George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Achtunddreißigstes Kapitel.

Die Wahrheit ist, daß Sylvinet nicht halb so krank war, als es den Anschein hatte, und daß er sich darin gefiel, sich selbst dafür zu halten. Als die kleine Fadette ihm den Puls fühlte, hatte sie gleich erkannt, daß das Fieber nicht stark war, und wenn er auch ein wenig phantasiert hatte, so fand dies seine hinlängliche Erklärung in dem aufgeregten Zustande seines Gemütes. Da er also ihrer Überzeugung nach weniger krank am Körper, als krank und geschwächt im Gemüte war, glaubte sie von der geistigen Seite auf ihn einwirken zu müssen, und trachtete zunächst dahin, sich so zu verhalten, daß er mit großer Furcht vor ihr erfüllt werden mußte. Am folgenden Morgen kehrte sie mit Tagesanbruch zu ihm zurück. Er hatte fast gar nicht geschlafen, aber er war ruhig und sehr matt. Sobald er sie erblickte streckte er ihr die Hand entgegen, statt sie ihr zu entziehen, wie er es am Abend vorher noch gethan hatte.

»Warum reichen Sie mir die Hand, Sylvain?« fragte sie; »thun Sie es, damit ich prüfen soll, wie es mit Ihrem Fieber steht? Ich sehe schon an Ihrem Gesicht, daß Sie es nicht mehr haben.«

Ganz beschämt darüber, daß er seine Hand, die sie nicht einmal berühren wollte, zurücknehmen mußte, sagte er darauf:

»Ich that es, um Sie zu begrüßen, Fadette, und Ihnen für alle die Mühe zu danken, die Sie meinetwegen gehabt haben.«

»So lasse ich mir Ihre Begrüßung gefallen,« sagte sie, indem sie seine Hand ergriff und in der ihrigen behielt; »denn ich weise niemals eine Höflichkeit zurück, und ich halte Sie auch durchaus nicht für so falsch, daß Sie mir mit Freundlichkeit entgegenkommen würden, wenn Sie mir nicht auch wirklich ein wenig freundlich gesinnt wären.«

Obgleich Sylvinet vollkommen wach war, so erfüllte es ihn doch mit großem Behagen, daß seine Hand in der Fadettens ruhte, und er sprach zu ihr in sehr sanftem Tone:

»Sie haben mir gestern Abend doch arg zugesetzt, Fränzchen, und ich weiß wirklich nicht, wie es kommt, daß ich Ihnen deshalb nicht böse bin. Ich finde es sogar sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie, nach allem, was Sie mir vorzuwerfen haben, noch kommen mich zu besuchen.«

Die Fadette setzte sich an sein Bett und redete in ganz anderer Weise zu ihm, als sie es am vergangenen Abend gethan hatte. Sie sprach mit so viel Güte, Sanftmut und Zärtlichkeit, daß Sylvinet sich dadurch umsomehr getröstet und sogar freudig gestimmt fühlte, als er sich gedacht hatte, sie würde noch sehr aufgebracht sein. Er vergoß viele Thränen, gestand sein ganzes Unrecht ein, und bat sie so artig und liebenswürdig ihm zu verzeihen und ihm freundlich gesinnt zu sein, daß sie wohl erkannte sein Herz müsse besser sein als sein Kopf. Sie ließ ihn sich aussprechen, gab ihm auch noch einige leichte Verweise, und als sie dann ihre Hand zurückziehen wollte, hielt er sie fest, weil es ihm war, als ob dieser Hand zugleich mit der Heilung für seine Krankheit auch die Linderung seines Kummers entströme.

Als sie nun sah, daß es mit ihm bis zu dem Punkte gekommen war, auf dem sie ihn haben wollte, sagte sie:

