George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Die Madelon war es, welche das Geheimnis entdeckte; und wenn sie auch nicht in boshafter Absicht dahinter gekommen war, so benutzte sie die gemachte Entdeckung doch zu bösen Zwecken. Sie hatte sich leicht über Landry zu trösten gewußt, und wie es sie nicht viele Zeit gekostet hatte, sich in Landry zu verlieben, so hatte es sie noch weniger gekostet, ihn wieder zu vergessen. Indessen war ihr im Herzen doch ein gewisser Groll zurückgeblieben, der auf die Gelegenheit wartete, sich Genugtuung zu verschaffen; so wahr ist es, daß bei den Frauen der Verdruß den Gram überdauert. Die schöne Madelon, die wegen ihrer stattlichen und sittsamen Erscheinung und wegen ihres stolzen Benehmens den Burschen gegenüber in großem Ansehen stand, war unter dieser Hülle dennoch sehr kokett und nicht halb so verständig und treu in ihren Zuneigungen, wie die arme Grille, die eine so böse Nachrede hatte, und von der man für die Folge so viel Schlimmes zu prophezeien wußte. Die Madelon hatte, ohne Landry mit zu zählen, nun schon zwei Liebhaber gehabt und neigte sich schon einem dritten zu, der ihr Vetter war, dem jüngsten Sohne des Vaters Caillaud von la Priche. Da sie von dem letzten der beiden vorhergehenden Liebhaber überwacht wurde und fürchten mußte, daß er einen Skandal machen würde, wußte sie nicht, wo sie im Verborgenen mit dem neuen Liebhaber nach Lust und Belieben plaudern könnte. Sie ließ sich von ihm bereden, den Taubenturm als Versteck zu wählen, wo gerade auch Landry mit der Fadette seine ehrbaren Zusammenkünfte hielt.

Der junge Caillaud hatte eifrig nach dem Schlüssel des Taubenturmes gesucht, konnte ihn aber gar nicht finden, weil Landry ihn stets bei sich in der Tasche trug. Der andere hatte nicht gewagt, irgend jemanden nach dem Schlüssel zu fragen, weil er die Gründe, weshalb er ihn haben wollte, nicht angeben mochte. Außer Landry war auch niemandem etwas daran gelegen, wo der Schlüssel sein mochte. Der junge Caillaud glaubte nun, daß er verloren gegangen sein müsse, oder daß sein Vater ihn vielleicht in seinem Schlüsselbunde habe. Deshalb besann er sich nicht weiter und sprengte die Thür gewaltsam auf. Aber gerade an dem Tage, wo er dies that, befand sich dort auch Landry mit der Fadette, und so standen die vier Liebesleute sich plötzlich ganz verblüfft gegenüber. Sie hatten ja aber alle das gleiche Interesse, zu schweigen und nichts von der Sache verlauten zu lassen.

Indessen die Madelon empfand aufs neue etwas wie eine Anwandlung von zorniger Eifersucht, als sie sah, daß Landry, der mittlerweile einer der schönsten und angesehensten Burschen in der ganzen Gegend geworden war, seit dem Feste des heiligen Andoche der kleinen Fadette eine so unerschütterliche Treue bewahrt hatte. Sie beschloß, sich dafür zu rächen. Ohne den jungen Caillaud, der ein ehrenhafter Mann war und sich zu solchen Dingen auch nicht hergegeben hätte, nur im geringsten ins Vertrauen zu ziehen, wählte sie sich zu ihrem Beistande unter ihren Freundinnen ein paar junge Mädchen, die auch gegen Landry, wegen seiner augenscheinlichen Gleichgültigkeit, ein wenig gereizt waren. Sein Verbrechen bestand hauptsächlich darin, daß er sie nie mehr zum Tanze geholt hatte. Sie machten sich also daran, die kleine Fadette so sorgfältig zu überwachen, daß es nicht lange dauerte, bis sie sich von deren Verhältnis mit Landry vollkommen überzeugt hatten. Sobald sie ihrer Sache sicher waren, und die beiden ein- oder zweimal in ihrem Verkehr belauscht hatten, machten sie im ganzen Dorfe ein großes Geschrei darüber und sagten jedem, der es hören wollte, – und Gott mag's wissen, ob es der Verleumdung je an Ohren fehlt sich vernehmbar zu machen, oder an Zungen, um weiter verbreitet zu werden, – daß Landry in der Person der kleinen Fadette eine schlechte Bekanntschaft geschlossen habe.

