Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Erstes Buch

Erstes Kapitel

Kennt ihr das grüne Hügelland von Berg? Ich kann in diesem Augenblick nicht sagen, unter welchem Grade der Breite und Länge, von der Sternwarte zu Greenwich oder von der Insel Ferro an, der liebe Gott es so säuberlich hingelegt hat; aber ich weiß, daß er es gesegnet hat mit Fruchtbarkeit und einem tüchtigen, betriebsamen Menschenschlag, in dem sächsisches und fränkisches Blut sich begegnen, und daß es ein schönes Land ist, wie es daliegt zwischen dem Ebbegebirge und dem Rhein, zwischen der Sieg und der Ruhr. Auch ist es reich an schönen Sagen und Legenden von höchst wunderbaren Ereignissen, die niemand glauben sollte: an Geschichten von Feme und Liebe, von Mord und Andacht; von frommen Mönchen, die nichts taugten, und höchst ritterlichen Straßenräubern; von Edelleuten, die sich die Harnische zerhieben, die Schwerter zuschanden schlugen und ihrer Liebhaberei für blutige Köpfe mit all der großartigen Gravität nachgingen, mit der ein Mingo oder Delaware für sein Kabinett skalpierte Hirnhäute sammelt. In der Tat, dies Land ist so reich in der Erinnerung an jene romantischen Strauchgesellen, es sind ihrer so viele mit jedem alten Gemäuer verwebt, um jedes einsame Steinkreuz geschlungen, daß man in der Ferne keine duftige Höhe aus dem blauen Wellenschlage der Hügelreihen hervortreten sieht, ohne zu erwarten, daß im nächsten Augenblicke ein Reiter im Eisenkleide mit wackelndem Helmbusch, mit flatterndem Wimpel an der Turnierstange darüber auftauche und seiner Stegreifpoesie nachtrabe. Sind doeh heute noch die Männer von Berg die besten Waffenschmiede der Welt; noch heute sieht man sie Schwerter und Dolche schmieden, biegsam wie die Klingen von Damaskus, scharf und hart wie die Klingen von Toledo, mit einem Worte: die Solinger Klingen.

In diesem schönen Hügellande ging eines klaren, duftigen Herbstmorgens die Sonne auf und erblickte zuerst unter vielen andern Dingen drei Gegenstände, die für uns von Wichtigkeit sind. Der erste ist ein ungeheurer Aktenhaufen, der zweite ein lockiger Mädchenkopf und der dritte ein Hofrat, drei Dinge, auf welche die Sonne in ihrem täglichen Laufe mit sehr gemischten Gefühlen schauen mag. Der Aktenhaufen lag auf dem grünen Tische des Sessionszimmers der Kurfürstlich-Pfälzischen Hofkammer zu Düsseldorf und trug die Inschrift: »Von Schemmey, nunc von Katterbach contra von Driesch, puncto Koppeljagdgerechtsame.« Dabei ist zu bemerken, daß das Klaglibell zu diesen Akten nun schon seit hundertundsieben Jahren eingereicht war, das Endurteil aber auch während des Verlaufs dieser Geschichte noch nicht erscheinen wird. Der Lockenkopf, der, zusammengefaßt mit der ganzen Person, der er seit etwa fünfunddreißig Jahren erb- und eigentümlich zugehörte, den Namen Freiin Maria Anna Josina von Katterbach zu Rheindorf, Bornheim und Leichlingen führte, wär' auffallend hübsch zu nennen gewesen, wenn nicht irgend etwas eine Art leisen Mißbehagens beim Beschauen dieses Kopfes erweckt hätte. Entweder war es der allzukühne Blick des Auges oder ein Gepräge von Unternehmungsgeist, der jedenfalls sich nur auf Kosten weiblicher Anmut geltend machen kann. Ihre volle und starke Gestalt war in einen sehr anständigen und gut kleidenden Morgenanzug gewandet, und so war sie immerhin eine Erscheinung, die ihr Gefährliches haben konnte und einen großen Gegensatz zu ihrer Umgebung bildete. Sie saß am Kaffeetisch in einem großen, wüsten Zimmer des Herrenhauses zu Diependahl am Murrbache, das in allen Ecken und Winkeln Vernachlässigung und unordentliche Wirtschaft zeigte. Einige zur Hälfte zerfetzte, auf der andern Hälfte bis zur Unkenntlichkeit mit Staub und Spinngeweben bedeckte Ahnenbilder in schwarzen Eichenrahmen sprachen allein die Ansprüche des Hauses auf vornehmen Anstrich aus, der ihm doch wie aller Anstrich überhaupt mangelte.