»Ich gehe jetzt, Sylvain, und Sie stehen auf, denn Sie haben kein Fieber mehr und müssen sich nicht länger verweichlichen, während Ihre Mutter sich abmüht, Sie zu bedienen und ihre Zeit damit verbringt Ihnen Gesellschaft zu leisten. Und Sie werden jetzt auch essen, was ich Ihnen durch Ihre Mutter schicken werde. Es wird Fleisch sein, von dem Sie, wie ich weiß behaupten, daß es Ihnen widersteht, weil Sie sich nur noch von schlechten Kräutern nähren wollten. Aber das schadet nichts, Sie werden sich kräftigen, und wenn Sie auch noch einigen Widerwillen empfinden sollten, so lassen Sie sich wenigstens nichts davon merken. Ihrer Mutter wird es eine große Freude sein, Sie etwas Nahrhaftes essen zu sehen, und wenn Sie Ihren Widerwillen einmal überwinden, wird er schon das nächste Mal sich sehr vermindert haben und beim drittenmale ganz verschwunden sein. Sie werden sehen, daß ich recht habe. Nun behüte Sie Gott! und daß man mich Ihretwegen nicht sobald wiederzuholen braucht, denn ich weiß, Sie werden nicht mehr krank sein, sobald Sie es nicht mehr sein wollen.«

»Sie wollen also heute Abend nicht wieder kommen?« sagte Sylvinet. »Ich hatte mir doch gedacht, Sie würden wieder kommen.«

»Ich bin kein Arzt, der sich bezahlen läßt, Sylvain; außerdem habe ich was anderes zu thun, als Sie zu pflegen, da Sie ja doch nicht krank sind.«

»Sie haben recht, Fadette; aber glauben Sie denn das Verlangen Sie zu sehen, sei nur Selbstsucht gewesen? es war etwas ganz anderes: Es gewährte mir Trost mit Ihnen zu reden.«

»Nun gut, Sie können sich ja bewegen und wissen, wo ich wohne. Es ist kein Geheimnis mehr für Sie, daß ich durch meine Verheiratung Ihre Schwester werde, wie ich es aus Freundschaft schon bin. Sie können mich also besuchen, um mit mir zu plaudern, ohne daß etwas Anstößiges darin zu finden wäre.«

»Ich werde kommen, da Sie es mir erlauben,« sagte Sylvinet. »Also auf Wiedersehen, Fadette; sogleich stehe ich auf, trotzdem ich heftiges Kopfweh habe, weil ich die ganze Nacht hindurch sehr traurig war und gar nicht geschlafen habe.«

»Ich bin bereit Ihnen dieses Kopfweh noch zu vertreiben; aber denken Sie daran, daß es zum letztenmale geschieht, und daß ich Ihnen befehle in der nächsten Nacht gut zu schlafen.«

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und nach fünf Minuten fühlte er sich so erfrischt und gestärkt, daß er überhaupt nichts mehr von Kranksein wußte.

»Ich sehe wohl, Fadette,« sagte er, »daß ich unrecht that mich gegen Sie zu sträuben, denn Sie sind eine große Wunderdoktorin und verstehen es die Krankheit nur so fortzuzaubern. Alle anderen haben durch Ihre Tränke mein Übel nur verschlimmert, und Sie brauchten mich nur zu berühren, um mich zu heilen. Ich glaube, wenn ich immer in Ihrer Nähe sein könnte, würden Sie mich für immer vor Krankheit und Sünde behüten. Aber sagen Sie mir nur Fadette, Sie sind mir doch nicht mehr böse? Und wollen Sie sich auch darauf verlassen, wie ich Ihnen mein Wort gegeben habe, daß ich mich Ihnen ganz und gar unterwerfe?«

»Ich verlasse mich darauf,« sagte sie; »wenigstens werde ich Sie lieben, als ob Sie mein Zwilling wären, so lange Sie Ihrem Vorsatz treu bleiben.«

»Wenn Sie empfinden könnten, was Sie mir da sagen, Fränzchen, dann würden Sie mich »du« nennen und nicht mehr »Sie«. Unter Zwillingen ist es nicht Brauch so viele Umstände untereinander zu machen.«

»Gut, Sylvain, stehe auf, iß und trink, gehe spazieren und schlafe,« sagte sie, indem sie sich selbst erhob. »Dies ist's, was ich dir für heute zu thun befehle. Morgen sollst du arbeiten.«

»Und ich werde mich aufmachen, dich zu besuchen,« sagte Sylvinet.

»So sei's,« sagte sie; und indem sie sich zum Gehen wandte, betrachtete sie ihn mit einem Ausdruck der Liebe und der Versöhnung, daß er sich davon berührt fühlte, als ob durch diesen Blick die Kraft und die Lust, sich von dem Lager des Müßigganges und des Kummers zu erheben, plötzlich in ihm entzündet würden.


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