Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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7

In dieser Zeit fingen die Leute im Fährhause an, mich zu beschäftigen.

Bei dem Frostwetter, unter dem die Wiesen fest wie eine Lehmdiele lagen, konnte ich, so oft ich wollte, zu ihnen hinübergehen.

Besuch war jetzt selten dort. Der Verkehr über den Fluß ruhte im Winter fast ganz. Höchstens, daß mal ein Bauer mit seinem Gespann in dem großen Fährprahm übergesetzt sein wollte. Die Gaststube blieb darum tagelang leer, und der weiße Sand, mit dem die junge Frau dort an jedem Morgen kunstvoll die Dielen bestreute, zeigte noch zuweilen am Abend sein Muster.

Zwischen den Fährleuten war etwas. Ich spürte es 77 jedesmal, so oft ich hinkam. Bis mir die Frau vor ein paar Tagen eine Andeutung darüber machte.

Sie ist jetzt acht Jahre verheiratet, und immer ist noch kein Kind da.

Zuerst ist sie fast verzweifelt gewesen darüber. Aber es ist nichts daran zu ändern, und sie muß es hinnehmen. Es gibt viele Frauen in derselben Lage.

Das ist es auch nicht, was sie so bedrückt, wenn ihr auch jetzt noch oft genug das Herz darüber schwer wird. Nein.

Es ist wegen Kathrine.

Vor einigen Jahren ist nämlich eine Magd im Hause gewesen, die Kathrine geheißen hat, und mit ihr hat das Unglück begonnen.

Das ist ja vielleicht zu viel gesagt, aber sie hat doch keine ruhige Stunde mehr gehabt seitdem.

Ein ganz ruhiges und stilles Mädchen ist sie gewesen. Nein, nicht aus dem Dorfe. Weiter her, aus dem Moore hinter Diemenbusch, und kaum achtzehn Jahre alt, als sie ins Haus gekommen ist. Die hat ein Kind von ihrem Manne.

Natürlich hat sie sofort aus dem Hause müssen damals und ist später in die Stadt gegangen und hat dort einen Dienst angenommen. Das Kind hat sie in Pflege gegeben, und ihr Mann hat dafür bezahlt. Gut, davon will sie nichts sagen. Es ist seine Pflicht gewesen. Ist auch kein Geheimnis weiter dabei. Das ganze Dorf weiß von der Geschichte. Darum kann sie auch mit mir ganz offen darüber reden und braucht kein Geheimnis daraus zu machen. Aber nun ist Kathrine vor einigen Wochen in der Stadt im Krankenhause gestorben – und seitdem sitze sie da und rampfe mit sich selber und wisse sich keinen Rat. 78 Warum sie denn das Kind nicht längst zu sich genommen habe? frage ich.

Nein, wie sie wohl dazu hätte kommen sollen? Denn so lange Kathrine lebte, hätte sie sich nicht soweit heruntergeben können, das müsse ich doch einsehen. Nur jetzt lägen die Dinge anders, nun das arme, kleine Ding keine Mutter mehr habe. Denn Kathrine sei an jedem Sonntage hingegangen und hätte nach dem Rechten gesehen. Das sei es, woran sie jetzt soviel denken müsse. Das einfachste wäre ja, wenn sie hinführe und es zu sich ins Haus holte. Aber sie könne und könne sich nicht dazu entschließen, so viel sie auch schon darüber nachgedacht habe. Das ganze Dorf würde darüber reden, und sie müsse als Wirtsfrau doch Rücksichten nehmen.

»Ach, zum Teufel mit Ihren Rücksichten,« sage ich. »Sie hätten es längst holen sollen. Mußte die arme Kathrine erst darüber sterben?«

Sie wird blutrot und senkt den Kopf noch tiefer auf ihre Arbeit als vorher.

»Haben Sie das Kind jemals gesehen?« frage ich.

»Nein,« sagt sie leise und schüttelt den Kopf.

»Sehen Sie, denn wenn Sie das nur ein einziges Mal getan hätten – Sie holten es noch heute ins Haus.«

»Kennen Sie das Kind denn?« fragt sie unsicher und sieht zu mir herüber.