Was nun endlich den Hofrat betrifft, so war dieser Hofrat nicht deshalb, weil er nie bei Hofe gewesen, oder weil es nicht rätlich, sich Rats bei ihm zu erholen, vor vielen andern Hofräten ausgezeichnet, sondern lediglich durch eine gewisse diktatorische Feierlichkeit seiner Erscheinung, die ohne diese Eigenschaft nichts als einen stämmigen Roßtäuscher angekündigt hätte, als er jetzt im grünen, breitschößigen Jagdrock, unten Stulpenstiefel, oben eine hohe Nachtmütze zu seiner Jungfer Schwester ins Zimmer trat und sich zu ihr an den Frühstückstisch setzte. Indem er sich so zu einem der wichtigsten Geschäfte des Tages anschickte, zeigte er ein mürrisches, von tiefen Linien und zackigen Zügen durchfurchtes Gesicht mit blauen, vorquellenden Augen und sah aus wie der Admiral Peter de Tromp oder ein Baummarder, der beißen will.

»Spülwasser!« sagte er verdrießlich, nachdem er die erste Tasse hinuntergeschluckt hatte, setzte die Schale auf den gebohnten Klapptisch nieder und lehnte sich, die Glieder reckend, in den Armstuhl zurück. Dann starrte er seiner Schwester ins Gesicht. »Ma soeur«, sagte er und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Was ist's, alter Bär?«

»Verfluchter Kerl, der Schäfer! Ich glaube, du hast ihm Anträge gemacht, daß er solche Bosheit auf dich hatte!« sagte der Hofrat.

Um diese jedes weibliche Zartgefühl so hart verletzende Anspielung zu verstehen, muß ein Abenteuer berichtet werden, das der Freiin Josina am Abend zuvor zugestoßen war. Sie hatte einen Spaziergang gemacht und war in einer engen Schlucht einem Schäfer begegnet, der geradeswegs aus einem zum Gute des Hofrats gehörenden Schlag jungen Holzes kam und voranschreitend seine Herde zur Abendruhe wieder in das Dorf hinabführte. Mit erhobener Rechten war die Dame dem auf der Tat ertappten Frevler entgegengeschritten, um ihn am Kragen zu fassen und mitsamt seiner blökenden Begleitung in den Pfandstall »einschütten« zu lassen. Der Schäfer aber hatte, wie es schien, an die Milde ihres Frauenbusens appellieren wollen; er hatte das zur Flucht vorgebeugte Haupt an die Brust gelegt und war dann zugeschritten, als ob sie gar nicht im Wege stände. Die Folge dieses mit einem kräftigen Nacken ausgeführten Manövers konnte kein andres sein, als daß die Dame zu Boden stürzte. Nun trat zuerst der Schäfer über sie weg, sodann Fix, der treue Wächter, drittens der Leithammel und endlich die ganze zahllose trippelnde Herde, die den Fersen ihres flüchtigen Führers folgte.

»Ma soeur war ein eingetretenes Hindernis für den Schelm«, fuhr der lachende Hofrat fort.

