Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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Ja, da sitze ich nun, der Ofen raucht noch ein wenig, aber es brennt nur Torf darin, und da hat es nicht viel zu sagen. Ich liebe es beinahe, wenn es um mich nach Torfrauch riecht. Es erinnert mich an meine Kindheit und das Stammhaus meiner Väter, wenn dort der Ahne auf der Diele stand und Honig kochte. Es roch süß und brenzlig zugleich, daß einem die Augen darüber tränten. Die ganze Diele schwamm in einem Licht, das blau war vom Rauch des Feuers auf dem offenen Herd, blau wie Delfter Kacheln.

So hocke ich nun hier am Feuer in der alten verlassenen Hütte und träume meine Märchen, Märchen von dem zagen Lächeln einer stillen Frau, von großer Einsamkeit, von Windstößen und rauschenden Wassern in den Tiefen und Höhen.

Draußen fliegen die Wolken. Ihre Flügel sind weit, und ihr Gefieder ist grau wie die Schwingen junger Schwäne. Sie fliehen vor dem Wind, aber er ereilt sie doch, ergreift und durchbraust sie, daß ihre Gewänder sich bauschen und ein Schrei der Lust aus ihren grauen Kehlen bricht.

Warum ich hierher gegangen bin?

Warum sitzest Du in Deiner Stube, bist heute Abend gerade dort in Deiner Stube, in Deinem Dorfe?

Genug, ich bin hier, mitten in diesem unwegsamen, alten Moore und lasse jeden dazu sagen, was er Lust hat. 6

Denn als eine Torheit sehen sie es an, die mich hier wissen.

Im Sommer mag es angehen, sagen sie. Aber im Winter in diesem elenden Moore zu hausen, wenn das Wasser hier aus der Erde quillt und das ganze Land in einen See verwandelt, über dem die Wolken wie nasse Tücher hängen – nein, das ist unmöglich, wirklich ganz unmöglich! Und dann lächeln sie. Und für die alte Moorhütte, die ich für mich entdeckt habe und in der ich nun wohne, bedanken sie sich erst recht. »Vielmals« sogar.

Viel Vergnügen, alter Freund, sagen sie.

Selbst die Leute drüben im Fährhause, eine Viertelstunde Wegs von hier, schütteln den Kopf und meinen, daß es unvernünftig sei. So mag es wohl wahr sein, aber jeder ist nun 'mal auf seine Weise verrückt auf dieser Erde. So laßt mich gefälligst in Ruhe, zum Teufel. Sehne ich mich vielleicht nach euch und euren behaglichen Wohnungen in der Stadt? Oder falle ich euch mit Klagen zur Last? Oder mit Seufzern vielleicht?

Da wollen wir doch lieber jeder für uns selig sein, ihr auf eure Art, ich auf die meine. Punctum!

*

Am Abend setze ich mich an die Feuerstelle draußen auf dem Fußboden der alten Lehmdiele, koche mir in meinem verräucherten Kessel meinen Tee und höre dem Regen zu.

Es regnet schon seit Tagen, und es ist immer dasselbe Lied, das der Regen singt. Aber ich werde nicht müde, ihm zuzuhören. Dem Regen und dem Winde. Vielleicht lausche ich dem Winde noch lieber. Er hat tausend Stimmen. Er rauscht wie Wasser, pfeift wie ein Vogel, bullert und kollert wie ein alter Hahn, faucht wie eine Katze, kann 7 wie ein Hund bellen, wie ein Kind weinen, kann schluchzen wie eine Verlassene, wie eine müde Seele aufseufzen und wie ein Sieger aufbrüllen vor Lust und Ungestüm. Ja, wenn er gerade dazu in der Laune ist, wird er pathetisch wie ein Liedertafelsänger, würdig wie ein Gralsritter und erhaben wie ein baufällig gewordener alter Gott.

Es gibt niemand, mit dem man sich so unterhalten könnte, wie mit ihm.

Hallo, Kristoffer! sage ich und wundere mich, mit welcher Kraft der Alte durch das Ulenloch im First bis zu meinem Herd herunterstößt und mir den Rauch ins Gesicht treibt, woher des Wegs und warum so eilig?

Mau muß nicht meinen, daß er darauf keine Antwort hätte, o nein. So eilig er es hat – er weiß, was sich gehört, und auf eine höfliche Frage gehört eine Antwort.