»Nein, wie sollte ich? Ich glaube aber, daß Sie es sicher nicht länger in fremden Händen ließen . . .«

Da kommt Behrens in die Gaststube, und wir schweigen nun beide, als wären wir über etwas Verbotenem überrascht worden.

Auch er ist bedrückt und wortkarg. Aber seine Sorge geht um etwas anderes. Er hat einmal wieder Kummer im 79 Viehstall. Die Rotbunte hat das Milchfieber. Vor zwei Tagen hat sie gekalbt, und alles ist gut gegangen, und gar keine Last hat es damit gegeben wie damals mit der andern. Aber nun ist seit gestern das Fieber da. Vielleicht, daß er sie in den Wochen vorher ein wenig zu gut gefüttert hat? Er weiß es nicht, und wenn er es auch wüßte, so nützte es nichts, denn das Unglück ist nun einmal da. Seit vorgestern frißt sie nicht mehr und steht auch nicht mehr auf. Der Tierarzt ist schon dagewesen, hat ihm aber wenig Hoffnung gemacht. Eine schöne Geschichte. Versichert ist die Kuh ja. Aber er hängt nun mal an dem Tiere, und die paar hundert Mark aus der Kuhlade wiegen ihm den Verlust nicht auf.

Zu Dreien gehen wir auf die Diele hinaus.

Das Tier liegt dort auf einer Strohschütte, den Kopf mit den blutunterlaufenen Augen flach auf dem Boden, teilnahmlos und mit keuchendem Atem. Gleichgültig blickt die andere von ihrem Stand herüber und kaut gemächlich an ihrem Abendfutter.

Zuweilen hebt sie den Kopf, als wollte sie aufstehen, aber im nächsten Augenblick verdreht sie die Augen und läßt das Gehörn wieder machtlos auf das Stroh fallen.

Das Kalb ist gesund und munter. Man hat es gleich nach der Geburt von der Mutter getrennt. Es liegt im Kälberstall neben dem anderen, das sich nach seiner Erkrankung ausgezeichnet erholt hat.

Ratlos stehen wir beide, während die junge Frau sich mit dem Milcheimer neben die kranke Kuh gehockt hat und sie zu melken versucht. Bei dem geschwollenen Euter, der Unruhe des Tieres und seiner unglücklichen Lage ist das keine leichte Aufgabe für sie.

Es ist nicht wegen der Milch, die muß so wie so 80 weggeschüttet werden. Aber die Entzündung nimmt immer mehr zu, und die quellenden Säfte des Tieres müssen nach außen geleitet werden, um ihm wenigstens etwas Entlastung zu geben.

Nach einer Weile steht sie kopfschüttelnd vom Melken wieder auf. Es hat keinen Zweck. Das Tier wird zu unruhig dabei, und das Euter bleibt so hart und gespannt wie vorher.

Sie fragt ihren Mann, ob sie die Milch ohne Gefahr den Schweinen geben könne?

Dann geht sie.

Natürlich muß über Nacht bei dem Tier gewacht werden, und ich bleibe dort, um Behrens Gesellschaft zu leisten.

Wir sitzen auf der niedrigen Bank, die im Sommer vor dem Hause steht, stützen die Arme auf die Knie und beobachten schweigend das kranke Tier, das vor uns liegt und leidet, ohne daß wir ihm zu helfen vermöchten. Ein Pulver, das der Tierarzt dagelassen hat, erweist sich als wirkungslos. Trotzdem bekommt es alle zwei Stunden davon eine Gabe, die ihm zwangsweise in das Maul geschüttet wird. Aber das Fieber will nicht fallen. Von Zeit zu Zeit scheinen wilde Phantasien durch das Gehirn zu gehen, so wild wird der Kopf herumgeworfen. Der Blick aus den geröteten Augen scheint Angst und Entsetzen vor etwas Furchtbarem auszudrücken.

Leise tastet Behrens nach dem langen Schlachtmesser, das neben ihm auf der Bank liegt, – als müsse er sich vergewissern, daß es ihm im entscheidenden Augenblick zur Hand ist.

Da kommt der Alte aus seiner Kammer auf die Diele. Mißtrauisch plinkt er für einen Augenblick zu mir 81 herüber und betrachtet dann schweigend und mit zusammengekniffenen Augen die Kuh, die mit kurzem Atem wieder teilnahmlos und ohne Bewegung auf ihrer Streu liegt.

