Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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An einem der nächsten Tage kam Lintrup unverhofft ins Fährhaus. Er hatte sich für einen Tag frei machen können und war froher und ausgelassener als je.

Strahlend vor Freude zeigte er mir ein Geschenk, das er für Anka mitgebracht hatte, eine Spange mit zwei Rubinen, die in schlichter Fassung wie ein paar Tropfen Blut erglänzten.

»Ob sie sich freuen wird?« fragte er. Denn es war erst kurz nach Mittag, und Anka wußte nicht, daß er gekommen war, und hatte sich hingelegt, um eine Stunde auszuruhen. Sie fühlte sich so angegriffen in den letzten Tagen.

Am Nachmittag sah ich die beiden an ihrem Platze unter den Pappeln dicht am Wasser sitzen. Anka stickte, und Lintrup las ihr vor. 226

Es mußte wohl ein fröhliches Buch sein, aus dem er las. Es klang so lustig, wenn er im Lesen plötzlich abbrach und sich vor Lachen auf die Knie schlug.

Aber Anka blieb so still wie sonst, und einmal hörte ich, wie er sagte: »Aber Du lachst ja nicht, Liebe! Ich ermüde Dich doch nicht?«

Eine Weile später kam Behrens zu mir auf mein Zimmer und teilte mir seine Absicht mit, die Hütte aus seinen Mitteln wieder aufzubauen. Sogar einen Bauplan hatte er sich schon entwerfen lassen. Ein Zimmermann in Diemenbusch hatte ihn gezeichnet. Ein Häuschen in Fachwerk, geräumiger als die frühere Hütte, aber anheimelnd mit seinem Strohdach und der kleinen Laube vor der Tür. Das Zimmer hatte ein breites Fenster erhalten und war als Atelier gedacht, die Diele zu einem Wohnraum ausgestaltet mit einem Kamin aus Ziegelsteinen.

Es machte mich in meiner Absicht fortzugehen doch ein wenig wankend, als er die Einzelheiten des Planes mit mir durchsprach und jede Änderung nach meinem Vorschlag zugestand.

»Sie können es sich ja ganz in Ruhe überlegen,« meinte er, »und brauchen sich durchaus nicht zu binden. Ich lasse die Hütte auch bauen, wenn Sie sie nicht benutzen wollen. Ich kann sie ja im Sommer jeden Tag vermieten, so oft wie Leute hier ins Fährhaus kommen, die gern mal einige Zeit allein und in Ruhe wohnen möchten. Verpflegung können wir hier im Fährhause ja immer leicht gewähren. Ich glaube, es ist eine gute Idee, die ich damit habe.«

Das Haus sollte ein wenig näher am Flusse liegen, als die alte Hütte, und er ruhte nicht, bis wir hinübergingen und er mir an Ort und Stelle noch einmal auseinandersetzte, wie er sich den Bau gedacht hatte. 227

Als wir zurückkamen, begegnete mir Anka auf der Treppe im Hause. Ich sah, daß sie sich umgekleidet hatte und Lintrups Nadel am Halsausschnitt Ihres Kleides trug.

»Sie gehen noch fort?« fragte ich.

»Ein wenig, ja. Der Abend ist so schön, und Lintrup erwartet mich unten.«

»Anka!« rief Fräulein Berg und kam aus ihrem Zimmer an die Treppe. »Du solltest doch jetzt nicht mehr fortgehen, Kind! Es dunkelt doch schon draußen! Geh jedenfalls nicht zu weit, Anka, nicht wahr?«

In meinem Zimmer war es dumpf und drückend. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus. Der Wind hatte sich gelegt, und selbst die Pappeln schwiegen in der großen Stille, mit der die Erde die Nacht empfing.

Anka und Lintrup verließen eben den Garten. Ich sah sie miteinander am Flusse hinuntergehen. Lintrup hatte seinen Arm um sie geschlungen, und Anka ließ sich von ihm führen wie ein Kind.

Da klopfte Fräulein Berg an meine Tür.

»Nein, man hätte es nicht dulden sollen,« sagte sie. »Nun bekomme ich wieder keinen Schlaf. Nur, daß sie den Wirtsleuten wieder etwas zu reden gibt! So töricht wie das von ihr ist! Aber nie, daß sie an solche Dinge denkt. Ich sage ja, sie ist ein Kind.«

»Da wäre ich doch an Ihrer Stelle mitgegangen,« scherzte ich. »Sie wären dann sicher gewesen, daß zwischen beiden nichts Unerlaubtes« –.

»Pfui,« unterbrach sie mich entrüstet. »Als ob ich fürchtete, daß Anka – – Nein, das ist stark!« rief sie und warf empört die Tür ins Schloß.

