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Als der Vater Barbeau sich überzeugte, wie klug sie war, und wie sie alles so klug anzustellen wußte, kam es ihm weniger darauf an sie zu drängen, daß sie ihr Geld in Sicherheit bringen oder gut anlegen sollte. Vielmehr lag es ihm am Herzen seine eignen Erkundigungen darüber einzuziehen, in welchem Rufe sie in Chateau Meillant gestanden hatte, wo sie sich während des vergangenen Jahres aufgehalten hatte. Wenn die schöne Mitgift ihm auch verführerisch genug erschien, um sich über die niedrige Verwandtschaft hinwegzusetzen, so war es doch etwas anderes, sobald es sich um die persönliche Ehre des Mädchens handelte, das er sich als Schwiegertochter wünschte. Er ging deshalb selbst nach Chateau Meillant und stellte genaue Erkundigungen an. So erfuhr er nun, daß die Fadette bei ihrer Ankunft nicht nur nicht in der Hoffnung gewesen sei, sondern daß auch ihr Betragen während der ganzen Zeit ihres dortigen Aufenthaltes so durchaus lobenswert gewesen sei, daß man ihr auch nicht das Geringste zu ihrem Nachteile nachsagen könne. Sie hatte bei einer alten adeligen Klosterfrau gedient, die soviel Vergnügen an ihrer guten Aufführung, ihren artigen Manieren und an ihrem verständigen Gespräch gefunden hatte, daß sie sie mehr als Gesellschafterin wie als Dienerin behandelt hatte. Sie sehnte sich nach ihr zurück und sagte von ihr, daß sie eine vollkommene Christin gewesen sei, stets gefaßt und mutig, sparsam, reinlich und höchst aufmerksam, kurz von so liebenswürdigem Charakter und Wesen, daß gewiß niemals eine so gute Dienerin wieder zu finden sein würde. Da diese alte Dame ein ziemlich bedeutendes Vermögen besaß, war sie sehr wohlthätig, wobei die kleine Fadette ihr außerordentlich behilflich gewesen war, indem sie sich in der Pflege der Kranken und bei der Bereitung von Medikamenten als sehr geschickt bewährt hatte. Dazu hatte sie noch manches schätzbare Geheimmittel kennen gelernt, mit dem ihre Herrin vor Ausbruch der Revolution in ihrem Kloster vertraut geworden war.
Der Vater Barbeau kehrte sehr befriedigt nach la Cosse zurück, und war entschlossen sich in dieser Angelegenheit jede mögliche Aufklärung zu verschaffen. Er versammelte also seine ganze Familie, und beauftragte seine ältesten Kinder, seine Brüder, sowie überhaupt alle seine Verwandten, daß sie sich in behutsamer Weise nach der Aufführung erkundigen sollten, welche die Fadette seit der Zeit, daß sie als erwachsen zu betrachten sei, gepflogen habe. Wenn das Böse, das ihr früher nachgesagt wurde, nur in kindischen Streichen bestanden hatte, so konnte man darüber lachen. Wenn sich aber jemand fand, der behaupten konnte, sie bei Ausübung irgend einer schlechten Handlung betroffen zu haben, oder daß sie sich irgend einer Unanständigkeit schuldig gemacht hatte, dann wollte der Vater Barbeau das früher schon Landry gegebene Verbot, sie nicht mehr besuchen zu dürfen mit aller Strenge aufrecht erhalten. Die Nachforschung wurde, seinem Wunsche gemäß, mit aller Vorsicht betrieben, ohne daß in Bezug auf die reiche Mitgift auch nur etwas zur Sprache gekommen wäre, denn Vater Barbeau hatte nicht einmal seiner Frau auch nur ein Sterbenswort davon gesagt.
Während dieser ganzen Zeit lebte die kleine Fadette sehr eingezogen in ihrem Häuschen. Sie wollte alles darin unverändert lassen, nur daß sie es so reinlich hielt, daß die ärmlichen Hausgeräte spiegelblank waren. Auch ihrem kleinen Grashüpfer zog sie anständige Kleider an, und ohne viel davon zu reden versorgte sie ihn, wie auch sich selbst und ihre Patin mit kräftigerer Nahrung, welche in kurzer Zeit ihre gute Wirkung auf das Kind nicht verfehlte. Es machte sich bald so heraus, daß man darüber staunen mußte, und seine Gesundheit kräftigte sich so sehr, daß man es nicht besser wünschen konnte. Das Wohlsein brachte auch bald eine günstige Veränderung in seiner Gemütsart hervor. Da er nicht mehr von seiner Großmutter bedroht und ausgezankt wurde, und nur noch Liebkosungen und sanfte Worte, kurz eine gute Behandlung erfuhr, gewannen seine Glieder an Kraft und Fülle. Er wurde ein sehr hübscher Junge, voll allerliebster, drolliger Einfälle, der trotz seines Hinkens und seiner kleinen Stumpfnase niemanden mehr mißfallen konnte.
Andererseits bewirkte die große Veränderung in der Erscheinung und in den Gewohnheiten von Fränzchen Fadet, daß die früheren bösen Nachreden in Vergessenheit gerieten, sodaß mehr als ein Bursche, wenn er sie so behende und zierlich dahinschreiten sah, gewünscht hätte, es möchte mit ihrer Trauer zu Ende sein, um ihr den Hof machen und sie zum Tanze führen zu können.
