Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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Wenige Tage nachdem – Lintrup war bereits wieder in die Stadt zurückgekehrt – tauchte Anka wieder im Fährhause auf, als hätte sie nicht einen Augenblick daran gedacht, es zu verlassen.

Wie? hatte jemand vielleicht die Augenbrauen hochgezogen und sich Gedanken darum gemacht, daß sie mit Schulna zusammen abgereist war? Sie hatte in der Stadt zu tun gehabt, und Schulna war nach Paris gefahren – nun, was war da weiter? Er hatte doch schon seit Monaten davon gesprochen, und der Klatsch, der sich an ihn gehängt hatte, verdiente doch nicht, daß man ihn beachtete. Und was sie selber betraf, – ihretwegen hätte er ebenso gut gleich nach Peking fahren können statt nach Paris. Es hätte sie genau so kalt gelassen. Oh, er war ein ausgezeichneter Gesellschafter. Es gab niemand, der so unterhaltend sein konnte und so ungezwungen fröhlich und ausgelassen wie er. Darum folgte ihm nun auch ein solcher Schwall von dummen und böswilligen Erfindungen. Die Menschen konnten es wohl nicht ertragen, daß er dem Leben soviel freier und überlegener gegenüberstand? Hahaha!

Nein, wie sie lachte, und wie heiter sie war und unbekümmert. 183

Fräulein Berg, die sich über Ankas plötzliches Verschwinden am meisten erregt hatte, war ein Stein vom Herzen. War sie nicht Ankas Freundin, und war es möglich, etwa zu glauben, daß Anka, als sie Schulna begleitete, nichts anderes als einen Versuch gemacht hatte, den Vogel zu halten, der ihr mit einem Male davonzufliegen drohte? Nein, Anka hatte ganz andere Pläne, die an allem, was Liebe und Heirat hieß, weit vorbeigingen. Hatte sie nicht eine ausgezeichnete Verbindung mit den kunstgewerblichen Werkstätten in der Stadt angeknüpft? Darum saß sie nun den ganzen Tag über ihren Entwürfen. Kaum, daß sie sich Zeit zum Essen ließ.

Fräulein Berg sprach mit einem Eifer und einer Beredsamkeit, als hinge ihre Seligkeit davon ab, daß ich ihr Glauben schenkte.

Und Lintrup?

Natürlich kam er an jedem Sonnabend von der Stadt herüber. Oh, er war ja so glücklich, Anka wieder im Fährhause zu wissen, bewunderte die Zeichnungen, die sie für ihre Arbeiten angefertigt hatte, und sah ihr mit verzehrenden Blicken zu, wenn sie sich lächelnd über ihre Stickereien beugte. Eine Perlenarbeit war die Krone aller ihrer bisherigen Entwürfe. Mattweiße Rosen mit gelblichen Rändern auf graugrünem Grunde. Ein wenig altertümlich, gewiß. Aber darin bestand gerade der Reiz, der in dieser Komposition lag. Und dann der große Teppich! Wie mühselig und anstrengend es war, ein solch großes Stück mit der Nadel zu sticken! Jawohl, ein Teppich für ein Damenzimmer sollte es werden, ein wenig persisch im Muster, aber doch ganz eigen in der Farbengebung. Die dunkle Borte würde die zarten Farben im Mittelfelde herrlich heben. 184