Zum Schlafengehen war es noch zu früh, und ich ging noch ein wenig in den Garten hinunter und setzte mich 228 auf die Bank an der Giebelseite des Hauses. Es sollte nicht aussehen, als blickte ich den beiden nach.

Nicht weit von mir stand das Fenster zur Küche offen, und unter dem Klappern der Schüsseln, die dort gespült wurden, hörte ich die Wirtsleute drinnen miteinander reden.

Ich hatte mit keinem Ohr auf das geachtet, was gesprochen wurde, aber nun wurden die Stimmen lauter, und ich hörte Behrens ärgerlich sagen:

»Ach, zum Deubel noch mal, hör doch endlich mal auf damit! Du merkst doch, daß er nun mal seinen Sinn darauf gestellt hat und nicht länger bleiben will! Ich meine, mehr wie ich kann doch kein Mensch tun!«

»Du hast es nur nicht richtig angefangen, das ist es! Im Grunde willst Du nämlich gar nicht, daß er bleiben soll. Du tust nur so!«

»Dummes Zeug, was sollte ich denn dabei haben?«

»Das weißt Du ganz gut.«

»Da wäre ich doch neugierig –«

»Eifersüchtig bist Du! Halt mich nur nicht für so dumm! Und darum freust Du Dich, wenn er nun weggeht.«

»Du meinst, weil Du ihm den ganzen Tag nachguckst und Dir die Hacken abläufst, wenn Du ihm nur einen Gefallen tun kannst?«

»Da haben wir es – nun sagst Du es selber.«

»Ach was, der hat ganz andere Tauben auf dem Dache.«

»Das sag ich ja, und Du brauchst Dich nicht jeden Tag über mich aufzuregen.«

»Tu' ich ja auch gar nicht, Aleid, das bildest Du Dir ja bloß ein!«

»Wo Du doch merkst, daß ihm selbst das Fräulein nicht mal gut genug ist! Gerade eben ist sie wieder mit Lintrup in die Wiesen hinaus, jetzt, wo es bald Nacht wird!« 229

»Laß sie doch. Was geht uns das an? Meinethalben kann sie die ganze Nacht im Felde bleiben. Sie muß ja selber wissen, was sie tut.«

»Ich sag's nur, weil Du meintest –«

»Nichts meine ich! Du meintest! Aber Du hast heute nun mal keinen guten Tag. Heute morgen hast Du schon mit Heulen angefangen. Da soll sich der Deubel bei Dir auskennen.«

»So, das ist wohl der Dank, daß ich mich hier Tag für Tag in der Küche abrackere? Und dann noch den Ärger dazu –!«

Leise bin ich aufgestanden und zu den Booten hinuntergegangen. Still liegt der Fluß unter der sinkenden Nacht. Hier und da springt plätschernd ein Fisch im Wasser auf.

Sieh an, da hat Anka ihre Tasche im Boot liegen lassen! Sie hatte wohl wichtigere Dinge zu bedenken.

Drüben kommt noch jemand über die Wiesen zum Fährhaus herüber. Beinahe spukhaft sieht es aus, wie er so durch die Dämmerung auf den Fluß zuschreitet.

Es ist ein Bauer aus dem Dorfe, und ich mache den Fährkahn los und hole ihn herüber.

Ja, er kommt von Diemenbusch. Er hat da eine Tochter wohnen. Die Greet. Die andere ist in Wittemoor verheiratet. Wenn ich da vielleicht Lüders kenne? Nein? Lüders ist ihr Mann. Das Haus bei dem großen Siel, wo der Staugraben aus dem Moore kommt.

Als ich ihn beim Fährhause absetze, ist auch Behrens ans Wasser heruntergekommen.

»Ich glaubte, Sie wären in Ihrem Zimmer oben,« sagt er, als der Alte, der es eilig hat nach Hause zu kommen, weitergegangen ist. »Bei meiner Frau ist kein gutes Wetter 230 heute,« setzt er hinzu. »Nichts kann man ihr recht machen. Heute morgen schon ging es wegen Elsbe los. Denn nun wird das ja alles mit dem Kinde wegen Jan Meiners vor Gericht noch mal wieder zur Sprache kommen, und da regt sie sich jetzt schon wieder darüber auf. Es ist doch verteufelt, daß man so eine Geschichte sein Lebtag nicht wieder vom Bein los wird.«

In Wahrheit hat er wohl ein wenig Sorge, daß ich den Wortwechsel zwischen ihr und ihm vorhin in der Küche hier draußen gehört haben könnte, und will ihn nun ein wenig harmloser erscheinen lassen, als er war.