Guten Abend! sagt er. So allein? Aber das ist ein ausgezeichneter Platz, den Du Dir da ausgesucht hast. Stochere das Feuer nur gut an, damit es nicht einschläft, alter Junge. Schade, daß ich es nicht so fassen kann, wie ich möchte. Ich wollte ihm ein Lied in die Ohren singen, daß es seine Müdigkeit schon vergessen sollte.

Quäle Dich nicht um das Feuer, Kristoffer, antworte ich ihm. Es tut schon das Seine, denn der Torf ist trocken genug. Erzähle mir lieber. Von Dir und den Tagen, die hinter Dir liegen.

Warum von gestern? fragt der Wind? Warum nicht von heute? Was gestern war, ist heute vergangen. Bist Du nicht hierher gekommen, um zu vergessen?

Schon gut, schon gut! sage ich. Erzähle, wovon Du willst.

Von der Nähe oder von der Weite? fragt der alte Brausebart und zwinkert mit den Augen. Ich glaube, 8 die Nähe fesselt Dich mehr als die Weite, besonders, wenn ich von einem Fährhaus erzähle, das nicht weit von Deiner Hütte liegt . . . Ich kann Dir sagen, es ist ein altes, gemütliches Haus. Das Strohdach ist ihm so tief auf die Nase gerutscht, daß man meinen könnte, es wollte sich mit seinen vier Wänden in die Erde verkriechen, um es ein wenig wärmer und behaglicher zu haben. In die feuchte, schwarze Moorerde, ha, ha, ha! Zur Zeit wohnt neben den Fährleuten ein Fräulein darin – in dem einen der Fremdenzimmer, weißt Du – ein Fräulein sage ich Dir . . . Aber Du mußt Dich ein wenig sputen, wenn Du sie noch sehen willst, denn eigentlich wollte sie gestern schon in die Stadt zurückkehren. Aber noch ist sie da. Heute noch. Morgen – wer weiß, was morgen ist?

Nein, sei vernünftig, rede ich ihm zu. Ich bin um ihretwillen schon vier lange Tage nicht mehr im Fährhause gewesen und wäre froh, wenn man mich nicht mehr daran erinnerte, daß sie dort wohnt.

Hoho! lacht der Wind. Warum forderst Du mich dann auf zu erzählen? Denn im Augenblick weiß ich nichts Besseres, nichts, das so frisch in meiner Erinnerung wäre, weißt Du, nichts, das so lieblich ist!

Hör' auf! sage ich und stehe auf.

Aber er hört nicht auf.

Habe ich sie nicht vorhin noch im Arm gehabt, wie? höhnt er mich. Sie ging am Flusse entlang. Den Weg unter den jungen Pappeln, weißt Du. Ich hatte gerade ein wenig Zeit, ihr schön zu tun, jawohl! Hohoho! lacht er. Denn es ist das einzige, was man tun kann, wenn man ihr begegnet. Und einer wie ich hat tausend Dinge frei . . .

Geh zum Teufel, sage ich, oder erzähle andere Geschichten! 9

Nun, sagt er, Du brauchst nicht gleich so rabiat zu werden, verstehst Du? Schweigen ist leichter als erzählen, wenn ich auch weiß, daß es keine Schönere im ganzen Moore gibt, als sie, in Wittemoor nicht und nicht in Diemenbusch. Ihr Haar ist wie Seide, kann ich Dir sagen, und wenn ich sie in den Arm nehme und Du stehst von weitem und blickst zu uns herüber –

Aber ich höre nicht länger auf ihn, ärgere mich und hacke mit dem Beil einen Torfziegel entzwei, damit das Feuer ein wenig heller brennt.

Von ihr ist gut zu erzählen – fährt der Wind fort, denn ich brauche ihren Namen nicht zu sagen. Wir irren uns nicht, du und ich, und wissen ganz gut, wen wir meinen, nicht wahr? Hohoho!

Er lacht wie besessen, und ich bin ernst und melancholisch wie ein alter Treppensänger.

Vielleicht bin ich wirklich so etwas, ein Treppensänger nämlich. Man singt, und niemand hört einem zu. Höchstens, daß man zu stolz ist, an den Türen zu klingeln. Wird einem aber von ungefähr ein Geldstück hingeworfen, so zieht man doch den Hut. Ja, so ist man.

Wütend gehe ich in die Stube zurück.