Jeden Tag saß sie mit ihrer Arbeit unter den Pappeln im Garten und war unermüdlich, besonders an den Tagen, wenn Lintrup gekommen war. Zu anderer Zeit konnte es ihr zuweilen geschehen, daß sie viertelstundenlang mit zusammengezogener Stirn über ihre Arbeit hinweg ins Leere schaute und ihre Hände im Schoße ruhen ließ, als wäre sie innerlich mit anderen Dingen beschäftigt, oh, mit ganz anderen Dingen. Sie hatte wohl viel nachzudenken in dieser Zeit. Sicher waren es nicht nur die Entwürfe und die begonnenen Arbeiten, die sie beschäftigten. Denn da Fräulein Berg ihr half, den Teppich fertig zu sticken, brauchte sie sich keine Sorge zu machen, daß sie ihn vielleicht nicht rechtzeitig werde fertigstellen können. Das war es auch nicht, nein. Aber dafür gab es am Ende andere Dinge, über die sie wohl mit niemand sprechen und in die sie sich so vertiefen konnte, daß sie es überhörte, wenn jemand zu ihr trat, bis sie aus ihrer Versunkenheit emporschreckte, so jäh und verwirrt, als hätte man sie über etwas Verbotenem betroffen. Sie konnte dann einen Eindruck machen, als säßen ihr die Tränen näher als das Lächeln, zu dem sie sich zwang. Nagte vielleicht ein heimlicher Kummer an ihr? Denn wenn man sie ansah, konnte man erschrecken, so weich und abgezehrt erschien sie zuweilen. Aber das machte wohl die Arbeit und das viele Überlegen und Nachdenken über die Aufgaben, die sie sich gestellt hatte . . . Ich beobachtete sie zuweilen, wann ich mit dem Justizrat und seiner Tochter, die vor einigen Tagen ins Fährhaus eingezogen waren, ein wenig entfernt von ihr auf der Veranda saß. Ordentlich gealtert schien sie mir. So verhärmt, wie sie aussehen konnte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. Machte ihr vielleicht Lintrup Gedanken? Nein, das war es sicher nicht. Im Gegenteil, 185 es schien ihr Vergnügen zu bereiten, wenn er an den Sonnabenden von der Stadt zu uns herauskam und, ehe er sonst jemand begrüßte, zu ihr an den Tisch trat und ihr die Hand küßte. Ja, einige Male beobachtete ich, daß sie ihm entgegenging, als hätte sie ihn erwartet und könnte die Zeit nicht erwarten, daß er das Fährhaus erreichte. Sieh doch an! Das war etwas anderes als früher, so zu sagen, und es war schon zu begreifen, daß Lintrup wie in einem Taumel der Freude lebte. Sein Schritt war so fest und sein Blick wieder leuchtend und froh.

Zuletzt begannen die beiden sogar an den Nachmittagen miteinander in die Wiesen hinauszufahren, denn Lintrup bestand darauf, daß Anka, wenn er zum Besuche im Fährhause war, ihre Arbeit ruhen ließ. Die Woche war doch wirklich lang genug, und schließlich war sie doch nicht allein der Arbeit wegen hier draußen. Dann hätte sie ja besser in die Stadt zurückkehren können, nicht wahr? Sie gönnte sich ja in der letzten Zeit überhaupt so gut wie gar keine Ruhe mehr.

Der Justizrat lächelte unmerklich, wenn er die beiden zum Wasser hinuntergehen sah und Lintrup Anka ins Boot half und nach den Rudern griff, und seine Tochter, die erst siebzehn zählte und ein rechter Backfisch war und darum durchaus als erwachsen gelten wollte, lächelte erst recht. Ja, sie mußte sich zuweilen auf die Lippen beißen, daß sie nicht laut herauslachte. Sie war so ausgelassen. Aber Fräulein Berg, die an ihrem Tische zurückblieb und lieber an Ankas Teppich weiterstickte, hob ihre spitze Nase noch ein wenig höher als sonst und sah mit einem so strengen Blick zu der kleinen Milla hinüber, daß ihr das Lachen im Munde erstarb.

Einmal überraschten wir die beiden, als wir in dem 186 Boote des Justizrats eine Segelpartie miteinander machten. Es war eigentlich kein rechtes Wetter dafür an dem Tage, aber Milla hatte so große Lust zu segeln, daß es ihr der Justizrat nicht abschlagen wollte.

