der kirchengroßen Küche saß eine Frau am Feuer und reihte Zwiebeln auf.

»Guten Morgen, Frau Fahrstein,« sagte Herr von Driesch.

»Ach, Ew. Gnaden! Sieh mal, sieh mal, schon da! Ich wußte wohl, daß Ew. Gnaden kommen würden.«

»Ihr wußtet das?« fragte Johannes.

Herr von Driesch stieß ihn in die Seite.

»Frag' doch nicht nach ihren Hexenstücken,« flüsterte er.

»Ei freilich, Junker,« sagte Frau Fahrstein; »das kleine Hütchen hat schon alles in Bereitschaft gesetzt, auch den Großvaterstuhl für den jungen Herrn abgestäubt und an den Kamin geschoben; dann weiß ich immer, wieviel die Uhr geschlagen.« Sie war aufgestanden und suchte nach ihren Schlüsseln. Johannes blickte unterdes in der Küche umher; dann ging er in den Hintergrund und schaute durch die Fenster in den Garten, zuletzt durch eine halb offenstehende Tür in das Schlafkämmerchen der Frau Fahrstein: »Wer schläft denn da noch?« sagte er.

»Johannes, Johannes!« rief Herr von Driesch ängstlich.

Frau Fahrstein näherte sich der Kammertür und schaute mit verschmitzten Blicken hinein.

»Still, still, Junker,« flüsterte sie, »mein Mann schläft noch; der arme Schelm ist schwachen Leibes.«

»Aber,« sagte Johannes, »ihr Mann? Der ist ja lange – er hat ja tote Augen!«

Johannes starrte den Schläfer an, der ihn mit hohlen gläsernen Augen aus den Kissen anblickte; es war nichts als eine Maske, über einem, wie es schien, ausgestopften Biberwams befestigt und eine Schlafmütze darüber. Der Junker sah fragend nach dem Vater hin, der noch am Herde stand und hinter Frau Fahrsteins Rücken seinem Sohne ein Zeichen nach dem andern machte. Die Frau schien Johannes' letzte Worte überhört zu haben und klapperte in ihren Holzschuhen zur Küche hinaus, um ihrer Herrschaft die Wohnzimmer aufzuschließen.

Herr von Driesch trug der Verwalterin auf, ihm einen Boten zu besorgen, der seine Domestiken und Sachen von Grünscheidt nach Bechenburg beordern sollte. Als sie gegangen war, sagte er: »Johannes, was deines Amtes nicht ist, da laß deinen Fürwitz. Was geht es dich an, wenn die Alte lieber einen Strohmann mit sich zu Bette nimmt als gar keinen. Reize sie nicht; ihr ist nicht zu trauen. Sonst ist sie ein gutes Weib, und wenn sie etwas wirre ist, so hat sie in ihrer Jugend auch viel aushalten müssen, wovon mehr Leute zu viel bekommen haben würden; laß sie in Frieden, sag' ich dir.«

Johannes setzte sich in seinen Großvaterstuhl und Herr von Driesch machte Anstalten zu einem Bericht wegen Mordanfalls und Landfriedensbruchs von Seiten des P. P. von Katterbach auf Diependahl an eine Kurfürstlich Pfälzische hochpreisliche Landesregierung zu Düsseldorf.

Den Nachmittag brachte der Gutsherr mit Schreiben zu, während Johannes draußen wilde Holztauben jagte. Als der Abend eingebrochen war, fühlte er schmerzlich den Mangel seines Vergil und Horaz; er hatte nur des Erasmus Colloquia in die Jagdtasche gesteckt, als er zu seiner glorreichen Wahrung der possessio novissima des Mühlenbergs ausgezogen war; leider war es eine Elzevirausgabe in Duodez; und Herr von Driesch konnte die kleinen Lettern abends nicht mehr lesen. Die Langeweile führte ihn zu der Verwalterin hinunter. Die Frau saß wieder allein an ihrem Herde, hatte ihre Katze auf den Schoß genommen und sprach leise Worte vor sich hin. Das knisternde Holzfeuer, das hoch um eine aufgehängte Eierkuchenpfanne lohte, erleuchtete den weiten Rauchfang voll Wintervorräte an Zwiebeln, Fenchelbüscheln, Würsten und Speckseiten; der große übrige Raum wurde nur zuweilen erhellt, je nachdem die Flamme sich bewegte, so daß bald die hölzerne Wendelstiege in der Ecke, bald die entgegengesetzte Wand mit den Hirschgeweihen, den paar verrosteten Jagdgewehren und dem Blasinstrumente, das Jäger den halben Mond nennen, grell beschienen, hervortrat. In dem Winkel unter der Treppe saß eine Magd und reinigte den Salat zum Abendessen. Der Gutsherr setzte sich ans Feuer, aber so, daß er die Tür zu der Schlafkammer, wohin er zuweilen einen scheuen Blick streifen ließ, nicht im Rücken hatte.