Langsam geht er um das Tier herum, steht eine Weile schweigend, schüttelt dann den Kopf und schlurft langsam, den derben Krückstock schwer auf die Diele stoßend, in seine Kammer zurück.

Kein Wort ist aus seinem Munde gekommen. Er spricht nicht gern und denkt lieber seinen Teil. Mich hat er überhaupt nicht beachtet. Nicht einmal ein Gruß ist aus seinem Munde gekommen. Er nimmt mich bei einer solchen Gelegenheit einfach nicht für voll. Aber das ist es nicht allein. Es ist eine ausgesprochene Gegnerschaft zwischen ihm und mir. Vielleicht liegt das an der brotlosen Kunst, die ich treibe. Was nicht den Acker baut und Torf gräbt, kann nur ein Tagedieb sein. Vielleicht auch kann er mir nur nicht aufs Fell gucken. Aber mir geht es mit ihm nicht ganz viel anders. Schon sein Blick kann mich wild machen, und ich atme auf, als er uns allein läßt.

Je hoffnungsloser es sich mit der Kuh anläßt, desto ruhiger wird Behrens. Er hat uns in der Gaststube einen Grog bereitet, der uns bei der kalten Nacht und dem stillen Sitzen gut tun soll. Die junge Frau ist schon zu Bett gegangen.

Der Alkohol macht Behrens langsam gesprächiger.

Wenn es nicht gerade diese Kuh wäre! Im ganzen Dorfe ist keine schönere als sie. Auf der letzten Kreis-Tierschau hat sie den ersten Preis bekommen. Sieben gesunde Kälber hat sie zur Welt gebracht. Und nun so ein Unglück! Aber hin ist hin, und verloren ist verloren.

Endlich nach Mitternacht scheint das Tier etwas ruhiger zu werden. Der fieberische Glanz der Augen läßt etwas 82 nach und Behrens geht, seine Frau zu wecken. Es ist Zeit, daß wieder gemolken wird.

Die junge Frau kommt, verschlafen und einsilbig, nur mit Nachtjacke und Unterrock bekleidet, und beginnt zu melken. Aber die Milch ist noch immer mit Blut untermischt und der Atem des Tieres geht wieder hastiger und unruhiger, nun sie gemolken wird.

Kläglich und dumpf blökt das Kalb hinter seinem Verschlage.

Als die Frau gegangen und ich mit Behrens wieder allein geblieben bin, beginne ich unvermittelt mit ihm von seinem Kinde zu reden.

Er sieht mich zuerst nur groß an, steht auf, steckt die Hände in die Taschen und schweigt hartnäckiger, als ich erwartet habe.

Aber ich verstehe ihn ganz gut. Er wundert sich nicht etwa, daß ich davon weiß. Das ganze Dorf weiß es, warum ich nicht? Aber, daß ich mit ihm darüber rede, wo doch jeder darüber schweigt, das ist es, was ihn verwirrt und unsicher macht.

Ich habe ihm gesagt, was ich für recht halte – daß er das Kind zu sich ins Haus nehmen soll, und schweige nun auch und lasse ihm Zeit.

Unruhig wirft die Kuh ihren Kopf wieder hin und her. Wir haben ihr einen Umschlag auf Stirn und Nacken gelegt, und ich stehe auf, ihn in dem hölzernen Tränkeimer, der neben der Strohschütte steht, von neuem zu kühlen.

Das Tier leidet wie ein Mensch, stöhnt und schnauft, daß es zum Erbarmen ist. Die kleine Besserung, die vorhin eintrat, als wir es zuerst mit den Umschlägen versuchten, ist schon wieder gewichen. Der Blick ist so starr wie vorhin und die Hitze des Körpers so groß, daß die kalten 83 Umschläge schon nach wenigen Minuten zu dampfen beginnen.

Behrens sagt noch immer nichts, er hält nur spielend das Messer zwischen den Händen und scheint allein auf den Augenblick zu warten, der es nötig machen könnte, der Kuh die Kehle zu durchschneiden, um von ihrem Werte zu retten, was zu retten ist.

