Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Drittes Kapitel

Wir führen den Leser in die Residenzstadt M., wo seit einem Monat der Kurfürst seinen glänzenden Hof hielt und die vornehme Gesellschaft des Landes sich um ihn versammelt hatte. Wo er einzog, hob ein bewegtes, lärmendes und fröhliches Leben an; die großen und düsteren Höfe des vom Lande heimkehrenden Adels öffneten ihre eisernen Gittertore für Karossen und Sänften, die dunklen, verschlossenen Gemächer, in denen eine modrige Luft sich eingefangen, schlugen wie nach einem langen Winterschlaf die Augen ihrer Fenster auf und atmeten einmal wieder die Creme aller Wohlgerüche ein, die aus den Riechfläschchen und den seidenen Tüchern emporstiegen oder aus den Sandelholzfächern dufteten; die gestickten Atlasschuhe mit den hohen roten Absätzen trippeln über das neugewichste Parkett, die lange Schleppe von Trapd'or rauscht ihnen nach, und in unerreichbarer Höhe darüber wogen die Locken-, Federn- und Spitzenbaue der kunstreichen Toupets, langsame und feierliche Bewegungen gebietend. Desto behender sind die gepuderten Herren; in der goldgestickten Samtweste, in dem scharlachroten oder veilchenblauen Rocke mit goldenen Knöpfen kommen sie von einer Dame zur anderen, wie auf dem horizontal geschnallten Degen angeritten, und schwenken die Spitzenmanschetten, um mit graziöser Handbewegung den blumichten Redensarten eine Bekräftigung zu geben, worin sie Chlorindens Brillantenprätension von dem Funkeln ihrer Augen überstrahlt erklären und an Chimenens Nacken Perlenschnüre entdecken, die ein unglücklicher Schäfer über ihre Grausamkeit in den Kelch einer Rose geweint hat. Man sollte glauben, dieses zarte Geschlecht habe sich bloß vom Honig des Hymettus genährt; aber nein, wenn wir in die Küche treten, finden wir gewölbte Hallen, weit wie Kirchen, die weißen Köche in Scharen, ganze Schwadronen von Bratenwendern und ein Geschmor und Gezisch und Brodeln, als gälte es ein Lord-Mayor-Mahl zu bestellen; und von allen Dingen, welche die Ueppigkeit ausgesonnen, das Seltsamste ist der Porzellanvorrat, der in diesen Hallen klappert und rasselt, um seine Wanderungen in die oberen Regionen anzutreten. Nicht allein, daß die feinsten Blumenmalereien diese japanischen und chinesischen Erzeugnisse schmücken; nein, jedes Geschirr hat die Form des Tieres oder der Frucht, die es aufzunehmen bestimmt ist, bunt mit den natürlichen Farben bemalt, und die Vorratskammer ist eine ganze Menagerie von allen möglichen Tierarten; hier glotzt das kalte Auge der wilden Gans, dort streckt euch der Eber den dräuenden Hauer entgegen; neben ihm der Truthahn, das bunte Rad seines Schweifes und den roten Hals hoch aufrichtend, das Birkhuhn mit dem roten Augenwulst, der Auerhahn, die Trappe, das schlummernde Reh – und umher eine ganze Vegetation von Kohlköpfen, Spargelbündeln, Melonen, Ananas, der Himmel weiß was alles; in der Tat, es muß hübsch aussehen, wenn es aufgetragen, zwischen vollen duftigen Blumensträußen die Tafel bedeckt.

