Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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Am Nachmittag kamen Anka und Lintrup, der Justizrat und Milla unerwartet zu mir in die Hütte. Die Sonntagsgäste im Fährhause hatten sie von dort vertrieben, und der Justizrat hatte den Vorschlag gemacht, einen Ausflug nach Wittemoor zu machen und mich dazu abzuholen. Zum Segeln hatte bei dem lauen Winde niemand rechte Lust gehabt, und so wollte man zur Abwechslung lieber einmal zu Fuß ins Moor wandern.

Interessiert fragte der Justizrat nach meiner Arbeit und beugte sich über den Tisch, auf dem eine meiner Holztafeln lag, an der ich in den voraufgegangenen Tagen gearbeitet hatte.

»Werden Sie noch zum Herbst Ihre Blätter herausbringen?« fragte er. »Ich muß unbedingt ein Exemplar Ihres Buches erwerben. Sie müssen mir Nachricht geben, sobald Sie fertig sind, hören Sie?«

Als wir fortgingen und ich die Gesellschaft über den Fluß und ein Stück stromauf gerudert hatte und nun das Boot an einem Pfahl auf der anderen Seite des Flusses vertaute, blieb Anka ein paar Schritte hinter den anderen zurück und flüsterte mir zu: »Hier ist der Brief. Schnell, nehmen Sie! Ich habe gestern abend noch einiges hinzugeschrieben. Es steht nun alles darin, was ich Dina zu sagen verpflichtet bin . . .«

Im Moore war es einsam und still, und unsere Stimmen schienen die einzigen Laute in dem großen Schweigen zu sein, das uns umgab.

Anka war mit Milla ein Stück voraus. Vielleicht wollte Milla ihre Taktlosigkeit von gestern abend ein wenig wieder gutmachen und behandelte Anka darum heute mit besonderer Aufmerksamkeit. 195

Der Justizrat, der eine alte Liebe zur Botanik hatte, pirschte an den Rändern der alten Moorkuhlen herum. Er fahndete nach einer seltenen Pflanze, die hier in der Gegend vorkommen sollte, und so war ich eine Weile mit Lintrup allein.

»Sie ahnen nicht, wie glücklich ich bin,« sagte er und ließ kein Auge von Anka, die uns mit Milla vorausging, »und erst jetzt weiß ich, wie töricht ich war, auf Schulna eifersüchtig zu sein. Anka hat nie ernstlich an ihn gedacht. Sie hat ganz offen mit mir darüber gesprochen, und ich bin überzeugt, daß sie mich nicht etwa nur beruhigen wollte. Schulna hätte sich auch sicher nicht mit Frau Korkhan eingelassen, wenn er wirklich ein Verhältnis zu Anka gehabt hätte, nicht wahr? Sie wissen doch, daß aus seinem Verhältnis zu Frau Korkhan eine ganz unangenehme Geschichte geworden ist? Nein? Denken Sie, Frau Korkhan hat ihren Mann verlassen und soll Schulna nach Paris nachgereist sein, und nun ist so etwas wie ein Skandal daraus entstanden. Korkhan hat nämlich Klage auf Scheidung erhoben, und es wäre nicht zu verwundern, wenn er auch Strafantrag gegen Schulna stellte –«

»Sehen Sie, hier!« rief der Justizrat und kam uns mit eiligen Schritten nach. »Da habe ich sie tatsächlich entdeckt. Das Handbuch hat recht gehabt!«

Triumphierend hielt er ein kleines Pflänzchen in die Höhe. »Botrychium, die Mondraute, – eine der größten Seltenheiten hier in der Gegend. Ja, ein Farnkraut. Natürlich. Gattung der Ophioglossaceen. Selbstverständlich habe ich den Wurzelstock sitzen lassen. Es wäre eine Barbarei gewesen, ihn auszuheben.«