»Ja, die Kathrine,« sagt er dann plötzlich leise in die Stille des schlafenden Hauses. »Ich weiß wohl, ich hätte es nicht tun sollen . . . Aber nun ist das, wie es ist. Es ist nichts mehr daran zu ändern . . .«

Er seufzt, schüttelt den Kopf, will etwas hinzusetzen, findet aber wohl die Worte nicht gleich und verstummt, hilflos und niedergeschlagen.

Nach einer Weile beginnt er von neuem:

»Ich habe sie nicht wiedergesehen, seitdem sie damals hier wegmußte . . . Nicht mal Abschied haben wir genommen. Sie war hier – und eines Tages war sie nicht mehr da. Es ging wohl auch nicht anders. Aber wenn ich mich auch zur Wehr gesetzt hätte – der Knüppel liegt beim Hund. Ich habe hier eingeheiratet damals. Unser einer muß ja, man mag wollen oder nicht, wenn man nicht sein Leben lang als Knecht gehen will. Ich hab's ja auch nicht zu bereuen gehabt, hab's gut hier gehabt, das ist wahr. Der Alte – aber das ist eine Sache für sich. Aleid ist immer gut zu mir gewesen, das muß ich sagen. Aber von dem Tage an, als die Kathrine hier ins Haus kam, ging es mit mir durch . . . Na ja, ist gut. Darüber zu sprechen hat ja keinen Zweck mehr. Sie ist ja nun tot und weiß nichts mehr von der Welt. Ich habe ja gemeint, ich kriegte einen Schlag, als ich hörte, sie ist gestorben, so unvermutet kam das. Gut, daß sie an einer 84 Krankheit gestorben ist. Wenn sie damals, in der ersten Zeit, meine ich, ins Wasser gegangen wäre, ich hätt's nicht ausgehalten. Denn ich glaube, die Trennung ist ihr ebenso sauer geworden wie mir . . . Aber darüber weiß wohl niemand etwas, und wir wollen nicht weiter darüber reden . . . Nun ist bloß das Kind noch da. Aber damit sollen sie hier im Hause nicht herumstoßen und es jeden Tag ansehen dafür, daß es da ist!« bricht er aus, von einer plötzlichen Wut erfaßt, und schüttelt die Fäuste.

»Behrens,« unterbreche ich ihn, »das ist unrecht, was Sie da sagen. Das Kind ist das Ihre, und wenn Ihre Frau einverstanden ist und es zu sich nehmen will, so hat doch sonst niemand –«

»Ja, Aleid meint es gut,« nickt er. »Aber sie kommt nicht darüber weg, wenn sie es heute auch meint . . . Versuchen könnte man es ja. Aber nun ist doch auch noch der Alte da. Und darum ist es unmöglich, ganz und gar unmöglich. Den Alten, ha, den kennen Sie noch nicht!«

»Ich meine, Sie hätten hier zu sagen.«

»Zu arbeiten, ja, zu sagen? nein. Das besorgt der Alte noch. So stümperig er auch geworden ist, im Grunde regiert er noch alles, wie er es haben will. Und er ist eigensinnig und starrköpfig wie nur einer. Man muß ihm aus dem Wege gehen, das ist das beste.«

»Egal, Behrens. Jeder muß tun, was er für Recht hält. Die einzige, die in einer solchen Sache ein Wort mitzureden hat, ist Ihre Frau. Und da sie einverstanden sein wird, wenn Sie nur Ihren Willen aufsetzen, dürfen Sie sich nicht länger besinnen. Lassen Sie den Alten sagen, was er will.«

»Es ist unmöglich,« sagt Behrens und schüttelt verzweifelt den Kopf. »Er wäre im Stande und täte der Kleinen eines Tages ein Leid an.« 85

»Aber, Behrens!«

»Ich weiß, man soll so etwas nicht sagen. Aber ich kenne ihn.«

»Dann darf er nicht wissen, daß es Ihr Kind ist. Wenn Ihre Frau mit Ihnen einig ist, ist das doch ganz einfach. Er weiß doch, daß seine Tochter sich nach einem Kinde sehnt. Gut. Sie fahren in die Stadt und holen eines, das Sie auf Haltung nehmen. Niemand braucht zu wissen, daß es Ihr Kind ist, das Sie ins Haus bringen.«