Man sollte ferner glauben, wenn man die klassischen Scherze, die sub rosa geflüsterten Anspielungen, die wunderlichen Dialoge in der Augensprache anhört, trotz des gehaltenen Wesens und trotz der völligen Herrschaft über sich selbst, die jeder einzelne dieser säuselnden und wie auf Schmetterlingsflügeln durchs Leben schwebenden Gesellschaft an den Tag legt – taugten sie alle miteinander nicht besonders viel; von gutem christlichen Glauben gar nicht zu reden. Aber auch da würde man irren; denn was den Glauben angeht, so haben sie dessen viel mehr als nötig, und auch darin hat das Zeitalter des Luxus seinen Charakter betätigt. Praktiziert einem dieser Kavaliere aus der Tasche seiner gestickten Weste zum Spaß die Börse, ich will nicht behaupten, daß immer das Jahrhundert des Ueberflusses bis in ihr Inneres hinabgestiegen sei, um sich auch darin breitzumachen; aber das weiß ich, daß ihr ein wunderliches, schwarzbraunes Säcklein findet, aus dem ihr nicht klug werdet, bis ich euch sage, daß dieser Stoff von den Häuten der Fledermaus ist, die Glück im Spiele gibt. Nun wieder hinein damit. Da – ihr fühlt ein einziges Geldstück noch in der Tasche; das ist ein Mansfelder Davidgulden, der unverwundbar macht, denn er springt jedesmal der Kugel und dem Stiche entgegen, die auf den Träger gerichtet werden.

Und nun – die Frivolität ist ansteckend – jene Dame mit der hochgewölbten Trompeuse: noch eine Untersuchung. Ihr findet, wenn auch sonst nicht viel, mindestens ein Amulett, einen Talisman oder irgendeinen Liebeszauber; auf ihrer Brust aber, an einem Samtbande trägt sie den kleinen goldenen Mops; auch der wird bald versteckt werden müssen, denn es ist die lebhafteste Klatscherei ausgebrochen, die Mitglieder des unschuldigen Mopsordens ständen mit dem Teufel in Verbindung.

In dieser Welt voll Glanz, Ueppigkeit und fröhlichem Leichtsinn war ein strahlender Stern aufgegangen, eine Königin der Schönheit, eine Göttin der Huld, wie die Männer behaupteten, während die Frauen gar nicht begriffen, wie jene so bezaubert sein könnten von einer Erscheinung, die freilich nicht alltäglich sei und allerdings ihr Auffallen habe, aber ihre Vorzüge durch unangenehme Eigenschaften völlig wieder aufwiege. Katharina von Plassenstein sei hochmütig, ungesellig und mokant, behaupteten die Frauen; ganz vollkommen schön – daran fehle auch noch viel. Die Männer fanden sie reizend, im höchsten Grade pikant, und wenn sie mokant sei, so sei es jedenfalls ein beneidenswertes Los, von ihr aufgezogen zu werden, denn sie tue es mit so viel Geist und zugleich mit einer solchen Anmut, daß sie nur ein geschmeicheltes Gefühl zurücklassen könnte. Alle aber fanden es unbegreiflich, wie eine Dame von so viel »Verdienst« so lange sich in einem einsamen öden Stifte habe einschließen lassen mögen.

Daß ihr Stift einsam und öde sei, hatte Katharina erst vor wenigen Monaten gefunden; dies Gefühl war so plötzlich, so überwältigend über sie gekommen, daß sie sich vor ihm hatte in das regere Leben der Residenz flüchten müssen. Sie kannte M. von früherer Zeit her; ein längerer Aufenthalt hatte es ihr damals lieb gemacht; es waren nur frohe oder mindestens angenehme Erinnerungen, die sich für sie an diese Höfe knüpften, durch deren Tore ihre Sänfte jetzt wieder sie trug, an diese schmuckvollen Räume, auf deren getäfeltem Boden ihr kleiner Fuß jetzt wieder zum Menuett anschritt. Aber wie wunderbar fand sie diese Stadt in den wenigen Jahren verändert! Sie fand ihr Leben wie gedämpft, ihre Gesellschaften wie von der Langeweile zusammengebeten, ihre Interessen und Beschäftigungen wie von der Alltäglichkeit diktiert und den Geist ihrer Umgebung wie eine weidende Ziege der Dürftigkeit, die mit einem Strick an einen Pfahl gebunden ist, daß sie über ihren Kreis nicht hinaus kann. Nichts fesselte sie, nichts schien ihr witzig, edel, groß genug, ihre Augen auf sich zu ziehen; endlich, nach langer Zeit, tauchte eine neue Erscheinung in den Kreisen der Residenz auf, die ihr Interesse anzuregen wußte; wunderbarerweise fanden aber alle andern, daß diese gerade die insipideste, ungehobelste und gewöhnlichste von allen sei.

