Levin Schücking
Eine dunkle Tat
Levin Schücking

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Siebentes Kapitel

Wir kehren zur Residenz zurück.

Die unbekannte Person, welche bei dem Stiftsfräulein von Plassenstein eingeführt zu werden verlangt hatte, trat in das Zimmer, in dem wir oben Katharinas Bemerkungen über den steigenden Chinesismus ihrer Zeit und ihre Pläne mit dem fruchtbringenden Herrn von der Schäferzunft belauschten. Es war ein junges Mädchen, noch blutjung, aber mit einem blassen, ernsten und sprechenden Gesichte, das an das Sprichwort: »Stille Wasser sind tief!« zu erinnern geneigt war. Sie war hübsch, aber um sie schön zu finden, hätte man einen besonderen Geschmack für jenes orientalische, dunkle, brennende Kolorit und die Symptome verhalten kochender innerer Leidenschaftlichkeit haben müssen, die sich hier wohl durch den Einfluß eines nördlichen Klimas und vielleicht auch niederdrückender und zurückhaltender Erziehung gemildert, aber nicht ganz verwischt und ausgetilgt zeigten.

»Was willst du von mir, Kind?« fragte Katharina freundlich und nicht recht wissend, was sie aus der Eintretenden zu machen habe, deren Anzug den Schnitt der gewöhnlichen Bauerntracht, aber dabei eine ganz außergewöhnliche Nettigkeit hatte.

Die Fremde antwortete nicht; sie legte die Hände über dem Schoß zusammen und sah mit funkelnden Blicken Katharina an.

»Du bist gewiß die Tochter eines Försters oder Vogtes vom Lande? Du willst einen Dienst bei mir suchen? Sei nicht so ängstlich; sprich nur, Kind.«

Lene – denn sie war es – setzte sich auf ein Taburett, das am Fenster stand, und blieb fortwährend stumm.

»Bist du gekommen, mich anzusehen?«

»Ja,« sagte das Mädchen mit einer Stimme, die von irgendeiner verhaltenen Bewegung zitterte; »ich bin gekommen, um Euch ein paar Worte zu sagen und zu sehen, wie Ihr dabei ausseht.«

Ein wunderliches Geschöpf, dachte Katharina; sie sieht aus den Augen, als wäre sie geisteskrank. – »Nun, und die paar Worte sind?« fuhr sie lauter fort.

»Daß Ihr eine sehr schöne Dame seid und daß ich Euch alles Glück zu Eurem schönen Schatz wünsche.«

Katharina stand im Begriffe, die Klingel zu ziehen, um durch einen Lakaien die Wahnsinnige fortbringen zu lassen.

»Wartet einen Augenblick, ich bin nicht zu Ende,« sagte Lene, sich erhebend; »ich will Euch nur noch sagen, daß Euer Schatz ein Schuft ist, ja, ein Bösewicht, ein Räuber, ein Mörder, ein Betrüger!« schrie sie mit einer ausbrechenden Wut auf, die ihre ganze Gestalt erschütterte.

»Tolles Ding, wer bist du? Was willst du?«

»Ich will mich rächen an Euch, denn Ihr verdient es; ich habe geglaubt, Ihr müßtet eine Heilige sein, aber Ihr seid nichts als ein leichtsinniges Weib, und während Ihr dem einen das Herz brecht, habt Ihr Euch an den andern gehängt, der ein Betrüger ist. Euer Herr von Schemmey, von dem man sagt, daß Ihr ihn seiner Braut abgelockt habt und daß er mit Euch verlobt sei, ist ein Betrüger; ich will Euch sagen, wer der rechte Schemmey ist: Kennt Ihr den Sohn der alten Margret Fahrstein? Nein, Ihr kennt ihn nicht mehr, Ihr habt ihn vergessen! Er liegt krank, und Ihr kümmert Euch nicht, wo und wie!«

Katharina sank bleich werdend in einen Sessel, sie bemühte sich, einen Strom von Tränen zurückzuhalten, der aus ihren Augen drang, und wendete das Gesicht von Lene ab, um den Schmerz, der sich darauf ausprägte, vor ihr zu verbergen. Lene glaubte, der Dolch ihrer Erbitterung, den sie der Nebenbuhlerin geschliffen, sei ihr ins Herz gedrungen, sie fühlte eine innerlich in ihr aufjauchzende Freude, und um nichts zu unterlassen, was ihn tiefer und fester hineinstoßen könne, fuhr sie in demselben Tone zu sprechen fort: »Er wird vor Gram und Kummer sterben, während Ihr mit dem Elenden, der ihm seinen Namen, seine Güter und alles, wodurch das Leben für ihn Wert haben kann, abgestohlen hat – spaßt und jubelt und Eure Eitelkeit nährt: ein gutes Paar zusammen, denn wenn er Güter und Briefschaften stiehlt, die ihm nicht gehören, stehlt Ihr Euch einen Liebsten, der Euch nicht gehört.«