Es war ein prächtiges Boot, das der Justizrat besaß. Geräuschlos und majestätisch glitt es wie ein Schwan mit seinem weißen Bug und dem grauen Segel über das Wasser. Es war herrlich, in ihm zu fahren, auf einem der kleinen Klappsessel vor der Kajüte zu sitzen, seine Pfeife zu rauchen und über die Wiesen hinzuträumen.

Der Justizrat saß am Steuer, und ich hatte nichts anderes zu tun, als mit Milla zu schwätzen, die in ihrem blauen Kleide mit dem weißen Matrosenkragen neben mir saß und von ihren Bekanntschaften in der Stadt erzählte. Sie wußte so viel und hatte soviel Spaß daran, sich über die Leute, die sie kannte, zu belustigen.

Bautz! stieß sie mich plötzlich mit dem Ellenbogen in die Seite und deutete mit einem Blick auf die Kreyenmoorer Wiesen hinüber, an denen wir eben vorüberfuhren.

Jawohl, da lag Ankas Boot friedlich am Ufer und sie selber saß auf einem der Heuhaufen auf der Wiese, hielt Lintrups Kopf in ihrem Schoße und streichelte seine Hände.

Sie wandte uns den Rücken zu, sonst hätte sie uns wohl kommen sehen.

Milla preßte ihr Taschentuch vor den Mund, um nicht herauszuplatzen, und der Justizrat hob den Kopf und schickte ihr, während er die Lippen zusammenbiß, einen strengen Blick hinüber, damit sie sich um Himmelswillen zusammennähme.

Leise glitt unser Boot vorbei, und ich fing an, mich recht laut mit dem Justizrat zu unterhalten, als hätten wir die beiden garnicht bemerkt. 187

»Aber Milla!« sagte der Justizrat entrüstet, als wir außer Hörweite waren und sich die Kleine immer noch nicht beruhigen konnte und unter verhaltenem Lachen in ihr Tuch biß. »Ich muß sagen, Du benimmst Dich –«

»Ach, Papa, verzeih, es war ja so lustig. Hast Du nicht gesehen –?«

»Nichts habe ich gesehen,« unterbrach der Justizrat sie ärgerlich, »und auch Du hättest besser getan, wenn Du Deine Augen anderswo gehabt hättest.«

Da hatte sie's, zog das Mäulchen schief und schwieg gekränkt.

Abends, als wir heimgekehrt waren und uns zum Abendbrot auf die Veranda setzten, merkte man Lintrup doch sehr die Verlegenheit an, die ihm das Wiedersehen mit uns bereitete. Er errötete wie ein Knabe, und Milla, die mir gegenüber saß, konnte sich nicht enthalten, mich unter dem Tisch mit ihrer Fußspitze anzustoßen, verschluckte sich und mußte vom Tische aufstehen und sich umwenden, um erst den Husten zu stillen, der sie überfallen hatte.

»Du scheinst Dich auf dem Wasser erkältet zu haben, Milla,« sagte der Justizrat mit merklichem Nachdruck. »Es wird gut sein, wenn Du nicht wieder so leicht gekleidet ins Boot gehst. Du hättest den Sweater anziehen sollen. Ich riet es Dir doch. Aber junge Mädchen sind ja immer klüger!«

Anka tat, als hätte sie nichts bemerkt und verriet nicht durch ein einziges Zeichen, daß ihr das Wiedersehen mit uns eine Verlegenheit bereitete. Nur, daß sie ein wenig schweigsamer war als sonst. Dabei waren ihre Augen wieder merkwürdig teilnahmlos und gingen über Menschen und Dinge hin, als gewahrte sie sie nicht, und die Unterhaltung, die der Justizrat mühselig genug im Fluß gehalten hatte, 188 stockte zuletzt völlig, so daß jeder im stillen es als eine Erlösung begrüßte, als der Justizrat endlich seinen Stuhl rückte und aufstand.

