George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Einunddreißigstes Kapitel.

Diesesmal wäre Sylvinet am ersten Tage nach Landrys Entfernung fast gestorben; aber am zweiten war er ruhiger und am dritten verließ ihn sogar das Fieber. Anfangs fügte er sich mit Ergebung, und bald darauf zeigte er eine frische Entschlossenheit. Gegen das Ende der Woche war es klar, daß die Abwesenheit seines Bruders wohlthätiger für ihn war, als dessen Gegenwart. Er fand bei seinen Grübeleien, zu denen er im geheimen durch seine Eifersucht gedrängt wurde, einen Grund auf, der ihn sozusagen mit Landrys Entfernung versöhnte. »Wenigstens,« sagte er sich, »wird er an dem Ort, wo er jetzt weilt, und wo er niemanden kennt, nicht gleich neue Freundschaften schließen. Er wird sich langweilen, und dann an mich denken und sich nach mir sehnen.«

So waren schon drei Monate verflossen, seit Landry fortgegangen war, und beinah ein Jahr, seitdem die kleine Fadette die Gegend verlassen hatte, als diese plötzlich dahin zurückkehrte, weil ihre Großmutter vom Schlage getroffen war. Sie pflegte die alte Frau mit unermüdlicher Sorgfalt und Treue, aber das Alter ist die schlimmste aller Krankheiten, und nach Verlauf von vierzehn Tagen gab die Mutter Fadet den Geist auf, noch ehe man es vermutet hatte. Drei Tage später, nachdem sie den Körper der armen Alten zur letzten Ruhestatt geleitet hatte und das Haus wieder geordnet war, saß die kleine Fadette sehr traurig vor ihrem dürftigem Feuer, das die Gegenstände im Zimmer nur matt erhellte. Ihren Bruder hatte sie entkleidet und ins Bett gelegt, und ihre gute Patin, die sich in das andere Zimmer zurückgezogen hatte, um zu schlafen, hatte sie mit einem Kuß entlassen. Sie allein saß also wachend da und hörte in ihrem Kamin den Gesang der Grille, die ihr zu sagen schien:

Grille, Grille, Grille klein,
Die Hexe will beim Kobold sein!

Der Regen fiel und rieselte gegen die Scheiben, und die Fadette dachte an ihren Geliebten, als es plötzlich an die Thüre klopfte und eine Stimme zu ihr sprach:

»Fränzchen Fadet, bist du da und erkennst du mich?«

Sie zögerte nicht zu öffnen, und groß war ihre Freude sich an das Herz ihres Freundes Landry gedrückt zu fühlen. Landry hatte von der Krankheit der Großmutter gehört und auch die Rückkehr der Fadette erfahren. Er hatte dem Verlangen sie zu sehen nicht widerstehen können und kam jetzt in so später Stunde, um mit Tagesanbruch wieder fortzugehen. So verbrachten sie die ganze Nacht am Herde in ernsthaftem und verständigem Geplauder, denn die kleine Fadette erinnerte Landry daran, daß das Sterbebett ihrer Großmutter noch kaum erkaltet sei, und daß weder die Zeit noch der Ort dazu angethan seien, sich dem Glück hinzugeben. Aber trotz ihrer guten Vorsätze saßen sie glückselig beieinander und fühlten, daß sie sich noch viel lieber hatten, als je zuvor.

Als der Tag zu grauen begann, wurde es Landry etwas seltsam zu Mute, und er bat Fränzchen ihn doch auf dem Heuboden zu verbergen, damit er sie auch die folgende Nacht noch sehen könne. Aber, wie es noch jedesmal geschehen war, brachte sie ihn auch jetzt wieder zur Vernunft. Sie gab ihm zu verstehen, daß sie nicht lange mehr getrennt sein würden, daß sie entschlossen sei in der Heimat zu bleiben.

»Ich habe meine Gründe dafür,« sagte sie, »die ich dir später mitteilen werde, und die der Aussicht auf unsere Verbindung nicht im Wege sein werden. Geh, bringe die Arbeit zu Ende, die dir von deinem Herrn anvertraut wurde, weil es, wie meine Pate mir gesagt hat, zur Genesung deines Bruders notwendig ist, daß er dich für einige Zeit nicht sieht.«

»Dieser Grund allein kann mich dazu bewegen dich zu verlassen,« sagte Landry; »mein armer Bruder hat mir viele Sorgen und Kummer gemacht, und ich fürchte, daß er mir noch größeren machen wird. Du Fränzchen, du bist so klug, du wüßtest gewiß ein Mittel zu finden, das ihn heilen könnte.«

»Ich weiß kein anderes Mittel, als ihm Vernunft zu predigen,« erwiderte sie; »denn es ist seine Seele, die ihm den Körper krank macht; wie könnte man da den einen heilen, ohne die andere. Aber sein Widerwille gegen mich ist ja so groß, daß ich gar nicht wüßte, wie ich je die Gelegenheit finden sollte mit ihm zu reden und ihm Trost zu bringen.«

»Und doch hast du so vielen Verstand, Fadette; du weißt so gut zu sprechen und hast eine ganz besondere Gabe zu überreden, sobald du nur willst. Er würde gewiß die Wirkung davon empfinden, wenn du nur einmal, auch nur eine einzige Stunde lang mit ihm reden wolltest. Ich bitte dich, versuche es doch. Lasse dich nicht zurückstoßen durch seinen Hochmut und seine übele Laune. Bewege ihn dich anzuhören. Überwinde dich dazu, um meinetwillen, thue es mein Fränzchen; und auch um unserer Liebe willen, denn das Widerstreben meines Bruders ist nicht das geringste Hindernis, daß wir zu unserem Ziele kommen.«

Fränzchen gab ihre Zusage, und so trennten sie sich unter mehr als tausendmal wiederholten Beteuerungen, wie sehr sie sich liebten, und daß sie es ewig thun würden.


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