»Schweig', freches Geschöpf!« fuhr Katharina auf. Dann bezwang sie ihren aufkochenden Zorn; sie sah ein, daß dieses dreiste Mädchen im Besitz von Geheimnissen sei, für deren Enträtselung Katharina ihr halbes Leben gegeben hätte. Es kam darauf an, sie ihr zu entlocken. Katharina sann darüber nach, wie sie dies bewerkstellige, ob sie offen mit ihr sprechen und ihre Gefühle, Ahnungen und Vermutungen mitteilen solle, die sie vor der ganzen Welt verborgen hielt, oder ob sie die Verstockte spielen müsse; – das letzte war augenscheinlich das Beste. Die Fremde war gekommen, sie zu beleidigen und zu kränken; ein Mißlingen dieser Absicht mußte sie immer ärgerlicher, immer redseliger machen, um ihren Zweck zu erreichen. Katharina nahm deshalb alle ihre Kraft zusammen, um ruhig zu scheinen, und sagte stolz; »Wie kannst du glauben, daß ich auf dein Geschwätz achte! Du bist einem Irrenhause entlaufen, Mädchen, und ich will dich dahin zurückschaffen lassen.«

»Einem Irrenhause? Geschwätz? Nun so hört, ob das, was ich Euch sage, wie irres Geschwätz lautet. Ich bin ein Scherenschleifermädchen, das –«

»Das hätte ich gleich erraten können,« sagte Katharina kalt.

»Das bei der alten Fahrstein aufgewachsen ist,« fuhr Lene ruhig fort. »Diese Frau hat Beweise gehabt, daß der, den sie für ihren Sohn ausgibt, der jüngste Sohn eines Herrn von Schemmey sei; ich habe sie gefunden, es waren mehrere Papiere, und weil ich der alten Margret nicht traute, hab' ich sie an einer sichern Stelle in dem Hause Bechenburg geborgen, um sie zu rechter Zeit ihrem Eigentümer zu geben. Wir mußten von Bechenburg fortziehen. In der Gegend, wohin wir zogen, kam der Anführer meiner Stammesgenossen zu mir und warb um meine Hand; ich habe sie ihm nicht versagen wollen, aber vor meiner Einwilligung legte ich ihm auf, die Papiere, welche ich der alten Frau genommen, aus dem Hause des Herrn von Driesch zu holen und sie dem angeblichen Sohne der Verwalterin sicher zu übergeben. Es gelang ihm; er stahl sich unvermerkt in das Gut und kam in einer Nacht, während ich draußen auf ihn wartete, mit den Briefschaften unversehrt wieder heraus. Wendels war ein starker und gewandter Mann, der nichts fürchtete und den kein Riegel hemmte. Wir wanderten darauf zusammen nach dem Dorfe Kraneck, das weit gen Süden in den Gebirgen liegt. Eines Nachmittags nun, als wir uns unserm Ziele näherten, begegneten uns zwei bewaffnete Reiter, die plötzlich um eine Ecke des Weges bogen; der vorderste zog ein langes Pistol aus dem Sattelhalfter und richtete es mit dem Ruf: ›Heda! halt!‹ auf meinen Begleiter; ich sprang in ein Gebüsch zur Seite und hörte, wie einer der Soldaten zum andern sagte: ›Ein prachtvolles Exemplar von einem langen starken Burschen, Peter! Den wollen wir anwerben.‹

Ein Flügelmann, Herr Leutnant, sagte der andre, der ebenfalls sein Pistol zog und den Hahn spannte.

Sie stiegen nun ab, und Wendels, der aus Furcht vor ihren Kugeln stehen blieb, obwohl ich erwartet hätte, daß er trotzdem sich durch die Flucht retten würde, wie er früher schon oft getan in ähnlichen Lagen, ließ sich ruhig von ihnen erfassen. Der Leutnant sagte lachend, daß er schon lange davon überzeugt gewesen, wie jener den dringenden Wunsch hege, in ***sche Militärdienste zu treten, daß er jetzt gerade mit seinem Verlangen an die rechte Schmiede gekommen sei und daß sie ihn nur bäten, wenn er Waffen bei sich führe, sie abzugeben, da er eine schöne Muskete nächstens dafür wieder erhalten solle und einen Haufen Handgeld dazu. Sie durchsuchten ihn, erst nahmen sie ihm ein Messer, dann ein Pistol und endlich die Papiere. Der Werber, welcher der Befehlende zu sein schien, durchmusterte sie: ›Alle Wetter, Kerl.‹ rief er aus, ›wem gehört das?‹ Dann blickte er wieder hinein. Auch der andre Soldat sah jetzt neugierig dem ersten über die Schulter. Diesen Augenblick nahm mein Begleiter wahr; er sprang mir nach ins Gebüsch, lachte ganz unbekümmert und lief weiter. Die Werber eilten zu ihren Pferden zurück, sprengten ihm nach, wie Parforcejäger einem gehetzten Tiere, und schossen ihre Pistolen auf ihn ab. Wir befanden uns in einem Tale, in dessen Mitte ein See lag; dahin lief Wendels, und als sie ihm ziemlich dicht auf den Fersen waren, rettete er sich mitten in das Wasser, wo ihn der morastige Grund ringsumher schützte und er sich auch außerhalb des Bereiches ihrer Kugeln befand. Die Werber zogen nun fort und ritten durch das Tal, dem nächsten Dorfe zu; die Papiere nahmen sie mit sich. – Wendels ertrank in dem Wasser,« fuhr Lene, leiser und ruhiger werdend, fort: »da ich nun niemanden mehr auf der Welt hatte, der sich meiner angenommen bei dem wilden Leben, das die Meinen draußen in den Wäldern führen, und ich es bei ihnen nicht aushalten konnte, denn sie sind roh und fürchten kein Gebot, so blieb ich einige Zeit allein in der Gegend und spann oder nähte für die Bauern; dann ging ich hierher, um einen ordentlichen Dienst zu suchen. Ich hoffte eigentlich, Laienschwester in einem Kloster zu werden, aber sie wiesen mich zurück, weil ich eine Scherenschleiferdirne sei.

