Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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Aber sieh doch an, da habe ich ja ganz vergessen, von Klein-Elsbe zu erzählen, von Klein-Elsbe im Fährhaus meine ich. Sie hat sich unter der Pflege von Frau Aleid in der kurzen Zeit so herausgemacht, daß sie kaum wiederzuerkennen ist, und Wind und Sonne haben ein übriges getan, ha, ha! Sieh, da trudelt sie durch den Garten, rund wie ein Ball und braun wie eine Zigeunerin. Sieht sie nicht aus, als wäre sie aus Bunzlauer Ton und soeben aus der Kiepe von Jannpotscher gekommen, der mit seinen Milchsatten, Krügen und Töpfen in jedem Jahre einmal hier durch die Dörfer zieht?

Zuerst war es nichts Rechtes mit uns beiden. Sie war scheu wie eine Wildente und mißtrauisch wie ein alter Bauer. Aber jetzt kennen wir uns, wir beiden, und wissen, was wir voneinander zu halten haben, jawohl, und das ist etwas wert auf dieser Erde, wo einer dem andern nicht mehr traut.

Selten, daß einmal ein Tag vergeht, an dem sie nicht zu mir herüberkommt und mich in meiner Hütte besucht. Der Weg vom Fährhaus her ist jetzt im Sommer ganz gefahrlos, und außerdem hat man ihr genügend eingeschärft, daß sie nicht zu nahe an den Fluß gehen darf. »Dor sitt de Dod in!« hat man ihr gesagt und drohend dabei den Zeigefinger erhoben, und wenn Klein-Elsbe auch nicht weiß, was sie sich aus der Warnung machen soll und den Sinn der Worte nicht versteht, so begreift sie doch, daß es etwas Schreckliches sein muß, was sich da im Wasser verbirgt, schrecklich wie die Moorhexe, von der man ihr erzählt hat, die in den sumpfigen alten Kuhlen drüben im Moore hockt und abends über die Wiesen schleicht und die Kinder, die 157 sich verirrten und nicht zu richtiger Zeit nach Hause fanden, ins Wasser hinunterzieht. Aber der Weg am Fluß geht nicht so dicht am Ufer entlang, daß man Klein-Elsbe nicht allein zu mir herüberlaufen lassen dürfte. Frau Aleid war es freilich zuerst nicht ganz recht. Sie merkte, wie sehr sich das Kind an mich anzuschließen begann. Aber jetzt im Sommer, nun sie wegen der Logiergäste alle Hände voll zu tun hat, ist es mitunter eine Beruhigung für sie, wenn sie die Kleine bei mir in meiner Hütte weiß.

Am liebsten spielt Klein-Elsbe mit Gram. Der Hund im Fährhause ist schon zu alt und ungesellig. Er ist ein mürrischer, alter Grobian, nichts weiter, und kein Spielgefährte für ein Kind. Aber Gram ist wie ausgesucht dafür. Er ist gutmütig wie ein Bär und ausgelassen wie ein Kalb, und so rabiat er auch gegen Fremde ist, Elsbe nimmt er nichts krumm, – sie mag ihn zausen, so viel sie will. Am drolligsten ist es, wenn er es schließlich satt hat, mit ihr zu spielen und sich teilnahmlos auf den Bauch legt, als wäre es Zeit für ihn, sich wieder auf seine Würde zu besinnen. Elsbe scheint dann plötzlich Luft für ihn geworden zu sein, und er läßt noch das Äußerste mit sich geschehen, ohne seine Haltung aufzugeben.

Ich habe Elsbe ein paar Pfeifen aus Kälberrohr geschnitten. Da sitzt sie nun wie ein kleines Panswunder an der Warf, bläst und guckt mit runden Augen, wie nur aus einem solch simplen Stück Rohr ein Ton kommen kann?

