Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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3

Ich habe mir eine Ziege gekauft, eine richtige, lebendige Ziege.

Sage keiner, daß ich kein vorsichtiger Mann wäre und etwa so darauf los lebte, wie es gerade kommt. O nein, der Winter steht vor der Tür, und da ich mich demnächst vielleicht wochenlang nicht von meiner Hütte entfernen kann, ist es gut, sich einigermaßen versorgt zu wissen.

Drüben in Diemenbusch habe ich sie gekauft von der alten Mutter Schröder.

Sie hatte drei im Stall, zwei junge und eine alte. Ich habe die alte bekommen. Sie hat bereits mehr als ein halbes Dutzend Mal gelammt, gehört also schon ins alte Register. Aber dafür gibt sie mehr Milch als die beiden jungen zusammen, und hat einen Blick wie eine alte Zigeunerin, so klug und verschlagen.

Da steht sie nun im Stall auf der Hausdiele, wo vor Jahren die Kuh des alten Beerboom ihren Platz hatte, und blickt, immer noch ein wenig verwundert, ja fast feindselig über die plötzliche Veränderung, die mit ihr geschehen ist, zu mir herüber.

»Sieh' da, Schrödersch,« sage ich, wenn ich heimkomme, »wie geht es denn?« und kraule ihr den Kopf, den sie bei der ersten Berührung zum Stoße senkt.

Aber sie meint es nicht ernstlich böse, und nun sie allmählich beginnt, sich an ihren neuen Platz zu gewöhnen, hört sie auch mit dem ewigen Gemecker auf, mit dem sie mich zuerst von früh bis spät unterhielt.

»Schrödersch« habe ich sie genannt, nach ihrer Ziehmutter, die sie schon als kleines Zicklein betreut und großgefüttert hat. Vielleicht klingt es ihr vertraut ins Ohr, 25 wenn sie den Namen wiederhört, wie ihn jeder Nachbar sagt, wenn er bei der Alten in Diemenbusch zur Tür hineinguckt.

Ich weiß alles von ihr, kenne ihre Lebensgeschichte, die kleinen Merkwürdigkeiten und Launen in ihrem Benehmen, ihr Böses und ihr Gutes, die Zahl ihrer Kinder, der lebenden und der toten.

Heu und Rüben für den Winter habe ich aus dem Fährhause bekommen und mit dem Boote herübergeholt, dazu einen halben Sack Gerstenmehl, um ihr den Haustrunk damit zu würzen. Nun mag es Winter werden. Schrödersch wird keine Not leiden.

Das schlimmste war, sie zum erstenmal zu melken. Es ist eine Geschichte für sich, und die Rolle, die ich darin gespielt habe, ist nicht gerade rühmlich.

Nicht, daß ich mich durchaus nicht darauf verstanden, oder keine Mühe oder Sorgfalt darauf verwendet hätte. Der Knüppel lag ganz wo anders. Im Gegenteil, kein Mensch kann mehr Geduld und Freundlichkeit aufbringen, als ich sie Schrödersch gegenüber bewiesen habe.

Aber selbst bei aller Mühe und dem freundlichsten Zureden gelang es mir nicht, auch nur einen Tropfen Milch aus ihrem prallen Euter herauszubekommen.

Das schlimmste war, daß ihr das Euter dabei mit jeder Stunde mehr anschwoll. Es war deutlich genug zu sehen, sie hatte Milchnot und meckerte erbärmlich.

Ich war wütend und fassungslos zugleich, ließ mir nichts merken, ging mit einem süßen Lächeln zum dritten Male zu ihr, hockte mich geduldig wieder auf den alten Melkschemel, den ich beim Herumkramen auf dem Hausboden gefunden hatte, und versuchte mein Heil von neuem.

»Schrödersch«, redete ich ihr zu, »komm, sei friedlich. 26 Friedlich und vernünftig. Du hast am Ende nur selbst den Schaden davon. Es bekommt nicht gut, die Milch übermäßig lange zurückzuhalten, und wir beide müssen doch nun auf irgend eine Weise sehen, miteinander fertig zu werden. Da hilft nun nichts. Also sei so gut – ja?«

Schrödersch wandte ihren Kopf, sah mich ebenso verächtlich wie feindselig an und machte keine Miene, ihren Sinn zu ändern.

»Hör' 'mal, Schrödersch«, begann ich von neuem, »Du fängst an, mich zu langweilen, muß ich Dir sagen. Also sei nun endlich so freundlich, ja? Ich verspreche Dir feierlich, Dich nächstes Jahr auf die Ziegenausstellung in Diemenbusch zu bringen und Deine Milchleistungen dort in ein so helles Licht zu rücken, daß die Preisrichter vernagelt sein müssen, wenn sie Dir nicht einen Kranz aus Eichenlaub auf Dein erlauchtes Haupt drücken« . . .

Als auch das nicht half, entschloß ich mich seufzend, nach Diemenbusch zu gehen und mir dort Rat zu holen.

»Hören Sie 'mal, Mutter Schrödersch,« sagte ich zu der Alten, die mich verwundert empfing, »mit der Ziege ist es nicht ganz richtig. Sie mag hier in Diemenbusch ja ausgezeichnet Milch gegeben haben – ich kriege keinen Tropfen aus ihr heraus.«

»O watt!« verwunderte sich Mutter Schröder nachdenklich. Ihre Augen wurden klein wie Perlzwiebeln.

Dann kam ihr eine Erleuchtung.

Sie schlürfte in ihre Dönze und kam – mit einem ihrer alten Unterröcke über dem Arm wieder zurück, wickelte ihn in eine alte Zeitung und wies mich an, das Kleidungsstück zur Melkstunde am Stallpfosten aufzuhängen, dann würde die Ziege bestimmt ein Einsehen haben.

Ich ging heim und tat wie mir befohlen – und siehe 27 da, o Wunder – die Milch floß plötzlich in Strömen. Ich mußte den kleinen Eimer, den ich mir dafür besorgte, zweimal leeren, ehe die Quelle versiegte.

Sancta simplicitas!

Seitdem hänge ich jedesmal, wenn ich zum Melken antrete, Mutter Schrödersch Unterrock am Stallpfosten auf, und Schrödersch tut gehorsam, was ihres Amtes ist. Sie wittert die Alte in dem Unterrock, und das genügt.

Illusion ist alles bei Mensch und Vieh.

 


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