Wir finden sie in einem dieser hellerleuchteten Höfe, aus dessen Sälen eine rauschende Musik schallt, die bis zu den Ohren eines gaffenden Volkshaufens dringt, der draußen lungert und den Inhalt der heranrollenden Karossen bewundert, wenn er über die niederfallenden Schläge und Stufen trippelt und gleich darauf, durch eine Reihe reich galonierter Livreen, von den breiten Stiegen emporgetragen, in das Himmelreich da oben verschwindet. Katharina bewegt sich nicht in den Gesellschaftssälen; sie war einsam auf ihrem Zimmer; die einfache Ordenstracht ist abgeworfen, um ihre schlanke Taille bauscht der Reifrock und die Adrienne und die hohe Coiffure hebt die Höhe ihrer Gestalt hervor. Aber ohne Rücksicht auf den kostbaren Ballanzug hat sie sich in einen Sessel geworfen, die Hände über der Rückenlehne gefaltet und darauf die Stirn gedrückt.

Was sie sinnen mag? – Ich weiß es nicht; aber es gibt viel, das zum Sinnen bringt, viel, das auch den Menschen im leichten Ballstaat auf die kühlen frostigen Höhen des Gedankens empordrängt. Es kommt eine Zeit, wo die Fassungskraft der inneren Sinne gereift ist und mit seinem größeren Umfassungsvermögen das Ohr nicht mehr den Lärm, sondern die stille Schweigsamkeit der Welt zuerst heraushört; nicht mehr das fröhliche Toben und Rauschen und Treiben des Lebens, sondern die Totenstille sich ihm aufdrängt, die der Lärm vergebens zu übertäuben strebt, indem es ihr in das drohende, verbissene Antlitz lacht.

Es kommt eine Zeit, wo die Illusionen schwinden und das Leben in seiner nackten Wirklichkeit vor uns tritt. Nichts in der Welt mag öfter ausgesprochen sein; aber die meisten, die es aussprechen, sagen es andern nach, wenn irgendeine ihrer Hoffnungen fehlschlägt, irgendein Mißgeschick ihre Wege kreuzt; die wenigsten mögen die Behauptung aus eigener innerer Erfahrung aussprechen, weil sie nie viel Illusionen gehabt haben, die schwinden könnten. Die meisten finden das Leben so, wie sie es sich immer gedacht haben, nicht weil es wirklich so wäre, sondern weil ihnen das Vermögen fehlt, zu sehen, zu fühlen, wie es wirklich ist. – Es gehört Phantasie und Gefühl dazu, Illusionen zu haben; sich eine Unendlichkeit von Glück durch Liebe, von Glanz durch Gedankenhoheit, von Schönheit durch Gotterfülltheit ins Leben zu träumen, alles das nahe, erfaßbar vor sich zu wähnen, zu schwelgen in der Freude darüber. Und nun zu der unseligen Reife des Gedankens und der Erfahrung zu gelangen, welche die innere Schäbigkeit des Weltlaufs durchschaut, die sich selber als unabweisbare Wahrheit und Ueberzeugung gestehen muß, daß alle Illusionen eben Illusionen waren, daß nichts von all dem schönen Glauben, in dem man glücklich gewesen ist, sich erfüllt; – das heißt, jene Bemerkung in ihrer vollen Wahrheit fühlen; das ist, was sinnend, träumerisch und traurig macht; das heißt, den Königsmantel, den das Leben um die Schultern geschlagen hat, weggerissen und darunter den wundgepeitschten Rücken sehen; es heißt, die türkische Braut seiner Zukunft, die verhüllt und verschleiert einem angetraut ist, endlich genuß- und liebebedürftig ihrer Stirnbinden, ihrer Schleier berauben dürfen und – eine gelbe, schmutzige Sklavin finden.

Jeder Mensch, der so über die Schwelle seines Illusionenbaues geführt wird, durchmißt den umgekehrten Lebenslauf, den der Sänger von Florenz machte; er tritt aus der vita nuova seiner Jugendhoffnungen in das alte Leben, welches die Welt lebt, und während jener in dem neuen Leben anfing zu denken und zu philosophieren, drängt sich dem anderen das Denken in dem alten Leben auf; für die Poesie, die ihm entrissen wird, greift er nach einem für seine Ruhe gefährlichen und schlimmen Surrogat, der Philosophie.