»Und die Leute im Dorfe? Der erste, der in die Gaststube kommt und dem Alten begegnet, setzt ihm die Neuigkeit brühwarm auf den Tisch . . . Es geht nicht.«

»Die Leute brauchen doch ebensowenig darum zu wissen. Den Gemeindevorsteher verpflichten Sie bei der Anmeldung, und der Pastor ist doch auch gehalten zu schweigen, wo er schweigen muß.«

»Es kommt trotzdem unter die Leute, verlassen Sie sich darauf. Weiß der Teufel oft, wie.«

»Nun, – und wenn ich das Kind adoptierte und gäbe es Ihrer Frau und Ihnen in Pflege? Was meinen Sie davon?«

»Das – das ist doch nicht Ihr Ernst!«

»Meinen Sie, ich triebe Spaß mit Ihnen?«

Behrens antwortet nicht. In seinem Gesicht arbeitet es. Er hat den Kopf gesenkt, starrt vor sich auf den Boden, rührt sich nicht und antwortet auch nicht. Aber es wühlt in ihm. Er findet nur die Worte nicht.

»Nein,« sagt er dann plötzlich hart und packt meinen Arm, daß es mich schmerzt. »Es geht nicht. Es wäre unrecht. Und Sie sollen nicht, nein. Eher will ich –«

»– das Kind selbst adoptieren?« 86

»Ja. Aber es gibt einen Kampf mit dem Alten auf Leben und Tod.«

Als hätte ihn jemand gerufen, tritt der Alte aus seiner Kammer, blinzelt mit trüben Augen ins Licht, kommt näher und betrachtet wieder das kranke Tier, das noch immer auf der Seite liegt, die Augen angstvoll geöffnet, den Atem stoßweise aus den aufgeblähten Nüstern blasend.

Schwerfällig kniet er nieder, betastet das Euter und wendet den Kopf der Kuh ein wenig zum Licht.

»Se mutt ant Metz,« erklärt er dann. »Dat helpt nu allens nicks mehr.«

»Wozu?« sage ich, innerlich aufgebracht und gereizt. »Sie kommt schon noch wieder durch.«

Ich will doch sehen, was er beginnt, nun er auf Widerstand stößt.

Aber er tut, als habe er meine Entgegnung überhaupt nicht gehört.

»Mal de Forken her«, sagt er. »Dat Stroh unnern Kopp mutt dar weg. Und denn, segg Aeid, dat se upsteiht, du kannst dat nich alleen.«

»Nichts davon,« sage ich ruhig und entschlossen. »Die Kuh wird nicht geschlachtet.«

Mit einem Ruck wendet sich der Alte um.

»Wat verstaht Se darvon? Hier hebb ick dat Seggen!«

»So?« sage ich. »Aber die Kuh gehört mir. Ich habe sie soeben von Ihrem Schwiegersohn gekauft. Vierhundert Mark, so wie sie da ist!«

»Se sind woll verrückt worrn?«

Behrens ist ganz verdutzt. Die Furcht vor dem Alten macht ihn ebenso stumm wie die Überraschung über meine Worte. 87

»Du hest de Koh verköfft?« fragt ihn der Alte.

»Handel ist Handel,« sage ich. »Die Kuh gehört mir.«

»Dann sind Se 'n Schapskopp west,« platzt der Alte heraus. »De Koh left nich 'n Stunnen mehr – und morgen kriegt Se kenen Penning mehr darvör, blot dat Fell.«

»Und wenn sie durchkommt?« sage ich. »Dann kauft Ihr Schwiegersohn sie mit fünfhundert in vierzehn Tagen von mir zurück.«

Die bloße Möglichkeit, daß ein Schaden bei dem Handel entstehen könnte, reizt den Alten zur Wut. Er bebt vor Aufregung.

Behrens beginnt allmählich zu begreifen. Er stößt mich an, daß ich den Scherz nicht weiter treiben soll. Aber mir ist garnicht zum Scherzen. Der Alte soll seinen Willen nicht haben. Ich will Behrens beweisen, daß man dem Alten nur entschlossen die Zähne zu zeigen braucht, um oben zu bleiben.