Eigentlich sollte ich mich jetzt an den Tisch setzen und arbeiten. Denn schließlich bin ich nicht hierhergekommen, um nur mit dem Wind zu schwatzen. Aber ich weiß schon, wie das gehen wird. Der Alte wird mir keine Ruhe lassen und immer von neuem von ihr beginnen, nun ich ihr schon seit Tagen eigensinnig aus dem Wege gegangen bin.

Vielleicht ist sie überhaupt schon abgereist? sage ich. Denn Dir ist nicht zu trauen, alter Bursche. Du bist der geborene Windbeutel, so zu sagen.

Hallo, schreit er. Keine Beleidigungen! und fährt über 10 die Diele, daß die alte schiefgesackte Stubentür in ihren Angeln klappert.

Nichts für ungut! sage ich. Du bist ein Geschichtenerzähler aus Passion, und solche Leute nehmen es mit der Wahrheit nicht sehr genau.

Gut gesagt, antwortet er und stößt ins Feuer, daß die Funken stieben. Du scheinst Dich selber gut beobachtet zu haben!

Ja, so offen sind wir miteinander. Wir machen uns nichts vor, der alte Kristoffer und ich.

Im übrigen, sage ich, ist es mir gleichgültig, verstehst Du, sie mag nun noch drüben im Fährhause wohnen oder nicht.

Hohoho! lacht er auf und braust davon, als hielte er es einfach nicht mehr aus mit mir, und ich kehre an meinen Herd zurück, wütend, daß ich nicht das gleiche tun kann und mir selber davonlaufen . . .

Über unserer Unterhaltung ist das Wasser im Kessel wahrhaftig zum großen Teil verkocht, und ich muß vor das Haus gehen, mir frisches zu holen.

Das Flußwasser taugt aber nicht zum Tee, und ich gehe lieber an den Ziehbrunnen neben dem Hause, den sich der alte Beerboom grub, als er hier noch hauste. Denn jetzt ist er ins Dorf hinübergezogen. Seine Tochter ist dort verheiratet und hat den Alten zu sich genommen. Es ging nicht mehr mit ihm, allein in dieser einsamen Hütte.

Der Brunnen ist nicht tief. Sein Wasserspiegel liegt kaum einen Meter unter dem Erdboden. So hoch steht das Grundwasser hier im Moore. Und dabei steigt es noch jeden Tag. Bald wird es den Brunnen bis zum Rand füllen. Überhaupt versinkt das ganze Land hier im Winter im Wasser. Darum liegt meine Hütte auf einem 11 Sandhügel. Das Wasser kann sie dort nicht erreichen. Auch habe ich mein Boot dicht vor der Tür. Wenn ich wollte, könnte ich noch jetzt jeden Tag damit ins Fährhaus hinüberrudern. Denn es hat in den vergangenen Nächten nur erst ganz unbedeutend gefroren, und der Fluß treibt mich fast ohne Ruderschlag in zehn Minuten hinunter. Ja, selbst den Weg über die Wiesen könnte ich machen, so weich und nachgiebig der Boden unter dem steigenden Wasser auch schon geworden ist. Aber ich will es nicht, nein. Es kostet mich nicht einmal eine Anstrengung, mir den Gedanken aus dem Kopfe zu schlagen. Habe ich das wirklich einen Augenblick lang geglaubt? Nicht einmal traurig macht es mich, nicht im geringsten. Haha! Lache ich nicht laut und schallend, wie? Und bin ich jemals so vergnügt und guter Dinge gewesen wie heute? Wahrhaftig, eine Drossel kann im Frühling nicht so vergnügt pfeifen, wie ich an diesem regnerischen Herbsttag. Lütütü – lütütü – –.

Sieh doch an, das Wasser im Brunnen ist seit gestern schon wieder gestiegen. Mindestens um eine Spanne. Wenn das so weiter geht, wird er bald überfließen, und ich kann dann ebensogut aus dem Flusse schöpfen.

Als ich wieder in die Hütte trete, lasse ich die Tür offen, damit der Rauch ein wenig schneller abzieht. Darüber flackert das Feuer heller auf, der Kessel beginnt zu singen, und wie ich zur Teebüchse greife, höre ich Schritte draußen und fühle, daß jemand in die Tür getreten ist.

Dina! ist es möglich? denke ich, und das Herz zieht sich mir in der Brust zusammen. Es ist Freude und Schreck zugleich.