Als ich durch den Garten und am Flusse entlang zu meiner Hütte zurückkehren wollte, hielt Behrens mich an.

»Was sagen Sie!« flüsterte er mir aufgeregt zu. »Jan Meiners ist wieder in der Gegend! Ich habe ihn vorhin selber im Dorf gesehen. Seitdem er aus Diemenbusch weg ist, treibt er sich nun arbeitslos in der Gegend herum. Es sollte mich wundern, wenn er Ihnen nicht in einer der nächsten Nächte wieder einen Besuch macht. Wer weiß, was er diesmal wieder vorhat?«

»Keine Sorge,« sagte ich leichthin. »Was sollte er denn noch wollen? Er hat doch sein Mütchen gekühlt!«

»Glauben Sie nur das nicht,« meinte Behrens und zog die Schultern hoch. »So einem ist einiges zuzutrauen! Wollen Sie für die Nacht unseren Hund mit in die Hütte nehmen? Er ist ja schon ein wenig alt, und eigentlich nicht mehr scharf genug, aber er schlägt doch an, wenn jemand in die Nähe kommt. Übrigens hätten Sie sich längst wieder einen Hund besorgen sollen.«

Nein, ich bedankte mich. Ich brauchte den Hund nicht. Oh, Jan Meiners sollte nur kommen! Hatte ich nicht für den äußersten Fall die Vogelflinte? Ich war durchaus nicht so schutzlos, wie Behrens meinte.

Aber bitter stieg Grams Tod wieder in meiner Erinnerung auf.

»Er hat einfach keine Ruhe mehr, der Bursche!« sagte Behrens. »Man merkt es ihm an, wie es ihn herumtreibt, heute hier, morgen dort. Statt einen neuen Dienst anzunehmen und hier aus der Gegend zu verschwinden, bummelt er nun herum wie ein Landstreicher. Es ist die 189 Asche, die ich ihm in die Kammer gestreut habe, glauben Sie nur!« setzte er flüsternd hinzu.

Unten am Flusse stand Anka.

Wie leidend sie aussah! Ihr Gesicht schien von innen erbleicht zu sein, und ihre Bewegungen waren matt und kraftlos.

Warum ich denn zu Fuß über die Wiesen wolle? Ich könne doch gut ihr Boot nehmen, wenn ich das meine zufällig nicht mitgebracht hätte. »Sie bringen es mir gelegentlich wieder mit herunter,« schloß sie, »und sonst komme ich mit Lintrup morgen früh zu Ihnen und hole es zurück.«

Ich merkte, daß es nur ein Vorwand war, wollte sie aber nicht in Verlegenheit setzen und lehnte mit einem Worte des Dankes ab.

»Nein, warten Sie,« rief sie. »Am einfachsten ist es, ich fahre mit Ihnen. Die Strömung treibt das Boot dann von Ihrer Hütte beinahe ohne Ruderschlag wieder hierher.«

Aber ich widersprach: »Sie dürfen kein Ruder gebrauchen jetzt, Anka.«

Eine jähe Röte flammte in ihrem Gesicht auf.

»Warum nicht?« fragte sie mit gut gespielter Verwunderung und zwang sich zu einem Lächeln. »Sie halten mich für schwächer, als ich bin.«

»Nein, Sie sollten sich wirklich ein wenig mehr schonen,« entgegnete ich. »Ich kann ebensogut den Weg über die Wiesen nehmen.«

»Wie besorgt Sie um mich sind,« lächelte sie. »Wirklich, ich habe mich nie so wohl gefühlt wie in dieser Zeit.«

»Sie sollten nicht soviel über Ihren Stickereien sitzen, Fräulein Anka. Es strengt Sie mehr an, als Sie zugeben wollen.« 190

»Ach, Torheit!« lachte sie. »Das bin ich doch gewöhnt. Aber gut, wenn Sie wirklich lieber gehen wollen, kommen Sie, ich begleite Sie noch ein paar Schritte. Der Abend ist so schön . . .«

Leise fiel die Gartentür hinter uns in ihre Klinke, und schweigend traten wir miteinander auf den Weg zu meiner Hütte.