»Wie kummst du darto, de Koh to verköpen?« fragt der Alte wütend und stößt mit seinem Krückstock auf die Lehmdiele. »Du weeßt doch, köpen und verköpen, dat sind mine Saken noch.«

In Behrens arbeitet es. Aber er schweigt.

»Hier!« sage ich und halte ihm die Hand hin. »Damit Ihr Schwiegervater sieht, daß es ein reeller Handel ist: vierhundert Mark für die Kuh so, wie sie da liegt.«

»Topp!« sagt Behrens und schlägt ein.

Gott sei Dank! Zum erstenmal, daß er es wagt, offen gegen den Alten aufzutreten.

»Nicks dar!« schreit der Alte und stößt wieder mit seinem Stock auf die Diele. »De Koh is min. He kann se nich verköpen.«

»Vatter!« sagt Behrens. 88

»Nicks darvon!« wiederholt der Alte. »De Koh is min und blifft min. Hier hebb ick dat Seggen.«

»Gut,« sage ich. »Kommen Sie, Behrens. Ihr Schwiegervater soll die Kuh behalten. Dann kann er aber auch für sie sorgen. Wozu sitzen wir dann hier und schlagen uns die Nacht um die Ohren?«

Ich fasse ihn mit hartem Griff am Arm und wirklich, er geht mit mir.

Dumm und verbast bleibt der Alte stehen und sieht uns wortlos nach.

Wir gehen in die Gaststube. Mit fliegenden Händen tastet Behrens nach einem Streichholz.

»So war es recht!« flüstere ich ihm zu. »Nun tun Sie keinen Handschlag mehr, bis Sie das Regiment im Hause haben. Wollen Sie mir das versprechen? Sie sollen sehen, Sie bleiben oben damit.«

Behrens seufzt, aber eine Erleichterung ist trotzdem in ihm.

Ich merke es deutlich genug.

Als die Lampe endlich brennt, sehe ich, wie bleich er ist.

»Fest bleiben, Behrens, das ist alles. Er muß endlich einmal Ihren Willen spüren. Sonst bleiben Sie ewig Knecht, wo Sie längst Herr sein sollten!«

Aber kaum habe ich ausgesprochen, dringt von der Diele ein furchtbarer Schrei zu uns herüber, daß uns das Herz darüber stehen bleibt.

Im nächsten Augenblick springen wir auf und stürzen hinaus.

Da steht der Alte unter dem Licht der Laterne neben der Kuh – das blutige Messer noch in der Hand, die Augen aufgerissen – bleich wie ein Toter.

»Vatter, wat is?« ruft Behrens und springt hinzu. 89

Aber er kommt zu spät. Mit einem Ächzen sinkt der Alte auf die Strohschütte neben der verendenden Kuh.

Endlich begreifen wir . . . Der Alte hat der Kuh die Kehle durchschneiden wollen, aber er muß wohl ungeschickt gewesen sein, oder seine Kraft hat nicht recht gereicht und der Schnitt ging nicht gleich tief genug. Da muß das Tier mit letzter Kraft den Kopf herumgeworfen haben, und eines der Hörner ist dem Alten, als er sich über sie beugte, in den Oberschenkel gedrungen.

»Mein Gott!« sagt Behrens und nimmt den Alten, der besinnungslos vor Schmerzen auf das Stroh gesunken ist, auf seine Arme und trägt ihn in die Kammer hinüber.

Der Schrei hat auch die junge Frau geweckt.

Sie steht, begreift nicht, was geschehen ist und rennt dann nach Wasser.

Wir legen dem Alten einen Notverband an. Dann reißt Behrens den Wagen aus der Scheune, den Arzt zu holen. Ich leuchte ihm mit der Stallaterne, damit der Gaul das Geschirr über den Kopf kriegt.

Als der Wagen davon ist und ich wieder in die Kammer trete, hat der Alte seine Sinne bereits wieder, und ein Blick trifft mich voll Wut und Triumph zugleich.

»De Koh is min! Und ick hebb dat Seggen hier!« knirscht er zwischen den Zähnen hervor und schüttelt drohend die Faust – –

Vier Tage später ist er tot. 90

 


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