Aber wie ich herumfahre und mir die Teebüchse darüber beinahe aus den Händen gleitet, sehe ich, daß es Anka ist. 12

»Sind Sie es?« sage ich und verberge meine Enttäuschung unter einem Lächeln.

Ist es mir etwa keine Freude, Anka bei mir zu sehen, zu wissen, daß sie den Weg vom Fährhaus zu meiner Hütte über die Wiesen gemacht hat, die schon halb unter Wasser stehen, einen Weg, der selbst einen Mann abschrecken kann? Wie? war ich wirklich einen Augenblick so töricht, zu meinen, daß Dina –

»Ja«, strahlt sie und lächelt wie ich. »Gut, daß ich glücklich bei Ihnen gelandet bin, sehen Sie. Nur völlig nasse Füße habe ich.«

»Natürlich! Es war aber auch ein Leichtsinn, Fräulein Anka. Auf die Wiesen ist kein Verlaß mehr in dieser Jahreszeit. Daß man Sie im Fährhause nicht zurückhielt! Aber nun Sie einmal da sind, ziehen Sie die Schuhe aus und setzen Sie sich ans Feuer. Warten Sie, ich hole Ihnen ein paar trockene Strümpfe.«

Ich sehe, was für zierliche Füße Anka hat, und es verwirrt mich zu denken, daß ich in diesem Augenblick, wenn Dina auf den Gedanken verfallen wäre, über die nassen Wiesen zu mir in meine Hütte zu kommen – –

»Nein,« ruft Anka und lacht, »stehen Sie doch nicht so da! Geben Sie mir Ihre Holzschuhe herüber. So« . . .

Sie hat ein Paar meiner grauen Socken angezogen, die grob sind und dick wie ein paar Säcke, und streift nun meine Holzschuhe über. Wie eine Holländerin in Tracht sieht sie aus.

»Schließen Sie doch bitte die Tür, ja? Es ist nicht zu warm hier drinnen, und kochen Sie den Tee fertig, nicht wahr? Es war eine ausgezeichnete Idee von Ihnen, Tee zu bereiten . . .«

Als sie ihre Tasse geleert hat – ich habe nur die eine 13 und trinke darum selber aus der Unterschale – lehnt sie sich in ihren Stuhl zurück, drückt ihn ein wenig hinten über, wippt mit den Knien und blickt mit prüfenden Augen um sich.

»Was gucken Sie denn, Fräulein Anka?« frage ich und gebe mir Mühe, heiter zu erscheinen. Denn jetzt steigt die Enttäuschung mit solcher Macht in mir auf, daß ich Mühe habe, sie nicht merken zu lassen.

»Sie wollen wirklich den ganzen Winter über hier bleiben?« fragt sie.

»Ich denke.«

»Fürchten Sie nicht, daß Sie es bereuen werden?«

»Es ist möglich,« antworte ich und zucke die Achseln.

»Ich gehe morgen in die Stadt zurück. Es wird doch allmählich unleidlich hier draußen.«

»So, morgen,« sage ich und nicke.

»Sind Sie garnicht ein wenig traurig darüber?«

Sie hätte nicht so fragen sollen. Was sollte ich ihr antworten?

Sie warf unmutig ihren Kopf herum und sagte:

»Ja, ich reise. Im Fährhause ist es jetzt so still, nun auch Dina schon vor drei Tagen wieder in die Stadt zurückgekehrt ist.«

Da wußte ich es nun.

»Wundern Sie sich nicht ein wenig?«

»Warum?« sage ich und mache mir mit dem Feuer zu schaffen. »Nein, ich wundere mich nicht. O, ganz und gar nicht. Es wird wirklich allmählich zu feucht und kalt hier draußen. Der Spätherbst ist nicht schön hier im Moore. Der Regen nimmt gar kein Ende mehr. Und Dina ist so zart, von so zarter Gesundheit, meine ich. Ja, das ist sie. Ein Blinder muß es sehen. Da war es wirklich am 14 besten, wenn sie nicht länger mehr blieb . . . Warum lachen Sie denn?«

»Nichts, nichts!« antwortet sie und preßt die Lippen aufeinander.

Ich schwieg und blickte durch das kleine Fenster neben der Herdstelle in die Landschaft hinaus. Drüben lag das Fährhaus. Die Luft war grau vom Regen, und leise begann es zu dunkeln.

Warum lachte sie nur? Aber dann vergaß ich Anka und ihr Lachen. Die Ebene war so weit, und auf den Wiesen stieg das Wasser. Drüben auf der Kälberwiese stand schon ein kleiner See.