Herr von Driesch hatte immer ein unheimliches Gefühl der Alten gegenüber; um sich zu beruhigen, begann er zu sprechen und erzählte ihr von seinem Abenteuer mit dem Hofrat. Bei dem Namen Katterbach zuckte das Gesicht der Alten leise zusammen; ihre grauen Augen blickten wie bohrend durch die langen weißen Wimpern den Gutsherrn an.

»Herr,« sagte sie, »ich bin eine alte Frau und weiß nicht, ob die Diependähler oder ob Ihr das Recht habt, auf dem Berge zu jagen; aber das weiß ich, daß Ihr den Mann, so Ihr da nanntet, in Gottes Namen jagen lassen würdet, wo er will, wenn Ihr sehen könntet, was ich sehe –« sie stockte.

»Was habt Ihr gesehen, Margaret?« sagte Driesch gespannt.

»O Herr, ich bin alt geworden und habe vieles gesehen in diesem Lande und auch in andern Ländern bei den Welschen.«

»Ja, Margret, das mein' ich nicht; Ihr könnt mehr sehen als andre Leute, und ich möchte wissen, was Ihr von Katterbach gesehen habt – Ihr versteht mich wohl – so des Naehts,« flüsterte der Gutsherr und fügte laut hinzu: »Lene, geh mal hinaus.«

»Laßt das Mädchen nur bleiben,« sagte die Verwalterin, »ich habe nichts gesehen.«

Der Schein der Flamme fiel in ihr Gesieht, in dessen markierten Zügen der Freiherr eine starke innere Bewegung sich abspiegeln sah; vielleicht täuschte er sich auch, denn es konnte der grelle gelbe Lichtschein sein, was die Wirkung hervorbrachte.

»Aber Margret,« hub der Freiherr, dem alles daran gelegen war, die Frau zum Sprechen zu bringen, nach einer Pause wieder an, »wie war es, als Ihr den Gellers Kotten brennen sahet, der ein Halbjahr später wirklich in Asche lag?«

»O Herr, es ist keine Freude, so in der Nacht heraus zu müssen; in den Mondstrahlen ist viel scharfes Gift für manche Leute, wenn sie ihnen auf dem Kopfe stehen. Die Nächte sind kalt; aber man merkt es nicht, daß man friert, und ging es auch bis auf die Knochen.«

»Und dann seht Ihr die Flammen und die Menschen so deutlich, als wenn es wirklich geschehe? Und könnt Ihr das Rufen und das Glockenläuten auch hören?«

Die Verwalterin stand auf, rückte einen Stuhl und zündete die Oellampe an, die ein hölzerner Arm, der aus der Außenseite des Rauchfangs sich in die Küche erstreckte, vor einem gebräunten Magdalenenbilde hielt: »Es ist morgen Schutzengelfest,« sagte sie. Dann nahmen ihre Züge plötzlich einen sehr heitern Ausdruck an: »Guten Abend, junger Herr, da setzt Euch, Ihr seid gewiß kalt geworden. Mein Sohn, Ew. Gnaden!«

Der Eintretende war ein junger Mensch von etwas über zwanzig Jahren; in seiner Haltung lag viel Schüchternheit, etwas sehr Befangenes; er war so verlegen, daß er zur Begrüßung des Gutsherrn nur einige rasch wiederholte Verbeugungen, aber keine Worte hatte. Herr von Driesch hätte freilich für sein Leben gern mehr von der Alten vernommen, was sie denn eigentlich von seinem Feinde wisse; aber dennoch war ihm der Eintritt des jungen Menschen willkommen, weil er ihm einen Anflug von ängstlichem Grausen vertrieb, das bei den Reden der Frau ihn immer kälter angeweht hatte. Beide waren bald in ein Gespräch vertieft, das des Gutsherrn Ideen eine ganz andre Richtung gab und großes Interesse für ihn bekam. Der Sohn der Verwalterin war ein Dichter wie er, aber statt daß Herr von Driesch darüber eine gewisse Unbehaglichkeit gefühlt hätte, mit einem Plebejer auf demselben Felde sich zu begegnen, beteuerte er, der junge Mann sei der einzige, von dem man etwas lernen könne, das nicht in Büchern stehe.


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