»Du magst dich freuen, daß das Lumpenpack dir den Schlag abweidet«, sagte die Schwester zornig. Dann glättete sie plötzlich ihre Mienen, zog das Nachthäubchen zurecht und sagte mit einer schmelzend freundlichen Stimme: »Wie haben Sie geruht, Philipp?«

Philipp war ins Zimmer getreten, der lang aufgeschossene Jagdjunker, umsprungen von zwei entfesselten Bracken. Er machte eine Verbeugung und versetzte: »Schlecht genug; dachte immer dran, ob's nicht bald Tag wär', daß es bald losgehen könnte. Nun bin ich doch der letzte. Ich habe den Herrn Vetter über mir rumoren hören und da dacht' ich, nu is Zeit. – Danke, danke.«

Die Freiin Josina war aufgestanden und hatte Philipp mit einem Knicks eine gefüllte Tasse überreicht.

»Na, Junge, mach' jetzt rasch!« rief der Hofrat; »so, trink' aus und sag' dein Jagdsprüchlein auf.« – Er begann mit halb aufsagender Stimme, aber sehr laut, zu singen:

»Sag' an, lieber Weidmann, wie viel End-Ahn
Hat der edle Hirsch auf seinem Kopf stahn?«

Philipp versetzte mit einem höchst anmutigen Bariton, der sich etwas unsicher und schwankend weiter bewegte, aber darin keinen Grund fand, sich weniger laut zu machen:

»So oft sich der edle Hirsch hat gepetzt und gewetzt.
So viel End' hat der edle Hirsch auf seinen Kopf gesetzt.«

»Richtig,« sagte der Hofrat; »nun wart', noch eins:

Sag' mir an, mein lieber Weidmann, Wo hast du das schöne, hübsche Jungfräulein lassen stahn?«

Donnernd intonierte Philipp (man sah, seine ganze Seele war bei diesen Tönen):

»Ich hab' sie gelassen zu Holz
Unter einem Baum stolz,
Unter einer grünen Buchen,
Da will ich sie suchen.
Wohlauf, eine Jungfrau in einem weißen Kleid,
Die wünschet mir heut' Glück und alle Seligkeit!«

Philipp schlug nun einen Triller, worüber eine der Bracken zu knurren anfing, und machte der Dame lächelnd eine Verbeugung, der man nichts Uebles nachsagen darf, denn sie war gerade so anmutig, als er es nur immer verstand.

»Schönes Morgengebet!« sagte die Dame. »Mon frère,« fuhr sie fort, »ehe du gehst, vergiß nicht, das Geld abzusenden.«

»Geld, welches Geld? Was weißt du von Geld?«

»Nun das, welches ich dich für die alte Fahrstein abzählen sah, obwohl ich nie habe begreifen können, weshalb du das Weib zu füttern hast.«

Die Freiin hatte im Sinne, sich an ihrem Bruder für den unzarten Spaß von vorhin zu rächen; augenscheinlich gelang ihr dies, denn der Freiherr von Katterbach ward nicht allein verlegen, sondern auch so blaß, als es sein gebräuntes Gesicht zu werden vermochte.

»Ei,« stotterte er, sich abwendend, »du weißt ja, der einfältige Junge, den sie hat« – er stand auf und spuckte zum offenen Fenster hinaus, welche Gelegenheit er benutzte, von der Gesellschaft abgewendet darin liegen zu bleiben.

»Nun, der Junge!« fragte Josina mit einem Ton von Unschuld und Naivität, dessen Unverfänglichkeit nicht wiederzugeben ist.

Philipp lachte laut auf, über die Freiin sowohl als auch aus Vergnügen, ein so interessantes Familiengeheimnis zu entdecken. Der Hofrat trat aus dem Fenster zurück. »Komm, Philipp,« sagte er, »hüte dich vor den Weibern; sie taugen alle miteinander nichts, und ein ordentlicher Jäger sollte sie alle aus dem Hause jagen, denn seine Hunde bekommen nur Flöhe von ihnen – – Was – Teufel! – Wo war das? Das sind die Grünscheidter!«

Man hörte in der Ferne Jagdsignale blasen. Der Hofrat ward kirschbraun vor Wut. »Auf dem Mühlenberge!« schrie er, warf die Nachtmütze auf den Boden und griff nach der Flinte, die in der Ecke stand; ein kurzer Pfiff lockte die Hunde unter dem Frühstückstisch hervor, und die ganze Meute stürzte nun zusammen zum Zimmer hinaus.


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