»Und nun, armes Geschöpf?« sagte Katharina, die mit dem Ausdruck der höchsten Spannung zugehört hatte.

»Nun hörte ich viel von Euch hier reden, wie Ihr so schön wäret und wie Euch alle Herren den Hof machten, besonders aber der junge Herr von Schemmey; und als ich gestern morgen am Brunnen stand, ritt ein Kavalier an mir vorüber, der zu Eurem Fenster hinauf grüßte. Die andern Mägde sagten, das sei der Herr von Schemmey; ich erkannte ihn als den Werber, der die Papiere mit sich fortgenommen hatte.«

Katharina sprang auf und lief heftig im Zimmer auf und ab; sie lachte, sie weinte, sie warf sich wieder in ihren Sessel und preßte beide Hände auf die Stelle, wo fast hörbar ihr Herz schlug. Ueberrascht war auch Lene aufgestanden und blickte verwundert auf ihr Treiben.

»Seid Ihr in Verzweiflung oder freut Euch das?« schrie sie.

»Kannst du beschwören, was du gesagt hast?« fragte Katharina.

»Bei Gott und seinen Heiligen!«

Katharina warf sich auf die Knie und faltete ihre Hände; dann fuhr sie wieder empor, der Sturm ihres Innern ließ ihr keine Ruhe. Sie umarmte Lene, sie küßte sie – »Mädchen. Mädchen, ich will dich in Gold fassen lassen!« Unbeschreiblich aber waren die Uebergänge und das wechselnde Aufeinanderfolgen der verschiedensten Gefühle in Lenes Brust, nun sie inne ward, welch' ganz andern Eindruck ihre Erzählung gemacht hatte, als sie beabsichtigte. Aerger über das Fehlschlagen ihrer Absicht, innere Zerknirschung, der Wunsch, auf der Stelle sterben zu können, war, was zuerst in ihr mächtig wurde. Sie hatte so lange sich in dem tröstenden Gedanken gewiegt, daß das Herz, welches Bernhard von sich gestoßen habe, doch so viel edler, treuer und tiefer sei als das der vornehmen Dame, nach dem er seufze und die ihn über das Spielzeug ihrer Eitelkeit vergesse; und nun verriet Katharina in dem Ausbruch ihrer ungebändigten Freude eine Leidenschaft, vor der die ihrige nichts voraus hatte. Sie hatte sie gehaßt und mußte sich gestehen, daß sie ihr unrecht getan; sie haßte sie desto mehr, aber sie mußte sie lieben, in diesen Ausbrüchen der Liebe für den Gegenstand ihrer eignen Neigung, der zwischen beiden eine Art Schwesterschaft bildete; sie mußte sich vor ihr beugen, als der Göttin, in deren Händen das Glück Bernhards lag. – Sie begann zu weinen und wandte sich zu gehen; als sie das Türschloß nicht zu öffnen verstand, verlangte sie mit der unartigen Ungeduld eines Kindes hinausgelassen zu werden.

»Nein, nein, du bleibst, du mußt für ihn zeugen, kein Schritt aus diesem Hause, bevor ich wieder da bin!« Katharina riß nach diesen Worten heftig an der Klingelschnur. »Nur noch eins,« fuhr sie fort, »wo ist er, sprich, wo? Er ist krank. – o Gott, was fehlt ihm? Ist er in Gefahr, wer pflegt ihn, sprich, um des Himmels willen! Wo ist Margret?«

»Er ist auf dem Schlosse Hohenkraneck bei P***, eine halbe Tagereise weiter; ob er noch krank ist, weiß ich nicht; es sind zwei Monate, seitdem ich aus der Gegend schied; er war außer Gefahr. Seine Mutter ist bei ihm.«

Zwei Domestiken waren eingetreten. Katharina befahl, auf der Stelle Anstalten zu einer Reise zu treffen und während ihrer Abwesenheit Lene in ihren Zimmern zu halten, auch sie mit niemandem verkehren zu lassen. Herr von Driesch bekam die erfreuliche Nachricht, er könne, wenn es ihm beliebe, auf seine Güter abreisen; nach einer Stunde saß Katharina von Plassenstein in ihrem Reisewagen, der mit ihr dem Süden zurollte. Es gibt nichts Mutigeres als ein Weib, das die Leidenschaft führt.


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