George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Achtzehntes Kapitel.

Landry fühlte sich durch die Art, wie die kleine Fadette so bescheiden und gelassen von ihrer Häßlichkeit sprach, eigentümlich gerührt. Er rief sich ihre Züge, die er in der Dunkelheit des Steinbruches kaum in ihren oberflächlichen Umrissen zu erkennen vermochte, ins Gedächtnis zurück und sagte ihr, ohne daran zu denken, ihr schmeicheln zu wollen:

»Aber, Fadette, du bist nicht so häßlich, wie du meinst, oder wie du es glauben machen willst. Da giebt es viel Häßlichere als du bist, denen man keinen Vorwurf daraus macht.«

»Ob ich es nun etwas mehr oder weniger bin, Landry, so kannst du doch nicht sagen, daß ich ein hübsches Mädchen bin. Laß das auch nur gut sein, und bemühe dich nicht mich zu trösten, denn ich habe keinen Kummer darüber.«

»Nun, wer weiß, wie du aussehen würdest, wenn du gekleidet wärest wie die anderen Mädchen, und trügest auch dein Haar, wie sie, unter einem Häubchen aufgesteckt? In einer Hinsicht sind alle Leute einverstanden, nämlich: daß du gar nicht so übel wärest, wenn nur deine Nase nicht so kurz, dein Mund nicht so groß und deine Haut nicht so dunkel wäre; und dann sagt man auch, daß es in der ganzen Gegend hier herum, kein paar Augen gebe, die sich mit den deinigen messen könnten, und wenn du nur nicht so keck und spöttisch dreinschauen wolltest, dann würde man sich sehr gern von diesen Augen ansehen lassen.«

In dieser Art sprach Landry weiter, ohne sich Rechenschaft von dem zu geben, was er sagte. Er war einmal im Zuge die Fehler und die Vorzüge der kleinen Fadette gegeneinander abzuwiegen, zum erstenmale hatte er eine Aufmerksamkeit und ein Interesse für sie, deren er sich einen Augenblick zuvor noch nicht fähig geglaubt hätte. Sie bemerkte dies wohl, da sie aber zu klug war, um die Sache ernsthaft zu nehmen, bewahrte sie vollkommen den Schein der Unbefangenheit.

»Meine Augen,« sagte sie, »sehen das Gute freundlich an, und was nicht gut ist, mitleidig an. Und ich tröste mich leicht darüber, wenn ich solchen mißfalle, die mir selbst nicht gefallen; und ich kann nicht begreifen, warum diese schönen Mädchen, die ich so umworben sehe, mit allen so gefällig und freundlich thun, als ob alle die Burschen, die ihnen entgegenkommen, nach ihrem Geschmacke wären. Was mich betrifft, wenn ich schön wäre, würde ich es nur für den sein wollen, der mir gefiele, und nur gegen ihn würde ich liebenswürdig sein.«

Landry dachte an die Madelon, aber die kleine Fadette ließ ihn nicht lange bei diesem Gedanken verweilen; sie setzte das Gespräch in folgender Art fort:

»Darin also, Landry, besteht mein ganzes Unrecht gegen andere, daß ich nicht darnach trachte, mir ihr Mitleiden oder ihre Nachsicht für meine Häßlichkeit zu erbetteln. Daß ich mich ihnen, ohne diese hinter einer Ausstaffierung zu verbergen, so zeige, wie ich da bin, das also ärgert sie, und darüber vergessen sie, daß ich ihnen oft Gutes erzeigt und niemals Böses zugefügt habe. Wenn ich auf der anderen Seite auf meine Person auch Sorgfalt verwenden möchte, woher sollte ich denn die Mittel nehmen, um mich zu putzen? Habe ich jemals gebettelt, obgleich ich für mich auch nicht über einen Sous zu verfügen habe? Giebt meine Großmutter mir außer dem Unterschlupf und der Nahrung auch nur das geringste? Und ist's etwa meine Schuld, wenn ich aus den alten Fetzen, die meine Mutter für mich dagelassen hat, nichts zu machen weiß, weil niemand mir die Anleitung dazu gab? Bin ich doch seit meinem zehnten Jahre ganz mir selbst überlassen, ohne daß ich bei irgend jemanden Liebe oder Erbarmen gefunden hätte. Ich weiß recht gut, was man mir eigentlich vorwirft, und du hast nur aus Mitleiden mich damit verschont, es auszusprechen: Man wirft mir vor, daß ich sechzehn Jahre alt sei, und daß ich mich recht gut vermieten könnte, dann würde ich einen Lohn haben und was sonst zu meinem Unterhalt gehört; aber weil ich von Natur träge sei, und aus Liebe zum müßigen Herumtreiben, bliebe ich bei meiner Großmutter, die mich nicht einmal leiden könne, und die recht gut die Mittel habe, sich eine Magd zu halten.«