Habe ich vielleicht gesagt, ich wüßte nicht, warum die Kleine es mir angetan hat? Denn ich weiß es sehr gut, aber ich traue mir schon zu, daß ich mich hinter einer Wendung versteckt, die Achseln gezuckt und ein unschuldigeres Gesicht gemacht habe, als mir zukommt. Die Wahrheit zu sagen: es ist durchaus nicht allein deswegen, weil ich ihrem 158 Vater so lange zugesetzt habe, das Kind zu sich zu nehmen, und der Kleinen darum gewissermaßen schon zugetan war, ehe ich sie zum erstenmal sah, – ich hatte vor Jahren selber ein Kind, die Frucht einer jungen Mutter, warm und voll Leben, und es war in demselben Alter wie Klein-Elsbe heute, als ich es zum letztenmal sah . . .

Du zwinkerst mit den Augen, mein Freund? Sieh doch an! sagst du, endlich kommst du aus deinem Bau, alter Junge! Sei nur nicht so schüchtern und verschämt mit dem, was Du nun zu sagen hast. Wir sind keine Unmenschen. Du hättest wirklich nicht so lange damit zurückzuhalten brauchen. Man denkt heute in solchen Dingen doch etwas duldsamer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Also – damit du den Faden nicht verlierst – ein Kind hattest Du? Nur ungescheut, alter Junge!

Hoho, ihr braucht mir nicht auf die Schulter zu klopfen. Ich brauche euer Wohlwollen nicht und eure Ermutigung! Muß ich erst sagen, daß das Kind tot ist und daß seine Mutter –

Nein, ich habe keinen Teil mehr an ihr, es ist wahr, und es sind jetzt bereits zwei Jahre, daß sie sich von mir getrennt hat, aber wie käme ich dazu, sie deswegen vor euch herabzusetzen? Sie ging den Weg, den sie gehen mußte – was ist da weiter zu sagen?

Laßt mich lieber gar nicht erst davon beginnen. Es sind vergangene Dinge, und es verlohnt sich nicht, daß man sie wieder ans Licht zieht. Sie liegen wohlverwahrt, ganz unten in meinem Koffer, neben allerhand anderen Dingen, die ich vergessen möchte, jawohl.

Nein, laßt mich lieber von Klein-Elsbe weitererzählen, denn Klein-Elsbe lebt!

Da sitzt sie neben meiner Hütte am Grabenrand und bläst auf ihrem Rohr. Lütütütü – 159

Und der Sommertag draußen ist so herrlich in dem strahlend hellen Licht seiner Sonne, dem sanften Wehen des Windes über den Wiesen und dem feierlich langsamen Zuge seiner weißen Wolken.

Unversehens hat die Kleine in ihrem Eifer eins der Rohre geknickt, und nun sie ihm keinen Ton mehr zu entlocken vermag, kommt sie in meine Stube getrippelt, daß ich den Schaden wieder heile. –

Hinterher fahre ich sie wieder zum Fährhause hinüber.

Unter den Pappeln beim Landungssteg, den er für die Boote aus der Stadt gebaut hat, steht ihr Vater und erwartet uns schon. Es ist Zeit zum Mittagessen, und die Sonne brennt heute, daß die Planken unter seinen Füßen heiß werden.

Aber der Blick, mit dem Behrens uns empfängt, ist gleichgültiger als sonst, fast feindselig guckt er zu uns herüber, als wir ihm vom Boote aus zuwinken und Klein-Elsbe ihm strahlend vor Glück schon von weitem die Pfeifen entgegenhält. Ach, sieh an, er hat wohl einen Ärger gehabt? Irgend etwas, das ihm für eine halbe Stunde die Laune verdarb?

Nein, es ist weit mehr als ein Ärger oder eine vorübergehende Verstimmung – Wut und Gram sind es, die ihn so verändert haben, und ein heimlich fressendes Gift ist es, das man ihm in die Seele geschüttet hat . . . Da ist es kein Wunder, wenn er für Elsbe heute kein Auge hat und sie so gleichgültig aus dem Boote ans Land setzt, als kenne er sie nicht. Nicht einmal, daß er auf die Bitten der Kleinen eine ihrer Pfeifen an den Mund setzt. Niedergeschlagen läuft sie zuletzt ins Haus zu ihrer Mutter, Tränen in den Augen.