Wie lange es her war, daß ich mit Anka allein über die Wiesen gegangen war . . .

»Immer habe ich Sie um Verzeihung bitten wollen,« begann sie, als wir am Flusse entlang gingen, »ich mochte nur die Dinge nicht wieder berühren. Es war so unüberlegt, was ich Ihnen sagte, neulich, meine ich, als ich Sie nachts vor Ihrer Hütte erwartete. Sie glauben nicht, welche Vorwürfe ich mir am nächsten Tage gemacht habe. Wirklich, ich hätte mich ohrfeigen können. Aber geschehen ist geschehen. Nein, ich weiß, daß Sie mir nicht zürnen, Sie haben es nie getan, und doch hat es die ganzen Wochen wie ein Stein auf meinem Herzen gelegen. Aber nun fühle ich mich wieder leicht und frei in Ihrer Nähe. Wie ein Kind gehe ich neben Ihnen. Soviel Geduld, wie Sie mit mir gehabt haben. Aber nun habe ich eine Bitte auf dem Herzen und wäre sehr glücklich, wenn Sie sie mir erfüllten.«

»Eine Bitte? Was an mir liegt, Anka –«

»Ich habe an Dina geschrieben . . . einen langen, ausführlichen Brief . . . Es ist soviel zwischen mir und ihr, was ausgesprochen und geordnet werden muß. Sie wissen, daß ich nicht ganz offen gegen sie war. Nein, ich will nicht wieder auf diese Dinge zurückkommen. Aber es hilft nichts, davor auszuweichen. Ich habe Dina so sehr viel abzubitten . . .« 191

»Was sollen die Worte?« fuhr sie nach einem kurzen Schweigen fort. »Genug, ich habe Dina alles geschrieben, was ich ihr zu sagen schuldig war. Aber es ist ja nicht anzunehmen, daß der Brief sie noch in Indien erreicht, und da wollte ich Sie nun bitten, den Brief in Verwahrung zu nehmen und ihn in Dinas Hände zu legen, sobald sie zurückkommt, wollen Sie?«

»Gern, Anka, aber ich verstehe nicht –«

»Mein Schicksal ist so ungewiß, Ohl. Wer weiß, was morgen ist? Vielleicht, daß ich nicht mehr hier bin, wenn Dina zurückkommt.«

»Sie wollen fort?« fragte ich überrascht.

»Ja. Vielleicht wäre es das beste. Aber alles ist noch ungewiß. Nein, es ist unmöglich, das alles zu erklären. Aber es ist mein Wunsch, daß Dina meinen Brief auf jeden Fall erhält. Ich wäre ihr ja längst eine Aufklärung schuldig gewesen, hätte ihr längst sagen sollen, daß Sie niemals an mich, immer nur an sie gedacht haben. Aber ich fand den Mut nicht. Vielleicht, daß immer noch eine Hoffnung in mir war, eine kleine, törichte Hoffnung, Ohl . . .« lächelte sie wehmütig. »Daß mein Unrecht gegen Dina vielleicht doch kein Unrecht war. Ich weiß wohl, ich hätte nicht so lange zögern sollen, nicht zögern dürfen . . . wußte auch, daß Sie nur darauf warteten, daß ich – Nein, widersprechen Sie mir nicht. Ich habe es zu oft empfunden. Aber immer wieder wehrte ich mich dagegen, wollte Ihnen nicht nachgeben. O, Sie können nicht wissen, wie oft ich des Nachts, wenn ich schlaflos in meiner Kammer lag, Zwiesprache mit Ihnen gehalten habe . . .«

»Anka,« sagte ich und nahm erschüttert ihre Hand.