Er macht die beiden Schaflämmer los, die er im Garten über Tag angepflöckt hat, führt die Tiere in den Stall, stößt den Riegel vor und kommt mit langsamen Schritten wieder in den Garten.

»Die Haustür wollen wir nur offen lassen diese Nacht,« sagt er. »Ich glaube, das Fräulein und Herr Lintrup sind noch ins Feld gegangen vorhin.«

Als wir miteinander ins Haus treten, kommt er noch einmal auf seinen Plan für den Wiederaufbau der Hütte zurück. Ich merke wohl, wieviel ihm daran liegt, seiner Frau gefällig zu sein und mich zum Hierbleiben zu bewegen. Er gibt nicht nach, bis ich mit ihm in die Gaststube gegangen bin und er im Schein der Hängelampe noch einmal die Bauskizze vor mir ausgebreitet hat. Ich weiß freilich nicht, was noch viel neues daran zu entdecken ist, aber ich tue ihm den Gefallen.

»Es braucht ja nicht schon im nächsten Sommer zu sein, daß Sie da drüben wohnen,« meint er. »Aber vielleicht kommen Sie später doch gern einmal wieder hierher. Da wäre es doch ganz schön, wenn Sie wüßten, daß Sie hier bei uns jeden Tag ein Unterkommen haben können . . .« 231

Nein, ich war fertig hier draußen. Worauf wartete ich eigentlich noch? Redete ich mir nicht am Ende nur ein, daß ich Ankas wegen noch nicht fortgehen durfte? Wie lächerlich es doch war, sich eine Verantwortung anzumaßen, die sie niemals anerkannt hätte. Denn sie würde mich auslachen, wenn ich ihr gestand, daß mich nur die Sorge um sie noch hier festhielt. Vielleicht tat ich damit wohl nur ein wenig groß vor mir selber? Und war nicht hinter allem eine Hoffnung in mir, die mit Ankas Schicksal gar nichts zu tun hatte, aber still und verloren jedesmal in meinen Gedanken auftauchte, wenn ich daran dachte, von hier fortzugehen – daß nämlich Dina eines Tages wieder hierher zurückkehren würde? Ich sah sie dann unter den Bäumen des Gartens sitzen wie früher, ein Tuch um die jungen Schultern geschlungen, die Augen auf den Fluß und die Wiesen gerichtet . . .

Nein, was für ein Narr ich doch war! Dina war in Indien und hatte das Fährhaus und den Herbst, den wir drei hier zusammen verlebten, gewiß seit langem vergessen.

Kleine Dina, hatte ich gesagt, wenn sie den Fuß in mein Boot setzte und mir die Hand reichte, um beim Einsteigen nicht auszugleiten, oder neben mir über die abendstillen Wiesen gegangen war. Kleine Dina . . .

Laßt doch sehen, wie lange es her war, daß ich ihr geschrieben hatte.

Sieh doch an, mochte sie gesagt haben, als sie meinen Brief bekam und ihn in ihren schmalen Händen hielt. Auf was für Gedanken er doch da draußen in seiner Einsamkeit gekommen ist! Das Fährhaus und seine kleine Hütte da oben am Flusse, nein, ich muß mich wirklich darauf besinnen, wenn ich sie mir wieder vorstellen will. War sie nicht mit Stroh gedeckt und so klein, daß man sich kaum 232 darin umdrehen konnte? Und roch es darin nicht immer so abscheulich nach Rauch, wenn er seinen Tee auf dem offenen Herde kochte, daß einem die Augen darüber tränten? O, sein Name ist mir noch erinnerlich, aber im übrigen – –? Hatte er nicht braunes Haar, wie? Und ging er nicht in einem Anzuge wie ein Bauer umher? . . . Nein, was er mir da doch für Dinge schreibt! Liebte er nicht Anka damals? O, sie hat mir oft davon erzählt. Und nun ich eine halbe Reise um die Erde von ihm entfernt bin, rückt er damit heraus, daß er mich in sein Herz geschlossen und niemals an Anka gedacht hat? Nein, wie lustig das zu denken ist . . .

Endlich rollte Behrens seine Bauskizzen wieder zusammen, und ich wollte in mein Zimmer hinaufgehen, als wir draußen vom Flusse her Ruderschläge hörten. Wir glaubten zuerst, daß es Anka und Lintrup seien, die zurückkämen und sich ein Boot genommen hätten. Als wir aber das Fenster öffneten und in die Dunkelheit hinausspähten, sahen wir, daß es ein paar junge Leute aus der Stadt waren, die in einem Rennboote herausgekommen waren und eben vor dem Hause anlegten.