Behrens beachtet es nicht, so beschäftigt ist er mit sich 160 selbst. Er scheint nur darauf gewartet zu haben, daß das Kind sich entfernte und er die Dinge mit mir bereden kann, die ihn so verstört haben. Erregt tritt er an mich heran.

Ich kenne ihn gar nicht so, habe ihn nie so gesehen.

»Was ist denn mit Ihnen los?« frage ich ihn.

Da höre ich es denn.

Ein Knecht in Diemenbusch, Jan Meiners heißt er, – ich kenne ihn nicht und höre seinen Namen zum ersten Male – hat sich auf der Tanzdiele am vergangenen Sonntag vor allen Knechten und Mägden gebrüstet, ihm hätte die blasse Kathrine zuerst gehört, und die kleine Elsbe im Fährhause wäre gar nicht Behrens Kind . . .

Behrens ist bleich vor Ärger und Gram. Am Morgen ist er mit dem jungen Stier, den er vor Wochen in Kreienmoor gekauft hat, zur Körung gewesen. Zu dem Ärger, daß das Tier nicht angekört worden ist, ist noch diese Geschichte gekommen. Im Wirtshause hat man es ihm gesteckt. Zuerst hat er auffahren, Dierk Fresenbüttel in das hämisch lächelnde Gesicht schlagen wollen – aber dann vor der gemeinen Verleumdung doch die Arme sinken lassen. Denn natürlich sei es eine Verleumdung, eine dumme und freche Großprahlerei, nichts weiter. Nicht einen Augenblick habe er gedacht, daß es wahr sein könne. Kathrine sei nie schlecht gewesen und sei unberührt in sein Haus gekommen, dafür wolle er jeden Augenblick die Hand ins Feuer legen. Verdammt, daß man so einem Burschen die Zähne nicht in sein ungewaschenes Maul schlagen und beweisen könne, daß das alles von diesem Jan Meiners nur erstunken und erlogen sei, um sich vor den anderen Knechten aufzuspielen, und daß die arme Kathrine sich im Grabe noch so etwas nachsagen lassen müsse . . .

Ein paar Tage später begegne ich ihm am Fuchsberg, 161 einem Winkel nahe beim Dorfe. Es stehen nur ein paar armselige und verkommene Hütten dort, und in einer wohnt die alte Mutter Liebergesell, die die Karten schlägt und in der ganzen Gegend bekannt ist.

Mein Gott, wie sich Behrens in den paar Tagen verändert hat! Sein Gesicht ist bleich und abgezehrt, und der Kummer sitzt ihm in den Augen. Sein Versuch zu lächeln entspringt nur seiner Verlegenheit, daß ich ihm gerade auf diesem Wege begegnen muß!

Natürlich verrät er sein Vorhaben mit keinem Wort.

Aber es ist nicht schwer zu erraten, wohin er will.

»Lassen Sie das doch, Behrens,« sage ich. »Gehen Sie lieber nach Diemenbusch und zwingen Sie Jan Meiners, daß er seine Behauptungen zurücknimmt – öffentlich natürlich, und wenn er nicht will, verklagen Sie ihn. Sie sollen sehen, daß er zu Kreuze kriecht.«

Er schüttelt nur trübe den Kopf.

»Nein,« sagt er. »Was soll das Gericht dazwischen? Man gibt den Leuten nur noch mehr in den Hals. Es ist ohnehin schon schlimm genug damit. Und nun hat auch noch meine Frau davon erfahren . . . Sie redet mir gut zu, aber ich weiß, wie sie sich im stillen grämt. Wir schlafen beide schon nicht mehr darum. Nein, die Geschichte muß ein Ende haben. Und Kathrine hat ihre Ruhe auch darüber verloren.«

Ich glaube nicht recht zu hören. »Kathrine?«

»Ja,« nickt er und sieht mich aus übernächtigen Augen mit einem spökenkiekerigen Blicke an. »Gestern Nacht habe ich sie gesehen. Es war schon spät und ganz klares, ruhiges Wetter. Ich hatte den alten Himdahl aus Kreienmoor noch übergesetzt. Da, wie ich zurückkomme und die Warf zum Hause wieder hinaus will, sehe ich sie mit einem Mal unter 162 den Pappeln beim Hause stehen. Ganz weiß und still stand sie da, die Augen groß und das Gesicht blaß wie Nebel . . .«

»Aber Behrens!«

»Was ich Ihnen sage! Sie war es . . . Sie hat keine Ruhe mehr im Grabe, das arme Ding.«

»Und nun soll Mutter Liebergesell« –?