Die Philosophie einer Frau ist – mit wenigen Ausnahmen der männlicheren Geister unter ihnen – getäuschte oder unbefriedigte Liebe; oder es ist der Druck des Müßiggangs ihrer Gefühle, der auf ihnen liegt, und wie das Druckwerk einer Wasserkunst die Springbrunnen ihrer Gedanken öffnet und in vollen Garben aufsprudeln läßt. Die Liebe macht sie poetisch und ihr Schwinden philosophisch; und indem wir uns wieder zu unsrer Heldin wenden, fragt es sich also, ob ihr Sinnen ein poetisches Träumen oder ein philosophisches Nachdenken über die Nichtigkeit der irdischen Dinge gewesen sei? Machen wir den Beobachter.

Nur einen Korridor und ein Vorzimmer von ihr entfernt summt, rauscht, lacht, flüstert die Gesellschaft, klappert mit den Spielmarken, wedelt mit den Fächern, macht Verbeugungen und Gestikulationen; kurz, ist in völliger Beschäftigung, die Summe von Tönen, Phrasen und Bewegungen hervorzubringen, die von einem großen Zirkel mit billiger Nachsicht eine genußreiche Unterhaltung genannt werden.

»Aber, meine liebe Therese,« sagt die Frau des Hauses, aus einer Gruppe von Herren, die sie umgeben hat, zurückschlüpfend und drei zusammen plaudernde Damen unterbrechend, »wir müssen durchaus eine bevollmächtigte Ambassade absenden, um Katharina holen zu lassen; die Herren zetteln sonst eine Verschwörung an, es herrscht eine dumpfe Gärung unter ihnen, die im Begriff steht, in helle Flammen des Aufruhrs aufzubrechen.«

»So wollen wir Herrn von Schemmey absenden,« sagte die Angeredete, eine kleine dicke Dame mit schmalen, verschmitzt lächelnden Augen, welche Stifterin und Präsidentin des Mopsordens war, »gib einmal acht, was die Katterbach für Augen machen wird; hast du ihren Kopfputz schon betrachtet? Er ist wie der babylonische Turm, ein unvollendetes Wunder der Welt«, setzte sie flüsternd hinzu.

»Die hängenden Gärten der Semiramis, aber im Spätherbst«, sagte eine dritte Dame.

»Herr von Schemmey!« rief die erste lauter.

Herr von Schemmey näherte sich der Gruppe, machte eine Verbeugung und sprach in einer Stellung, die zwischen militärischer, liniengerader Steifheit und anmutiger Nachlässigkeit etwas unsicher hin und her schwankte.

»Was befehlen Sie, meine Gnädigsten?«

»Meine Freundin Therese will sich an Ihrem Anblick erfreuen; sie behauptet, Sie könnten so außerordentlich schön stehen, Herr von Schemmey.«

»Sehr verpflichtet, Frau Gräfin.«

»Aber diesmal will ich Sie nicht allein stehen sehen, sondern Sie sollen auch gehen«, hob die Ordenspräsidentin an.

»Nur nicht aus ihrer bezaubernden Nähe, meine Grazien.«

»Aber wir sind, unser vier,« warf die jüngste Dame ein, die noch nicht gesprochen hatte; »es gibt nur drei Grazien!«

»Welche die Venus umgeben«, sagte Herr von Schemmey.

»Das ist abscheulich von Ihnen, da werfen Sie den Zankapfel der Eris zwischen uns, wer Venus ist! Und Sie stehen ganz ruhig da, in dem sicheren Bewußtsein, daß niemand nahe, der Ihnen den Apoll streitig machen könnte.«

»Ich bewundere Ihre mythologischen Kenntnisse«, sagte der Apoll in der prachtvollen Lockenperücke und dem kaffeebraunen, gestickten Rock, der niemand anders war als der lustige Leutnant, den wir auf Diependahl kennenlernten, der Hoch- und Wohlgeborene Freiherr des heiligen römischen Reiches. Er war in die Residenz gekommen, um sich in seinem neuen Glanze zu sonnen und um der Langeweile des stillen Gutes im Bergischen zu entgehen, wie er sagte, um seine Braut in die Welt einzuführen und sie eine Badekur in den Düften der feinen Sitte gebrauchen zu lassen, die ihm selber nebenbei auch nicht schaden konnte.

