George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Kein Mensch in der Gegend erfuhr etwas davon, daß Landry dagewesen war. Wenn Sylvinet nur eine Ahnung davon gehabt hätte, würde er gleich wieder in seine Krankheit verfallen sein, und seinem Bruder würde er es nie verziehen haben, daß er in die Gegend gekommen war, um die Fadette zu sehen, ohne nicht auch zu ihm gekommen zu sein.

Etwa zwei Tage später, legte die kleine Fadette ein sehr sauberes Gewand an, denn sie war jetzt nicht mehr ohne einen Kreutzer in der Tasche, und ihr Trauerkleid war von feiner schöner Sarsche. Sie nahm ihren Weg durch den ganzen Flecken von la Cosse, und da sie viel größer geworden war, wurde sie anfangs von denen, die sie vorübergehen sahen, nicht erkannt. Sie hatte sich in der Stadt außerordentlich verschönert; denn, da sie die bessere Nahrung gehabt und überhaupt mehr gepflegt war, hatte sie an Farbe und Fülle soviel gewonnen, wie es ihrem Alter zukam, und man konnte sie nicht mehr für einen verkleideten Knaben halten, eine so schöne schlanke Taille hatte sie, und so lieblich war sie anzusehen. Die Liebe und das Glück hatten ihrem Gesicht und ihrer ganzen Erscheinung ein gewisses Etwas aufgeprägt, das man wahrnimmt, ohne es genau bestimmen zu können. Sie war nicht grade das schönste Mädchen von der Welt, wie Landry sich dies einbildete; aber sie war das anmutigste, das zierlichste, das frischeste und vielleicht das begehrenswerteste im ganzen Lande.

Sie trug einen großen Korb am Arme und ging auf den Zwillingshof, wo sie mit dem Vater Barbeau zu reden verlangte. Sylvinet war der erste, der sie erblickte, und er wandte sich sofort von ihr ab, so sehr verdroß es ihn, ihr in den Weg zu geraten. Sie aber fragte ihn mit so vielem Anstand, wo sein Vater sei, daß er gezwungen war ihr zu antworten und sie in die Scheune zu führen, wo der Vater Barbeau mit Schleifen beschäftigt war. Die kleine Fadette ersuchte den Vater Barbeau sie an einen Ort zu führen, wo sie unbehorcht mit ihm reden könne. Er schloß darauf die Thür der Scheune und sagte dann, daß sie nun alles mit ihm reden könne, was sie immer wolle.

Die Fadette ließ sich durch die frostige Miene des Vaters Barbeau nicht im mindesten aus der Fassung bringen. Sie setzte sich auf ein Bündel Stroh, und als er sich dann auch auf ein anderes gesetzt hatte, sprach sie in folgender Weise zu ihm:

»Vater Barbeau, trotzdem meine verstorbene Großmutter gegen Sie eingenommen war, so wie Sie es gegen mich sind, so ist es darum doch nicht weniger wahr, daß ich Sie für den gerechtesten und zuverlässigsten Mann in der ganzen Gegend halte. Es giebt darüber nur eine Stimme, und sogar meine Großmutter ließ Ihnen darin Gerechtigkeit widerfahren, wenn sie auch in demselben Atem Sie des Stolzes beschuldigte. Sie wissen, daß ich seit langer Zeit eine Freundschaft mit Ihrem Sohne Landry habe. Er hat mir oft von Ihnen erzählt, und durch ihn weiß ich noch mehr, als durch andere, wer Sie sind und welchen Wert Sie haben. Deshalb komme ich jetzt zu Ihnen, um mir einen Dienst von Ihnen zu erbitten, und Ihnen mein Vertrauen zu schenken.«

»Reden Sie Fadette,« antwortete der Vater Barbeau; »ich habe noch nie jemandem meinen Beistand verweigert, und wenn es etwas ist, das mein Gewissen mir nicht verbietet, so können Sie auf mich zählen.«

»Hier ist es, um was es sich handelt,« sagte die kleine Fadette, indem sie den Korb aufhob und ihn zwischen die Beine des Vaters Barbeau stellte. »Meine verstorbene Großmutter hat während ihres Lebens dadurch, daß sie Rat erteilte und Heilmittel verkaufte, mehr Geld erworben, als man denken sollte. Da sie fast gar keine Ausgaben machte und auch kein Kapital anlegte, konnte niemand etwas davon wissen, was sie in einem versteckten Loche ihres Kellers verborgen hatte. Sie hat es mir oft mit den Worten gezeigt: ›Hier wirst du finden, wenn ich nicht mehr bin, was ich hinterlassen habe. Es ist dein Hab und Gut, sowie das deines Bruders; und wenn ich euch jetzt etwas knapp halte, so werdet ihr dafür eines Tages desto mehr finden. Aber lasset nur nicht die Leute des Gesetzes daran rühren, denn sie würden es durch ihre Forderungen von Gebühren verschlingen. Behüte es wohl, wenn es in deinen Besitz gekommen ist; dein Lebenlang halte es verborgen, damit es dir zu gute kommt in deinen alten Tagen und du keinen Mangel zu leiden brauchst.‹«