»Ja, vielleicht, daß sie einen Rat weiß. Sie hat ja auch Kathrine seiner Zeit – – wenigstens weiß ich, daß Kathrine in der Zeit ihrer schlimmsten Not damals bei ihr gewesen ist.«

»Und hat ihr doch nicht helfen können, nicht wahr?«

Er zuckt die Achseln. »Ich weiß nicht,« sagt er abweisend und plötzlich merkwürdig verschlossen. Aber er ist doch einverstanden, daß ich ihn begleite.

Nur soll ich nicht dazwischen reden, macht er mit mir aus. Denn dann wird die Alte verstockt und sagt nichts mehr.

Als wir aus dem hellen Sonnenschein ins Haus treten, vermag ich in dem Halbdunkel drinnen zuerst nichts rechtes zu erkennen. Das Feuer auf dem niedrigen Herde brennt mit düsterer Glut, und unter den Deckenbalken auf der Diele klebt der Ruß.

Die Alte hockt auf einem niedrigen Schemel neben dem Herde, eine schmutzige Nachtmütze auf dem struppigen, grauen Haar.

Unseren Gruß beantwortet sie nicht, scheint uns überhaupt nicht zu bemerken.

»Eenuntwintig, tweeuntwintig,« zählt sie leise mit murmelnden Lippen.

»Wat willt ji?« unterbricht sie sich plötzlich und mustert uns mit bösen, verkniffenen Augen. 163

»Een von jo mutt rut!« erklärt sie, als Behrens sein Anliegen vorgebracht hat.

Kein Verhandeln hilft, ich muß das Haus verlassen und trete wieder in den brennenden Schein der Mittagssonne hinaus, die flimmernd auf dem hellen Sandboden vor der Hütte liegt.

Aber an der Seite des Hauses steht ein Fensterflügel offen, und ich kann unter dem alten Hollunderbusch hindurch in die Stube hineinsehen.

Eine alte Wanduhr tickt drinnen laut in die Mittagsstille, und in dem Bett der Alten, das noch ungeordnet im Alkoven liegt, haben es sich zwei Katzen bequem gemacht, eine gelbgeströmte und eine zierliche schwarzgraue. Vor ihnen gackert leise ein Huhn und pickt auf den sandbestreuten alten Dielen des Fußbodens Brotkrumen auf.

Von der Diele herüber höre ich die Stimme der Alten, und wie ich den Kopf tiefer in die Stube stecke, sehe ich sie durch die halboffene Stubentür ihre Karten neben dem Herde auf die Erde breiten. Vom flackernden Torffeuer beleuchtet steht ihr Gesicht gegen die blaue Dämmerung der Diele. Soeben beginnt sie ihre Weissagungen . . .

Verstehen kann ich bei dem heiseren Gang der alten Wanduhr und der halblauten Stimme der Alten nichts, und als einen Augenblick später ein junges Ferkel, das im Hause ebensoviel Freiheit zu haben scheint wie Katzen und Hühner, ins Zimmer trollt, bei meinem Anblick stutzt und gleich darauf mit lautem Gequiek wieder zur Tür hinausfährt, halte ich es doch für besser, mich zurückzuziehen.

Die Dorfstraße glüht in der Sonne, und selbst im Schatten ist es unerträglich schwül. Die Eschen, die am Wegrande stehen, rühren kein Blatt, und selbst die Pappeln, die sonst beim leisesten Windzuge in Bewegung sind, stehen stumm wie Säulen. 164

Weiß der Kuckuck, wie lange die Alte da drinnen noch braucht, ihre Künste an den Mann zu bringen.

Endlich tritt Behrens wieder vor die Tür.