Er verwahrte den Fund in einer Blechschachtel und strahlte vor Freude. »Vielleicht, daß ich auch weiterhin 196 Glück habe,« sagte er. »Entschuldigen Sie darum, meine Herren, wenn ich Sie noch eine Weile allein gehen lasse. Nehmen Sie bitte gar keine Rücksicht auf mich, ich finde mich schon zurecht. Übrigens kann man Wittemoor ja schon liegen sehen. Die Häuser dort, nicht wahr?«

»Nein,« sagte ich, als der Justizrat wieder hinter uns zurückgeblieben war, »Korkhan wird nicht so töricht und grausam sein. Was könnte es ihm nützen, wenn er Schulna verurteilen ließe?«

»Er hat sich seinen Bekannten gegenüber aber in diesem Sinne geäußert.«

»Ach, er ist ein Schwätzer, verlassen Sie sich darauf, ich kenne ihn. Am Ende wird er es nicht einmal zur Scheidung kommen lassen.«

»O da dürften Sie sich doch vielleicht täuschen.«

»Ich glaube nicht! Eines Tages wird Schulna die kleine Frau zu ihm zurückschicken, und es wird ein rührendes Wiedersehen zwischen den beiden geben.«

»Meinen Sie wirklich?«

Anka und Milla waren stehen geblieben und warteten auf uns.

»Um Gotteswillen, wo ist denn Papa?« fragte Milla.

»Er botanisiert ein wenig. Haben Sie keine Sorge, er wird hinter den Torfhaufen dort gleich wieder zum Vorschein kommen,« beruhigte ich sie. »Sehen Sie, da ist er schon!«

»Papa, wo bleibst Du denn?« rief Milla und winkte ihm mit ihrem Sonnenschirm.

Aber er hatte noch keine Zeit für uns und gab uns ein Zeichen, daß wir weitergehen sollten, und so folgten wir langsam Anka und Lintrup, die jetzt vorausgegangen waren.

»Denken Sie,« flüsterte Milla und zupfte mich vertraut 197 am Ärmel, »die beiden wollen tatsächlich demnächst heiraten, was sagen Sie? Fräulein Anka hat es mir vorhin selbst erzählt.«

»Überrascht Sie das so sehr, Fräulein Milla?«

»Eigentlich nicht, nein, ach, ich weiß selber nicht. Es ist nur so interessant, finden Sie nicht auch?«

Sie war bis unter die Haarwurzeln errötet und fieberte vor Aufregung.

»Natürlich werden sie in der Stadt wohnen, wenn Herr Lintrup erst das Notwendige zu Hause geregelt hat.«

»Sind denn da Schwierigkeiten?«

»O ja,« antwortete Milla eifrig. »Lintrups Vater scheint von Fräulein Anka nicht viel wissen zu wollen. Eine Kunstgewerblerin? Sehen Sie, das paßt dem alten Herrn nicht. Und Vermögen hat sie wohl auch nicht viel.«

»Hat Fräulein Anka Ihnen von diesen Dingen erzählt?«

»Ja, ganz offen. Sie braucht ja auch durchaus nicht damit hinter dem Berge zu halten, meine ich. Es ist doch keine Schande, wenn man keine große Mitgift hat. Und ihr Verlobter denkt natürlich gerade so und wird nicht nachgeben, bis er alle Widerstände überwunden hat. Ist das nicht herrlich? Er ist ja so verliebt in Fräulein Anka! Ich mußte ja immer lachen, wenn ich es beobachtete, aber nun finde ich es so natürlich, daß Herr Lintrup jedesmal am Sonnabend zu uns herauskommt. Warten Sie ein wenig,« sagte sie und hielt mich am Ärmel zurück, »oder lassen Sie uns ein wenig langsamer gehen, vielleicht, daß die beiden uns nicht gern so dicht hinter sich wissen. Oder wollen wir sie überholen? Doch dann haben sie immer noch Papa hinter sich . . . Aber lassen Sie sich Fräulein Anka gegenüber bitte nicht merken, daß ich aus der Schule geplaudert habe, nicht wahr?« 198

Als wir in Wittemoor ankamen, waren alle ein wenig erschöpft und bestanden auf eine längere Erholung. So dämmerte es bereits, als wir endlich wieder den Heimweg antraten. Aber gerade das hatte man gewollt. Das Moor sei so gespenstisch und geheimnisvoll, nun die Sonne untergegangen sei, meinte Milla, und die schwarzen Haufen der Torfziegel, die in Wind und Sonne trockneten, hoben sich düster in die sinkende Nacht.

