Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Zwölftes Kapitel

Wunderbare Stimmungen, welche früher noch nie berührte Saiten in uns anschlagen und uns selbst zum erstenmal deren Dasein ankündigen; Träume, Launen, Einfälle und Eindrücke paradoxer Art – wer hat, wer kennt sie nicht, in wem bilden sie nicht die leichten Truppen, die um den Kern seiner Gedanken schwärmen, die Schmetterlinge, die Maikäfer oder »Grillen«, welche um die eigentlichen fruchtbringenden Blüten seiner Seele flattern? Auch Bernhard hatte sie; aber mit dem Unterschiede von andern Sterblichen, daß sie mit einer Hartnäckigkeit sich in ihm festsetzen, die ihn unter dem Einflusse einer fixen Idee leidend erscheinen lassen konnte, eine Gewalt über ihn ausübten, die jedem unbegreiflich gewesen wäre, der an das wache Geschäft des Werktags gewiesen, keine Zeit zu dem müßigen Wolkenzug und Mückenflug Beobachtungen eines poetischen Gemütes hat und keine andre Nacht kennt als die, welche der Nachtwächter ausbläst.

Bernhard war nicht damit zufrieden, wie ein Fischer bloß die eßbaren Geschöpfe einzufangen, die an die Oberfläche der See und in sein Netz geraten; er mußte tiefer hinab in das Meer des Lebens, oft ein verzagender Taucher, aber wie von einem Zauber nach unten gezogen. Er spähte in den Abgrund und nach all den wunderbaren schönen oder schrecklichen Bildungen und Kreaturen der Tiefe, der farbenglühenden Korallenwelt und dem ekelhaft zappelnden Gewürm. Er schauderte vor dieser unergründlichen finstern Region des Daseins – seines eignen Daseins. Ja, in ihm selbst sah er diesen Abgrund, ahnte, fühlte das wirre Treiben aller jener wunderbaren Dinge und Geschöpfe darin und erschrak vor diesem fremden Leben in seinem eignen Innern.

Er gehörte zu den wenigen Menschen, denen nichts so gering und unscheinbar auf der Welt ist, dessen ursprüngliche Schönheit sich ihnen nicht auch im Glanze und Glücke seiner Urform, seiner Harmonie mit seiner ewigen Bestimmung zeigte; nichts war so verachtet und gemein, das sich ihm nicht unwillkürlich enthüllte in seiner ewigen Natur und Schönheit, frei von der Sünde. Auf der andern Seite war nichts so glänzend und am Lichte prunkend, an dem die Füllhörner seiner Intuition und seines Zartgefühls nicht die wunde Stelle ausgefunden, nichts so groß, dessen innere Hohlheit er nicht geahnt, durchschaut hätte. Würde das Leben ihm Purpurteppiche auf dem Chore seiner schönsten Kathedrale ausgebreitet haben, um ihn zum Könige zu krönen – er hätte durch den Scharlach und die Gewölbe in die düstre Gruft darunter blicken müssen, wo man die Könige begräbt. Dieses unwillkürliche Bewußtsein des »Abgrunds« im Leben machte ihn traurig; er hätte bitterlich weinen können, wenn er die Philister so fröhlich und unbesorgt jubeln und zechen sah, und dachte, wie wenig es eines Simson bedürfe, um die Säule, die ihren Saal trug, wegzureißen und sie alle unter dem Schutte zu begraben.

Hiermit hing auf der einen Seite die feste und gläubige Religiosität seines Charakters zusammen; es war damit seinem Gemüte die Offenbarung des Grunddogmas des Christentums, des von einer Ursünde nämlich, gegeben – in dem übrigens eine tiefere Weisheit liegt, als unsre Philosophie sich träumen läßt. Auf der andern Seite nährte diese Gemütsrichtung eine solche Schar jener Grillen und träumerischen Stimmungen, daß daraus notwendigerweise ein Hemmnis für die Frische seiner Tatkraft entsprang und jeden Augenblick die Energie seines Wollens in eine neue Fessel geriet. Er fühlte diesen niederdrückenden Einfluß, den die Ursünde, die innerliche Zwietracht und Gespaltenheit der Welt und der unter ihr und ihm klaffende Abgrund auf sein immer beschaulicher werdendes Gemüt übten; und wie christlich, ja skrupulös kirchlich er auch war, ihm schwebte doch ein andres Ideal vor, eine ungebrochenere Welt, in welcher auch er in sich ungeteilter, ungebrochener, eines gesunden und kräftig nach außen wirkenden Daseins freudiger gewesen wäre. Die Heimat seiner liebsten Gedanken war das glühende blühende Heidentum; und wenn er sinnend die Wimper schloß, lag vor dem Auge seines Gemüts die tiefblaue See der Hellenen da, von dem klaren Himmel Joniens überwölbt und die leuchtenden Säulenschafte der Göttertempel von den Vorgebirgen widerspiegelnd: er sah die Weisen jenes Volkes, unter den Hainen des Ilissus wandelnd, edle Gestalten, denen der Gedanke eine stille Verklärung gegeben – sinnend und heiter, nicht grübelnd und ruhmlos; die Söhne, nicht die Findlinge der Natur.