Nun mischte sich die ganze weibliche Jugend in das Gerede hinein; wenn ein schöner, wohlhabender Bursche sich einer einzigen besonders zuwendet, ist dies gleichsam eine Beleidigung für alle die anderen ledigen Mädchen, und man macht sich weiter kein Gewissen daraus über diese einzelne, wenn man nur etwas zu tadeln finden kann, auf das Grimmigste herzufallen. Man könnte auch sagen: wenn die Frauen einmal eine Bosheit angezettelt haben, geht es mit der Ausführung und Verbreitung derselben besonders rasch von statten.

So waren kaum vierzehn Tage nach jenem Abenteuer im Taubenturm verstrichen, und die ganze Welt, Groß und Klein, Jung und Alt, wußte auch schon von der Liebschaft zwischen Landry, dem Zwilling und Fränzchen, der Grille. Von dem Turm war dabei nicht weiter die Rede, eben so wenig von der Madelon, die sich wohl gehütet hatte aus dem Hintergrund hervorzutreten, und die sogar that, als ob sie eine Neuigkeit erfahre, wenn man ihr erzählte, was sie doch selbst zuerst unter der Hand verbreitet hatte.

Das Gerücht fand auch seinen Weg zu den Ohren der Mutter Barbeau, die sich sehr darüber betrübte und ihrem Manne gar nichts davon sagen wollte. Aber der Vater Barbeau erfuhr es schon von anderer Seite, und Sylvinet, der das Geheimnis seines Bruders sorgfältig gehütet hatte, erlebte jetzt zu seinem großen Kummer, daß es allen Leuten preisgegeben war.

Indessen, eines Abends, als Landry sich anschickte den Zwillingshof frühzeitig zu verlassen, wie er es zu thun pflegte, trat plötzlich sein Vater auf ihn zu, und in Gegenwart seiner Mutter, seiner ältesten Schwester und seines Zwillingsbruders sprach er zu ihm:

»Sei nicht so eilig uns zu verlassen, Landry; ich habe mit dir zu reden, aber ich warte noch auf die Ankunft deines Paten, denn in Gegenwart von allen, die zur Familie gehören, und die an deinem Schicksal den meisten Anteil nehmen, werde ich von dir eine Erklärung fordern.«

Und als der Pate, der Onkel Landriche, sich eingefunden hatte, sprach der Vater Barbeau in folgender Weise:

»Was ich dir zu sagen habe, Landry, wird etwas beschämend für dich sein; auch ist es nicht ohne Beschämung für mich selbst, und es geschieht nicht ohne großes Bedauern, daß ich mich also genötigt sehe, vor der versammelten Familie ein Geständnis von dir zu fordern. Aber ich hoffe, daß diese Beschämung dir heilsam sein wird, und daß du dadurch von einer thörichten Laune befreit wirst, die dir Schaden bringen könnte.

»Wie es scheint, hast du am letzten Andochefeste – es wird nun bald ein Jahr sein – eine besondere Bekanntschaft gemacht. Man hatte mir gleich am ersten Tage davon gesprochen, denn es war gewiß höchst auffallend dich einen ganzen Festtag über mit einem Mädchen tanzen zu sehen, welches für das häßlichste und das unsauberste in der ganzen Gegend gilt und noch dazu im schlechtesten Rufe steht. Ich wollte nicht darauf achten, weil ich dachte, du hättest dir nur einen Spaß gemacht; ich kann zwar nicht sagen, daß ich die Sache gebilligt hätte; wenn man die mißachteten Leute auch grade nicht aufsuchen muß, so darf man ihnen die Demütigungen und das Unglück, daß sie allen übrigen Menschen hassenswert erscheinen, doch nicht noch empfindlicher machen. Ich hatte es unterlassen mit dir darüber zu reden, weil ich dachte, als ich dich am anderen Morgen traurig sah, du hättest dir selbst Vorwürfe deshalb gemacht und würdest dergleichen nicht wieder thun. Nun aber höre ich seit ungefähr einer Woche noch ganz andere Dinge erzählen und noch dazu, daß sie von glaubwürdigen Personen ausgehen, ich will mich aber keineswegs auf diese Aussagen verlassen, bis du mir nicht selbst alles bestätigt hast. Wenn ich dir Unrecht that, dich im Verdacht zu haben, so hast du dies nur meinem Interesse für dich zuzuschreiben und der Pflicht, die mir obliegt, dein Betragen zu überwachen. Wenn an der Sache nichts Wahres ist, wird es mich sehr freuen, wenn du mir dein Wort darauf geben kannst und mir dadurch bewiesen wird, daß man dich mit Unrecht in meiner Meinung herabsetzen wollte.«