Ich hatte denselben Weg nehmen wollen, den wir am Nachmittag eingeschlagen hatten, aber man bat mich, zur Abwechslung einen anderen zu wählen. Ich gab nach, weil ich rechnete, daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Fluß wieder erreichen und dann am Ufer entlang bis zu der Stelle gehen konnten, wo ich das Boot vertaut hatte.

Aber der Weg war weiter und mühseliger, als wir angenommen hatten, und als wir endlich, in der schweigenden Dunkelheit still geworden, den Fluß erreichten, merkte ich, daß wir mindestens noch eine halbe Stunde bis zu meiner Hütte hatten. Dazu hieß es, vorsichtig zu gehen, denn hier führte kein Weg am Wasser entlang, und das Ufer war bröckelig und unsicher. Auch gab es jedesmal einen kleinen Aufenthalt, wenn wir die Mädchen über die Gräben heben mußten, die von den Moorwiesen aus in den Fluß führten.

Ich hatte die Spitze genommen und ging, die Augen auf den unsicheren Grund gerichtet, voran, als Anka plötzlich hinter mir meinen Namen rief.

»Sehen Sie mal, dort, was ist das? Brennt es dort nicht?«

Ja, weiß der Himmel, es war nichts anderes. Das Feuer mußte erst vor kurzem begonnen haben, denn die Flammen schlugen mit jeder Sekunde höher empor.

»Entweder ist es das Fährhaus,« rief Lintrup, »oder –«

199 Nein, er brauchte seinen Satz nicht zu vollenden. Ich hatte es mit einem einzigen Blicke gesehen: es konnte nur meine Hütte sein.

»Schnell, voran! So kommen Sie doch!« riefen der Justizrat und Lintrup, von dem Gedanken bewegt zu retten, was noch zu retten war.

Jan Meiners! dachte ich. Niemand anders als er!

Auf alles war ich nach Grams Tod vorbereitet gewesen – auf eine solche Schurkerei nicht.

Wie das dürre Stroh des Daches brannte! Es flammte so hell empor, daß man die Kopfweiden an der Warf deutlich zu erkennen vermochte.

»Endlich, hier ist das Boot!« keuchte Lintrup. »Schnell hinein! Kommen Sie, Fräulein Milla! Anka, schnell, schnell! Nein, Herr Justizrat, lassen Sie Ohl lieber, . . . er kennt das Boot.«

Als wir hinkamen, war das brennende Dach bereits herabgerutscht und sperrte wie ein glühender Wall jeden Zugang zum Hause.

Mein Gott, die Ziege! War es anzusehen, daß das arme Tier elend da drinnen verbrannte?

Aber jeder Versuch, das Haus noch zu betreten, war schon unmöglich und Schrödersch wohl längst im Rauche erstickt.

Schweigend standen wir und wichen vor der wachsenden Glut des Feuers langsam auf den Wiesenweg am Flusse zurück. Jetzt kam auch der Nachtwind auf. Qualmend bogen sich die Flammen unter ihm und sprühten einen wahren Funkenregen über Warf und Wiesen.

»Ihr Werk, Ihr schönes Werk!« rief der Justizrat plötzlich und legte mir bewegt die Hand auf die Schulter.

Niemand antwortete. Nur Milla weinte, leise und wimmernd, als hätte man sie geschlagen. 200

»Daß nicht einmal Behrens vom Fährhause herübergekommen ist!« schalt Lintrup. »Ist denn der Mensch mit Blindheit geschlagen?«

»Den hat der Sonntag wohl müde gemacht,« meinte der Justizrat und zuckte die Achseln.