»Nun?« frage ich ihn, als wir zusammen den Weg zum Fährhause eingeschlagen haben und außer Hörweite sind.

»Ja,« sagt er und sieht gedankenvoll vor sich hin, »das ist gar nicht so leicht zu sagen.«

Ich merke, daß er mir nicht gern gesteht, was die Alte ihm geraten hat und dränge ihn darum nicht weiter.

Auf den Wiesen lärmen die Sumpfvögel, die um diese Jahreszeit hier zu vielen hunderten nisten. Kampfhähne, langschnäblige Schnepfen, Kiebitze und Regenpfeifer. Das schreit und flattert durcheinander, hebt sich in blitzendem Fluge und fällt mit bullerndem Flügelschlage wieder in das langhalmige Gras.

Brockenweise kommt es dann allmählich doch aus Behrens heraus. In der nächsten Neumondnacht soll er um Mitternacht dreimal ums Haus gehen, eine Handvoll Erde von dem Grabe seiner Kathrine dabei in den Händen tragen und die Erde hinterher in den Fluß streuen, dann wird Kathrine wieder Ruhe haben im Grabe.

»Einfach und sinnreich,« sage ich. »Und Jan Meiners?«

Oh, auch seinetwegen hat er einen Rat bekommen. Er soll ein Hemd der Kleinen nehmen und es in derselben Nacht über einem offenen Feuer verbrennen, die Asche sammeln und Jan Meiners heimlich in die Kammer streuen – dann werde das Gewissen den Knecht so plagen, daß er seine Verleumdungen widerrufen, seinen Dienst aufgeben und aus der Gegend wegziehen wird . . . Nein, ich solle nicht lachen. Die Alte habe schon manchem einen guten Rat gegeben, und versuchen wolle er es auf jeden Fall. 165

»Meinetwegen rennen Sie siebenmal um Ihr Haus,« sage ich, »und verbrennen Sie gleich drei Hemden der Kleinen! Ihre Frau wird ja genug davon im Schranke haben. Vielleicht hilft das noch besser.«

Aber ich merke, ich mache ihn nur traurig und verschlossen mit meinem Spott. Er antwortet mir nicht mehr, läßt den Kopf sinken und seufzt.

»Was soll ich denn tun?« fragt er nach einer Weile. »Mit dem Gericht will ich nichts zu tun haben, und einen anderen Rat haben Sie auch nicht für mich.«

»Doch,« sage ich ärgerlich. »Gehen Sie auf die nächste Tanzmusik nach Diemenbusch, und hauen Sie Jan Meiners vor allen Leuten eine herunter, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Das wird ihm jedenfalls heilsamer sein, als wenn Sie ihm die Asche von Klein-Elsbes Hemd in die Kammer streuen. Vor allen Dingen wird es Ihnen selber Luft geben . . .«

Behrens schüttelt den Kopf. »Dann würden die Leute Jan Meiners vielleicht noch mehr glauben als bisher,« sagt er, »und alle würden merken, wie es mich geärgert hat.« –

In den nächsten Tagen wird es mit dem Leutegerede im Dorfe erst recht schlimm. Ein paar Knechte sind in Diemenbusch gewesen und auf der Rückkehr bei Behrens im Fährhause eingekehrt, und weil sie schon in Diemenbusch mehr getrunken haben, als ihnen gut war, haben sie Frau Aleid gefragt, wie es denn der kleinen Elsbe Meiners gehe, die sie in Pflege habe?

Das ist zuviel gewesen für Behrens.

Weinend ist seine Frau zu ihm in den Stall gekommen, und er ist hingegangen und hat die beiden in seiner Wut zum Hause hinausgeworfen, daß der Klatsch im Dorfe nun auf Wochen neue Nahrung hat. 166

Am nächsten Tage fahre ich mit Klein-Elsbe über den Fluß und wandere mit ihr nach Diemenbusch. Sie pflückt Blumen unterwegs, blaßrote Fleischblumen und gelben Löwenzahn, und als wir nach Diemenbusch kommen – es ist ein Sonntag und das Dorf liegt feiertäglich still und sonnenüberglänzt in den Wiesen – gehe ich mit der Kleinen auf Lahmeyers Hof.