Jetzt machten sie das Boot fest und kamen lachend den Garten herauf.

»Guten Abend,« riefen sie und warfen ihre Mützen auf den Tisch.

Halloh, das war eine Abwechslung! Sie strahlten von Jugend und Übermut, schlugen sich auf die Knie und füllten die Gaststube mit Lärm und Gelächter.

Nur drei Stunden etwa hätten sie gebraucht. Ein wenig mehr Wind wäre freilich angenehmer gewesen, so schwül und stickig wie die Luft heute abend sei. Nein, zum Kuckuck, wie naß sie geworden seien vom Schweiß. 233

Aber dafür waren die Mäntel gut, die sie mit heraufgebracht hatten. Und Wein wollten sie trinken, selbstverständlich Wein! Sie würden doch übrigens für die Nacht hier Unterkunft haben können? Viel würde es ja wohl diese Nacht mit dem Schlaf nicht werden, sie müßten jedenfalls morgen früh zum Geschäftsbeginn wieder in der Stadt sein. Aber mit der Strömung ginge es ja ein ganzes Stück schneller, da würden sie es wohl in ein bis zwei Stunden schaffen. Es sei allerdings ein verflucht langes Ende bis hier draußen. Sie seien nämlich bisher noch nicht hier gewesen und erst seit einigen Wochen in ihrem Klub. Aber da hätten sie gehört, wie nett es hier draußen sei, und wären vorhin kurzerhand losgefahren, ja.

Ob denn keine jungen Mädchen im Hause seien? Sie hätten Lust, ein wenig zu tanzen!

Nein, mit jungen Mädchen konnte Behrens nicht dienen. Es wohnten freilich ein paar junge Damen aus der Stadt im Hause, aber nein, das ginge nicht. Die eine sei auch gar nicht zu Hause. Nein, an Tanzen wäre wohl nicht zu denken heute abend.

Ach, zum Henker ja, auf junge Damen wollten sie gern verzichten, wenn sie ein paar handfeste Mägde dafür haben könnten, meinten sie. Aber Musik dürfe doch wohl ein wenig gemacht werden?

Damit warfen sie ein Zehnpfennigstück in den Automat, hoben ihre Gläser und tranken sich zu.

Mägde? Nein. Seine Frau habe nur eine Magd, antwortete Behrens, und die schlafe schon lange. Da sollten sie lieber in der nächsten Woche zum Ernteball ins Fährhaus kommen, dann könnten sie tanzen, bis sie umfielen.

Prosit, sagten sie, ja, das wäre eine Idee. Ernteball? Da gäbe es sicher auch für sie etwas zu ernten? Dabei stießen 234 sie die leeren Gläser auf den Tisch und lachten, daß sie sich bogen.

Es war nach Mitternacht als Behrens ihnen das Bootshaus aufschloß.

Strohlager und Decken, ja. Denn Betten könne er ihnen nicht bieten, nun im Hause alle Zimmer besetzt seien. Ja, die Luft sei ein wenig dick. Das Haus wäre nämlich seit Sonntag nicht mehr gelüftet worden, und wenn die Sonne auf die Bretterwände scheine, würde es leicht ein wenig warm hier drinnen. Aber sie könnten ja die Fenster offen lassen, die Luft sei ja jetzt herrlich draußen. Nur müsse er bitten, nicht zu rauchen. Es sei wegen der Feuersgefahr. Mit solchen Dingen sei hier auf dem Lande nun mal nicht zu spaßen. Denn wenn so ein hölzerner Kasten erst einmal brenne, hülfe selbst der Fluß mit all seinem Wasser nichts.

»Ach, ist das möglich?« sagten sie und lachten.

»Solchen Gästen ist nie zu trauen,« meinte Behrens, als er mit mir ins Haus zurückkehrte und seine Laterne ausblies. »Die beiden sind noch nie hier draußen gewesen, aber mich soll der Teufel holen, wenn sie nicht ganz andere Tauben auf dem Dache haben, als sie uns verraten haben.«

Ich hatte mich in meinem Zimmer mit den Kleidern aufs Bett gelegt und horchte auf das leise Flüstern des Nachtwindes in den Pappeln, die dunkel und groß vor meinem Fenster in den nächtlichen Himmel emporwuchsen.

Anka und Lintrup waren noch immer nicht zurück.

Jetzt hat sie es ihm gesagt, dachte ich, und nun wird es sich zeigen . . .

War ich doch eingeschlummert gewesen? Ich hatte Lintrup am Ufer des Flusses sitzen sehen, den Kopf geneigt, die Ellenbogen aufgestützt, die Hände schlaff über den Knien . . . 235

Jetzt! Ging da nicht eine Tür?