Der Freiherr fuhr mit der Hand nach seiner Oberlippe und ließ sie gleich wieder sinken, weil nichts mehr da war, das er hätte in Kräusel drehen können; der prachtvolle Schnurrbart war der Badekur gewichen.

»Herr von Schemmey, Sie sollen sich zu Fräulein von Plassenstein begeben und ihr den Wunsch der Gesellschaft vortragen, die sich nach ihrem Erscheinen sehnt«, sagte die Dame des Hauses.

»Sie sollen zu ihr gehen als Herold des Mopsordens, der einen Aufruhr seiner Untertanen befürchtet«, fiel Gräfin Therese ein.

»Als Ordensheld, als Toison d'Or!« sagte die jüngste Dame.

»Nicht als Toison; d'Or, als Mops d'Or«, verbesserte die Präsidentin.

»Bekleiden Sie mich mit dem Zeichen dieser Würde, erlauchte Großmeisterin.« Herr von Schemmey beugte sein linkes Knie.

Die Stifterin des Ordens – der, im Vorbeigehen gesagt, nichts als ein Damenscherz war, obwohl er zu jener Zeit viel zu sprechen machte – nahm ihren goldenen Mops ab und schlang ihn um den Nacken des Freiherrn von Schemmey. Die Gruppe vergrößerte sich; alle wollten sehen, wie Schemmey Ordensherold wurde.

»Es steht ihm sehr gut«, sagte einer der Herren.

»Sie sind zum Mops d'Or wie geschaffen, Schemmey«, lachte ein anderer.

»Sie sollten ihn auf Lebenszeit dazu ernennen, hochgebietende Dame vom Kapitel«, rief ein dritter sarkastisch.

Der Herold eilte unterdes, seinen Auftrag auszurichten. Nach einer Weile kam er wieder, auf seinem Gesicht einen leuchtenden Ausdruck der Genugtuung zeigend. An seinem Arme führte er Katharina von Plassenstein.