Nun ist Dina fort, dachte ich, und meine Augen kehrten zu dem Fährhaus zurück, das einsam und verloren unter den entblätterten Pappeln lag, die sich darüber in den grauen Abendhimmel erhoben. Mir war, als hätte ich es nie so gesehen, so traurig und in eine so hoffnungslose Weite gerückt.

Nun erst war ich allein, und erst jetzt wußte ich, was Einsamkeit ist. Hatte ich nicht schon im Sommer geglaubt, einsam zu sein? Aber jetzt erst wußte ich es recht.

Da hinter mir am Feuer saß Anka, Dinas Freundin. Vielleicht empfand ich die Einsamkeit nur darum so stark? Ich weiß es nicht.

Sie lachte nicht mehr. O nein. Als ich mich zu ihr umwandte, sah ich, daß sie Tränen in den Augen hatte. Tränen der Empörung und der Enttäuschung vielleicht, – was weiß ich.

Ich erschrak, aber ich dachte: Man muß es nicht sehen. Es ist jedenfalls besser, daran vorbei zu sehen.

»Wollen Sie noch Tee?« fragte ich und bemühte mich, heiter und aufgeräumt zu sprechen. 15

»Danke«, sagte sie kurz und stand auf. »Geben Sie mir meine Schuhe. Es dunkelt. Ich will gehen.«

»Aber,« sagte ich und tat verwunderter, als ich war, »die Schuhe sind wirklich noch ganz durchfeuchtet. Nein, so können Sie nicht gehen. Es ist unsinnig. Sie werden sich erkälten. Es ist gar keine Frage, daß Sie krank werden.«

Aber sie hörte nicht auf mich und blieb taub und verschlossen. Ich sah, wie sie sich heimlich und schnell mit dem Handrücken über die Augen fuhr, als sie sich bückte und ihre Füße wieder in die durchweichten Schuhe zwängte.

»Es ist unerträglich hier in dem Rauch,« sagte sie und ihre Stimme klang so bestimmt und klar wie immer. »Nein, danke, Sie brauchen mir nicht zu helfen.«

»Natürlich fahre ich Sie mit meinem Boot nach dem Fährhause zurück. Es ist unmöglich, daß Sie noch einmal über die Wiesen gehen.«

»Warum ist es unmöglich?« antwortete sie. »Sie werden sehen, daß es nicht unmöglich ist.«

»Fräulein Anka,« bat ich.

»Verstehen Sie mich denn nicht? Ich will mit Ihnen nicht im Boote fahren, das ist es, hören Sie? Ich will nicht.«

Ihre Augen blitzten, und eine Falte grub sich in ihre bleiche Stirn.

Jetzt wartete sie wohl, daß ich sagen sollte: Aber ich leide es nicht, auf keinen Fall. Denn wenn Sie so unvernünftig sind, müssen sie schon erlauben, daß ich verständiger bin als Sie.

Aber ich sagte es nicht. Ich konnte es nicht. In diesem Augenblicke nicht. Es war etwas in mir, das es nicht litt. Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als diese Worte zu sagen. 16

»Nun leben Sie also wohl,« sagte sie, nahm ihr Tuch, das sie über die Lehne ihres Stuhles gehängt hatte, schlug es um ihre Schultern und ging.

In der Tür wandte sie sich noch einmal nach mir um. »Soll ich Dina vielleicht einen Gruß von Ihnen sagen?« fragte sie.

Ich tat, als hätte ich ihre Frage nicht gehört.

»Leben Sie wohl, Fräulein Anka. Es wird ja nur auf kurze Zeit sein, daß wir Abschied nehmen. Im Frühjahr werden Sie doch sicher wieder ins Fährhaus zurückkehren, nicht wahr? Wegen Ihres Bootes können Sie ganz beruhigt sein. Es liegt beim Fährhaus in seinem Schuppen wie ein Kind in seiner Wiege. Natürlich werde ich von Zeit zu Zeit einmal nach dem Rechten sehen.«

Die letzten Worte mußte ich ihr nachrufen. Aber sie hörte sie nicht mehr, – sie ging, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen. Ruhig und aufrecht ging sie und achtete nicht des Wassers, das ihr über die Schuhe lief.

»Anka!« rief ich, »soll ich Sie nicht doch besser im Boote – –? Anka!«

Aber sie wandte sich nicht um.

 


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