Wieder knarrte es leise zu mir herauf . . . Das war wohl die Tür zum Bootshause?

Nun kamen leise Schritte durch den Garten.

»Zum Kuckuck, wenn Du nicht einmal sicher bist, ob es das richtige Fenster ist!« schalt jemand leise. Ein unterdrücktes Lachen antwortete.

Es war zu dunkel draußen, um sie zu erkennen, aber es konnten nur die beiden jungen Leute aus der Stadt sein. Ihre hellen Sweater leuchteten zu mir herauf. Sie hatten sich dicht an die Hauswand gedrückt, um nicht gesehen zu werden.

»Diekmann sagte mir, daß es das letzte Fenster vor der Veranda wäre!« sagte der andere jetzt.

»Und wenn es nicht stimmt und jemand anders schläft dort?«

Du lieber Gott – sie suchten das Kammerfenster der Magd!

Sieh doch an, wie leise sie schleichen konnten . . . Da – einer war mit dem Fuß an die alte Gießkanne gestoßen, die neben dem Hause stehen geblieben war.

Hallo, was für ein Gepolter das gab!

Sie standen vor Schreck wie angemauert.

»Paß doch bloß auf, Menschenskind!« flüsterte der eine ärgerlich. Aber dann krümmten sich beide vor Lachen.

Nein, wie anspruchslos sie doch waren mit ihren dreiundzwanzig Jahren: Die Magd! Behrens Christine!

Jeder im Hause wußte, daß sie es ein wenig mit den Ruderern hielt, und da hatte nun einer den beiden von der Christine erzählt, und sie waren gekommen, um auch einmal ihr Glück bei ihr zu versuchen!

Jetzt standen sie beide unter dem richtigen Fenster, und 236 vorsichtig schob sich eine Hand vor die Scheiben und pochte leise.

»Bist Du verrückt geworden?« flüsterte der andere. »Oder willst Du das ganze Haus aus dem Schlafe wecken? Nur die Fingerspitze anfeuchten, Mensch, und an den Scheiben reiben. Paß auf, so!«

Gleich zwei Bewerber auf einmal? Was für ein begehrtes Mädchen die gute Christine war. Gut, daß es Fräulein Berg nicht sah. Ihr Fenster ging auf die andere Seite des Hauses.

»Pst«, warnte es jetzt unten.

»Was ist los?«

»Da oben steht ja ein Fenster offen!«

»Wo?«

»Über Dir, Du Schlaukopf!«

Nein, ich wollte nicht länger hinuntersehen. Was ging es mich an? Zwei junge Leute, die der Hafer stach.

Aber nun gab es einen Zwischenfall. Behrens stieß mit einem ärgerlichen Ruck sein Fenster auf, bog sich hinaus und rief:

»Nee, meine Herren, so was ist das hier nicht! Lassen Sie gefälligst das Mädchen schlafen, ja? Oder wollen Sie morgen früh die Arbeit für sie tun?«

Bautz! Das Fenster klappte wieder zu, und die beiden da unten standen wie vom Blitz erschlagen.

Dann schlichen sie wie die Katzen um die Ecke . . .

Wie quälend lang die Nacht doch war! Aber die Unruhe um Anka ließ mich nicht schlafen. Ich lag und horchte, ob ich nicht den leisen Schritt ihrer Füße im Garten hörte.

Endlich, der Tag begann bereits zu grauen, und in dem Röhricht am Flusse sang schon der Sumpfrohrsänger, hörte ich das leise Hüsteln, das ich an Anka kannte. 237

Wirklich, sie war es. Hingegeben und fröstelnd lehnte sie in Lintrups Arm, der sie zärtlich führte.

Unter der Haustür blieben sie noch einmal stehen und küßten sich.

»Schlaf wohl, du . . .« flüsterte Lintrup. »Schlaf wohl . . .«

Dann trennten sie sich, und Anka trat ins Haus und kam auf Zehenspitzen jetzt die Treppe herauf.

Lintrup war vor dem Hause stehen geblieben, den Blick zu Ankas Fenster aufgehoben.

»Guten Morgen!« rief ich leise hinab und winkte ihm einen Gruß zu.

»Sieh da!« antwortete er überrascht und lächelte. »Schon aufgestanden? Ja, es ist spät geworden. Wir hatten uns verirrt, Anka und ich. Es ist nicht so leicht, sich bei Nacht hier auf den Wiesen auszukennen . . .«

Nein, es war sicher, Anka hatte wiederum geschwiegen. Er war wie an jedem Tage und strahlte wie ein Kind vor Freude.

 


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