So mit seinen Träumen und Phantasien im Altertume verkehrend, war das Mittelalter ihm eigentlich eine fremde und deshalb desto sonderbarere Welt, die wieder den eigentümlichen Reiz des Neuen, Fremdartigen, das noch wie ein ungelöstes Rätsel vor uns liegt, auf ihn übte. Deshalb war ihm stets so eigen zumute gewesen in den Umgebungen des Stiftes, das Katharina bewohnte; die dunkeln Kastaniengipfel, die an die Abteikirche sich lehnten, hatten anders über ihm gerauscht als andre Zweige, und die blaue Gentiane, die über dem Grabe eines alten Ritters aus den Spalten der Steinplatten aufgewachsen war, hatte ihn anders angeblickt als die, welche auf der Heide wuchs; diese steinernen Ritter an den Wänden, diese dunklen Kreuzgänge mit ihren ausgehauenen Wappen und langarmigen Heiligenstatuen, diese stolzen, in die Lüfte aufgewachsenen Domsäulen und Gewölbe, das alles machte einen seltsamen tiefen Eindruck auf ihn, als wenn es nicht dieser Welt angehöre, sondern eine Schöpfung für sich sei – ein verlassenes Denkmal einer unbegreiflichen Zeit von märchenhafter Schönheit durch ihren stillen, innerlichen Frieden, durch ihre Eintracht zwischen Gemüt und äußere Kraft, zwischen dem Menschen und seiner Seele.

Mit ihrer stillen Innigkeit, mit ihrer sinnigen Ruhe, ja mit ihrem Aeußern und jener fremdartigen Tracht, die so gut zu diesen Räumen paßte, war ihm Katharina wie der Genius der Welt vorgekommen, die sich in dem alten Stifte so poetisch ausgeprägt hatte. Es lag etwas so friedlich Umgrenztes, aristokratisch Gehaltenes, Leidenschaftloses in ihrer Erscheinung, daß ihn dünkte, in ihr habe die märchenhafte Schönheit jener draußen verschollenen Welt ein neues Leben bekommen. Wenn sie vor ihm stand und die gotische Letterschrift um ein schlummerndes Ritterbild ihm deutete, wenn sie eine ihrer wunderbaren Legenden erzählte oder die krause Schrift eines alten Pergamentbuches enträtselte, um aus den melodisch klingenden Versen eine seltsame Gestalt nach der andern vor ihm aufsteigen zu lassen, dann schien es ihm, als ob diese Gebilde nicht von ihrer Phantasie aufgesucht und herbeibeschworen würden, sondern als wenn sie selber eine Schwester zu suchen kämen, die sie zurückgelassen, als ob die Engel der Legende ihre Flügel um sie schlügen, um sie als ihr Eigentum, als die Geweihte ihrer Heimat in Anspruch zu nehmen. Er sah in der weißen Binde ihrer Stirn das Zeichen eines erhabenen Priestertums; und die schwarzen Falten ihrer Ordenstracht bedeckten, glaubte er, eine Brust und ein Herz, in dem der Gedanke einer andern Zeit sich ein stilles Reich gegründet.

Und nun hatte er sie gesehen, gerade in dem Augenblicke, als seine einzige und letzte Hoffnung war, ein Asyl in diesem friedlichen Reiche zu finden – im bunten Jagdkostüm, im frivolen Aufputz, zwischen rotröckigen galonierten Kavalieren kokettierend – wie er im Zorne es nannte – um aus der unmenschlichen Hetze eines armen friedlichen Tieres Vergnügen zu schöpfen! Die Priesterbinde war von ihrer Stirn gerissen. Und doch liebte er sie mit einer Leidenschaft, die ihm jetzt erst zum Bewußtsein wurde und ihm die Entfernung und den Aufenthalt in seinem abgeschiedenen Tal oft unerträglich machte. Kein Wunder, daß aus diesen Gefühlen der Enttäuschung, des Schmerzes, des Verlangens und einer Sehnsucht, die ihn oft zu zornigen Tränen des Trotzes gegen sich selbst brachte, Gedanken, Stimmungen und »Grillen« in ihm aufstiegen, welche, wenn je, jetzt seine Tatkraft lähmten, und ihn zurückhielten in seinem abgeschiedenen Tal und seinen Träumereien!


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