»Nun ja, ist dies nicht auch die Wahrheit?« sagte Landry. »Man wirft dir vor, daß du nicht gern arbeiten magst, und deine Großmutter selbst sagt jedem, der es nur hören mag, daß sie sich viel besser dabei stehen würde, statt deiner eine Magd zu nehmen.«

»Meine Großmutter sagt dies, weil sie gern schimpft und sich beklagt. Und doch, wenn ich sage, daß ich fortgehen will, hält sie mich davon zurück, weil sie recht gut weiß, daß ich ihr nützlicher bin, als sie es Wort haben will. Sie hat nicht mehr die Augen und die Beine eines fünfzehnjährigen Mädchens, um die Kräuter suchen zu können, aus denen sie ihre Tränke und Pulver bereitet; um diese zu finden, muß man oft sehr weit gehen und sich an schwierig zu betretende Stellen wagen. Außerdem sagte ich dir schon, daß ich selbst an den Kräutern Eigenschaften entdecke, die ihr unbekannt geblieben sind, und sie ist sehr erstaunt, wenn ich Heilmittel bereite, von deren vortrefflicher Wirksamkeit sie sich bald nachher überzeugt. Sind unsere Tiere nicht so schön, daß man darüber staunen muß, solch ein Vieh bei Leuten zu finden, die es doch nur auf die Gemeinde-Weide treiben können? Nun, meine Großmutter weiß recht gut, wem sie es zu verdanken hat, daß unsere Schafe so feine Wolle und unsere Ziegen so gute Milch geben. O, sie hat gar keine Lust mich gehen zu lassen, und ich trage ihr viel mehr ein, als ich ihr koste. Und ich selbst, ich habe meine Großmutter darum doch lieb, wenn sie mich auch noch so hart behandelt und mir nur wenig giebt. Aber ich habe noch einen anderen Grund, weshalb ich nicht von ihr gehe, und wenn du willst, Landry, will ich dir sagen, warum ich es nicht thue.«

»So sage es mir,« erwiderte Landry, der gar nicht müde wurde der kleinen Fadette zuzuhören.

»Dieser Grund ist,« sagte sie, »weil meine Mutter mir damals, als ich noch kaum zehn Jahre alt war, ein armes Kind auf dem Halse zurückgelassen hat. Es ist sehr häßlich, ebenso häßlich wie ich, ja noch viel mißgestalteter, da es von Geburt an lahm ist. Ein elendes, kränkliches Kind, das immer voller Zorn und Verdruß ist, weil der arme Junge immer seine Leiden hat. Alle Leute zerren und quälen an meinem armen Grashüpfer herum, und wollen ihn immer heruntersetzen. Meine Großmutter schilt und zankt ihn viel zuviel, und würde ihn auch zuviel prügeln, wenn ich ihn nicht gegen ihre Mißhandlungen schützen würde, indem ich so thue, als ob ich ihn durch Zanken und Lärmen zurecht weisen und statt ihrer züchtigen wollte. Aber ich nehme mich immer sehr in acht, daß ich ihn bei Erteilung dieser Prügel nicht wirklich berühre, und er selbst weiß das recht gut. Sobald er etwas Verkehrtes angerichtet hat, kommt er deshalb auch sogleich herbeigelaufen, sucht sich in meinem Rock zu verstecken und sagt: ›haue mich nur tüchtig, ehe die Großmutter mich packt.‹ Und dann schlage ich auf ihn los, daß es rein zum lachen ist, und der kleine Bösewicht schreit aus Leibeskräften. Ich sorge auch sonst für ihn, aber ich kann es nicht immer verhindern, daß der arme Schlingel nicht manchmal recht zerlumpt aussieht. Wenn ich nur einige Lappen habe, richte ich sie zu einem Kleidungsstück für ihn zusammen, und wenn er krank ist, nehme ich mich seiner an, daß er bald wieder gesund wird, während er unter der Pflege meiner Großmutter sterben würde, denn sie versteht es gar nicht kranke Kinder zu behandeln. So erhalte ich diesen armen, schwachen Knaben am Leben, der ohne mich sehr unglücklich wäre und bald unter der Erde an der Seite unseres armen Vaters liegen würde, den ich vor dem Tode nicht habe bewahren können. Ich weiß nicht, ob ich dem armen Kinde einen Dienst erweise, wenn ich es am Leben erhalte, verwachsen und von so wenig angenehmen Wesen, wie es ist; aber ich kann nun einmal nicht anders handeln. Wenn ich daran denke, in einen Dienst zu treten, um etwas Geld für mich zu haben, und mir aus dem Elend, in dem ich mich hier befinde, heraushelfen zu können, bricht mir bei dem Gedanken an meinen armen Grashüpfer schier das Herz vor Erbarmen, und ich mache mir Vorwürfe, als ob ich seine Mutter wäre, und als ob ich ihn durch meine Schuld zu Grunde gehen sehen müßte. Siehst du, Landry, das sind nun alle meine Fehler, und das Böse, das man mir zur Last legt. Der liebe Gott mag mein Richter sein: ich verzeihe allen, die mich so verkennen.«


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