Ich treffe es gut. In langer Reihe sitzen die Mägde vor dem Hause. Lahmeyer hat nur zwei, die anderen sind von den Nachbarhöfen gekommen, um sich bis zur Tanzmusik am Abend miteinander die Zeit zu vertreiben. Und Jan Meiners ist auch da!

Ich habe ihn nie gesehen, aber ich errate, daß er es ist. Die Mütze schief auf dem krausen, blonden Haar, die Hände in den Taschen, breitbeinig, verschlagen und herausfordernd im Blick steht er da.

»Jan Meiners?« vergewissere ich mich.

»Jawohl,« antwortet er, ein wenig verdutzt, daß ein Fremder nach ihm fragt. Neugierig gucken die Mägde herüber und lassen ihre Häkelarbeit sinken.

»So,« sage ich laut, damit auch die Mägde mich hören. »Dies ist die kleine Elsbe drüben aus dem Fährhause. Sie haben ja behauptet, daß Sie mit der Mutter der Kleinen früher verkehrt haben. Da wollte ich Ihnen Ihr Kind bringen. Es ist nicht mehr als recht, daß Sie nun auch die Sorge für die Kleine übernehmen.«

Ich weiß, es ist mehr als verwegen, was ich sage. Aber hier kann nur Entschlossenheit helfen.

»Geh hin, Elsbe, sag Deinem Vater mal guten Tag!«

»Was?« fragt der Bursche und wird weiß wie der Kalk an der Wand. »Das – das ist nicht wahr . . . Ich –« 167

»Was ist nicht wahr?« frage ich, noch lauter im Ton als vorher.

»Daß – daß – –«

»Nun?«

»Die Kleine – die ist mein Kind nicht!«

»Nicht? Sie haben es aber behauptet!«

»Davon weiß ich nichts,« antwortet er und mustert mich mit einem heimtückischen und scheuen Blick.

Der andere Knecht, der neben ihm steht, beginnt dumm und blöde zu lachen, wendet sich ab und will davonschlurren.

»Halt!« sage ich. »Bleiben Sie mal da. Sie sind Zeuge . . . Waren Sie nicht dabei, als Jan Meiners drüben im Tanzsaal sich geäußert hat, er hätte früher mit der Mutter dieses Kindes Umgang gehabt?«

»Seggt het he dat!« gibt der Knecht zu.

»Und da wollen Sie es jetzt leugnen?« wende ich mich wieder Jan Meiners zu, absichtlich wieder lauter im Ton, als es sonst meine Art zu sprechen ist.

»Ich habe mit – mit dem Kinde da nichts zu tun!« wehrt er von neuem ab und steht in dumpfen Trotz, die Hände in die Taschen geschoben, den Blick zu Boden gerichtet.

»Nein, mit der Erklärung kommen Sie nicht davon! Sie haben vor Zeugen erklärt, mit der Mutter des Kindes verkehrt zu haben. Also!«

Jetzt sind auch die Mägde aufgestanden und nähergekommen.

Eine beklemmende Stille ist eingetreten. Nur Klein-Elsbe, die nicht begreift, was vor sich geht, beginnt leise zu weinen.

»Ich – ich – war damals wohl betrunken!« kommt es jetzt aus Jan Meiners heraus. 168

»Sie wollen sagen, daß Sie das nur so hergeredet haben, wie? Oder anders gesagt: Daß kein wahres Wort an Ihrer Behauptung gewesen ist? Daß Sie einfach – gelogen haben?«

Er schweigt und wagt nicht aufzusehen.

»Was?« rufe ich wütend. »Solche Lügen setzen Sie also in die Welt? Nur, um sich damit aufzuspielen? Nun – da muß ich Sie für einen ganz gemeinen Verleumder erklären, einen Kerl, der von Rechts wegen ganz wo anders hingehört! Haben Sie mich verstanden?«

Er antwortet nicht, wendet mir den Rücken zu und will sich ohne ein Wort entfernen.