Nur Sylvinet Barbeau wollte in Bezug auf sie durchaus nicht anderer Meinung werden. Er bemerkte recht gut, daß man in seiner Familie etwas Besonderes vorhabe; denn der Vater Barbeau konnte sich nicht enthalten oft von ihr zu reden, und wenn er erfuhr, daß irgend eine der ehemaligen Lügen, die man Fränzchen Fadet angehängt hatte, widerlegt sei, freute er sich darüber in Landrys Interesse. Er pflegte dann zu sagen, daß er es nicht leiden könne, daß man seinen Sohn beschuldigt habe, ein so junges unschuldiges Blut ins Unglück gebracht zu haben.
Es war auch die Rede davon, daß Landry bald zurückkehren würde, und der Vater Barbeau schien zu wünschen, daß der alte Caillaud seine Zustimmung dazu geben möchte. Endlich wurde es Sylvinet klar, daß man der Liebe Landrys nicht mehr entgegen war, und er empfand aufs neue seinen alten Verdruß. Die Meinung der Menge, die mit jedem Winde wechselt, hatte sich seit kurzem zu Fadettes Gunsten gewandt; man hatte noch keine Ahnung von ihrem Reichtum, aber sie gefiel, und grade deshalb mißfiel sie Sylvinet umsomehr, der in ihr seine Nebenbuhlerin im Herzen seines Bruders erblickte.
Von Zeit zu Zeit ließ der Vater Barbeau vor ihm ein Wort von Heirat fallen, und sagte dabei, daß seine Zwillinge nun bald in dem Alter ständen, daran zu denken sich einen eigenen Hausstand zu gründen. Der Gedanke, daß Landry heiraten könne, war von jeher für Sylvinet trostlos gewesen und hatte ihn gleichsam wie das Stichwort zu ihrer Trennung berührt. So kam es, daß er wieder vom Fieber ergriffen wurde, und seine Mutter wandte sich aufs neue an die Ärzte um Rat.
Eines Tages begegnete ihr die Pate Fanchette; als diese sie in ihrer Kümmernis so heftig klagen hörte, fragte sie, warum denn die Mutter Barbeau so weit gehe um Rat und Hilfe zu suchen und so viel Geld damit verschwende, da sie doch ganz in der Nähe eine viel geschicktere Heilkünstlerin habe, als alle anderen im Lande, und die gar kein Geld für ihren Beistand verlange, wie ihre Großmutter dies allerdings gethan habe. Sie nannte nun die kleine Fadette, die alles nur um Gottes willen und aus Liebe zu ihrem Nächsten thue.
Die Mutter Barbeau überlegte nun die Sache mit ihrem Manne, und dieser fand nichts dagegen einzuwenden. Er sagte ihr, daß die Fadette in Chateau Meillant im Rufe stehe sehr viel zu wissen, und daß man von allen Orten herbeigekommen sei, sie um Rat zu fragen, sie sowohl wie auch ihre gnädige Frau.
Die Mutter Barbeau bat also die Fadette, Sylvinet, der das Bett hütete, zu besuchen und ihm ihren Beistand angedeihen zu lassen.
Fränzchen hatte schon wiederholt die Gelegenheit gesucht mit ihm zu reden, wie sie es Landry versprochen hatte; allein ihre Versuche waren stets vergeblich gewesen, da er nicht darauf eingehen wollte. Trotzdem ließ sie sich jetzt nicht lange bitten, sondern eilte herbei den armen Zwilling zu besuchen. Sie fand ihn schlummernd im Fieber liegen, und bat die Familie sie mit ihm allein zu lassen. Da es die Gewohnheit der Heilkünstlerinnen ist, ihre Mittel im Verborgenen anzuwenden, fand sie keinen Widerspruch, und alle entfernten sich.
Zunächst legte die Fadette ihre Hand auf die des Zwillings, welche schlaff über den Rand der Bettstatt hing; aber sie that dies so zart, daß er nichts davon wahrnahm, obgleich sein Schlaf so leicht war, daß die Bewegung einer Fliege ihn hätte wecken können. Sylvinets Hand brannte wie Feuer, und unter der Hand der Fadette wurde sie noch glühender. Er schien in eine Aufregung zu geraten, aber ohne den Versuch zu machen seine Hand zurückzuziehen. Darauf legte ihm Fadette ihre andere Hand auf die Stirn, ebenso zart wie sie die Hand berührt hatte, und er bewegte sich noch mehr. Aber nach und nach beruhigte er sich wieder, und sie fühlte, daß die Hitze im Kopf und in der Hand des Kranken sich mit jeder Minute verminderten, und daß sein Schlaf so ruhig wurde, wie der eines kleinen Kindes. Sie blieb an seinem Bette sitzen bis sie bemerkte, daß er bald erwachen würde. Dann trat sie hinter dem Bettvorhang hervor und verließ das Zimmer und das Haus, indem sie der Mutter Barbeau beim Abschied sagte: »Gehen Sie jetzt zu Ihrem Sohn hinein und geben Sie ihm etwas zu essen, denn das Fieber hat ihn verlassen. Sagen Sie ihm aber nur ja nichts von mir, wenn Sie wollen, daß die Heilung gelingen soll. Am Abend werde ich wiederkommen, um die Zeit, in der, wie Sie mir gesagt haben, das Übel sich zu verschlimmern pflegt; ich versuche dann wieder dieses böse Fieber zu bannen.«