Sie begrüßte ihre näheren Bekannten unter den Damen, sie hörte die Anreden der sie umschwebenden, umsäuselnden Herren an und stand wie eine Königin in der Mitte dieses galanten Hofstaates, der übrigens sich etwas unzeremoniös um sie drängte. Nur Herr von Schemmey hatte unerschütterlich an ihrer Seite Posto gefaßt; die andern arbeiteten augenscheinlich darauf hin, ihn fortzuschieben, er aber mochte durchaus nicht einsehen, weshalb er nicht auch Katharinen bewundern lassen sollte, daß er so schön stehen konnte, wie die Dame des Hauses gesagt hatte. Unterdes hatte Josina von Katterbach von ihrem Taburett hinter einem Spieltische her, auf dem alles in Bereitschaft lag, eine sehr unterhaltende Partie zu machen, wären nur Partner für sie dagewesen – die ganze Gesellschaft zu beobachten, volle und ungestörte Muße. Sie war in einer sehr unangenehmen Gemütsstimmung. Seit dem ersten Abend, an welchem sie mit ihrem Verlobten dem Stiftsfräulein von Plassenstein vorgestellt war, hatte diese ihr sehr unliebenswürdig scheinende Dame ein Netz wohlberechneter Koketterien nach ihrem Bräutigam ausgeworfen, und wenn der letztere ihr bis dahin auch noch keine jener leidenschaftlichen Wallungen eingeflößt hatte, die das Glück der Liebe ausmachen sollen, so war sie doch nichts weniger als gleichgültig dahei. Herr von Schemmey war ihr wenigstens von diesem Augenblick an eine viel Aufmerksamkeit erheischende Person geworden. Und seitdem sie gesehen, daß jemand ihn ihr entreißen wollte, hatte sie beschlossen, ihn mit aller Gewalt festzuhalten. Es war ein stiller Kampf zwischen den beiden Damen ausgebrochen, und wenn Katharina auch die meisten Siege darin erfocht, so hatte doch Josina die Genugtuung, ihre Ansichten über die Nebenbuhlerin frei aussprechen zu dürfen und bei der Mehrzahl der anderen Damen ein williges Echo zu finden. Was sie aber am meisten ärgerte, war, daß die hochmütige Plassenstein sich ihr gegenüber stellte, als lebten sie beide im tiefsten Frieden miteinander, und daß sie immer mit der größten Freundlichkeit ihr entgegenkam. »Sie ist eine wahre Schlange,« sagte sie, »und mich soll wundern, wann Schemmey die Augen über das aufgehen werden, was allen Menschen so klar ist wie die Sonne.« Dem Freiherrn von Schemmey waren bis jetzt die Augen nicht aufgegangen; im Gegenteil, die Schlange schien ihn immer fester zu umringeln. Mit seinem liebenswürdigen Leichtsinn und in jugendlicher Offenheit für frische Eindrücke vergaß er seine Braut und umflatterte die Dame, die zu hoch von der Gesellschaft gestellt wurde, als daß ihre Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit für ihn nicht etwas unendlich Schmeichelhaftes gehabt hätte. Und als er gewahrte, daß sie die feinen und zierlichen Redensarten der anderen Kavaliere jedesmal ebenso fein und zierlich abtrumpfte, während sie seine natürlicheren Scherze immer mit vieler Nachsicht aufnahm, da war der Hoch- und Wohlgeborene Freiherr ein vollständiger Sklave. Es mochte ihm endlich ganz ernsthaft die Beobachtung sich aufdrängen, weshalb er denn Josina eigentlich durchaus und ohne Widerspruch heiraten müsse? Es konnte ihm wenigstens nicht entgehen, daß ihre Familie und sie selbst durchaus nicht in der unbeschränkten Achtung standen, deren die Plassenstein sich erfreut hatten, und daß ihn Katharina endlich in ganz andere Familienverbindungen bringen würde. Zwar stand ihm ein Vertrag mit Josinens Bruder im Wege; aber nach genauer Erwägung konnte er sich nicht verhehlen, daß er unrecht getan, ihn so rasch einzugehen und daß er durchaus keine bindende Kraft habe.

Als Josina ihren Verlobten wie für ewig in den Kreis gefesselt sah, der um ihre Nebenbuhlerin sich geschart hatte, erhob sie sich und schritt in ein offenstehendes, aber leeres Nebenzimmer, um zu sehen, ob ihr völliges Verschwinden nicht jenen auf sie aufmerksam machen könne. In einer sehr anmutigen Stellung, welche die vollen und edel geschwungenen Formen ihrer Gestalt hervorheben mußte, lehnte sie in der Fensterbrüstung, drückte die Stirn an eine der Scheiben und blickte mit der Schwermut einer verkannten Seele in die düstere Nacht hinaus, wobei sie den Vorteil genoß, in der Scheibe zugleich einen den Lichterglanz der anstoßenden Räume zurückwerfenden Spiegel zu haben, so daß ihr nicht entgehen konnte, wenn vielleicht einer der Herren in das Zimmer treten würde, um wie bezaubert stehen zu bleiben und in den Anblick ihrer Gestalt zu versinken. Aber niemand kam, und Josina wurde von der Langeweile nach einer Viertelstunde wieder aus dem Boudoir getrieben, um die Erfahrung reicher, daß die Herren doch oft wahre Klötze seien.

Unterdes hatte der Ball begonnen; Josina sah, als sie wieder in den Saal trat, wie Herr von Schemmey Katharinen in die Reihe der Tänzer führte, dann aber ward ihren Blicken eine andere Richtung gegeben, durch einen sehr verbindlichen Herrn, der schon etwas ältlich war, aber noch ganz gewandte Manieren hatte. Er hatte keine Partnerin gefunden und sich resigniert an einen Kamin gestellt; jetzt trat er, erfreut, eine noch unaufgeforderte Dame zu sehen, mit einem: »Kann ich die Gnade haben?« auf sie zu.