»Haben Sie keine Ahnung, Ohl, wie das Feuer aufgekommen sein mag?« fragte er nach einem Schweigen.

»Vielleicht, daß ein Funke vom Herde aus – was weiß ich?« antwortete ich.

Der Wind stieß jetzt mit vollem Atem in die Flammen, daß ihre Glut mit langen gelben Zungen in die Nacht hinausschlug. Selbst die Korbweiden am Hügel der Warf begannen unter der strahlenden Hitze des Feuers zu schwelen, und durch das Astwerk des Holunders, das bereits Feuer gefangen hatte, liefen kleine Flammen wie tanzende Lichter.

»Ist das das Feuerhorn, das man vom Dorfe herüberhört?« rief Lintrup, der sich der Hütte zu nähern versucht hatte aber jetzt vor dem Qualm und der Hitze wieder zurückwich und zu uns zurückkehrte. »Die wollen doch nicht etwa mit ihrer Spritze jetzt noch herüberkommen?«

Ach nein, die Leute im Dorfe waren klüger, als er meinte, und ließen ihre Spritze, mit der sie auch nicht so leicht über die Gräben gekommen wären, hübsch zu Hause. Sie sahen ja ganz gut, daß es nur die Hütte des alten Beerbohm war, an der es sicher nichts mehr zu retten gab und die so weltverloren und allein im Felde stand, daß das Feuer bei allem bösen Willen nicht weiter um sich greifen konnte. Da hatte es wirklich keinen Sinn, die Spritzenmannschaft aufzubieten. Nur ein paar Neugierige kamen über die Wiesen gelaufen, überzeugten sich, daß die Hütte schon niedergebrannt war und begnügten sich damit, die Hände in die Taschen zu stecken und dem Feuer zuzusehen. 201

»Daß der Brand angelegt worden ist, ist doch wohl kaum anzunehmen?« meinte der Justizrat und klopfte sich die Flugasche ab, die ihm der Wind auf die Schulter getragen hatte. »Milla, komm, mein Kind, schlag' wenigstens meine Pelerine um . . . Nein, da ist nichts mehr zu retten, Ohl! Starren Sie nicht länger in das Feuer. Kommen Sie, gehen Sie mit uns ins Fährhaus. Ich trete Ihnen für die Nacht mein Zimmer ab. Nein, nein, kein Widerspruch!«

»Danke. Aber das wird nicht nötig sein. Behrens wird schon irgendwie noch ein Plätzchen für mich haben.«

Anka stand bleich und aufgeregt im Dunkel. Das Feuer hatte sie wohl stärker erregt, als sie sich hatte merken lassen. Jetzt begegnete ich ihrem Blick.

»Ohl,« sagte sie leise und trat zu mir. »Ja, kommen Sie, es ist ja so quälend für Sie! Daß dieser Tag so enden mußte . . . Nein, Sie dürfen nicht länger so dastehen, kommen Sie!«

»Ich kann mir denken, wie Sie um Ihr Werk trauern,« sagte der Justizrat, der sich um seine Tochter bemüht hatte und jetzt wieder zu uns trat.

»O,« sagte ich und mühte mich um ein Lächeln. »Daran ist am Ende nicht viel verloren. Ich muß nur immer an Schrödersch denken. Wären wir wenigstens so früh gekommen, das arme Tier zu retten. Sie hatte ein verdammt kluges Auge, kann ich Ihnen sagen! Und wenn man so lange hier in der Einsamkeit mit so einem Vieh zusammen gelebt hat, ist einem so etwas schmerzlicher, als sich sagen läßt, Teufel noch mal, ja.«

Warum fluchte ich denn nur wie ein Stallknecht?

Erst Gram – und nun auch noch dies! Jan Meiners hatte seine Rache gründlich besorgt, das mußte man ihm lassen. Wetter nochmal, ja! 202

 


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