»Antworten Sie!« schreie ich ihm zu, und tatsächlich wendet er sich wieder um und bleibt stehen.

»Ich habe Sie hier vor Zeugen soeben einen gewissenlosen Verleumder genannt. Haben Sie begriffen, was das bedeutet? Ja? Gut. Sie alle hier sind Zeugen gewesen: – An dem, was Jan Meiners über die Mutter dieses Kindes gesagt hat, ist kein wahres Wort! Sie haben es von ihm selber gehört! – Wenn Sie« – ich wende mich jetzt wieder an Jan Meiners und trete dicht vor ihn hin, daß er zusammenzuckt – »nun nicht binnen drei Tagen sich im Fährhause drüben entschuldigt haben, wird Klage gegen Sie erhoben werden! Verlassen Sie sich darauf, daß Sie dann nicht so leichten Kaufes davonkommen werden wie heute.«

»Komm,« sage ich zu der kleinen Elsbe und wende mich zum Gehen, »wir sind hier fertig!«

Ein betretenes Schweigen, dann ein erregtes Tuscheln der Mägde folgt mir.

Als ich den Schlagbaum zum Gehöft hinter mir habe, sehe ich mit einem halben Blick rückwärts, daß Jan 169 Meiners, von den anderen umringt, dasteht, als wolle er mir nach und an die Kehle.

Ich bleibe also stehen, beschäftige mich mit Klein-Elsbe und trockne ihr die Tränen von dem verweinten Gesichtchen.

Er soll nur kommen! Ich renne ihm nicht davon, wenn er noch ein Wort mit mir reden möchte!

Ich sehe, wie sein Freund, der neben ihm steht, ihm heimlich einen Puff in die Seite gibt.

Ah, nur zu, Jan Meiners!

Er hat die Mütze in den Nacken geschoben, und seine Augen kneifen sich vor Wut zusammen über die Demütigung, die ich ihm bereitet habe. Er beißt die Zähne aufeinander, mißt mich mit den Augen und ballt die Fäuste – aber wie er meinen Blick bemerkt, wendet er sich ab und versucht dafür ein Lachen, auf das ihm niemand antwortet.

Gelassen gehe ich mit Klein-Elsbe über die Wiesen zurück. Beim Fährhause ist die Fahne aufgezogen. Es ist ja Sonntag heute und das Haus voll von Gästen . . .

Behrens macht ein verwundertes Gesicht, als er mich mit dem Boote über den Fluß herüberholt.

»Spazieren gewesen?« fragt er.

Klein-Elsbe hat ihre Tränen auf dem Wege längst vergessen. Sie hat ihre beiden Hände voll von Blumen und setzt ihrem Vater, während er uns über den Fluß setzt, einen Kranz von Dotterblumen auf den Kopf.

Nein, ich erwähne nichts von dem Auftritt drüben in Diemenbusch. Er wird es auch ohnehin bald erfahren, denke ich, während ich nach meiner Hütte hinübergehe.

Richtig, ein paar Tage später klopft Behrens aufgeregt an meine Tür und zieht triumphierend einen Brief aus der Tasche. »Lesen Sie mal!« sagt er und seine Augen leuchten. 170

Es ist ein Schreiben von Jan Meiners. Unbeholfen in Wort und Schrift. Er nimmt seine Worte über Elsbes Mutter zurück und bittet, ihn nicht zu verklagen.

Persönlich zu kommen und sich zu entschuldigen, hat er also nicht gewagt, der feige Kerl.

Aber Behrens strahlt.

»Na?« sagt er. »Was sagen Sie nun zu Mutter Liebergesell? Sind Sie nun bekehrt?«

»Da kann man wohl nicht gut anders,« antwortete ich und lächle.

»Sehen Sie,« nickt er und guckt mich befriedigt an, »die Asche hat es gemacht! Es hat ihm einfach keine Ruhe mehr gelassen. Und seinen Dienst hat er auch aufgesagt, wie man mir vorgestern in der Gaststube erzählt hat. Nun werden wir wieder Ruhe kriegen, Aleid und ich.«

 


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