Josina hatte die Gnade, worüber der schon etwas ältliche Herr eine große Freude an den Tag legte.

Als Fräulein von Katterbach das Gesicht ihres Partners ansah, kam ihr dasselbe bekannt vor; sie wußte übrigens nicht gleich, wo sie es schon gesehen habe und hatte auch in diesem Augenblick keine Lust, darüber nachzudenken. Der Herr war sehr gesprächig, sehr unterhaltend und lebhaft, aber tanzte ziemlich altfränkisch und geziert, so daß Josina nicht recht mit ihm im Takt bleiben konnte; endlich bemerkte sie ihm, daß sie glaube, es sei in Beziehung auf die spätere Ermüdung ratsamer, immer nur drei Pas zu machen und nicht fünf, wenn man mit drei Pas auskommen könne. Der Herr zog sein seidenes Tuch hervor und wischte sich die Stirn: »Sie haben ganz recht, meine gnädige Frau, aber –«

»Ich bin noch nicht verheiratet«, fiel Josina etwas pikiert ein.

»Bitte tausendmal um gnädige Nachsicht, aber ich habe nicht die Ehre gehabt, Ihnen vorgestellt zu werden«, sagte der ältliche Herr mit einer tiefen Verbeugung.

»Ich bin das Fräulein von Katterbach zu Diependahl.«

»Katterbach!« schrie der Herr auf, fuhr einen Schritt zurück und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen: »Das mußte mir begegnen! O superi!«

Der Herr war niemand anders als der Blumenschäfer von der Pegnitz, welcher der Säuberliche hieß und den Grundsatz hatte, daß man sich nicht unnütz in Gefahr begeben müsse, niemand anders als Herr von Driesch.

Als er die fürchterliche Entdeckung gemacht hatte, daß es die Schwester seines Todfeindes war, die er am Arme gehalten, durchlief ihn ein kalter Schauder; aber nachdem er jene Worte so laut ausgestoßen hatte, daß die Gesellschaft plötzlich innehielt, um zu schauen, welches Ereignis einen solchen Schrecken bei einem ihrer Mitglieder hervorgebracht habe, faßte er sich, so gut es ihm möglich war. Er besann sich, daß er keinesfalls die Gesellschaft durch eine unschickliche Szene beleidigen dürfe, und indem er Josina eine Verbeugung machte, sagte er: »Mein verehrtestes Fräulein, ich kann nicht mehr tanzen, ich – ich habe mir den Fuß verstaucht.« Herr von Driesch streckte seinen rechten Fuß aus, der sich in einem feinen seidenen Strumpfe und , mit einer glänzenden Brillanten- Schnalle geschmückt ganz reputierlich ausnahm, und dann setzte er hinzu, indem ein helles Rot des Ingrimms sich über sein Gesicht verbreitete: »Ja, diesen Fuß habe ich mir verstaucht – in der Wolfsfalle!«

Er stampte den Fuß nun heftig auf den Boden, daß dieser dröhnte, warf einen Blick, lodernden Zornes auf die unglückliche Josina und zog sich, Verwünschungen murmelnd, an seinen Kamin zurück.

Der Tanz war unterbrochen, die Gesellschaft drängte sich mit den Ausdrücken des Staunens, der Ueberraschung und der Teilnahme um das verlassene Fräulein; Katharina trat unterdes in das leere Nebenzimmer, wo sie, wie nach einer großen Ermüdung tief aufatmete und sich auf ein Sofa warf. Herr von Schemmey folgte ihr.

»Wie, Sie sind nicht bei Ihrer Braut, die Ihres Armes bedarf, ritterlicher Mops d'Or und Ordensherold?« fragte ihn Katharina, indem sie mit vieler Freundlichkeit ihren Anbeter anlächelte.

»Meine Huldgöttin, Sie machen mir einen Vorwurf daraus?«

»Es ist gut, daß Sie das Huldgöttin mehr betonen als das meine, um der Phrase das Schmeichelhafte zu lassen,« versetzte Katharina mit einem ironischen Blicke.