»O, ich verstand so gut,« fuhr sie fort, »daß Sie nicht selbst an Dina schrieben und darauf warteten, daß ich selber 192 ihr mein Unrecht eingestand. Sie haben immer viel Geduld mit mir gehabt. Ich danke Ihnen!«

»Nein,« sagte ich, »Sie halten mich für besser, als ich bin, wirklich! Ich –«

»Und später, Ohl, als ich erkannte, daß ich mich getäuscht hatte, fand ich die Kraft nicht zu verzichten. Ich begann um Sie zu kämpfen, Ohl. Verstehen Sie, daß ich es nicht über mich brachte, Dina zu sagen, wie die Dinge in Wahrheit standen?«

»Und heute? Sind Sie ein wenig glücklich, Anka?«

»Sie dürfen nicht so fragen, Ohl . . . Sie müssen verstehen, daß mich nur der Gram um Sie in Schulnas Arme trieb!«

»Ich dachte nicht an Schulna, Anka. Ich meinte –«

»Lintrup, ja! Er ist so lieb zu mir und hat es nicht um mich verdient, wenn ich ihn jetzt verlasse.«

»Wie, Sie wollen –?«

»Nicht fragen, Ohl, nicht weiter fragen . . . Begreifen Sie denn nicht –«

Hatte ich es nicht geahnt? Und doch erschrak ich tiefer, als ich mir merken ließ.

»Arme Anka,« sagte ich leise.

»Nein, lassen Sie mich,« sagte sie, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Ich will Ihr Mitleid nicht. Ich habe es selber so gewollt. Verstehen Sie mich nun? Ich möchte so gern, daß Sie mich ganz verstünden. Es würde mich ein wenig ruhiger machen, glaube ich.«

»Weiß Lintrup?«

»Nichts. Er darf nichts wissen, hören Sie?«

»Nein, Anka. Das ist unrecht. Er liebt Sie tiefer, als Sie wissen!«

»Sie meinen, daß er es ertrüge, ja, daß er die Kraft besäße –« 193

»Das wird sich zeigen, Anka. Sie haben kein Recht, ihn für kleiner zu halten, als er ist. Nur Wahrheit kann hier helfen. Ein Mann zerbricht nur an der Lüge.«

»Ich wollte ihn schonen, Ohl!«

»Nicht so! Es wäre ein Unrecht, Anka!«

»Ohl!« sagte sie und kämpfte mit sich selber, »Ohl!« . . .

Sie verstummte und sah mit großen Augen auf den Fluß.

Da kam uns Lintrup nach. Er winkte schon von weitem.

»Anka!« rief er fröhlich. »Ja, wo bleibst Du denn?«

Matt hob sie ihre Hand und winkte einen Gegengruß.

»Ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, ob ich die Kraft gewinnen werde. Es ist alles so verworren, Ohl,« flüsterte sie.

»Du siehst so blaß aus, Anka, – ist Dir nicht wohl?« fragte Lintrup, als er zu uns trat.

»O, es ist nichts!« antwortete sie und lächelte. »Es geht auch schon vorüber. Nein, laß mich jetzt! Nur einen Augenblick . . .«

»Liebe,« sagte er zärtlich, »was ist denn nur? – Komm heim, Du mußt Dich legen . . . wirklich!«

Das Gras war schon feucht vom Tau, und die Nacht kam rasch.

An meiner Warf zog ich das Boot höher aufs Ufer und sah die Vogelstinte nach, die ich in meinem Koffer verwahrte. Ich hatte sie nie gebraucht und nahm sie auch jetzt nur mit Widerstreben zur Hand, lud sie für alle Fälle und hing sie griffbereit über meinem Bette an die Wand.

Aber die Nacht verging, ohne daß sich der Besuch einstellte, den Behrens für mich gefürchtet hatte, und als ich in der Frühe des Morgens ins Freie trat, lag mein Boot noch eben so friedlich an seinem Platze wie am Abend vorher. 194

 


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