»Mein Vater,« sagte Landry, »sagen Sie mir, wessen man mich beschuldigt, und ich werde Ihnen der Wahrheit und der Achtung gemäß, die ich Ihnen schuldig bin, darauf antworten.«

»Man beschuldigt dich, Landry, – ich glaube es dir schon deutlich genug zu verstehen gegeben zu haben – man beschuldigt dich also, einen unziemlichen Verkehr mit der Enkelin der Mutter Fadet zu unterhalten, und diese ist ein Weib, das schon böse genug ist, ohne davon zu reden, daß die eigene Mutter jenes unglücklichen Mädchens böswilligerweise ihren Mann, ihre Kinder und ihre Heimat verlassen hat, um den Soldaten nachzuziehen. Man klagt dich an, dich aller Orten mit der kleinen Fadette herumzutreiben, weshalb ich befürchte, daß du dich durch sie in einen bösen Liebeshandel verwickeln läßt, den du dein Lebenlang zu bereuen haben könntest. Verstehst du mich jetzt?«

»Ich verstehe alles recht gut, mein lieber Vater,« erwiderte Landry. »Erlauben Sie mir nur noch eine Frage, bevor ich Ihnen eine Antwort darauf gebe. Ist es nur wegen ihrer Familie, oder wegen ihrer selbst, daß Sie meinen, die Franziska Fadet sei eine schlechte Bekanntschaft für mich?«

»Das ist sicherlich sowohl wegen der Familie als wegen des Mädchens selbst,« antwortete der Vater in etwas strengerem Tone, als er ihn anfangs gehabt hatte. Er hatte erwartet Landry würde sehr bestürzt sein, statt dessen fand er ihn ruhig, entschlossen und wie auf alles gefaßt. »Erstlich,« fuhr der Vater fort, »ist eine schlechte Verwandtschaft ein häßlicher Makel, und eine Familie, die geachtet und geehrt ist, wie die meinige, wird niemals auf eine Verbindung mit der Familie Fadet eingehen. Zweitens flößt die kleine Fadette selbst niemanden weder Achtung noch Vertrauen ein. Wir haben gesehen, wie sie aufgewachsen ist, und wir wissen alle, was an ihr gelegen ist. Ich habe sagen hören und weiß es auch selbst, da ich sie zwei- oder dreimal gesehen habe, – daß sie seit einem Jahre ein besseres Betragen angenommen hat; nicht mehr mit den Buben herumläuft und gegen niemanden mehr böse Reden führt. Du siehst, daß ich, was recht und billig ist, gelten lassen will; aber das genügt mir nicht, um zu glauben, daß aus einem so schlecht erzogenen Mädchen jemals eine ehrbare Frau werden könnte. Und da ich weiß, wie die Großmutter beschaffen ist, habe ich allen Grund zu fürchten, daß man irgend einen Schelmenstreich ausgeheckt hat, um Versprechungen von dir zu erpressen und dich in Schande und Verlegenheit zu bringen. Man hat mir sogar gesagt, daß die Kleine guter Hoffnung sei, was ich übrigens nicht so obenhin glauben will; aber es würde mich sehr bekümmern, weil man es dir aufbürden und dich dafür zur Verantwortung ziehen würde, und schließlich könnte die Sache durch einen Prozeß mit Schimpf und Schande endigen.«

Landry, der sich gleich vom ersten Worte an vorgenommen hatte, vorsichtig zu sein und mit ruhiger Überlegung zu antworten, verlor nun doch die Geduld. Er wurde dunkelrot, und indem er aufstand, sagte er: »Mein Vater, die Leute, die Ihnen das gesagt haben, sind infame Lügner. Sie haben Fränzchen Fadet eine so große Beschimpfung angethan, daß, wenn ich sie hier unter meinen Händen hätte, sie ihre Aussagen widerrufen sollten, oder mit mir ringen müßten, bis einer von uns am Boden liegen würde. Sagen Sie ihnen, daß sie gewissenlose, feige Verleumder sind; sie sollten doch kommen, mir ins Gesicht zu sagen, was sie heimtückischerweise Ihnen ins Ohr gesetzt haben; dann würden wir ein ehrliches Spiel haben und einmal sehen, was daraus werden sollte!«

»Ereifere dich nicht so, Landry,« sagte Sylvinet, der von Kummer ganz niedergeschlagen war. »Der Vater beschuldigt dich ja gar nicht, daß du diesem Mädchen unrecht gethan hättest; er fürchtet nur, ob sie sich nicht mit anderen vergangen haben könnte, und daß sie nun, da sie bei Tage und bei Nacht mit dir herumgeht, glauben machen möchte, daß es dir zukomme, ihren guten Namen wiederherzustellen.«


 << zurück weiter >>