»Als nun das Begräbnis vorüber war, bin ich dem Befehl meiner armen Großmutter nachgekommen. Ich nahm die Schlüssel zum Keller, und habe an der von ihr bezeichneten Stelle die Steine aus der Mauer gelöst. Ich habe dort gefunden, was ich hier in diesem Korbe mitgebracht habe, und ich bitte Sie nun, Vater Barbeau, es für mich anzulegen, wie es Ihnen gut dünkt, nachdem dem Gesetze, von dem ich nicht viel verstehe, Genüge geleistet ist, und ich vor den großen Kosten, die ich fürchte, bewahrt bleibe.«

»Ich danke dir, Fadette, für dein Vertrauen,« sagte der Vater Barbeau, ohne den Korb zu öffnen, trotzdem er eine Anwandlung von Neugierde hatte; »aber es steht mir nicht zu dein Geld in Bewahrung zu nehmen, so wenig wie deine Angelegenheiten zu überwachen. Ich bin ja nicht dein Vormund. Jedenfalls wird deine Großmutter ein Testament gemacht haben.«

»Sie hat kein Testament gemacht, und nach dem Gesetz fiele meiner Mutter die Vormundschaft über mich zu. Nun habe ich aber, wie Sie wissen, seit langer Zeit nichts mehr von ihr gehört, sodaß ich nicht weiß, ob die Arme überhaupt noch am Leben ist. Außer ihr habe ich keine weitere Verwandtschaft, als meine Patin Fanchette, die eine brave und rechtschaffene Frau ist, aber durchaus unfähig mein Vermögen zu verwalten, oder auch nur in Bewahrung zu nehmen und darüber zu schweigen. Sie würde sich nicht enthalten können, davon zu reden und jedermann davon in Kenntnis setzen; auch möchte ich fürchten, daß sie es schlecht anlegen würde. Oder, sie könnte auch den Neugierigen und Aufdringlichen zu vielen Einfluß gestatten und es dadurch, ohne nur selbst darum zu wissen, vermindern. Dabei ist meine arme Pate gar nicht in der Lage, daß man sie zur Rechenschaft ziehen könnte.«

»So ist der Nachlaß wohl bedeutend?« fragte der Vater Barbeau, indem seine Augen sich ihm zum Trotze auf den Deckel des Korbes hefteten; er griff sogar nach dem Henkel, um sich von seinem Gewichte zu überzeugen. Er fand ihn so schwer, daß er darüber staunen mußte, und er sagte:

»Wenn dies altes Eisen ist, so fehlt nicht viel daran, um ein Pferd damit beschlagen zu können.«

Die kleine Fadette, die an Schlauheit dem Teufel nichts nachgab, belustigte sich heimlich darüber, wie sehr es ihn stachelte den Inhalt des Korbes zu sehen. Sie that, als ob sie ihn öffnen wollte, aber der Vater Barbeau würde geglaubt haben seiner Würde etwas zu vergeben, wenn er sie hätte gewähren lassen.

»Das geht mich ja gar nichts an,« sagte er, »und da ich den Korb nicht in Bewahrung nehmen kann, brauche ich ja auch nichts von deinen Verhältnissen zu wissen.«

»Dennoch ist es durchaus nötig, Vater Barbeau,« sagte die kleine Fadette, »daß Sie mir diese kleine Gefälligkeit erzeigen. Ich bin nicht viel klüger in solchen Dingen, als meine Pate, und kann nicht über hundert hinaus zählen. Auch kenne ich den Wert aller dieser alten und neuen Münzsorten nicht, und ich kann mich nur auf Sie verlassen, um mich über den Betrag meines Vermögens in Kenntnis zu setzen und mir zu sagen, ob ich reich oder arm bin.«

»Sehen wir einmal nach,« sagte der Vater Barbeau, der sich nicht länger bezwingen konnte. »Es ist kein so großer Dienst, den du von mir verlangst, und ich kann ihn dir nicht verweigern.«

Die kleine Fadette schlug darauf rasch die beiden Deckel des Korbes zurück, und zog zwei große Säcke daraus hervor, von denen jeder zweitausend Francs in blanken Thalern enthielt.

»Nun! das laß ich mir gefallen,« sagte Vater Barbeau, »das ist eine hübsche Mitgift, die dir manchen Freier herbeilocken wird.«

»Das ist noch nicht alles,« sagte die kleine Fadette; »da ist noch etwas auf dem Boden des Korbes, so ein kleines Ding, das ich nicht recht kenne.«

Dabei zog sie eine Börse von Fischhaut hervor, und schüttelte den Inhalt derselben in Vater Barbeaus Hut. Es waren hundert Louisdors von altem Gepräge, und der gute Mann betrachtete sie mit großen Augen. Als er sie gezählt und in den Beutel zurückgethan hatte, zog sie einen zweiten mit demselben Inhalte hervor, und dann noch einen dritten und einen vierten, sodaß zuletzt in Gold und Silber und kleiner Münze, alles zusammen genommen, nicht viel weniger als vierzigtausend Francs in dem Korbe enthalten waren.