»Wollen Sie nicht meine Huldgöttin sein?«

»Merken Sie sich eins, Herr von Schemmey,« sagte Katharina, indem sie verlegen werdend sich abwendete: »Sie kennen uns Frauen nicht, wenn Sie glauben, die leichte Tändelei des gesellschaftlichen Verkehrs befriedige uns; eine wirkliche Schmeichelei liegt für uns nicht in Phrasen, sondern in dem tatsächlichen Beweis, daß wir Achtung und Freundschaft eingeflößt haben. Und lassen Sie mich es geradezu gestehen, um in der Offenheit Ihnen mit dem guten Beispiele voranzugehen – Sie werden es ohnehin oft genug gehört haben, die Neugierde ist unsre stärkste Triebfeder; aus diesen Gründen kommt es, daß wir vor allem andern Vertrauen fordern.«

»Ich weiß nicht, was ich verantworten soll,« entgegnete Herr von Schemmey, »wenn nicht allenfalls, daß ich mir vorkomme wie ein Pinsel.«

»Sehen Sie,« sagte Katharina lächelnd, »diese Offenheit ist es, was ich von Ihnen erwarte. Kommen Sie jetzt, man vermißt uns sonst.« Sie stand auf und ordnete etwas an ihrem Kopfputz vor dem Spiegel, der über dem Kamine des kleinen Raumes hing.

»Kennen Sie den Herrn, der eben Ihre Braut beleidigte?« sagte sie dann, gleichgültig hinwerfend, aber die Züge seines Spiegelbildes im Auge behaltend.

»Ach Gott, nein; es ist mir höchst fatal; ich werde mich mit ihm schlagen müssen.«

»Sie haben ihn früher weder bei Tage noch bei Nacht gesehen?«

»In meinem Leben nicht; weshalb fragen Sie so scharf nach?«

»Gehen Sie jetzt, wir haben sonst Neckereien zu erwarten.«

Herr von Schemmey ging; wenn er sich vorgekommen war wie ein Pinsel, so mußte dies Gefühl wenig Beunruhigendes für ihn gehabt haben, denn als er sich wieder in die Gesellschaft mischte und sich nach seinem Fräulein Braut umzusehen ging, war er in der vollständigsten Triumphatorlaune und fest entschlossen, zu den übrigen, unleugbar nicht gemeinen Vorzügen seiner Person jetzt auch die Tugend der Offenheit in einem möglichst bezaubernden Grade hinzuzufügen.

Katharina trat ebenfalls wieder in den Saal und näherte sich nach einer Weile Josinen mit einer freundlichen Frage nach ihrem Befinden.

»Mein Befinden ist sehr gut, Fräulein von Plassen- stein,« versetzte Josina; »ich kann sagen, daß ich mich außerordentlich wohl befinde; die Heiterkeit ist mir immer so sehr zuträglich.«

»Also, Sie sind so heiter; nun, das ist mir so erfreulich zu hören, wie es für unsre gütige Wirtin schmeichelhaft ist.«

»Ach, ich bin außerordentlich – ha, ha, ha! – ich bin ungemein heiter.« Sie versuchte so laut zu lachen, wie es nur die Schicklichkeit erlaubte. »Finden Sie nicht auch,« setzte Josina hinzu, »daß es sehr spaßhaft ist, wenn man sich im stillen über die Lächerlichkeiten ganz hochmütiger Personen amüsieren kann, ganz außerordentlich hochmütiger, falscher, neidischer, miserabler, boshafter Personen?«

»Es ist mir etwas durchaus Neues, daß miserable, boshafte, neidische Personen lächerlich seien; mir sind sie ekelhaft, und ich lasse sie unbeachtet ihrer Wege gehen.«

Katharina stand auf und begab sich zu ihrem Pla[t?]ze zurück. Im Vorbeigehen flüsterte sie dem Freiherrn von Driesch, der, noch immer über sein fatales Abenteuer nachsinnend, sich Klatschereien von einer alten Dame erzählen ließ, die er nur sehr zerstreut anhörte, die Worte zu: »Besuchen Sie mich morgen, Herr von Driesch.«


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