George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die ganze Woche verging, ohne daß es Landry gelingen wollte der Fadette zu begegnen, worüber er sehr erstaunt und sogar bekümmert war. – »Sie wird mich gar noch für undankbar halten,« dachte er; »und doch lasse ich es gewiß nicht daran fehlen, mich nach ihr umzusehen und auf sie zu warten. Es muß also wohl etwas anderes sein, weshalb ich sie gar nicht treffen kann. Vielleicht hat es sie gekränkt, daß ich sie im Steinbruch, sozusagen, wider ihren Willen geküßt habe, und doch geschah es gewiß nicht in böser Absicht; es kam mir ja gar nicht in den Sinn sie beleidigen zu wollen.«

Während der ganzen Woche setzte er seine Grübeleien in dieser Weise fort, und er dachte mehr nach, als er dies in seinem ganzen Leben gethan hatte. Er konnte sich selbst nicht klar werden und blieb träumerisch und aufgeregt; er mußte sich zur Arbeit förmlich zwingen, denn weder die stattlichen Ochsen, noch die blanke Pflugschar, oder die vom Herbstregen gefeuchtete schöne braune Erde, vermochten ihn aus seinen Betrachtungen und Träumereien herauszureißen.

Am Donnerstag gegen Abend machte er sich auf, seinen Zwillingsbruder zu besuchen; er fand diesen ebenso bekümmert, wie er es selbst war. Sylvinet hatte einen von dem seinigen ganz verschiedenen Charakter, der nur manchmal durch besondere Eindrücke ihm ähnlich wurde. Es war an diesem Tage, als ob er erraten hätte, daß die Ruhe seines Bruders durch irgend etwas gestört sei, und doch war er weit davon entfernt zu ahnen, wodurch dies geschehen sein könnte. Er fragte ihn, ob er sich mit der Madelon wieder versöhnt habe, und zum erstenmale in seinem Leben sagte Landry ihm eine Lüge, indem er diese Frage bejahte. Die Wahrheit ist, daß er der Madelon auch nicht ein Wort gesagt hatte, und er dachte, daß es noch immer Zeit dazu sein würde, da ihn ja nichts dazu dränge.

Endlich kam der Sonntag heran, und Landry war einer von den ersten, die sich in der Messe einfanden. Er war schon da, bevor noch geläutet wurde, denn er wußte, daß die kleine Fadette grade in dem Augenblick zu kommen pflegte, wenn das Geläute begann, weil sie immer so lange Gebete hersagte, was die Leute veranlaßte, sich darüber aufzuhalten. Er erblickte jetzt in der Kapelle der heiligen Jungfrau eine kleine knieende Gestalt; den Rücken hatte sie dem Publikum zugewandt, und das Gesicht in den Händen verborgen, um desto andächtiger beten zu können. Dies war wohl die gewohnte Stellung der kleinen Fadette, aber nicht die Art, wie sie das Haar zu stecken und sich zu kleiden pflegte, noch überhaupt ihr sonstiges Wesen. Landry ging wieder hinaus, um zu sehen, ob er sie nicht unter dem Portal finden würde, welches bei uns die Bettelhalle genannt wird, weil sich hier während des Gottesdienstes die in Lumpen gehüllten Bettler von Profession aufzuhalten pflegen.

Der zerlumpte Anzug der Fadette war der einzige, den er hier nicht entdecken konnte; er hörte die Messe, ohne sie erspäht zu haben. Erst als die Einleitung zum Meßopfer begonnen hatte, und er noch einmal jenes Mädchen betrachtete, welches so andächtig in der Kapelle betete, erkannte er, als sie den Kopf erhob, in ihr seine Grille, aber in einem Anzuge und mit einer Haltung, die ihm ganz neu an ihr waren. Das waren wohl noch immer ihre ärmlichen Kleider, ihr Rock von halbwollenem Stoff, ihre rote Schürze und ihre leinene Haube ohne Spitzenverzierung; aber das alles war im Laufe der Woche rein und weiß gewaschen, anders zugeschnitten und zusammengenäht. Ihr Rock war verlängert worden und fiel in zierlicheren Falten auf die Strümpfe herab, die blendendweiß waren, ebenso wie ihre Haube, die auch eine andere Form erhalten hatte, und zierlich auf ihrem glattgekämmten schwarzen Haare befestigt war; ihr Halstuch war neu und von einer hübschen mattgelblichen Farbe, die zu ihrer bräunlichen Haut vortrefflich stand. Auch das Mieder hatte sie verlängert und statt, daß ihr Oberkörper sonst wie ein bekleidetes Scheit Holz ausgesehen hatte, war ihre Taille jetzt fein und biegsam wie der Leib einer Wespe. Ja, mehr noch! Der Himmel mag's wissen mit welcher Mischung von Blumen- und Kräutersaft sie während der acht Tage Gesicht und Hände gewaschen haben mochte, denn ihr farbloses Gesicht und ihre zierlichen Hände hatten ein so reines zartes Aussehen, daß sie mit frischer Weißdornblüte im Frühling wetteifern konnten.

Als Landry sie so verändert sah, ließ er vor Erstaunen sein Gebetbuch fallen. Das dadurch verursachte Geräusch, veranlaßte die kleine Fadette sich umzuwenden, und sie erblickte Landry grade in dem Augenblick, als er sie eifrig betrachtete. Sie errötete ein wenig, wenn auch nicht mehr als die zarte Waldrose; aber durch den wärmeren Farbenton wurde sie beinah schön, umsomehr, da ihren schwarzen Augen, an denen man niemals etwas auszusetzen fand, ein so leuchtender Glanz entstrahlte, daß ihr Gesicht dadurch wie verklärt erschien. In Landry erwachte aufs neue der Gedanke: »Sie ist eine Zauberin! sie war häßlich und wollte schön werden, und da ist sie nun durch ein Wunder schön geworden. Es war ihm als ob er vor Furcht erstarren müsse; aber trotz der Furcht empfand er doch ein so heftiges Verlangen sich ihr zu nähern und mit ihr zu reden, daß ihm zu Mute war, als müsse ihm bis zum Schluß der Messe das Herz vor Ungeduld zerspringen.

Sie aber sah ihn nicht mehr an, und statt wie sonst nach dem letzten Gebet mit den Kindern um die Wette herumzulaufen und zu scherzen, ging sie still und bescheiden fort, sodaß man im allgemeinen kaum Zeit gehabt hatte zu bemerken, wie sehr sie sich zu ihrem Vorteil verändert hatte. Landry hatte nicht den Mut ihr zu folgen, um so weniger, als Sylvinet ihn nicht aus den Augen ließ; aber, nachdem er eine Stunde gewartet hatte, gelang es ihm doch zu entschlüpfen, und diesesmal dem Drange seines Herzens folgend, fand er die kleine Fadette, wie sie verständig ihre Tiere hütete in dem schmalen Hohlwege, der die Gensdarmenschlucht genannt wird. In längst vergangener Zeit haben die Bewohner von la Cosse an dieser Stelle einen königlichen Gensdarmen getötet, weil die Armen, im Widerspruch mit dem Wortlaut des Gesetzes, das ohnehin schon streng genug war, zur Bezahlung der Abgaben und zur Leistung des Frohndienstes gewaltsam gezwungen werden sollten.


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