Dies war nun ungefähr um ein ganzes Dritteil mehr, als was der Vater Barbeau überhaupt an Vermögen besaß, die Gebäude und alles zusammengerechnet. Da die Landleute selten viel bares Geld in ihrem Besitz haben, hatte er noch nie in seinem Leben eine so große Summe beisammen gesehen.

So rechtschaffen und uneigennützig ein Bauer auch sein mag, so kann man doch nicht sagen, daß ihm beim Anblick des Geldes nicht das Herz aufginge. So geschah es auch dem Vater Barbeau; für einen Augenblick trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Nachdem er alles gezählt hatte, sagte er:

»Es fehlen dir, um ein Vermögen von vierzigtausend Francs zu haben, nur zweiundzwanzig Thaler, und das heißt also: du hast für dein Teil zweitausend schöne Pistolen in klingender Münze geerbt. Das macht dich zur besten Partie in der ganzen Gegend, und wenn dein Bruder, der Grashüpfer, auch sein Lebenlang elend und hinkend bleibt, so macht das nichts: er kann ja im Wagen fahren, um seine Ländereien zu besichtigen. Sei also frohen Mutes; du kannst sagen, daß du reich bist, und brauchst dies nur bekannt werden zu lassen, um rasch einen schönen Mann zu finden.«

»O! damit hat es gar keine Eile,« fiel die kleine Fadette rasch ein; »und ich bitte Sie im Gegenteil diesen Reichtum sorgfältig geheim zu halten. Häßlich, wie ich es bin, habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß ich nicht meines Geldes wegen geheiratet sein will, sondern meines guten Herzens und meines guten Rufes wegen. Da ich nun hier in meiner Heimat in einem sehr schlechten stehe, will ich einige Zeit in der Gegend verweilen, damit man sich überzeugen kann, daß ich ihn nicht verdiene.«

»Was deine Häßlichkeit betrifft, Fadette,« sagte Vater Barbeau, indem er seine Augen unverwandten Blickes an dem Korbe haften ließ, – »so kann ich dir mit gutem Gewissen die Versicherung geben, daß man verteufelt wenig mehr daran erinnert wird, und daß du dich in der Stadt so gut herausgemacht hast, daß du jetzt für ein sehr hübsches Mädchen gelten kannst. Und was nun deinen übelen Ruf betrifft, wenn du ihn, wie ich gern glauben möchte, auch durchaus nicht verdient hast, so stimme ich dir doch bei, wenn du noch ein wenig wartest und deinen Reichtum einstweilen noch geheim hältst. Es giebt ja Burschen genug, die dadurch verblendet, dich zum Weibe begehren würden, ohne dir gleich anfangs die Achtung entgegenzubringen, die eine Frau von ihrem Manne verlangen muß.

Und schließlich, wenn du mir nun auch gern dein Geld anvertrauen willst, so würde dies gegen das Gesetz sein und könnte mich später dem Argwohn und allerlei Verdächtigungen aussetzen, denn es fehlt nicht an bösen Zungen. Außerdem, wenn dir auch wirklich das Recht zustände über das, was dir gehört zu verfügen, so darfst du doch keineswegs so ohne weiteres über das verfügen, was deinem minderjährigen Bruder gehört. Alles, was ich thun könnte, wäre, daß ich mich bei der Behörde, ohne dich zu nennen, erkundigte, was man zu thun hat. Wenn dies geschehen ist, setze ich dich davon in Kenntnis, wie wir es anzufangen haben, das Erbteil deiner Mutter, sowie das deinige in Sicherheit zu bringen, und wie es am vorteilhaftesten anzulegen ist, ohne daß die Rechtsverdreher, die noch lange nicht alle von der ehrlichsten Sorte sind, ihre Hände dabei im Spiel zu haben brauchen. So, nun trage für jetzt deine Schätze wieder heim und halte sie einstweilen verborgen, bis du wieder von mir gehört hast. Wenn es nötig sein sollte, erbiete ich mich dir, vor den Mandataren deines Miterben Zeugnis abzulegen über die Höhe der Summe, welche wir miteinander gezählt haben, und die ich, um sie nicht zu vergessen, mir in einem Winkel meiner Scheune aufschreiben werde.«

Dies war alles, was die kleine Fadette wünschte; der Vater Barbeau hatte wissen sollen, wie die Dinge standen. Wenn sie sich etwas einbildete vor ihm als reich zu erscheinen, so hatte dies keinen anderen Grund, als daß er sie nicht mehr im Verdacht haben sollte, sie könne es darauf abgesehen haben Landry auszubeuten.


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